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Benares – was ist Benares? Um die Wahrheit zu sagen – ich weiß es nicht. Noch mehr: ich kenne niemand, der es weiß.
Einmal war mir das Wort ein schöner Klang ...
Nun sah ich Benares. Und ich weiß dennoch nichts von ihr. Wie ich's versuche, es wird mir nie gelingen, das Wesen dieser Stadt zu ergreifen. Denn da erst, wo die Begriffe aufhören, wo das logische Denken sich umkehrt und der Wahnsinn zur Methode wird – da erst beginnt das Leben dieser Stadt.
Ich las vieles, was kluge Leute über Benares schrieben. Keinen gibt es, der die Mutter am Ganges liebte, und auch keinen, der nicht im tiefsten Grunde von ihr erschüttert war. Was aber Benares ist – das weiß keiner zu sagen. Ebensowenig, wie ich es sagen kann.
Das, was ich jetzt hier schreiben will, deucht mich richtig in jeder Zeile. Und dennoch wird es nicht Benares geben: Warânasi, die Stadt, die das beste Wasser hat!
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Warânasi – die Stadt, die das beste Wasser hat – so ist der Name. Der Mensch, der dieses Rätsel zu lösen vermag, der allein ist imstande zu sagen, was diese Stadt ist! Das Wasser der heiligen Ganga nämlich ist das entsetzlichste Wasser der Erde. Millionen schmutziger Gläubigen baden im Strom und dazu die vielen Tausende, die allerhand Krankheiten haben – die am allermeisten. Alle Ströme der Welt zusammen aber tragen auf ihrem Rücken nicht halb so viel Verwesung wie die Ganga. Alles tote Getier wirft der fromme Inder in die heiligen Fluten, und dazu menschliche Leichen – denn wenn auch die meisten Toten verbrannt und nur ganz oder zum großen Teil wenigstens verkohlt in den Fluß geworfen werden, so darf doch die Flamme der Domra sich ebensowenig an Kinder wie an Priester wagen. Diese wie auch an ansteckenden Krankheiten Gestorbene werden so, wie sie sind, in die Ganga geworfen. Und doch ist dieses ekle Wasser heilig, und doch baden in ihm und trinken von ihm zu jeder Tagesstunde alle die aber Tausende nackter Menschen, die das Ufer von Benares belagern – von Warânasi – »der Stadt, die das beste Wasser hat«.
Keine Religion auf Erden wendet sich so sehr an das Gefühl und so wenig an den Verstand wie die brahmanische. Nichts ist der Kopf: das Herz ist alles. Und so hat auch in dem äußeren System des Kultus das Brahmanentum kein Haupt – wie etwa das katholische Christentum im Papst, der Islam in des Propheten Nachfolger, die orthodoxe Kirche im Zaren als Summus Episcopus, der nördliche Buddhismus im Dalai-Lama – es hat nur einen gewaltigen Herzmuskel: Warânasi. Rom ist die heilige Stadt des Abendlandes nur, weil der Statthalter Christi dort wohnt; würde er morgen nach Buxtehude ziehen, so würde Buxtehude die heilige Stadt sein. Jerusalem, Bethlehem, Nazareth, Mekka und Medina sind heilig nur als Erinnerungsstätten – Benares aber ist die heilige Stadt an sich und in sich: Land und Wasser und Bäume und Steine und Tiere sind hier heilig.
Gewiß hat Benares auch große Erinnerungen; aber diese haben nichts mit dem Brahmanentum zu tun und sind längst völlig ausgelöscht aus dem Gedächtnis der fanatisch-frommen Hindumassen. Hier trat Gautama Buddha zuerst auf, drehte »das Rad seiner Lehre« und eroberte den ganzen Osten – über tausend Millionen Seelen. Aber in seiner Heimat war Schiwa, der Zerstörer, doch stärker wie er; nach jahrhundertelangem Kampfe rottete er die Lehre des »Erleuchteten« mit Stumpf und Stil in Indien aus. Gautamas Nebenbuhler, Mahawira, der »Weltbezwingende«, der zu gleicher Zeit wie jener und an derselben Stelle auftrat, ist die zweite Erinnerung, von der Benares – nichts mehr weiß. Freilich hatte Mahawiras Lehre nicht die gewaltigen Erfolge wie die Buddhas; sie blieb still in Indien und hat auch dort zu keiner Zeit eine Machtstellung gewonnen. Aber auf der andern Seite hielt sie zäh das fest, was sie hatte, und selbst Schiwas Zorn, der den »Erleuchteten« wegjagte, mochte ihr nichts anzuhaben. Noch heute leben die Jainas, manche Millionen stark, in Indien verstreut, und die gewaltigen Tempel und Heiligtümer im Gudscherat und in Radschputana zeugen von ihrer unverwüstlichen Lebenskraft. Nur in Benares – sind sie längst vergessen.
