Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Ein paar Tage später war es, an einem für die vorgeschrittene Jahreszeit noch merkwürdig warmen Nachmittag – da sitzt der alte Salzküfel in seinem ebenerdigen Gelaß im Guguckshaus vor seinem braven Webstuhl und tritt mit den dürren Beinen eifrig auf den Weberschemeln herum und läßt dabei seine Schütze fliegen, von rechts nach links und von links nach rechts, immer her und hin, hin und her.

Die hölzernen Tritte, die die Schäfte heben, klappern bedächtig auf und nieder, und die Kettfäden schießen durcheinander wie hundertfingrige Hände, die sich falten und wieder auseinandertun. Das Weberschiff rasselt gleichmäßig dazwischen durch, indem es von der winzigen, in seinem Herzen verborgenen Schußspule den Faden abschnurren läßt. Und die Weberlade, mit der der Salzküfel nach jedem Gang den Eintrag festschlägt, knarrt und ächzt in ihren Angeln. Es ist eine eintönige, leise einschläfernde Musik, und an der weißgetünchten Wand, von der der Kaiser Josef aus einem stockfleckig gewordenen Kupfer mit seinen klaren, offenen Augen freundlich auf den emsigen Weber niederschaut, dämmern träumend ein paar verspätete Sommerfliegen.

Und auch den Hund Diwrisl, der zu Füßen des Salzküfels liegt, fängt es an zu schläfern. All seine Willensstärke muß er zusammenraffen, um den struppigen Kopf hochzuhalten, der ihm immer wieder zwischen die Vorderbeine herabsinken will. Sein besseres Ich kämpft einen verzweifelten Kampf mit dem Schlaf, der ihn zu übermannen droht. Und dabei macht er ein totunglückliches Gesicht, denn eigentlich möchte er so gern ein wenig nachgeben, aber er weiß, es wäre eine Schmach, an der Seite seines Herrn einzunicken, wo er doch auf ihn achtzugeben hat. Überhaupt ist es eine Schande, am Tag zu schlafen; davon ist der Diwrisl so fest überzeugt wie der Salzküfel. Aber auch den Salzküfel überkommt es jetzt auf einmal wie eine ungewohnte Müdigkeit. Es liegt so etwas merkwürdig Drückendes heut' in der Luft. Eine leise Bewegung seiner Nasenflügel verrät ein unterdrücktes Gähnen, und die Augenlider wollen ihm fast zuklappen. Da gerät er aber in Zorn.

»Wär' nicht aus! Schäm dich, Salzküfel! Das ist ja grad, als ob du anfangen wolltest alt zu werden!«

Und wütend setzt er seine Füße auf die Tritte und schleudert seine Schütze, als ob es ein Wurfgeschoß wäre, und erhebt seine Stimme und begleitet ein paarmal das Hinundherfliegen des Schiffes mit der alten Webermelodie:

»Von Hietzing – nach Penzing,
Von Penzing – nach Hietzing ...«

Da rappelt sich auch Diwrisl auf. Das Beispiel seines Herrn hat ihm Kraft verliehen, die böse Anwandlung zu besiegen. Er macht einen entschlossenen Nieser und schüttelt sich die Zotteln aus dem Gesicht, damit der Salzküfel sehen soll, daß er fuchswache Augen hat und gut aufpaßt auf alles.

Und seine Wachsamkeit war auch nicht überflüssig, denn plötzlich pochte es an die Tür. Diwrisl wendete sogleich den Kopf und ließ ein verhaltenes Knurren hören. Der Salzküfel, der im Geräusch des Webens das Pochen überhört hatte, setzte mit der Arbeit aus.

»No, no, was gibt's denn, Diwrisl?«

Am liebsten hätte Diwrisl geantwortet: Es hat jemand an die Tür geklopft. Aber weil die Natur ihm die Sprache versagt hatte, so blieb ihm nichts übrig, als zu seinem Herrn aufzublicken und sein leises Knurren fortzusetzen. Es pochte noch einmal.

»Herein!« rief der Salzküfel.

