Emil Ertl
Die Leute vom Blauen Guguckshaus
Emil Ertl

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Der Allerheiligentag war noch einer jener himmelblauen, goldigen Prachttage gewesen, wie sie der Spätherbst manchmal beschert, in der Nacht aber war der erste Reif eingefallen, und als der Allerseelentag langsam über der Stadt herauskroch, hüllte er die Häuser und Gassen in einen schier undurchdringlichen grauen Nebelflor, wie er ihn liebt, dieser Tag der Trauer und der Toten. Vom Hoffenster aus blickte Wettl in den Garten hinunter und sah durch die bleichen Nebelschleier hindurch die gelben und roten Blätter von den Bäumen rieseln. Schon waren die Rasenplätze und Kieswege mit einem weichen, goldenen Teppich von feucht schimmerndem Laube bedeckt, und durch alle Bäume und Büsche konnte man hindurchsehen, und die Feuermauer stand kahl und leer, und der Garten war kleiner geworden, und man sah, daß er doch viel enger eingeschlossen zwischen den Mauern und Gebäuden lag, als es im Sommer den Anschein hatte.

Gerade noch rechtzeitig hatte Wettl am Abend vorher ein paar Handvoll von den schönen, blutroten Ranken des wilden Weines abgeschnitten, um einen Kranz für das Grab ihrer Mutter daraus zu winden. Sie holte sie jetzt aus der Küche, wo sie eingefrischt lagen, und band und flocht sie sorgfältig zusammen und seufzte dabei in frommer Erinnerung an die so früh Verstorbene. Und dazwischen flogen ihre Gedanken aus dem guten, alten Guguckshause davon, wie die Schwalben, die unter der Torfahrt nisteten, um Maria Geburt fortgeflogen waren, und schwangen sich über weite Länder hinweg und blickten aus der Höhe nieder und schauten die Möglichkeiten der Zukunft wie eine schreckensvolle Traumerscheinung. Da zogen mächtige Heersäulen mit dröhnendem Schritt über die Gefilde, und die ehernen Geschütze, die sie mit sich führten, rasselten wie ferne rollender Donner, und an der Spitze der unübersehbaren Legionen ritt auf seinem feurigen Schimmel ein kleiner, bleicher Mann mit steinernem Antlitz und stählernem Auge. Und wie eine lebendige Mauer warfen die treuen Söhne Österreichs sich den Bajonetten des Feindes entgegen und boten ihre Brust den zermalmenden Geschossen dar. Sie sah sie fallen und sterben und noch sterbend siegen, und es war ihr, als müßte mit dem einen, der da am Feldrain lag und mit seinem Blute die vaterländische Erde färbte, auch sie vergehen, und als wäre sein Atem ihr Atem, und als pulste in seinen Adern ihr Blut und müßte mit dem seinigen verströmen ...

Unwillig scheuchte sie die düsteren Bilder, die der graue Allerseelentag da draußen vor den Fenstern aus seinen trübsinnigen Nebeln gebären wollte. Das war doch ihre Art sonst nicht, sich Hirngespinsten und ängstlichen Vorstellungen hinzugeben! Und was mochte es für ein Neues und Unbekanntes sein, das da seit einiger Zeit über sie gekommen war und ihr Herz zu verwirren und ihr Denken und Sinnen zwiespältig zu machen drohte, daß es nicht mehr geschlossen und ungeteilt bei ihrer gewohnten fröhlichen Arbeit weilte? Wer deutete ihr das Wunder, daß sie nicht mehr so ganz wie sonst ihr eigenes Leben und das Leben des Guguckshauses lebte, und daß es manchmal scheinen wollte, als hinge sie mit allen Regungen des Leibes und der Seele von dem Wohl und Weh' eines andern ab, und als wäre sie fast wie ein Teil von ihm und könnte nicht mehr recht froh werden, wenn sie ihn nicht sah und nicht von ihm hörte?

Ihr Innerstes wehrte sich gegen diese Abhängigkeit. Weichmütig sein empfand ihre fröhliche, herbe Mädchenart als etwas Verzärteltes, und sich Träumen hinzugeben als etwas Ungesundes. Sie wollte klar und heiter bleiben und ihre Gedanken bei ihren Pflichten haben, denn sie hatte nicht nur auf die Seide zu passen und sie zu kavilieren und abzuwiegen, sie hatte noch überdies, so jung sie war, für ihren Vater, für den alten Salzküfel, für das ganze Haus zu sorgen, und hundert Dinge gab es, an die niemand dachte, und die einfach versäumt und vertrödelt wurden, wenn sie sie nicht im Kopf hatte. Aber so sehr sie sich dagegen sträubte, es gab Augenblicke, wo sie sinnen mußte, und wo ihr weh und selig ums Herz wurde. Da kam sie sich manchmal recht arm und verlassen vor, und besonders heute, an diesem grauen Allerseelentage, fühlte sie es schwerer als je, daß ihr die Mutter gestorben war, die erfahrene Freundin und Führerin, an deren Brust andere sich flüchten und Rats erholen können ...