Und vergessen ist dort auch der Islam, das dritte und schlimmste Wetter, das sich zusammenzog über der alten Brahmanenstadt. 1194 nahm Mahomet Ghori die Stadt, fast sechshundert Jahre wehte über ihr des Propheten grünes Banner. Kaiser Aurangzeb, Schah Jahans Sohn und Akbars Enkel, rühmte sich, über tausend Hindutempel dort zerstört zu haben; er errichtete hoch an der Ganga seine gewaltige Moschee, die noch heute stolz hinabsieht auf die Hindustadt, ein gewaltiges Symbol für die stolze Verachtung, mit der jeder Muselmann hinabsieht auf den Hindu. Und Aurangzeb war nicht der einzige; seine Vorgänger und Nachfolger ließen ihren Zorn nicht weniger an den Hindutempeln aus: immer gleich ein paar Hundert auf einmal wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Was tat es? Der Hindu baute neue Tempel, und wenn man sie zerstörte, wieder andere. Denn die Stadt war ja heilig, der Boden und das Wasser der Ganga – nicht der einzelne Tempel. Und heute heben wieder mehr wie anderthalbtausend Hindutempel in Benares ihr Haupt und zwischen ihnen einige Millionen Götzenbilder, Lingams und heilige Bäume. Und von einem heiligen Ding zum andern wandern die heiligen Tiere – –
Das Christentum? O ja, es hat vor nun bald hundertundfünfzig Jahren den Islam in der Herrschaft abgelöst, der Union-Jack hat die grüne Fahne Mohammeds verdrängt, die zuletzt der Nabob von Audh führte. Der Halbmond ist verschwunden – aber das Kreuz ist nicht an seine Stelle getreten. Die britische Herrschaft mischt sich nicht in religiöse Angelegenheiten. So hat Benares heute den Islam längst vergessen, aber es weiß gar nicht einmal, daß das Christentum da ist.
Was in Benares ist, ist jung; im allerbesten Falle vielleicht 250 Jahre alt. Aber der Geist, aus dem heraus es geboren wurde, ist uralt; es ist derselbe wilde, grausame, wahnsinnige Geist, der Witwen verbrannte, der die Kinder – wenn es Mädchen waren – in Milch erstickte, der der Göttin Kali Tag für Tag Menschenopfer brachte und seine Gläubigen zu Hunderten unter die zermalmenden Räder des Riesenwagens Schiwas und unter die schweren Füße der Elefanten warf. Derselbe rasende Geist, der die Yogin gebar, die heute wie vor dreitausend Jahren an den Ghats der heiligen Ganga sitzen und zu Ehren ihrer Gottheit mit einer ungeheuren Willenskraft ihren Körper zermartern, sich lebendig rösten lassen, die Zunge mit glühenden Eisen durchbohren, an den Beinen sich aufhängen oder auf scharfen Nagelbetten sich wälzen.
Benares! Jeder Fußbreit Landes atmet die glühende Heiligkeit, jede Welle des Flusses läßt das Herz des Pilgers höher schlagen. Millionen von Hindus ziehen Jahr um Jahr an diese Stelle; ganze Familien, ja halbe Dörfer treten gemeinschaftlich die Wanderung an. Jeder Hindu muß wenigstens einmal im Leben diese Pilgerfahrt gemacht haben; glücklich der, dem es vergönnt ist, an den Ufern der Ganga zu sterben. Man muß mit eigenen Augen gesehen haben, mit welcher Inbrunst sie das ekelhafte Wasser des schmutzigen Flusses schlürfen, während gleich nebenan Lepröse, Lupuskranke, Krebskranke den jammervoll entstellten Leib im Flusse baden, um den fanatischen Glaubenseifer des Inders begreifen zu können. Man muß seine grenzenlose Wut gesehen haben, wenn die Regierung, weil Pest und Cholera ausgebrochen ist, eine Zeitlang die heiligen Stätten sperrt. Was schiert es ihn, ob Vater und Mutter, Brüder und Schwestern, Weib und Kind hier sterben, wenn nur er die Glieder tauchen durfte in das heilige Wasser und seine Stirne damit befeuchten. Und dann – – kann man besser sterben? Er beweint die Toten nicht: er beneidet sie.
