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Am andern Morgen steht Wettl eben am Bügelladen und plättet Wäsche, da geht die Tür auf, und herein spaziert der junge rote Igel, der Sohn des Appreteurs Woitech. Überrascht stellt Wettl das Bügeleisen auf den Rost und schaut ihn groß an, wie er die Kühnheit haben kann, ohne Anklopfen ins Zimmer herein zu spazieren, als ob er da zu Haus wäre! In der Mitte der Stube bleibt Woitech, der Jüngere, stehen und verübt sein zierlichstes Tanzmeisterkompliment. Sie betrachtet ihn halb neugierig, halb belustigt, er sieht aus wie aus dem Schachterl: enganliegende hellgelbe Hosen, mit Schnüren besetzt à la housard, ungarische Stiefel, der Frack couleur de terre d'Egypte, die Weste orientalisch, unter dem Kinn wenigstens drei oder vier weiße Halstücher übereinander, daß der Hals fast so breit ist wie der Kopf, der zwischen Vatermördern sitzt – alles nach der neuesten Mode, und dazu ein zierliches Favoritbärtchen neben den Ohren und in der Hand einen zylinderförmigen Hut aus plüschartigem Filz, so groß fast wie ein Haubitzenrohr.
»Ist es erlaubt, einzutreten, schönes Fräulein Wetti?«
»Ohne Anklopfen nicht. Also gehen Sie nur wieder hinaus und klopfen Sie zuerst, wie es sich gehört!«
»Immer voll Schnurren, kleiner Eigenwille!« sagte er gnädig, gleichsam mit der Nachsicht, die ein Erwachsener gegen ein Kind übt. Er ging auf den Scherz ein, kehrte zur Tür zurück und klopfte.
»Sie sagen ja ewig nicht ›herein‹, Fräulein Wetti!«
»Strafe muß auch sein. Klopfen Sie nur noch eine Zeitlang!«
Sie bügelte ruhig weiter und sagte endlich, nachdem er lange genug geklopft hatte: »Herein!«
Jetzt näherte er sich lächelnd, verbeugte sich abermals und überreichte ihr ein kleines Büschel Veilchen.
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen innigsten Glückwunsch darbringe, schönes Fräulein Wetti!«
Sie nahm die Veilchen, roch daran und legte sie neben sich auf den Bügelladen.
»Glückwunsch? Zu was denn, wenn man fragen darf? Mein Namenstag ist, so viel ich weiß, erst am vierten Dezember.«
»Wie eine Heldin haben Sie sich benommen!« rief er geziert. »Wie eine Jungfrau von Orleans! Wie eine Omphale in der Löwenhaut des Herkules!«
»O, Sie Süßholzraspler!«
»Nein, Spaß à part, der ganze Grund ist voll Ihres Ruhmes, ganz Schottenfeld enthusiasmiert von Ihrer Tat!«
»Bitt' Sie, reden S' nicht so geschwollen, Woitech-Pepi! Was für eine Tat meinen Sie denn eigentlich?«
»Sie müssen es doch wissen, was ich meine: daß Sie den Franzosen jagten!«
»Was wollen Sie denn? Er ist ja ohnedies von selber davongeloffen!«
»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie,« sagte der junge Woitech. »Darf ich mir erlauben Platz zu nehmen und Ihnen ein wenig Gesellschaft zu leisten?«
»Wenn ich Ihnen einen Sessel anbiete, dann schon.«
»Und werden Sie das nicht tun?«
»O ja, bitte!« sagte sie mit einer seine künstlichen Gesten nachahmenden Bewegung der linken Hand, während sie mit der rechten emsig weiterbügelte.
Er nahm Platz und räusperte sich.
»Sehen Sie, schönes Fräulein Wetti, solche deutsche Mädchen und Frauen, wie Sie sind, tun uns not in diesen schweren, kriegerischen Zeiten. Als ich heute früh davon erzählen hörte, wie Sie den Franzosen in die Flucht geschlagen haben, da sah ich darin etwas ... eine Art von ... wie soll ich sagen? ... eine Art von Symbol. Und ich dachte mir: das ist eine Österreicherin nach dem Herzen des wackeren Eipeldauer!«
»O bitte, ich bin ganz nach meinem eigenen Herzen!« versetzte sie trotzig.