Als sie den dichten, buschigen Laubkranz vollendet hatte, betrachtete sie ihn mit stiller Genugtuung und hatte das Gefühl, als wäre jetzt doch auch etwas geschehen für die arme Tote, und als müßte die sich darüber freuen, außer den gleichgültigen Kränzen, die man so kauft, auch einen Gruß aus dem alten, treuen Gugucksgarten zu bekommen.

Darauf kleidete Wettl sich an und nahm ihren Kranz und ging in den Hof hinunter, um nachzusehen, ob die Roslini noch da wäre. Gewöhnlich ging sie am Allerseelentag gemeinsam mit Roslini auf den Friedhof, das hatte sich schon so eingebürgert. Denn der Tag vor Allerseelen, der Allerheiligentag, war ein Feiertag, an dem nicht gearbeitet wurde, und da pflegte Wettl mit dem Vater zu den Gräbern zu gehen und alle lieben Toten zu besuchen und die üblichen Kränze niederzulegen, wie sie den Verstorbenen gebührten, und worauf sie gewissermaßen Anspruch hatten; der Allerseelentag aber gehörte ganz allein ihrer Mutter, und an diesem Tage brachte sie ihr gerne noch eine besondere Liebesgabe, eine kleine Überraschung sozusagen, etwas Persönliches und Eigenes, entweder einen Strauß zartfarbiger Astern, wie sie sie zu diesem Zwecke an den Fenstern zog, oder etwas aus dem Garten, wenn der Frost nicht zu früh das ausklingende Leben des Sommers ertötet hatte. Weil Allerseelen ein Werktag war, an dem im Guguckshaus gearbeitet wurde, so konnte sich der Vater selten frei machen, sie zu begleiten, und darum ging sie meist mit der Roslini, die denselben Weg hatte und gleichfalls nach dem Staatsbesuch am Festtag, ihren Gräbern noch einen vertrauteren am Tage der Seelen abzustatten pflegte.

Die Roslini war eine weitschichtige Verwandte Kebachs, die von ihrer Handarbeit und von einem kleinem Gnadengehalt des Schottenstiftes lebte. Denn ihr Vater, welcher Musikus gewesen war, hatte im Dienste des Stiftes gestanden und die Kapelle geleitet, die zu feierlichen Messen und Hochämtern aufspielte und den Ernst der heiligen Handlung mit Haydnschen und Mozartschen Schnörkeln verzierte. Seit Jahren bewohnte sie eine kleine Kammer samt Küche ebenerdig im Hof des Guguckshauses, und jedes Neujahr, wenn sie im ersten Stock erschien, um ihrem »Herrn Verwandten«, wie sie den Guguck nannte, ihren Glückwunsch darzubringen, brachte sie, in ein Päckchen aus weißem Papier sauber eingewickelt, den Jahreszins für ihre Wohnung mit. Darauf sagte dann Kebach jedesmal, was ihr denn einfalle, das Kammerl im Hof brauche er ohnedies nicht, und fremde Leute würde er doch nicht ins Haus nehmen, und das Leerstehen sei besonders im Winter den Mauern schädlich, und so sei er es zufrieden, daß sie überhaupt da wohne. Dann nahm sie also das Päckchen wieder mit und dankte und ließ es sich gefallen; das war aber auch das einzige, was sie annahm, und auch hiebei hielt sie hartnäckig an der Fiktion fest, daß sie Mieterin sei und bliebe, und brachte pünktlich nächstes Neujahr abermal das Päckchen mit dem Zins. Sie war eine »bessere Person«, und den Anspruch, als solche zu gelten, hätte sie sich nicht abkaufen lassen. An ihrer Tür im Hofe klebte ein Zettel aus Pappe, eine Art Wohnungsschild. Darauf stand mit großen, sorgfältigen Zügen in Lateinschrift zu lesen: »Rosalia Karoline Leopoldine Enzfelder, Schottische-Benediktiner-Stifts-Kapellmeisters-Waise.« Und darunter in kleinerer Kurrentschrift: »Hier werden Bettdecken zum Steppen angenommen.«