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Im Palast des Maharadscha von Benares hat Frau Annie Besant ihr Hindukolleg. In dem großen Garten auf der anderen Seite der Straße liegen verstreut manche Gebäude, Häuser ihrer Verwaltung. Da ist eins, das einen großen Saal in der Mitte hat – an den Wänden hängen die Bilder Brahmas, Schiwas und Wischnus, Durgas, Kalis und mancher anderer indischen Götter. Aber auch die von Christus und der Madonna, von Gautama Buddha, von Mahavira, dem Stifter der Jainareligion, von Mohammed, von Zarathustra, der der Parsen Glauben fand, von Lao-tse und von Konfuzius. Es ist eine Galerie aller Götter und Propheten. Mächtiger aber als sie und den ganzen Saal beherrschend prangen an beiden Enden große Bilder von – – Annie Besant. – Ihr Haus liegt im andern Ende des Parkes, das »Bienenhaus« heißt es, und das zu Recht. Denn fleißiger als Frau Annie Besant ist keine Biene auf Erden – siebzig dicke Bücher schrieb sie bisher, und in jedem Jahr kommen neue hinzu. In einem andern Haus werden sie gedruckt, in einem dritten gebunden, in einem vierten verkauft. Und die etwas rundliche Dame hat außer dieser gewaltigen Anstalt in Benares noch zwei andere großartige Religionsstiftungen, in Kalkutta eine, die andere in Madras. Dazu reist sie herum durch die ganze Welt und lehret alle Völker – wie es geschrieben steht.
Was will sie? In einem weiteren schönen Haus ihres Gartens empfing mich der Vorsteher ihrer Anstalten. Er war europäisch gekleidet, und ich glaubte zuerst, daß er ein »Halfcast« sei. Aber ich irrte mich wohl: gibt es doch manche Brahmanen, die nicht viel dunkler sind als ich selbst. Er war beleibt wie seine Herrin, und er war beredt wie sie. Er ließ mich kaum zu Worte kommen, begann seine Predigt und sprach so fort, eine gute Stunde lang. »Der Westen hat den Kopf,« sagte er, »der Osten aber das Herz.« Und die Missis und er selbst und alle die Mystiker und Teosophen des Hindukolleges wollen nun Herz und Hirn verbinden: so werden die reinen Menschen erstehen, die Menschen, die würdig sind, das Paradies auf Erden zu haben. Es ist richtig: der Mann weiß nicht recht, was der Osten ist. Denn der Osten, das ist China, und dessen Kinder haben nur ein Hirn und gar kein Herz und wissen nicht einmal, was ein Herz ist. Aber darum ist es doch wahr, daß sein Land, Indien, den großen Glauben hat. Den heißen, glühenden, gewaltigen Glauben, der vor nichts zurückschreckt, und der für dreihundert Millionen Inder dreihundert Millionen Götter wachsen ließ, den furchtbaren Glauben, der das Wasser der Ganga zum besten der Welten macht –
Ich weiß nicht, ob dieser Mann – und mit ihm Frau Annie Besant und alle die Führer ihrer Bewegung – ein Phantast war oder ein gläubiger Schwindler, vielleicht war er beides zugleich. Aber ich weiß, daß aus seinen braunen, stechenden Augen eine wilde Flamme leckte, und diese kleine, giftige Flamme kenne ich gut – sah sie oft in manchen Irrenhäusern. Ein kleiner Funke des rasenden Wahnsinns, aus dem Benares wächst.
Das ist die eine Stelle, wo der uralte Wahnsinn der heiligen Stadt hinausleckt nach Westen hin. Aber dies durchaus europäische theosophische Kolleg von Hindumystikern – das eine weite Gesellschaft umschließt und dazu einen engen, geheimen Kreis Geweihter wie alle Orden seit des seligen Cagliostro Zeiten – das auch nach Herzenslust »wissenschaftliche« Diplome verteilt, wie amerikanische Schwindeluniversitäten – es paßt so recht an die Schwelle von Benares, deucht mich der wohluniformierte Torwächter der wahnsinnigen Stadt.