Die Nähterin Lois war es, dieselbe, die einmal unvorsichtigerweise eine Nadel zwischen die Lippen genommen und unversehens verschluckt hatte. Sie war eine lebhafte alte Jungfrau, die ein wenig einer altväterischen Maus ähnlich sah, und immer bis zum Rande angefüllt mit Glücksgefühlen und einer wahrhaft inbrünstigen Verehrung des Lebens. Denn die schreckliche Nadel hatte sich damals nach Monaten fürchterlicher Qual und Angst ganz verkrümmt und verbogen wieder ans Tageslicht gedrängt und war unter großen Schmerzen durch das Fleisch des Leibes herausgewachsen. So wurde die Nähterin wie durch ein Wunder gerettet. Die Geschichte hatte sich zugetragen, als sie noch ein junges Mädchen gewesen, und viel Zeit war inzwischen verflossen. Aber seither wußte sie es und vergaß es nimmer, wie schön es auf der Welt ist. Und da es ihr selbst nicht geglückt war, einen Mann zu bekommen, der ihr zu Gesicht stand, so verlegte sie sich darauf, ehrbare Liebschaften zu schirmen und Ehen zu stiften. Und auf solche Weise genoß sie die Liebe, die süßeste Erdenfreude, vielfältig immer aufs neue wieder und immer gedoppelt mit jedem jungen Paare, das sie in ihren Schutz genommen hatte.

Unaufgefordert trat sie näher, auf Stöckelschuhen aus dem achtzehnten Jahrhundert, deren Absätze vielleicht einmal sogar rot gewesen sein mochten, wie es alle Absätze damals waren.

»Ich bitt' halt vielmals um Entschuldigung, wenn ich bei der Arbeit stören tu'; ich hätt' mich ohnedies nicht hereingetraut, aber da hab' ich mir gedacht, der Salzküfel hat die Wettl auch gern, gerade so wie ich, und deswegen wird der Salzküfel mir helfen.«

»Die Wettl?« meinte der alte Großvater, und auf seinem Gesicht ging die Sonne auf. »Na, ob ich die gern hab', die Wettl! Wer wird denn die Wettl nicht gern haben? Das ist ja mein Herzpünkerl, die Wettl!«

»Also, sehen Sie, Salzküfel,« sagte die Lois. »alle zweibeide wünschen wir ihr nur Gutes. Aber mit dem Wünschen allein ist es nicht getan, man muß auch achtgeben auf die, die man gern hat. Und jetzt ist der richtige Augenblick dazu, auf die Wettl zu passen, damit sie nicht ins Unglück kommt.«

»Ho, ho, ho!« machte der Salzküfel. »Und was soll denn auf einmal los sein mit der Wettl?«

»Weil sie halt selber mit offenen Augen ins Unglück rennt!« rief die Nähterin eifrig. »Das kommt davon, daß sie noch keine Nadel verschluckt hat. Und so weiß sie nicht, wie das tut, wenn man in tausend Ängsten wartet und wartet und von einem Tag auf den andern hofft und fürchtet.«

»Ja, was heißt denn das aber?« meinte der Großvater ganz bestürzt. »Die Jungfer Lois wird doch nicht wollen, daß die Wettl auf einmal eine Nadel schlucken soll?«

»Gerade das Gegenteil! Ersparen will ich ihr's! Und eben darum soll sie dem Lebold abreden.«

»Welchem Lebold? Und wovon abreden?« fragte der Großvater, der sich einfach gar nicht mehr auskannte und schon zu fürchten begann, die Lois könnte am Ende übergeschnappt sein.

»Dem Lebold aus dem Schrollhaus,« sagte die Lois.

Der Salzküfel griff sich an den Kopf.

»Und was soll denn der Lebold aus dem Schrollhaus mit dem Nadelschlucken zu tun haben?«

»Aber versteh mich der Salzküfel doch recht! Das mit der Nadel ist ja nur gleichnisweis gemeint, so wie der Herr Pfarrer etwa sagt, man soll nicht von der verbotenen Frucht essen. Damit meint der Herr Pfarrer nicht einen wirklichen Apfel, und wenn ich von der verschluckten Nadel red', so mein' ich auch keine wirkliche Nadel. Aber wenn der Lebold zum Freibataillon geht, und es kommt der Krieg, so wird die Wettl in Not und Ängsten sein, genau so wie ich, da ich die Nadel noch in mir gehabt hab'.«

