Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Wie ein prangender, und doch gleichsam mit stiller Wehmut geflochtener Kranz aus rotem und gelbem Laube reihten die milden, sonnigen Herbsttage sich aneinander ... Jetzt endlich hieß es, die Unterhandlungen seien dem Abschluß nahe, und der Friede gesichert, jeden Tag könne man die Unterzeichnung des Vertrages gewärtigen. Auch Lebolds Wunde war nunmehr so weit verheilt, daß die Mutter ihn eines Tages mit einem kleinen Lächeln fragen konnte, ob er denn nicht Lust hätte, einmal einen Besuch in der Zieglergasse zu machen, um sich auch ein wenig zu zerstreuen. Er war ihr dankbar, daß sie seine Sehnsucht ahnte, und glücklich, dem Zug seines Herzens endlich folgen zu dürfen. Die Brust von Freude geschwellt, machte er sich auf den Weg nach dem Guguckshaus.

Zufällig traf er Wettl allein, und sie saßen einander gegenüber in der Bannmeile des Zampelstuhls, beide bewegt und wortkarg und fast ein wenig fremd und schüchtern. Sie blickte ihn nur immer an, still liebend und bewundernd, ihren Kriegshelden, der für das Vaterland geblutet, und das Herz tat ihr weh, weil er so blaß und angegriffen aussah und traurig schien. Sie konnte sich in ihn hineindenken, wie er es empfinden mußte, daß er jetzt nichts war und nichts hatte, und sie seufzte insgeheim über die Härte des alten Schroll, der den ihm wiedergeschenkten Sohn seine Hingabe an Kaiser und Land so schwer entgelten ließ. Lebold zog seine Brieftasche hervor und zeigte ihr ein getrocknetes Veilchen.

»Kennen Sie es, Wettl? Es hat mich in allen Schlachten begleitet und war mir lieb. Aber mein Talisman war nicht dieses Veilchen. Mein Talisman das waren die Worte, die Sie mir auf den Weg mitgegeben, damals in Schönbrunn – erinnern Sie sich?«

Sie nickte.

»Vertrauen und Kraft und Gottesfrieden, noch in der schlimmsten Not – so haben Sie es damals gesagt. Und das Saatkorn, das Sie mir ins Herz gelegt, ist aufgegangen, wirklich in der schlimmsten Not!«

Er erzählte ihr von dem schrecklichen Ringen um den Friedhof von Aspern. Man hörte jemand die Treppe heraufkommen, die Tür flog auf und der Guguck stand da, mit einem Gesicht wie die aufgehende Sonne, und streckte dem Lebold beide Hände entgegen: »Grüß Ihnen Gott, Herr Kriegskamerad!«

»Der Herr Vater hat nämlich auch ein Gewehr gefaßt, aus dem Zeughaus!« sagte Wettl erklärend.

»Das will ich meinen!« rief er. »Aber von den Kriegstaten reden wir ein anderesmal. Jetzt erzählen Sie mir zuerst, wie es Ihnen geht.«

Dem Lebold tat die fröhliche Gemütlichkeit des Gugucks wohl. Er ging aus sich heraus und plauderte frei und offen, und als Kebach geradezu nachfragte, gestand er auch, daß er vorderhand noch nichts Rechtes mit sich anzufangen wisse, weil er in das Geschäft des Vaters nicht mehr eintreten könne und eine andere Verwendung noch nicht gefunden habe.

»Na alsdann, das hab' ich wissen wollen,« sagte der Guguck. Und dann warf er so beiläufig hin, daß er einen Gehilfen brauchen könnte, und wenn der Lebold umlernen wollt' ...

»Zeug ist halt doch noch ganz was anderes als Band!« sagte er selbstbewußt.

Der Lebold war über und über rot geworden. »Ein schönes Band ist schon auch was Schönes!« sagte er.

»Na ja, aber wieviel Seide ist denn darin!«

»O bitte, bei den Florbandeln zum Beispiel, die wir machen, ist sogar sehr viel Seide!«

»Sehr viel Seide? hören Sie mir auf! Man kann ja durch und durch schauen!«

»Bitte, Herr Lebach,« sagte Lebold, »durch Seidendünntuche kann man auch durchschauen, deswegen ist das doch kein Bofel!«

»Wer redet denn von Bofel!« brauste der Guguck auf. »Aber daß nicht viel Seide bei diesem Bandelzeug dabei ist, sag' ich, und wenn's nicht so wär', tät' ich's nicht sagen.«

»Bitt' recht schön um Verzeihung,« beharrte Lebold, »aber da irren Sie sich doch ein kleines bissel. Es gibt freilich Bandeln, bei denen fast keine Seide ist, aber wir fabrizieren auch schwerere Ware und sogar ganzseidene Bänder, bei denen ist Schuß und Kette ganz gleich von Seide wie beim schwersten Stoff.«

»Ich hab' von den Florbandeln geredet!« sagte Lebach ausweichend.