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Vor den Toren legt sich der Irrwahn keine Schranken mehr auf. Heilige Affen hausen zu Hunderten in der schrecklichen Durga herrlichem Tempel, und ihre Bettelpriester bedauern es täglich, daß sie nur Ziegen opfern dürfen, und daß die Engländer ihnen das Menschenopfer untersagt haben – das Geschäft geht zurück, heilige Affen und Ziegenopfer ziehen nicht mehr recht. In den Gassen schreiten schwerfällig die heiligen Kühe und Stiere, zum Platzen überfüttert mit Blumen, Kräutern und geweihten Kuchen. Und die Frauen drängen sich heran an die Tiere, begierig, für ihre Gabe von ihnen ein klein wenig Mist zu bekommen – das unfehlbare Heilmittel gegen alle Krankheiten der Seele und des Körpers. Unter dem heiligen Pippalbaum bei Chanki-Ghat verehren grotesk bemalte Pilger Schlangen, deren Bilder ringsherum aus dem Boden gewachsen. Ziehen dann zum Gyan Kup, dem heiligen Brunnen des Wissens, in dem Schiwa selbst, der Zerstörer, sitzt. Nur Männer dürfen ihm auf nackten Füßen nahen. Ungeheure Mengen von geopferten Blumen verwesen in dem trüben Wasser, dessen Gestank selbst die heilige Ganga übertrifft.
In der engsten Stadt aber, wo sich Tempel an Tempel schiebt, einer immer seltsamer, merkwürdiger als der andere, drängt sich das fromme Volk so, daß man kaum einen Fuß vor den andern zu setzen wagt. Da ragt hoch über der Ganga der schöne, holzgeschnitzte Tempel des Fürsten von Nepal; Weiber knien vor seinen Bildern – unzüchtigere und obszönere gibt es nirgends in der Welt. In dem wunderbaren goldenen Tempel, der Bischeschwar, dem Herrn der Welten, geweiht ist, in den benachbarten des Mahadöh und in dem goldenen Kuhtempel, die alle nur mit dem heiligen Mist der geweihten Tiere – gereinigt werden, treten die Frommen mit begnadetem Fuß in sehr hohen, heiligen Schmutz. Dicht gedrängt kleben die Bettler an den Wänden, schauen gierig bald, bald indolent auf die Silber- und Kupferstücke, die die Priester den Fremden abbetteln, und speien ihren blutroten Betelspeichel. Und hier, wie überall in den Ghats der Ganga und in allen sechshundert Tempeln und in den vielen tausend Heiligtümern in den engen Gassen, ragen die schwarzen Zeichen des männlichen Gliedes Schiwas empor – des Zerstörers, der im Lauf der Jahrtausende der Herr blieb über Indien. Als Gautama Buddha aufstand, eben in dieser Stadt am Ganges, erwuchs Brahmas Religion ein furchtbarer Feind. Und Brahma, der Schöpfer, sank dahin; kaum ein Tempel im gewaltigen Indien dient heute seiner Ehre. Mit ihm verblich der Glanz Wischnus, des Erhalters. Aber Schiwa, der Böse, war stärker als sie beide, die mit ihm die Dreieinigkeit bildeten: Satan siegte, wo Gott ohnmächtig war. Vor ihm brachen nach tausend Jahren die Tempel und Heiligtümer Buddhas, der, aus ganz Indien vertrieben, sich ostwärts neue Hunderte von Millionen Bekenner suchte. Schiwa aber, der Satan, wurde nun zum Gott: der Zerstörer wurde der Schöpfer zugleich. Das ist das gewaltigste Rätsel dieses Landes, und sein Symbol ist Schiwas Phallus, des furchtbaren Gottes, der Tod und Leben zugleich ist, und dessen Zerstörung die Schöpfung bedeutet. Zerfallen liegen am Ganges gewaltige Paläste, riesige Ghats, herrliche Tempel, unterspült und zerbrochen von den heiligen Fluten. Aber unbekümmert bauen die Söhne auf den Trümmern der Väter: neue Ghats heben sich wieder, neue Tempel und Paläste entstehen in glanzvoller Pracht. Nur aus dem Tod blüht das Leben: so will es Schiwa, so seine »Sakte«, seine Kraft, die als seine Gattin Durga neben das Symbol seines Lingams das ihre pflanzte – die Yoni.