»Die Wettl, meint sie, wird um den Lebold in Not und Ängsten sein?«

»Den Herzwurm wird sie uns kriegen!« rief sie aufgeregt. »Aufzehren wird sie sich und krank wird sie werden! Und doch redet sie ihm nicht ab und macht ihm, wie ich hör', im Gegenteil Courage dazu. Und was kann dabei herauskommen? Immer nur ein Unglück! Denn sogar im besten Fall, wenn dem Lebold nichts geschieht und er wieder heimkommt, so bleibt es doch ein Unglück. Denn der alte Schroll will es nicht erlauben, daß der Lebold mittut, und hat gedroht, er enterbt ihn und nimmt ihn nicht mehr in sein Geschäft, wenn er ihm nicht folgt. Und wenn der alte Schroll einmal etwas gesagt hat, so bleibt es auch dabei, da kann die Welt darüber zugrund gehen. Also, das sieht doch jetzt jeder, daß das ein Unglück geben muß. Denn wenn dann der Lebold nichts ist und nichts hat, so können sie erst nicht heiraten.«

»Ja wollen die zwei überhaupt heiraten?« fragte der Großvater erstaunt.

»Noch ist es ein Geheimnis,« sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Noch wissen sie selber nichts davon.«

»Sie aber will es schon wissen, Jungfer Lois?« sagte der alte Mann ärgerlich.

»Sehen Sie, Salzküfel, ich kenn' sie halt alle zwei so gut. Wenn man viel in den Häusern herumkommt und nähen tut, so lernt man die Menschen schon kennen. Von klein auf kenn' ich den Lebold und von klein auf kenn' ich die Wettl. Und ich weiß es schon lange: die zwei, die kommen noch einmal zusammen.«

»Ja, warum denn eigentlich, wenn sie selber nichts davon wissen?«

»Warum? Weil sie halt zueinander gehören, und da kann es gar nicht anders sein. Die zwei,« sagte sie feierlich und mit Nachdruck, »werden noch ein Paar!«

»Mir scheint, die Jungfer Lois hört das Gras wachsen,« sagte der Salzküfel. »No, ich hab' nichts dagegen, wenn die zwei heiraten wollen – aber das wird doch nicht unsere Sach', das wird halt dem Lebold und der Wettl ihre Sach' sein.«

»Aber daß nichts dazwischen kommt, müssen wir schauen,« meinte die Nähterin und lächelte geheimnisvoll.

»Wenn es unserm Herrgott recht ist,« sagte der Großvater, »so kommt eh' nichts dazwischen.«

»Der Napoleon kommt dazwischen!« rief sie eifrig.

Er wurde ungeduldig und faßte seine Weberlade an, als ob er Miene machen wollte, weiter zu weben.

»Also, ich kann doch dem Napoleon nicht sagen, daß er der Wettl zulieb keinen Krieg führen soll!«

Die Lois machte ihr pfiffiges Mäuseschnäuzchen und legte einen Finger an ihre große Haube, die noch aus der Blütezeit der großen Hauben stammte.

»Dem Napoleon kann der Salzküfel nichts sagen, aber der Wettl könnt' er vielleicht was sagen.«

»Wüßt nicht, was ich der Wettl sagen sollt',« meinte er gereizt und verriet eine immer zunehmende Ungeduld.

»Und die Wettl könnt' vielleicht wieder dem Lebold was sagen,« geheimniste sie weiter.

»Also jetzt heraus mit der Sprach'!« rief er schon fast kochend. »Was heißt denn diese versteckte Herumrederei? Was soll ich der Wettl sagen? Und was soll die Wettl dem Lebold sagen?«

»Wenn die Wettl dem Lebold sagen tät', daß sie es nicht aushalten kann, wenn er in den Krieg geht, und daß der Lebold ihr zulieb dableiben soll – so tät' er's vielleicht. Und den Rat könnt' der Salzküfel der Wettl geben!«

Jetzt fuhr aber der alte Mann bolzgerade von seinem Sitze auf. Auch Diwrisl sprang auf seine Füße. Er blickte seinen Herrn an, kläffte ein paarmal gegen die Nähterin und schaute dann befriedigt abermals zu seinem Herrn empor.