Denn auch die Roslini war, wie es im Guguckshaus ja gar nicht anders sein konnte, eine Arbeitsame. Da die Bevölkerung des Schottenfeldes stetig anwuchs und die Leute, die neu zuzogen, auch schlafen und sich dabei zudecken wollten, so warf das Deckensteppen, wenn es auch nicht gerade einen goldenen Boden hatte, doch so viel ab, daß die Roslini keine Not zu leiden und niemandem zur Last zu fallen brauchte. Aber freilich, zu ihrer Arbeit mußte sie sich halten, von früh bis spät, und das tat sie auch gern; sie war keine von denen, die viel im Hofe stehen. Nur selten bekam man sie zu sehen. Wie eine Grille in ihrem Erdloch hauste sie in ihrem Stübchen, nur daß sie nicht zirpte; dafür summte sie aber unablässig eine kleine Melodie in sich hinein. Ihr Vater war nicht bloß Kapellmeister, sondern sogar Tondichter gewesen, der ab und zu auch einmal einen eigenen Gedanken, wenn er einen hatte, in Musik setzte. Unter anderm hatte er zum fünfzigjährigen Priesterjubiläum des allbeliebten Schottenabtes Benno Pointner als Einleitung in die Festfeier ein musikalisches Vorspiel komponiert: »Beratschlagung zwischen der Freude und der Tonkunst unter dem Vorsitze der Bescheidenheit.« Das war fast so schön gewesen wie die Sachen des Herrn von Mozart, und Roslini wußte die Melodien noch auswendig, denn sie besaß ein ausgezeichnetes Gehör.

Dabei war es zweifelhaft, ob das, was sie von ihrem Vater geerbt hatte, eine musikalische Begabung genannt werden konnte; es ließ sich nicht beurteilen, weil sie kein Instrument spielen gelernt hatte. Wäre sie als Knabe und nicht als Mädchen auf die Welt gekommen, so wäre wahrscheinlich ein schottischer Stiftsgeiger oder Flötenbläser aus ihr geworden. Da aber in die stiftische Chorkapelle nur Männer aufgenommen wurden, so hatte sie sich auf das Deckensteppen verlegen müssen. Aber ein fortwährendes natürliches Singen und Klingen war doch in ihr lebendig, und ein Lächeln lag immer auf ihren Lippen, als ob der Himmel ihr voller Geigen hinge. Beständig hielten, wie ihr Vater es blumicht ausgedrückt hatte, die Tonkunst und die Freude in ihrer Seele miteinander Zwiesprach'. Aber das waren nur ganz stille Feste, wer nicht genau beobachten konnte, der hätte nichts davon bemerkt, und jedenfalls wurde niemand durch dieses Klingen und Singen gestört; denn die Bescheidenheit führte den Vorsitz dabei.

Wenn man durch das Hoffenster in das dunkle, mit Vorhängen verschattete Gelaß hineinblickte, in welchem die Roslini wohnte, so sah man manchmal, genau wie in einem Grillenloch, auf einmal in der Tiefe ein paar dunkle, große Augen aufleuchten. Das alternde Mädchen mußte einst bildschön gewesen sein. Niemand wußte, ob sie je einmal etwas erlebt hätte. In aller Stille trug sie ihr Bündel Erinnerungen und Entsagung durch das Leben. Fast niemals fing sie von selbst ein Gespräch an und schwebte an den Hausgenossen, wenn sie einem begegnete, mit einem stummen, freundlichen Kopfnicken vorüber, wobei ein kleines, liebenswürdiges Lächeln um ihren Mund huschte. Übrigens ging sie nur selten aus, und wenn sie ausging, so führte ihr Weg sie meistens in die Laurenzi- oder in die Schottenkirche. Nicht als ob sie eine Betschwester gewesen wäre. Sie suchte in der Kirche nichts anderes als die Musik. Ihr ganzer Gottesdienst löste sich in Musik auf. Musik hören, das war ihre Andacht, ihr Gebet. Und eigentlich war sie immer andächtig in ihrer Art und betete immer; denn überall, wo sie ging und stand, war es, als ob sie Musik hörte.

Wettl pochte an die Tür und bemerkte, daß ein neuer Zettel daran klebte. Er war genau so geschrieben wie der frühere, die »Schottische Benediktiner-Stifts-Kapellmeisters-Waise« in Lateinschrift und das »Hier werden Bettdecken zum Steppen angenommen« kurrent. Aber der alte Zettel war vom Regen verwaschen gewesen, und jeder einzelne Buchstabe hatte ausgesehen, als ob er weinte; daran erkannte es Wettl daß das kleine Wohnungsschild erneut worden war. Roslini schien bereits gewartet zu haben, sie trat heraus, hatte ihr Tuch um und einen ehrbar guten Hut auf und in der Hand einen Kranz von getrockneten Strohblumen.

»Der Vincenz hat mir eine neue Aufschrift gemacht, eh' daß er fortgeht,« sagte sie, als sie bemerkte, daß das Mädchen den Zettel an der Tür betrachtet hatte. »Es könnt' mir doch passieren, hat er gemeint, daß sich nicht so geschwind jemand findet, der kurrent und latein zugleich schreiben kann wie er. Und ob der alte Zettel aushalten würde, bis er zurückkäme, und ob er überhaupt wieder zurückkäme, sei doch recht fraglich.«

»Und will denn der Vincenz fortgehn?« fragte Wettl erstaunt.