Er zupfte, wie nach Worten suchend, an seiner Hemdkrause.
»Und ich ging hinaus auf die Schmelz und pflückte diese Veilchen« log er – denn er hatte die Veilchen gekauft – »um Sie Ihnen zu Füßen zu legen und um Ihnen zu sagen ...«
»Himmel!« schrie sie auf, »jetzt hätt' ich beinah' das Hemd da versengt!«
Es klopfte jemand an die Tür. Fast wie ein Jauchzer aus erlöster Brust klang das fröhliche »Herein!«, das Wettl durch die Stube rief. Irgend ein Mensch wollte eintreten, fuhr aber sogleich wieder zurück, als er sah, daß Besuch da sei. »Nur näher! Nur näher! Wer ist es denn? Also vorwärts, wenn ich bitten darf, und immer mutig herein, hier ist niemand, der beißen tut!«
Der alte Mann, der bedächtig eintrat, hatte sein rotes, von den Pocken entstelltes Gesicht in freundliche Falten gelegt und grinste mit dem zahnlosen Mund von einem Ohr zum andern. Hoch in der Luft hielt er mit zwei Fingern, während er die andern drei Finger zierlich wegspreizte, Wettls Hausschuh. »Sieh da, der Lukas!« Sie stellte das Bügeleisen auf den Rost und mußte lachen. Der Alte hielt den Schuh nur immer höher und strahlte vor Vergnügen, man sah ihm an, was für eine Genugtuung es ihm gewährte, daß sein Erscheinen soviel Heiterkeit entfesselte.
»Wo haben Sie ihn denn gefunden, den verlorenen Sohn?«
»Mitten im Tulpenrabattl hat er gelegen.«
»Das ist nämlich der Nachbarsgärtner vom Tyrolergarten,« wandte sich Wettl, gleichsam vorstellend, an den Woitech-Pepi.
»Ich verstehe, ich verstehe! Und er fand Ihr niedliches Pantöffelchen unter Blumen gebettet! Ist es nicht poetisch?«
»G'spaßig ist es,« sagte Wettl, »daß mein Schuh gerade ins Rabattl hineingeflogen ist. Wenn nur keiner Blume was geschehen ist!«
Lukas konnte versichern, es sei kein Stengel geknickt. Des langen und breiten erzählte er, wie er erst seinen Augen nicht habe trauen wollen, bis er schließlich doch daran habe glauben müssen, daß es ein Schuh war, was da im Blumenbeet lag; und wie er sich durchaus nicht hätte erklären können, woher denn der Schuh ins Rabattl gekommen sei, bis eine Nachbarin ihm vom Franzosen erzählt hätte, den die Wettl in die Flucht geschlagen.
»Sackerlot,« sagte er, »dem Halunken vergunn' ich es, daß er an so eine Couragierte geraten ist!«
»Daß aber der Herr Vater auch alles herumerzählen muß! ...« grollte Wettl.
Als Lukas sich wieder entfernt hatte, schmachtete Woitech zu ihr hinüber.
»Und haben Sie mir gar nichts zu sagen, Fräulein Wetti?«
»Ich?« Sie hielt ihren Hausschuh noch immer in der Hand und hob ihn jetzt hoch in die Luft, wie es früher Lukas getan hatte. »Was ist das?«
»Das kleinste, reizendste, entzückendste Pantöffelchen, das ich je sah.«
»Sehen Sie,« sagte sie, »darunter würde jeder kommen, der mein Mann werden wollte und nicht mehr Schneid' hätte als Sie.«
»Ei, das ist mir neu!« schmollte er beleidigt. »Ich hätte keine Schneid'? Da muß ich doch bitten!« Er stand auf und verschlang sie mit verliebten Augen. »Ich hab' sogar eine riesige Schneid', wenn's drauf ankommt!«
»Ja zum Herumscharmieren vielleicht,« sagte sie spottend. »Das ist freilich ein wohlfeiles Geschäft, und Gefahr ist auch keine dabei, nicht wahr? Aber da, wo es sich gehören tät', auf den Napoleon zum Beispiel, auf den haben Sie keine Schneid', was? Sie haben mir's ja erst neulich erzählt, wie schlau Sie es angestellt hätten, sich von der Landwehr zu drücken und bei der Bürgergarde durchzurutschen. Nicht einmal wie das freiwillige Aufgebot gewesen ist, haben Sie probiert einen Schießprügel zu erwischen, und in der Nacht auf den Zwölften, hab' ich mir erzählen lassen, da sind Sie nicht auf der Bastei gewesen, wie es sich gehört hätte, sondern zu Hause bei der Frau Mutter und haben Butterbrot gegessen!«
»Kennen Sie nicht die schöne Bildsäule im Schönbrunner Garten: Mars, im Begriffe sein Schwert zu ziehen, wird von Minerva daran gehindert?«
»Das wird eine schöne Minerva gewesen sein, die Sie daran gehindert hat, das Schwert zu ziehen!«
»Übrigens ist Ihr Vater auch nicht auf der Bastei gewesen!« sagte der Woitech-Pepi ärgerlich.
