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»Dscha, se wülln dat jo nich anners hebbn,« sagte Jan Tüt und spuckte übers Bollwerk ins Wasser.
»Hett all sin Grenzen. Schinn'n lat wie uns nich,« sagte Tetje Krahnstöver und spuckte nach.
Jan Tüt spuckte wie zur Bekräftigung nochmal energisch aus.
»Wie sünd dat arbeitende Volk. Dat sünd wie. Op uns steiht de Staat,« fuhr Tetje Krahnstöver fort. »Wie lat uns nich schinn'n. Lat wie nich.«
Jan Tüt brummte etwas Unverständliches vor sich hin und schwieg dann beharrlich. Er war noch immer derselbe Philosoph, der damals, als Käpt'n Krautsch mit seinem Schoner unterging, den Satz aufstellte: »Dat ganze Leben is Schiet.«
Tetje Krahnstöver sagte auch nichts weiter. Sie starrten beide mit verschwommenen Augen auf den Strom, dessen windbewegte Flut in der grellen Mittagssonne glitzerte. Das hatte etwas Einschläferndes, dem sich beide Anwälte des arbeitenden Volkes nicht entziehen konnten.
Veranlassung zu den wenigen Worten, die sie mundfaul gewechselt hatten, war der Schlosserstreik, der heute ausgebrochen war. Auf der Werft von Dusel und Sohn waren zwei Arbeiter gemaßregelt worden, die anderen hatten sich mit ihnen solidarisch erklärt. Wiederanstellung, oder alle legen nieder. Machtfrage, Autoritätsfrage. Darum drehte es sich anfangs. Aber die Gelegenheit wurde benutzt, gleich, wie schon lange geplant, Lohnerhöhung zu fordern. Über Nacht war der Streik da. Ein paar hundert fleißige Arbeiter feierten, und Jan Tüt und Tetje Krahnstöver, die beiden ärgsten Faulpelze an der Wasserkante, nahmen sich ihrer an.
»Schinn'n lat wie uns nich.«
Tetje Krahnstöver hatte sich früher von seinem Schinderlohn manchen vergnügten Abend zu machen gewußt, und als dabei alles um die Ecke ging, schalt er auf die Bratenfressers und Blutsaugers. Jan Tüt war, wie gesagt, mehr Philosoph. Er war immer bedürfnislos gewesen und war eigentlich mit seinem Zustand ganz zufrieden. Immer halb im »Duntje«, sah er die Welt noch ziemlich rosenrot. Seinen Platz in der Sonne am Bollwerk machte ihm niemand streitig. Seinen Schnaps, seine Rolle Kautabak verdiente er sich immer noch auf dem Hopfenmarkt und dem Meßberg oder in der Fischhalle. Jan Tüt erfreute sich sogar einer gewissen Beliebtheit bei den Marktfrauen und Gemüsebauern, die seine Philosophie gelten lassen mußten. »Ji arbeit um to leben, un ick arbeit um to leben. Wenn de Mensch man tofreden is.«
Jan Tüt hatte leicht zufrieden sein. Aber da waren Leute, fleißige Arbeiter mit Frauen und Kindern, denen Jan Tüts philosophisches Gemüt nicht gegeben war, die nicht nur satt werden wollten, die auch vorwärts wollten im Leben. Leute, die nicht zurückbleiben wollten, wenn andere ihren Weg aufwärts machten, deren Sinn begehrlich war nach all den Schätzen, die sie andere genießen sahen. Schätze, die sie selbst mit heben halfen. Leute, die die helle und fröhliche Musik des Lebens auf eben jenen Instrumenten spielen hörten, die sie gebaut hatten. Leute, mit offenen Augen und Ohren, die Zeitungen lasen und Versammlungen besuchten, die nicht nur ihre eigenen paar Mark sondern auch die Taler der Reichen zählten, und die immer geneigt waren, zu sagen: »De Kerl hett recht,« wenn ihnen ein Volkstribun von Freiheit, Menschenwürde und geknechtetem Proletariat etwas Gewaltsames vordonnerte. Leute, die es als ihr Recht in Anspruch nahmen, nicht zufrieden zu sein. Nur die Unzufriedenen bringen die Welt weiter.
»Ji könt doch tofreden sien,« sagte Karsten Drews, der alte Werkführer in Sichelmanns Schlosserei. »Wat gähn ji Düsel sin Schlossers an.«
Sie sprachen sich nicht aus, ob sie zufrieden waren, auch Hellmann nicht. Sie zuckten die Achsel. »Wir sind solidarisch.« Das war alles, was der kleine, krummbeinige Rehm sagte, der ein firer Arbeiter, aber ein waschechter Sozialdemokrat war. Er ging Sonntags nur mit einem roten Schlips, worüber selbst Hellmann spottete, der sonst ebenso waschecht und zielbewußt war.