»Ei, weißt du noch nichts davon?«

Sie hatte Wettl aufwachsen sehen und duzte sie noch immer. Auch als entfernte Verwandte hatte sie ein kleines Recht darauf. Wettl wollte Näheres wissen, weshalb und wozu der Werksgeselle fortgehen wolle? Roslini jedoch zögerte: vielleicht hätte sie gar nichts sagen sollen, sie wäre aber der Meinung gewesen, der Vincenz hätt' es dem Meister schon eröffnet. Wenn aber nicht, so dürfe sie doch wohl nichts weiter verraten, und vielleicht tät' auch der Vincenz sich's noch einmal überlegen, was freilich das Gescheitere wäre.

Zierlich schwebte Roslini neben Wettl hin, und so wallten die beiden Frauen, jede mit ihrem Kranze, die Seidengasse entlang und die Schottenfeldgasse hinunter, um durch die Mariahilferlinie ins Freie zu gelangen. Sie waren beide schweigsam, Wettl etwas bedrückt durch den öden Nebel, der die Gassen erfüllte, und traurig, weil sie ihrer guten Mutter gedachte. Roslini aber von unhörbaren Rhythmen bewegt, die ihr Worte ersetzen, und mit fast heiterer Míene ihren Kranz aus Strohblumen tragend, die sie selbst getrocknet und schön rot, blau und dottergelb gefärbt hatte, daß es einen lebhaften und nichts weniger als totschlächtigen Farbenklang gab. Jetzt verglich sie ihren Kranz mit dem Wettls und freute sich, daß auch diese eine prangende und keine Trauerfarbe gewählt hatte.

»Hübsch hast du ihn gemacht, deinen Kranz. Wie die aufgehende Sonne schauen die Blätter aus, da wird die Mutter sich freuen. Man hat jetzt oft so düstere Kränze aus schwarzen und weißen Perlen – das muß ja die Toten ganz traurig machen und die Lebenden, die an den Gräbern stehen, auch.«

»Und sollen nicht Gräber eigentlich traurig aussehen?« meinte Wettl.

»O nein!« versicherte Roslini, so als ob sie es ganz genau wüßte; »Gräber sollen heiter aussehen! Es ist schon traurig genug, daß man die Toten hinaus in die Einsamkeit verbannt hat – sollen wir ihre Ruhestätten auch noch trübselig herrichten? Früher, da hatten sie es gut! Da lagen sie um die Kirche herum begraben und konnten die Lieder hören, die vom Chor gesungen wurden, und das Jubeln und Brausen der Orgel. Aber der Kaiser Joseph hat sie aus der Nähe der Lebenden abgeschafft – vernünftig wird es ja wohl sein; es war alles vernünftig, was der Kaiser Joseph getan hat, aber auch nüchtern, es hat keine Musik in ihm geklungen. Jetzt liegen sie weit außerhalb der Mauern, und dort ist alles gar so still, und im Herbst, wenn die Vöglein nicht mehr singen, hört man nichts als die garstigen Hornsignale der Soldaten, die auf der Schmelz exerzieren. Und an so einem Allerseelentage auf dem Freithof ist es, als ob niemand sich ein lautes Wort zu sprechen traut. Das ist enterisch für die armen Toten. Wenn es nach mir ginge, so müßt' eine kleine gute Kapelle ihnen den ganzen Tag aufspielen, damit sie auch ihre Freud' haben zu Allerseelen: Messen und Oratorien und auch einmal etwas Zierliches dazwischen, daß es fröhlich und zuversichtlich über die Gräber und Grabsteine hinklingt.«

Sie gingen durch die Mariahilferlinie hinaus und dann außen ein Stück den Linienwall entlang. Im bläulichen Nebelduft zeigten sich jetzt die hohen und schon kahlen Bäume, die im Garten des Schrollhauses standen, und auch das Mauerwerk der kleinen Gloriette, die über den Linienwall lugte, wurde wie hinter zarten Schleiern sichtbar.

»Hast du schon gehört, Wettl, daß gestern auf der Esplanade am Glacis der Erzherzog Karl Truppenschau über die Landwehr gehalten hat?«

Wettl wußte nichts davon. Sie fühlte ihr Herz stärker pochen.

»Der Vincenz hat zugesehen. Der kann nicht genug rühmen, wie gut die sechs Bataillone sich gehalten hätten. Und eine wunderschöne Feldmusik sollen sie haben.«

»Das hätt' ich wohl auch gern gehört und gesehen,« meinte Wettl.

»Das schottische Freibataillon sei auch dabei gewesen, erzählt der Vincenz; und der Lebold aus dem Schrollhause soll ein strammer Flügelmann gewesen sein.«

Sie näherten sich schon dem Friedhof und sahen die rote Mauer und die darüber emporragenden schwarzen Lebensbäume aus dem Nebel auftauchen. Wettl blieb stehen.

»Ich möcht' dich gern etwas fragen, Roslini. Weil ich doch meine Mutter nicht mehr fragen kann ...«

»Frag doch, Wettl, frag,« ermunterte Roslini freundlich.