»Was sind mir das für Weibersachen!« grollte der Salzküfel mit einer vor Zorn fast zittrigen Stimme. »Glaubt sie denn wirklich, die Wettl wird sich an den Lebold hängen? Und wird ihn betteln, daß er nicht tun soll, was er für das Rechte hält? Da kennt sie meine Wettl schlecht! Wenn meine Wettl einmal heiratet, so wird sie eine herzhafte Frau und kein Jammerlappen-Weib, das ihren Mann wegen ein bissel Ängsten von seinen Pflichten abreden tut. Das wird die Wettl nie tun, wie ich sie kenn', und da hat sie auch recht! Denn es gibt bittere Sachen, die man halt einmal schlucken muß, im Leben. Eine Nadel schlucken hat keinen Zweck, das ist halt einfach ungeschickt, wenn man das tut. Ein Herzleid aber, das einen Sinn hat, das will erduldet sein! Um das läßt sich unser Herrgott nicht betrügen! Und meine Wettl wird's in Ehren dulden, wie ich sie kenn', und wird deswegen noch lang keine Auszehrung nicht kriegen. Denn die Wettl weiß ganz gut, daß es einen Herrgott gibt, und daß uns unser Herrgott manchmal prüfen tut. Und darum sag' ich: Hand von der Butten, und laß sie meine Wettl schön in Frieden! Die wird sich den rechten Weg schon selber finden, die Wettl! – So, jetzt hat sie meine Meinung gehört, und jetzt kann sie wieder gehn!«

Er setzte sich an seinen Webstuhl und begann zu arbeiten. Die arme Lois war ganz bestürzt über seine ungehaltenen Worte und begriff nicht, wodurch sie ihn so aufgebracht haben könnte, und vermehrte das Übel immer noch, indem sie ein Langes und Breites in ihn hineinredete und alles noch näher erklären und ihn wenigstens davon überzeugen wollte, wie gut sie es gemeint hätte, und wie liebevoll ihre Absichten gewesen wären. Aber je länger sie redete, desto wütender wurde der Salzküfel. Sagen tat er zwar kein Wort mehr, aber wie ein Besessener trampelte er auf seinen Tritten herum, und jedesmal, wenn er mit der Weberlade anschlug, führte er den Hieb mit solcher Heftigkeit, als ob er nicht die Fäden festschlüge, sondern die Lois damit treffen wollte. Und auch als sie sich endlich halb weinend entfernt hatte, wob er noch in derselben hitzigen Weise weiter, und bei jedem Schuß flog die Schütze fast an die Wand, daß er sie ein paarmal ausklauben, die Schußspule herausnehmen und den überflüssig abgelaufenen Eintragfaden wieder aufwickeln mußte.

Das machte ihn nun erst recht ärgerlich. Wie einen so ein Frauenzimmer mit ihren Faxen in der Arbeit stören konnte! Hinten und vorne ging es nicht mehr zusammen. Und an allem war jetzt natürlich die Lois schuld. Die Kettfäden wetzten an den Zähnen des Rietblattes, daß sie rauh wurden. Seine Mollettine mußte er jeden Augenblick gebrauchen, weil Fasern und Splitter allerart an der Seide klebten. Zwei oder drei Litzen waren zu schlapp geknüpft und hingen herunter, so daß es kein glattes Fach gab und die Schütze sich bei jedem Schuß darin spießte. Und auf einmal entdeckte er gar, daß die ganze Kette unordentlich gespannt sei.

»Himmel, fix, Laudon, noch einmal!«

Ja, er wurde immer mehr davon überzeugt: die ganze Kette ist schlecht gespannt! Einzelne Fäden ziehen so straff an, daß sie jeden Augenblick zu zerreißen drohen, andere wieder hängen ganz knieweich herunter, als ob sie gar nicht dazu gehörten. Wie eine Leinenkette, die man erst nach dem Verweben ordentlich spannt und reckt und zieht, damit sie gleichmäßig wird, so schlampig ist diese ganze Pastete, und nicht wie eine anständige Seidenkette! Vom Seidenbaum geht der Fehler aus, er merkt es gleich, dort sitzt das Nest des Unheils. Und dabei hat er sich noch selbst vorgerichtet und aufgebäumt, das ärgert ihn am meisten; denn hätt' es ein anderer gemacht, so könnt' er jetzt wenigstens weidlich schimpfen. – Ha, da fällt es ihm ein! Geschweift muß schlecht sein! Natürlich! Gewiß eine Kette, die auf dem neuen Schweifrahmen geschweift ist! Auf dem neuen Schweifrahmen mit dem Werkel und mit der Katz'! Also, jetzt ist es aus! Jetzt webt er schon drauf los wie ein Tollwütiger. Und zu allem Überfluß tritt er auch noch ein paarmal falsch, auf die unrichtigen Schemel, weil sein Kopf noch ganz voll ist von der Lois ihrem Gewäsch.