Sie lachte geringschätzig.
»Erstens ist mein Herr Vater kein junger Mann, wissen Sie! Und zweitens haben ihn die Parlezvous umzingelt und ihm sein Gewehr weggenommen, sonst wär' er wahrscheinlich auch auf der Bastei gewesen und hätte seinen Mann gestellt.«
Darauf wußte jetzt der junge rote Igel nichts mehr zu sagen. Er schwieg und blickte bekümmert drein. Ein paarmal war er sich in der Erregung mit den Fingern durch das wohlgeglättete Haar gefahren, und da es infolgedessen borstig emporstarrte und auch rötlich war, so sah er auf einmal seinem Vater, dem alten roten Igel merkwürdig ähnlich.
»Wollen Sie nicht wenigstens meine Veilchen an den Busen stecken?« sagte er wehleidig.
»Sie sind wirklich sehr schön,« sagte sie, »und ich dank' halt dafür. Aber wissen Sie, in diesen Zeiten sollt' ein junger Mensch was anderes zu tun haben als Veicherln brocken.«
Er nickte mit dem Kopf und sah ein wenig hämisch drein.
»Ich weiß schon, Fräulein Wetti, Sie denken immer nur an den einen, an den Lebold aus dem groben Schrollhaus. Weil der seinem Vater das Leid angetan hat, zur Landwehr zu gehen ...«
Da wurde sie rot und unterbrach ihn schnell.
»Ich red' nicht von einem Bestimmten! Es sind viele, die sich mannhaft gezeigt haben!«
Sie schwiegen. Wettl bügelte, als ob ihr Seelenheil davon abhinge. Endlich nahm er wieder das Wort.
»Und so soll ich jetzt fortgehen? Und sonst wollen Sie mir gar nichts mitgeben auf den Weg?«
»O ja,« sagte sie; »hier!«
Sie hatte das letzte Wäschestück fertig geplättet und zusammengefaltet und überreichte ihm jetzt den leeren Henkelkorb, aus dem sie die Wäsche herausgenommen hatte.
»Es wäre sehr lieb von Ihnen, wenn Sie den mit hinunter nehmen wollten. Unten im Hof geben Sie ihn der Katl, sie soll neue Bügelwäsche hineintun und mir nachher den Korb wieder heraufbringen.«
»Ich tu's!« sagte er entschlossen, »Sie sollen sehen, daß ich keinen anderen Ehrgeiz kenne als den, jeden Ihrer Wünsche zu erfüllen. Adieu für heute! Ein nächstes Mal hoffe ich Sie in gnädigerer Laune zu finden.«
Sie nickte ihm zu und hielt noch einmal lachend ihr Pantöffelchen in die Luft, und er zog ab, den großen Henkelkorb am Arm.
Bald darauf kam etwas betreten der blaue Guguck in die Stube.
»Was hat denn das zu bedeuten mit dem jungen Woitech, he? Eben seh' ich ihn wie einen begossenen Pudel die Stiege hinunter und über den Hof gehen mit einem ... einem ... einem großen Korb am Arm?«
»Den hab' ich ihm gerade gegeben,« sagte Wettl belustigt.
»Geh! Hör auf! Dem jungen Woitech? Einen Korb? Keckes Mädel!«
Er sagte es mit kraus gezogener Stirn und schmunzelte doch ein wenig dabei; es schien, daß es ihm im Grunde gar nicht so unangenehm war.