»Ich weiß, du wirst mich nicht auslachen, Roslini ...« sagte Wettl. »Vor anderthalb Jahren oder länger bin ich einmal mit dem Herrn Vater auf der vierten Galerie im Burgtheater gewesen. Und da haben sie ein Stück gegeben, ich weiß nicht mehr, wie es geheißen hat, aber es ist nur immer von der Liebe geredet worden. So als ob die Menschen gar nichts anderes auf der Welt zu tun hätten. Und der Hauptakteur hat seine Amantin gar nicht mehr auslassen wollen, und alle waren bös aufeinander wegen der Liebe, und schließlich haben sie sich selbst und alle andern umgebracht vor lauter Liebe, so daß niemand Lebendiger mehr im Theater gewesen ist als die Zuschauer, und auch die waren halb tot vor Schreck. Das ist mir sehr g'spaßig vorgekommen damals. Gelt, Roslini, das gibt es doch gar nicht in Wirklichkeit, das kommt doch nur auf dem Theater und in Bücheln vor? Oder – wenn man einen recht gern hat – ist das auch die Liebe?«

»Es wird schon die Liebe sein,« sagte Roslini lächelnd.

»Und muß man denn deswegen wirklich gleich so verrückt werden?« fragte Wettl. »Man kann doch auch einen gern haben, kommt mir vor, und es mehr so in sich verschließen, ohne daß man deswegen zu tollen anfängt und den anderen Menschen, mit denen man zusammenlebt, durch Jammergesichter und durch beständiges Seufzen und Heulen die Freud' am Leben verdirbt. Meinst du nicht auch?«

»Hast du mich schon einmal seufzen und heulen und Gesichter schneiden sehen?« fragte Roslini dagegen.

Wettl verneinte.

»Siehst du, Kind, ich hab' auch einmal einen gern gehabt und geliebt, und auch er hat mich gern gehabt. Aber es hat nichts daraus werden können. Er ist ein geistlicher Herr gewesen, ein junger Priester von den Schotten – das heißt, damals halt war er noch jung. So schön wie der die Orgel gespielt hat – so schön hab' ich sie nicht mehr spielen hören seither. No, und was hat diese Geschichte für ein End' nehmen können? Verzichten haben wir halt müssen. So ist es oft im Leben. Das sind blasse Schmetterlinge, die nicht verzichten können. Man muß auch etwas anderes noch auf der Welt zu tun haben als lieben, dann geht es schon. Eine Arbeit muß man haben, das ist die Hauptsach'. Und dann – seine eigene Melodie muß man in sich bewahren. Denn die besondere Melodie, die Gott jedem einzelnen in sein Herz gelegt hat, die soll er niemals hingeben, auch an den geliebtesten Menschen nicht!«

»So ungefähr« sagte Wettl, »hab' ich es mir auch gedacht, nur eine Melodie hab' ich's nicht genannt. Ich spür' es oft, als ob der liebe Gott in mir wäre, und der wird mir auch einmal zeigen, was die Liebe ist. Aber dabei will er doch, scheint mir immer, daß ich mein eigener Mensch bleiben soll, und es wär' ihm nicht recht, kommt mir vor, wenn ich mich ganz an einen anderen verlöre. Denn es sucht ja auch der rechte Mann, denk' ich mir, wenn er ein Weib wählt, nicht sich selbst, sondern wieder etwas anderes und eigenes in ihr. Meinst du nicht auch, Roslini?«

»So wird es wohl sein« sagte Roslini. »Zusammenklingen müssen die Herzen, daß es eine reine Musik gibt. Garstig ist es, wenn zwei Instrumente zusammenspielen wollen, die verschiedene Stimmung haben. Das klingt hart und falsch, und es ist keine Natur darin. Und wiederum schwächlich ist es dagegen, wenn ein Instrument seine Stimme nicht halten kann und mit einer anderen Stimme mittut. Falsch klingt das gerade nicht, aber einen vollen, reichen Klang gibt es doch auch nicht. Der Kapellmeister da droben, der hat das eine und das andere nicht gern. Sein Wille ist, daß jedes Instrument sich an das Notenblatt halten soll, das er jedem auf das Pult legt, und daß es andächtig seine Weise spielt, die er ihm aufgetragen hat. Und selbst wenn nebenan oder bei dir selbst eine Saite reißt, so sollst du die Lippen zusammenpressen und mutig weiterspielen, denn du bist nur ein Teil, und doch mitverantwortlich für das Ganze.«

»So kann ich mir's schon vorstellen,« sagte Wettl, »wie man Leid ertragen soll. Du hast recht, Roslini, es gehört sich nicht, dass einer gleich aufhört zu spielen, wenn eine Saite reißt. Wir spielen ja nicht für uns und hören des Zusammenklang des Ganzen nicht einmal, weil wir ein jeder nur unsere kleine Stimme spielen. Aber wir haben doch alle auch das Unsrige dazu beizutragen, dass es eine schöne Weltmusik gibt. So hast du es gemeint, Roslini, nicht wahr?«

»Du bist auf dem rechten Wege, Kind,« sagte Roslini, »und wirst es schon machen. Und so haben wir uns jetzt etwas anvertraut, das wir wahrscheinlich noch nie einem anderen Menschen vertraut haben. Und jetzt lass uns wieder darüber schweigen wie früher.«

Sie traten in den Friedhof und schritten eine Zeitlang nebeneinander hin, bis ihr Weg sich trennte. Da blieben sie stehen und reichten sich noch die Hand und schauten sich mit einem stillen, erdfernen Lächeln in die großen, ernsten Augen. Und dann schieden sie voneinander, um jedes zu seinen Gräbern zu gehen.