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Es ist, als ob in dieser heißen Sonne die Religionen schneller altern als bei uns – so wie es die Menschen hier tun. Alt, ungeheuer alt scheint uns schon Buddhas Lehre, wie aus der Höhlenväter Zeiten aber starrt uns das Phantom des Zerstörers entgegen. So unendlich alt deucht es uns, daß wir gar nicht begreifen können, daß das alles noch heute Wahrheit ist. Wir starren mit aufgerissenem Mund auf die pilgernden Frauen, die umherziehen durch die Stadt und einem der vielen tausend Götterzeichen nach dem andern Blumen opfern. Tempel und Heiligtümer überall; viele tausend Götter werden hier angebetet, neben den Wassern, den Bäumen, den Steinen und Tieren. Zahlreicher aber als alle, überall aus dem Boden wachsend, wohin nur der Blick fällt: der Lingam, das steinerne Glied Schiwas, des Schrecklichen. Denn er ist der große Herr über alle, er ist der Herr von Benares. –
Der schwarze unförmige Phallusstein wächst in den Tempeln, auf den Ghats an der Ganga, wächst auf den Plätzen, in den Höfen und den Häusern. Fromme Frauen knien vor ihm, bespritzen ihn mit geschmolzener Butter und streuen ihm weiße Tempelblumen. Yogin drängen sich herum, abgemagert, nur Haut und Knochen, mit wilden, stechenden, wahnsinnigen Blicken. Hellfarbige Brahmanen schreiten stolz vorbei, die weiße Wollschnur über der linken Schulter; sie verachten das Volk, das sie haßt und dennoch wie Heilige verehrt, und sie verachten den Europäer nicht weniger, den sie dennoch auf Schritt und Tritt um ein paar Kupferstücke anbetteln.
Grandiose Festzüge ziehen durch die engen Gassen, täglich, stündlich fast. Reich aufgezäumte Pferde, Elefanten, Kamele, Priester, Yogin und Musikanten. Flöten und Hörner, viele Trommeln, Triangeln und Schellen – je wilder, je wahnsinniger, um so besser. Irgendein reicher Pilger bezahlt sie, heute der, morgen jener: es ist ein frommes Werk.
Da kommt eine weiße, alte, ungeheuer dicke Zebukuh. Sie schiebt sich langsam über den Markt, hält endlich vor dem Tische einer armen Gemüsefrau. Und das alte Weib, das nichts sein eigen nennt als die grüne Ware, ist selig vor Glück, daß das heilige Tier geruht, von ihrem Stand zu fressen, schiebt ihm die besten Wurzeln und die saftigsten Blätter hin. Hat sie nicht noch ein paar Blüten da? Sie reißt sie schnell aus dem grauen Haare –
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Benares! Nirgends in der Welt gibt es fettere Rinder und dickere Affen – und nirgends gibt es magerere und elendere Menschen. Hier hat das Leben einen anderen Inhalt als irgendwo sonst in der Welt. Vernunft und Logik, das sind Dinge, die es nicht gibt in der heiligen Stadt; Wahnsinn ist hier zur Methode, zu vielen tausend Methoden geworden. Benares, die Stadt des Herzens, die Stadt des Gefühls, die Stadt der wildesten Mystik, die Stadt, die die Gottheit in sich selbst erlebt. Denn die brahmanische Religion verachtet tief das Hirn und den Kopf: sie wendet sich nur an das Blut und an das Herz. Und der nährende Muskel, der dem gewaltigen Körper dieses Kultus Blut gibt, der alte, ewig junge Herzmuskel des Hindutumes, das ist die Ganga und die heilige Stadt an ihren Ufern: Waranasi, die Stadt, die das beste Wasser hat. –
So ist Benares die heilige Stadt des Wahnsinns. Ich fühle sie wohl – irgendwo in mir. Irgendein längst gestorbener Instinkt aus der Urväter Zeit wacht in mir auf: der mag sich wohl in Verbindung setzen mit ihr. Ich aber kann es nicht. Ich kann das nicht greifen, was die Menschen Benares nennen. Nichts bleibt mir von ihr als ein schwüler, entsetzlicher Klang und eine fressende Flamme des Wahnsinns.