»No ja, bei den Florbandeln,« meinte Lebold, »setzt ja niemand voraus, daß sie ganzseiden sind, es ist ja auch der Preis danach. Aber verhältnismäßig, will ich nur sagen, ist gar nicht so wenig Seide dabei für so eine leichte und billige Ware. Und besonders bei unseren Florbandeln ist viel mehr Seide als bei allen anderen, und die unsrigen sind doch nicht um einen Kreuzer teurer. Der Pointner zum Beispiel, in der Bandgasse, der fabriziert zu demselben Preis viel leichtere, als die unsrigen sind. Ich muß es doch wissen, Herr Kebach, weil ich selber die Stühle für die Florbandeln eingerichtet habe!«

»Na ja, meinetwegen, gut!« lenkte jetzt der Guguck ein. »Ich will ja nichts sagen! Gezählt hab' ich die Fäden nicht in Ihren Florbandeln. Von mir aus können sie aus Seide oder aus Zwirn oder aus Draht sein – ist mir ganz gleichgültig, geht mich auch gar nichts an ...«

Er war ein wenig abgekühlt, saß stumm und sinnierte vor sich hin. Es kam ihm vor, als hätte Lebold seinen wohlmeinenden Antrag abgelehnt. Das kränkte und ärgerte ihn.

»Gut, gut!« sagte er endlich und zuckte die Achsel. »Auch recht! Mir kann es gleich sein. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich ... Alsdann, wenn Sie nicht mögen ...«

Lebold lächelte. Er faßte Kebachs Rechte in seine beiden Hände, drückte sie warm und schaute ihm offen und innig in die Augen.

»Aber mit tausend Freuden mag ich! Ich kann gar nicht sagen, wie ich Ihnen dankbar bin! Wenn Sie mich wirklich in die Lehre nehmen wollten ... Mühe werd' ich mir gewiß geben! – Aber die Bandeln, die ich bis jetzt gemacht hab', die brauch' ich mir doch deswegen nicht verschimpfieren lassen – was?«

Er sah Wettl an, sie lachten beide. Der Guguck blickte etwas verdutzt vor sich hin, dann wendete er sich zu seiner Tochter und sagte: »Eigentlich hat er recht!«

Sie besprachen jetzt die näheren Umstände, wie sie es einrichten würden. Als Lehrbub und Latzenzieher müsse der Lebold anfangen, sagte der Guguck. Dann käme das Weben der glatten Zeuge an die Reihe und endlich das der gemusterten. Da Lebold von der Bandmacherei her Vorkenntnisse mitbringe, so würde es nicht gar so lang hergehen, bis er bei der Gilde beantragen dürfe, ihn als Gesellen freizusprechen.

»No, und nachher heißt es halt ein feines Meisterstück weben. Das meinige, wie ich noch jung war, war ein schwerer, schneeweißer Flandrischer mit broschierten Rosenknosperln darin. Sie, das war ein feiner! Ist das Brautkleid meiner guten Seligen daraus gemacht worden ... Also ist es Ihnen recht so, wie wir jetzt alles verabredet haben?«

Lebold dankte von Herzen. Alles sei ihm recht, und er wolle sich gewiß mit größtem Eifer an die Arbeit halten und seinem Lehrmeister keine Schande machen. Aber ein Bedenken sei ihm noch gekommen.

»Schon wieder ein Bedenken?« meinte der Guguck ungeduldig.

Ja, wenn er nun so täglich ins Haus käme, um zu lernen, ob dann nicht am End' ein Gerede unter den Leuten entstehen würde, und ob das der Wettl nicht unangenehm wär'?

»Wär' es dir unangenehm, Wettl?« fragte der Guguck.

Sie schlug die Augen nieder, lachte und sagte: »Nein!« –

»No, wenn es ihr nicht unangenehm ist – wär' es Ihnen vielleicht unangenehm?«

»O mir nicht im geringsten!« sagte Lebold strahlend. »Mir tät' das gar nichts machen!«

»Also, so lassen Sie die Leut' reden! Die Leut' haben ja immer was zu reden, und meistens ist sogar etwas Wahres daran, wenn die Leut' reden!«

»Mir wär's schon recht, wenn etwas Wahres daran wär',« meinte Lebold. »Aber ein Lehrbub und Latzenzieher wird halt der Wettl nicht anstehen!«

»Ich schau nicht gar so auf den Stand,« sagte Wettl lächelnd.

Sie flogen einander in die Arme.

»No alsdann,« sagte der Guguck behaglich; »vor lauter Bedenken hätt' er beinah' den Mund nicht aufgemacht! Sie, merken Sie sich das, Lebold, wenn man gern etwas haben möcht', muß man wenigstens ›Muh‹ sagen, anders ist es schon nicht im Leben!«

Alle drei schraken zusammen. Kanonendonner erschütterte die Erde, daß die Scheiben klirrten. Schlag auf Schlag, als ob abermals die Stadt beschossen würde, dröhnte es durch die Luft. Was war das? Fing denn der Krieg noch einmal von vorne an? Der Guguck eilte ans Fenster und riß es auf. Der Reckenschuß ging zufällig unten vorüber. Was denn los wäre? rief der Guguck hinab.

»Friede! Friede! Der Friede ist geschlossen!«

Sie standen beisammen, der Guguck und Lebold und Wettl, und lange sprach keines von ihnen ein Wort, die hellen Tränen liefen ihnen über die Wangen, und sie schämten sich dessen nicht ...

Der Guguck atmete tief auf. »Jetzt können wir an unser Werk gehen, jetzt kommt wieder der Bürger an die Reihe mit seiner friedlichen Arbeit.«

Lebolds und Wettls Hände fanden sich.

»Ein Leben der Arbeit, Wettl!« sagte er mit fester Stimme. »Ein Leben der Zuversicht und der Liebe!«


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