Auf den feuchten Kieswegen zwischen den Grüften und Grabhügeln drängten sich viele Menschen, und Laternen mit tiefblauen oder rubinroten Gläsern an den Grabgittern, und in vielen Erdhügeln steckten neben den Kränzen, die darauf niedergelegt waren, ganze Reihen kleiner Kerzen, deren offene Flämmchen gelb flackerten im bläulich nieselnden Nebel, der sie umhüllte. Am Grab von Weikls Mutter saß Frau Kaplanek auf einem Schemel, um auf die Laternen und Kränze achtzugeben. Wettl nickte ihr zu und legte ihren Kranz aus den Blättern des wilden Weines zu Häupten der Toten nieder.

Mitten im Gedräng der Leute sah sie jetzt auf einem der Wege die ganze Familie aus dem Schrollhause vorüberziehen. Der alte Schroll und die Mutter schritten voraus, die Schwestern und noch ein jüngerer Bruder folgten, und zuletzt gingen Lebold und Franzl, und alle waren in dunklen Feiertagskleidern, und auch der Lebold in bürgerlicher Tracht, nicht in Uniform, wie sie sich ihn in ihren Gedanken vorgestellt hatte. Die beiden jungen Leute gewahrten sie und grüßten ernst zu ihr herüber und gingen mit den übrigen vorbei. Und Wettl erwiderte ebenso ernst und ruhig ihren Gruß, und dann trat sie an den Betschemel und kniete am Grabe nieder und senkte das Antlitz in die gefalteten Hände. Da war es ihr, als ob plötzlich ihre Mutter zu ihr gekommen wäre, und sie konnte mit ihr sprechen und ihr alles sagen und sie um Kraft und Stärke bitten für die Zeit der Herzensnot, die sie nahen fühlte.

Später kam der Guguck heraus, um sie abzuholen. Er hatte sich doch für eine Stunde frei machen können und wollte auch das Grab seiner Frau noch einmal grüßen. Sie gingen gemeinsam heim, und als sie in die Zieglergasse kamen und in den »Blauen Guguck« eintraten, läutete gerade der Schustermichel vom Laurenziturm das Mittagsläuten.

Während Wettl im Speisezimmer den Tisch deckte, klopfte es an die Tür. Der Vincenz trat ein. Ob er den Meister sprechen könne? Der saß ohnedies am Schreibkasten aus Mahagoni, der neben dem Fenster stand, und blätterte im »Toleranz-Boten«, um eine Lieferzeit nachzusehen, und war übler Laune, weil er vor Hunger fast verging. Nicht eben sehr gnädig hieß er ihn näher treten. Wettl, durch Roslini schon neugierig gemacht, wartete gespannt, was jetzt kommen würde.

Das sei heut' schon ein gottverlassenes Dreckwetter, begann Vincenz; aber so lange er sich erinnern könne, zu Allerseelen müßt' es schon einmal so sein. Schon seine Großmutter hätt' immer gesagt: »Christnacht ist eine Pracht, Ostertage bleiben in Frage, Pfingstfest ist das best', Allerseelen tut's nie am Dreck fehlen.«

»Also, was willst eigentlich, Vincenz,« fragte Kebach etwas ungehalten. »Siehst nicht, daß wir gerade zum Essen gehn? Und was hat denn das zu bedeuten, daß du das Sonntagsgewand angelegt hast?«

Er würde nicht lange aufhalten, entschuldigte sich Vincenz, aber es pressiere, was er vorzubringen habe.

»Ich bin nämlich,« sagte er, »bei der Truppenschau gewesen, die was der Erzherzog Generalissimus über die Landwehr abgehalten hat.«

»Die ist schon gestern gewesen, so viel ich weiß,« meinte der Guguck. »Deswegen hättest doch heut' das Feiertagsgewand nicht anlegen brauchen?«

Ja, das sei schon richtig, sagte der Vincenz. Die Truppenschau wär' schon gestern gewesen. Und sehr erhebend anzuschauen sei es gewesen. Alle sechs Bataillone samt ihrer Feldmusik seien aufgezogen und hätten vor dem Generalissimus und vor den anderen Erzherzögen und Generälen exerziert. Und brav gemacht hätten sie ihre Sach', sehr brav!