»Und warum denn eigentlich?«
»Er steht mir halt nicht an. Ich will einen ordentlichen Mann, so ein Gschwuferl mag ich nicht!«
»Du, sein Herr Vater ist aber sehr vermöglich!«
Sie wußte schon, welche Gründe bei ihrem Vater am sichersten verfingen.
»Aber er ist doch nur ein Appreteur!« sagte sie, mit einer kleinen, wegwerfenden Handbewegung.
»Ja, das ist schon wahr, nur ein Appreteur! Eigentlich lebt er von uns Fabrikanten. Einen Fabrikanten kann es geben, auch wenn es keinen Appreteur gibt. Aber umgekehrt nicht! Umgekehrt nicht!«
Er ging immer in der Stube auf und nieder.
»Eigentlich ist es mir ja ganz recht,« sagte er. »Ich bin so an dich gewöhnt, seit die selige Mutter tot ist ... Wenn ich dich hergeben müßt' – es geschäh' mir hart.«
»Ja,« sagte sie, »ewig werd' ich freilich nicht bei Ihnen bleiben können, Herr Vater.«
Er blieb stehen und sah sie groß an.
»So steht's? Hast du vielleicht gar schon einen Amanten?«
»Nein, das nicht! Davon ist keine Spur! Wir haben auch noch kein Wörtl miteinander darüber geredet. Und wir haben überhaupt noch nicht sehr viel miteinander geredet, seit wir keine Kinder mehr sind. Ich weiß auch nicht einmal, ob er mich mag, und ob er daran denkt, mich zu nehmen. Aber mir ... mir schwant so ein bissel was.«
»Na, wenn euch Frauenzimmern was schwant ... nachher wird's schon sein. Wer ist es denn, wenn man fragen darf? Kenn' ich ihn?«
»Freilich kennt ihn der Herr Vater. Der Lebold aus dem Schrollhaus ist es.«
»Der Lebold vom ›Groben Schroll‹ in der Kaiserstraße?«
Sie nickte.
»Weißt du, daß der mit der Landwehr gegangen ist, wiewohl es seinem Herrn Vater nicht recht war?« fragte er wieder.
Sie nickte abermals.
Er setzte seinen Weg fort, auf und nieder. Endlich blieb er wieder stehen.
»Der grobe Schroll ist aber auch nur ein Bandmacher,« sagte er.
»Freilich ist er nur ein Bandmacher,« meinte sie listig. »Aber ein Bandmacher ist doch mehr wie ein Appreteur!«
»Stimmt!« sagte er und ging wieder auf und nieder.
»Daß der alte Schroll gar besonders vermöglich ist, glaub' ich eigentlich nicht!« sagte er nach einer Weile, abermals stillstehend. »Sind eine Menge Kinder da.«
»Aber dafür ist der Lebold tüchtig und arbeitsam,« sagte Wettl.
»Stimmt!« wiederholte er, seinen Weg fortsetzend. Auf einmal blieb er wieder vor ihr stehen.
»Der alte Schroll ist sehr bös auf ihn wegen der Landwehr. Er will nichts mehr von ihm wissen und wird ihm sein Geschäft nicht übergeben, sagt er.«
Wettls Augen füllten sich mit Tränen.
Wütend ging der blaue Guguck in der Stube auf und ab.
»Der alte Schroll versteht nichts!« polterte er. »Seinen Lebold nennt er einen Nichtsnutz und den aufgebogenen Hut mit dem Messingschild eine Livree! Keinen Schimmer hat er von den militärischen Sachen! Natürlich – weil er selbst nie ein Gewehr in der Hand gehabt hat. Und weil er sich gar nicht vorstellen kann, was es heißt, den Parlezvous das Weiße des Auges zu zeigen. Wär' er nur ein einziges Mal mit der Waffe in der Faust vor dem Feind gestanden wie ich, so tät' er schon ganz anders reden! Aber das nennt er Soldatenspielerei! Damit wirft der Bürger sich zum Gesindel, sagt er! In dem Punkt ist halt einmal mit ihm nichts zu reden. Das macht, weil er ein Bandmacher ist. Die Bandmacher sehen immer nur so weit, als ihre Nase lang ist. Sie haben einen kurzen Schuß, darum überschauen sie nie das ganze, selbst die Gescheiteren unter ihnen nicht ... Schreibt ihr euch Briefe?« herrschte er sie plötzlich an.
Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn ich schon sage, daß wir nie miteinander darüber geredet haben.«
»Na, alsdann, wenn er zurückkommt, so wird er ja wohl endlich das Maul aufmachen?«
»Ja, wenn er zurückkommt,« sagte sie leise.
Er blieb wiederum stehen und sah sie scharf an.
»Weiß man denn, wo er ist?«
Sie biß die Zähne zusammen.
»Im Marchfeld, bei der schwarzen Lacken, heißt es, steht die Wiener Landwehr.«
»Saperlot noch einmal! Dort unten sollen sie ja dieser Tage zusammenkrachen, die Unsrigen und die Parlezvous!«
Kochend vor Zorn schmiß er einen Sessel um, um zum Fenster zu gelangen, und setzte sich vor seinen großen Zampelstuhl.
»Zieh' mir die Korden!« befahl er barsch.
Sie gehorchte und trat an den Stuhl und begann die Latzen zu ziehen, die an die Zampelschnüre befestigt waren. Und jeder Zug pflanzte sich über die Rahmenkorden in das Innere des Webstuhles fort und setzte die entsprechenden Schäfte in Bewegung, die wie mit wählerischen Fingern immer bestimmte Fäden der Kette emporhoben, je nachdem die Musterung es forderte. Ingrimmig warf Kebach seine Schützen durch die Kette, daß es nur so rasselte, und schlug heftig mit der Weberlade die Schußfäden fest. Und während sie stumm ihr Amt als Latzenzieher versah, wob er mit dem Geklapper einer ganzen Fabrik wie ein Besessener drauf los, und unter seinen geschickten Händen, die sich zu verzehnfachen schienen und hin und her fliegend gleichsam an allen Orten zugleich waren, quoll wie eine bauschende Woge, die der Wind in ein von Goldlack und Reseda duftendes Beet legt, der tiefbraungelbe, mit blaßgrünen Blümchen verzierte schwere Seidenstoff hervor, jungfräulich unberührt und in stiller keuscher Glut erschimmernd wie Licht und Frühling.
Nicht früher, als bis der alte Schustermichel, die große Glocke der Laurenzikirche, zu Mittag läutete, hielt er mit dem Weben ein. Er schien nunmehr ganz ruhig und heiter und blickte behaglich zu ihr hinüber.
»Jetzt paß einmal auf, Wettl, was ich dir sag'! Wenn der Lebold zurückkommt – und er wird zurückkommen, so einen Wackeren läßt unser Herrgott nicht untergehen – laß mich nur ausreden! Also, wenn der Lebold zurückkommt, und er umlernen mag – gescheiter wär's eh'! – Denn ich bitt' dich, diese Bänder! Manchmal ist die ganze Kette nichts als Garn, gerade nur ein Anflug von Seide darüber! Daran kann doch ein tüchtiger junger Mensch keine Freud' haben? Na, alsdann! Und nicht einmal ein Meisterstück haben sie bei der Bandweberei! Ein freies Gewerbe! Stell' dir vor! Ein freies Gewerbe, das jeder Pfuscher anfangen kann, wenn's ihn g'freut ... Alsdann, darum denk' ich mir – wenn der Lebold umlernen mag, und gesetzt den Fall, der grobe Schroll nimmt wirklich keine Vernunft an, nachher kann der Lebold mein Kompagnon werden. Einen Geschäftsnachfolger brauchen wir ja einmal doch im blauen Guguck.« –
Der Latzenzieher hat sich für gewöhnlich in respektvollem Abstand von dem Weber zu halten, denn er ist ein untergeordnetes Organ und hilft nur im Mechanischen mit, aber mit dem Geist der Sache hat er ebensowenig zu schaffen wie der Blasebalgtreter etwa mit dem Orgelspiel. Diesmal jedoch geschah es, daß der Latzenzieher ohne viel Umstände über den Weber herfiel und ihn umhalste und so heftig drückte und küßte, daß diesem Sehen und Hören verging, aber auf eine ganz angenehme Weise, so daß er meinte, einen solchen Überfall lasse er sich jedenfalls lieber gefallen als einen von den Parlezvous.