»Richtig! Jetzt ist der Teuxel los!«

Die Schütze steckt im Fach und kann nicht mehr weiter. Gerade in der Mitte gibt es einen riesigen Weberknoten, das Kettgarn hat sich verfilzt und verrüttet, die Schäfte spießen sich und heben und zerren eine Menge Fäden mit in die Höhe, die sie gar nichts angehn – das Durcheinander ist fertig. Da reißt der Salzküfel seine braune Schirmkappe vom Kopf und haut damit auf den Zettel los, als ob er die Franzosen vor sich hätt', und haut und haut so lange, bis alle Fäden durchgerissen sind und die ganze schöne Seidenkette wie ein nasser Fetzen herunterhängt.

Jetzt endlich hält er inne und atmet tief auf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Unwillkürlich blickt er nach Diwrisl hinüber, gleichsam um zu sehen, was der dazu sagt. Der Diwrisl steht ganz traurig da und schaut seinen Herrn ernst an und macht ein Gesicht, wie wenn ein Mensch den Kopf schüttelt. Da schämte sich der Salzküfel vor seinem vierfüßigen Kameraden.

In tiefen, vollen Schwingungen drang das Läuten der Feierabendglocke in die Stube. Das war kein freudiger Feierabend wie gewöhnlich! Er wußte, daß er jetzt zwei Tage zu tun haben würde, um die zerrissenen Kettfäden wieder anzuknüpfen. Nun, das war doch schließlich eine Arbeit, wenn schon nicht die angenehmste, und arbeiten tat er ja gern. Aber was ihn eigentlich wurmte, daß war die Entdeckung, daß noch immer der alte Adam, der Quartal-Zornpünkel in ihm steckte. Den hatte er doch längst für begraben gehalten. Und jetzt war er noch immer da! Ja, würde denn der zudringliche Kerl ihn wirklich bis ans Grab begleiten?

Bekümmert setzte er seine Kappe auf, die nicht zum ersten Male das grausame Zerstörungswerk vollbracht hatte, und trat mit Diwrisl in den Hof hinaus, um ein wenig frische Luft zu schöpfen. Nachdem er ein paarmal geseufzt hatte, ging er zu der Tür, wo die Roslini wohnte. Er wußte nicht warum, aber gerade mit der Roslini hätte er jetzt gerne ein wenig geplaudert. Vielleicht war es, weil von ihrem Wesen immer etwas wie Ruhe und Zuversicht auszugehen schien. Man hatte bei ihr das Gefühl, als ob sie von niemandem etwas wolle, erwarte, verlange, dagegen stets bereit sei, von ihrem Vorrat stiller Freudigkeit an andere abzugeben. Er redete gerne mit ihr; aber von selbst kam sie fast nie zum Vorschein, man mußte sie suchen. Es war immer, als ob sie gar nicht im Hof des Guguckshauses gewohnt hätte, tagelang bekam man sie nicht zu sehen. Und jetzt fand der Salzküfel ihre Tür verschlossen. Die Roslini war nicht zu Hause.

So blieb ihm also nichts übrig, als mit sich allein fertig zu werden. Er trat in den Garten, um nach den Spatzen zu sehen, die im wilden Wein zwitscherten. Ihr Getritsch und Getratsch ermunterte ihn allgemach, und er fing an, sich tüchtig auszuzanken. Und nachdem er sich allerhand saftige Wahrheiten ins Gesicht gesagt hatte, begann er zu lachen und machte sich lustig über sich selbst. Und nachdem er sich weidlich ausgelacht hatte, schloß er endlich Frieden mit sich, die Strafe natürlich vorbehalten, denn Strafe muß sein, dachte er, sonst hat die Geschichte keinen rechten Schlußpunkt. Da atmete er jetzt wieder freier und wurde wieder zufrieden und sanftmütig wie gewöhnlich.

»Schließlich ist doch die Nähterin Lois an allem schuld gewesen!« fiel ihm ein.

Von der Wettl und der Roslini abgesehen, war er kein besonderer Freund des weiblichen Geschlechts, und bei allem, was ihm zuwider war, schob er, wenn er konnte, die Schuld auf irgend ein Frauenzimmer. Diesmal vielleicht nicht mit Unrecht, denn die Nähterin Lois war es tatsächlich gewesen, die den leidigen Zornpünkel in ihm geweckt hatte. Was mußt' ihr auch in den Sinn kommen, die Wettl, seine gute, goldne Wettl, so niedrig einzuschätzen!


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