»No, das ist ja recht,« sagte Kebach ungeduldig. »Und was denn weiter?«

Wie die wirklichen Soldaten, so stramm hätten sie alle Manöver ausgeführt, und bei ein paar Bataillonen sei das General-Salvi so akkurat zusammengegangen, daß man hätt' glauben können, es käm' aus einer einzigen Muskete. Und das sei schwer beim General-Salvi, daß keiner um ein Haarl zu früh und keiner um ein Haarl zu spät losschießt. Das wisse er aus eigener Erfahrung; er habe sich aber immer zusammengenommen und nie vorgeschossen und nie nachgeschossen. Manchmal komme es aber halt doch vor, daß trotz allem Aufpassen das Gewehr nicht rechtzeitig losgehe.

»No, und so kann ich es also beurteilen,« sagte er »Und ich muß sagen, die Landwehr hat ihre Sach' gut gemacht.«

»Geh', Wettl,« sagte der Guguck, »kannst derweil die Suppen bringen und dem Großvater sagen, daß es zum Essen ist.«

Wettl entfernte sich und eilte, um wenigstens noch das Ende der Erzählung des Vincenz mitzuerleben. Es hätte aber gar keiner besonderen Eile bedurft, denn Vincenz schilderte jetzt umständlich, wie die Generalität ausgesehen, und wie da alles von Federbüschen gestrotzt und von Gold geglitzert hätte. Und dann beschrieb er die einzelnen Bewegungen, die die Landwehrbataillone ausgeführt hätten, und gab sein fachmännisches Urteil darüber ab und war voll des Lobes und der Anerkennung.

Und die Messingschilder auf den aufgekrempten Hüten der Landwehrmänner, sagte er gerade, als die Wettl mit dem dampfenden Suppentopf zurückkam, die hätten in der Sonne mit den aufgepflanzten Bajonetten um die Wette geflitzt, und das sei schon eine rechte Freud' gewesen. Und wie so die Musik dazu gespielt hätte, da wär' einem doch das Herz dabei aufgegangen.

Der Guguck setzte sich an den Tisch, schon fast ingrimmig vor lauter Appetit, und die Wettl gab ihm Suppe heraus. Nachdem er ein paar Löffel gegessen hatte, wurde er schon wieder umgänglicher, und indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte, sagte er behaglich:

»Also, das g'freut mich, daß sich die Landwehr so schön halten tut, wir haben ja auch einen ordentlichen Batzen dafür gezeichnet. Aber sag mir nur, Vincenz, warum du mir gerade jetzt das alles erzählen mußt?«

»Weil ich nämlich immer im stillen gemeint hab',« sagte Vincenz eifrig, »mit dem richtigen Militari wird sich die Landwehr halt doch nicht vergleichen lassen!«

Jetzt kam auch der alte Salzküfel herein, streichelte der Wettl über die Wange, machte das Kreuz und setzte sich zu Tisch. Wettl reichte ihm seinen Teller Suppe, und er begann sogleich emsig zu essen und beeilte sich, weil er mit seiner Strafzeit noch immer nicht ganz fertig war. Ja, zwei verlorene ganze Arbeitstage brachten sich nicht so schnell wieder ein!

»Also gut,« sagte Kebach löffelnd, »es g'freut mich, daß die Landwehr sich mit dem richtigen Militär halt doch vergleichen läßt.«

»Und da hab' ich also gesehen,« sagte Vincenz, »daß die Landwehr halt doch eine sehr schöne Truppe ist.«

»No, und was denn weiter, Vincenz?« fragte Wettl, die wußte, daß der Vater sich beim Essen nicht gern stören ließ.

»Und so möcht' ich halt bitten, daß ich auch dazu gehn dürft',« platzte Vincenz endlich heraus.

Der Guguck legte den Löffel weg.

»Du willst mir jetzt davonlaufen und auch mittun?«

»Ich bin halt ein alter Soldat. Bei Austerlitz verwundet –« er hob den Fuß und zeigte auf seinen Stiefel; »und wie ich die Feldmusik gehört hab', da hab' ich es gespürt: Ich muß auch mit! Ich halt's nicht anders aus!«

»Hör mir auf!« sagte Kebach. »Ich kann dich jetzt gar nicht entbehren! Und wenn du eh' schon einmal für das Vaterland geblutet hast –!«

»Ja, das hab' ich mir zuerst auch gedacht. Aber der Mensch heilt schon wieder zusammen. Wegen dem bissel Wehtun mag ich auch nicht zu Haus sitzen bleiben. Und bei den Webstühlen kann ja derweil der Schnaus auch nachschauen. Ich muß mit, Herr Meister, es leidet mich und leidet mich halt nicht mehr zu Haus!«

»Er soll nur gehn,« sagte der Salzküfel. »Wir richten es derweilen schon allein! Muß halt jeder ein bissel stärker anziehn.«

Kebach kämpfte einen kleinen Kampf in sich. Er entbehrte seinen Werksgesellen ungern. Aber es gefiel ihm doch auch wieder, daß er mittun wollte.

»Und so Knall und Fall willst fort?« fragte er schon halb überwunden.

Es sei höchste Zeit, meinte Vincenz. Es heiße sogar, die Bataillone wären bereits auf ihrem vollen Mannschaftsstand, und sie nähmen einen Neuen gar nicht mehr. Na, bei ihm würde es natürlich keinen Anstand haben, wo er doch bei Austerlitz mitgetan. Und von da wisse er es schon, wie man mit den Franzosen fertig würde, und überdies könne er auch kurrent und latein schreiben. Ihn würden sie selbstverständlich mit offenen Armen aufnehmen. Aber melden müsse er sich endlich doch, denn wenn sie auf einmal ausmarschieren – mit Extrapost könne er ihnen doch nicht nachreisen.

Der Guguck stand auf. Er war bewegt. Es freute ihn doch, daß der Vincenz eine so vaterländische Gesinnung bekundete, und daß jetzt gar ihrer zwei aus dem Guguckshause gegen die Parlezvous kämpfen würden. Er gab ihm sein Büchel und erlaubte ihm, daß er in seiner Kammer im Hof wohnen bleiben dürfe, bis die Landwehr ausmarschieren würde. Und Vincenz verabschiedete sich gerührt von ihm und von Wettl und vom alten Salzküfel, so als ob er von da geradeaus in die Schlacht zöge, und sagte, wenn er im Feld bliebe, so möchten sie seiner gedenken; und sein Handwerkszeug, so weit es ihm gehöre, vermache er dem Melcher, und sein Webstuhl gehöre zwar nicht ihm, aber wenn er in der Schlacht falle und für Kaiser und Vaterland sterbe, so würde ihm der Meister gewiß noch einen letzten Wunsch erfüllen. Und der sei, daß Melcher auch einmal seinen Webstuhl übernehme. Denn dem Melcher lasse er ihn gern. Wenn er aber denken müßt', daß sein Webstuhl einmal in fremde Hände käm', so tät' ihm das noch die Todesstunde versalzen. Also, und so ging er endlich und nahm noch viele herzliche Händedrücke und Glückwünsche mit.

Noch denselben Nachmittag meldete er sich beim Grundgericht. Aber da sagte man ihm, die Rollen seien jetzt schon geschlossen. Er stellte ihnen vor, wer er sei, und was er für Vorkenntnisse mitbringe. Aber die Kanzleiherrn zuckten die Achsel und sagten, sie könnten nichts machen, er möge beim Kommandanten des schottischen Freibataillons anfragen. Sogleich machte er sich auf den Weg und lief die halbe Stadt ab, bevor er ihn fand, und trat ihm endlich mit pochendem Herzen unter die Augen. Da hätt' er sich früher melden müssen, meinte der, jetzt sei es schon zu spät, und von den Jüngsten sei er auch keiner mehr, und man müsse sich die Leute, die man nehme, doch gut anschauen. Ganz bestürzt erzählte Vincenz von der Schlacht bei Austerlitz und griff unwillkürlich nach dem Fuß, um seine Narbe zu zeigen. Aber er hatte nicht den gewohnten Schlappschuh an, und als er schnell seinen Stiefel ausziehen wollte, hinderte der Kommandant ihn daran und sagte, er glaube es ihm aufs Wort. Aber das sei nur ein Grund mehr, ihn nicht aufzunehmen, denn wer weiß, ob ihm die Narbe bei starken Märschen nicht hinderlich sein würde! Und ein Invalidenkorps könne er sich doch unmöglich zusammenstellen!

Das kränkte den Vincenz tief. Wie ein begossener Pudel kehrte er am Abend in den »Blauen Guguck« zurück und trat vor den Meister und bat, er möchte sein Büchel wieder annehmen. Aber er erzählte nur, daß alles schon komplett sei; vom Invalidenkorps sagte er nichts. Kebach lachte ihn weidlich aus.

»Also, merk dir das, Vincenz! Wenn man was Gutes will, so muß man es gleich tun und nicht warten, bis es zu spät ist. Viele Sünden stehen im Katechismus, aber die eine haben sie vergessen: Das Zuspätkommen. Es gibt Leut', die allemal zu spät kommen, wenn sie etwas Ordentliches wollen.«

Als er sah, was für ein betrübtes Gesicht Vincenz machte, tat er ihm leid, und er setzte gutmütig hinzu:

»Na, schau nicht so beteppert drein. Bei deiner Arbeit kommst du nie zu spät und bist immer auf deinem Platz. Fürs Militari sind halt wir zwei schon nicht mehr ganz jung genug. Aber mach dir nichts daraus! Man dient auch als Zeugmachergesell dem Vaterland, wenn man nämlich ein so verläßlicher und geschickter ist wie du.«

Das tat wohl! Das war wie Balsam auf frische Wunden!


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