Es half Karsten Drews nichts und half Meister Sichelmann nichts. Sie waren »solidarisch«, und die Arbeit ruhte, soweit sie nicht von Drews und Anton und dem in der Not selbst zugreifenden Meister verrichtet werden konnte.
Fünf Pfennige mehr Lohn für die Stunde wurden beansprucht, und für die Überstunde fünfzig Pfennig. Das hätte Sichelmann, der nur mit drei Gesellen arbeitete, nicht umgeworfen. Er hatte es auch vielleicht bewilligt, wenn er auch eiferte: »Wo soll das hin mit den unverschämten Forderungen? Alle Vierteljahr wollen sie mehr haben.« Aber auch die Meister sagten: »Wi sünd solidarisch.«
Anton machte die Geschichte Spaß. »Mutter, wi streikt!« rief er ihr schon in der Tür zu.
»Ji streikt? Wat wult du streiken?«
»Ick doch nich. Aber de annern. Düsel sin sind anfungen.«
»Disse ewige Streikerie. Wenn dor man wat bi rut kümmt.«
»Se sünd solidarisch, Mutter,« sagte Anton ungeheuer wichtig.
»Solang as se dat uthölt. Rasten gaht se mit lerrigen Liev solidarisch an de Arbeit.«
»Hüt abend is Versammlung.«
»Dat du mi dor nich hengeihst.«
»Mügg ick doch woll.«
»De sett di man Lüs in t Hoor. Dor is immer noch Tied to.«
Anton ging aber doch hin. »Dat versteiht Mudder nich.« Aber wenn er auch ganz gut als Geselle hätte gelten können, so groß und kräftig wie er war, so traf er doch gleich am Eingang Leute, die ihn kannten.
»Bliv man buten, min Jung, hier hest nir to söken.« Und da kam auch Karsten Drews: »Wat wullt du denn hier?«
»Na, denn schuf man äff,« dachte Anton und ging. Sehr ärgerlich war er nicht darüber. Hellmann würde ihm schon alles erzählen, und in die Zeitung käm es ja auch.
*
Ein Gutes hatte der Streik für Anton. Er mußte in der Werkstatt hart heran, unter den Augen des Meisters, der jetzt früh und spät mit zugriff. Anton war ehrgeizig, und hier jetzt die Fehlenden zu vertreten, das schmeichelte seinem Selbstgefühl. Dazu kam, daß Meister Sichelmann, sonst nicht gerade in der rosigsten Laune, seinen beiden einzigen Arbeitern diese saure Zeit möglichst zu versüßen suchte, indem er sie nach Gerechtigkeit mit Lob ermunterte, für leibliche Stärkung sorgte und freundliche Teilnahme an ihren persönlichen Verhältnissen zeigte. Anton sang abends zu Hause des Meisters Lob, und dieser rühmte sich um dieselbe Zeit am Stammtisch seines anstelligen Lehrjungen, der ihm in diesen Tagen gut einen Gesellen ersetzte.
»Ick wull, min weer ock so,« sagte Meister Behrens, der Tischler. »De is n olln Dösbaddel.« Das wurde des Näheren begründet und mit Beispielen belegt, wonach Hugo es keinen Tag an Dummheiten fehlen ließ. »Und nu hett de Paster de Jungs ock noch wat n Kopp sett.«
»Nee, Fritz, dor segg nir op, das is ne ganz gute Sache, das laß man gut sein,« widersprach ihm sein Bruder, der Buchbinder, der gerade seine Dose herumgereicht hatte und sich nun selber die Nase erquickte. »Die Gewerbeschule – das ist viel zu viel Schule da. Und was Collasius und Herr Heinrich den Jungen beibringen, das können sie da nicht lernen.«
»Brukt se ok nich,« sagte der Tischler.
»Was bringt er ihnen denn bei?« meinte der Sattler Sager. »All so n Unsinn, was sie fürs Leben nicht nötig haben, und fürs Geschäft nicht brauchen können. – Sollen man lieber ordentlich ihr Handwerk lernen.«
»Dor Heft recht, Sager,« rief Fritz Behrens. »De Schoolmapp von min Lütt is all sit acht Daag werrer entwei wesen.«
»Denn möt se dor nett mit umgahn sin.«
»n sösjährige Deern? De kann noch keen Ledder entwei rieten.«
»Unsinn is dat, segg ick,« nahm der Sattler das alte Thema wieder auf, innerlich giftig auf Fritz Behrens. »De Pasters hebbt immer so n Ideen.«
»Pastor Collasius ist ein vortrefflicher Mann,« sagte der Buchbinder.
»Ist er auch,« bestätigte Meister Sichelmann. »Hat die besten Absichten. Aber er läßt sich zu viel ein. Das hat all so n sozialdemokratischen Anstrich. Laß ihn doch auf der Kanzel bleiben. Da soll er predigen.«
»Dor kümmt em man keen hen,« lachte der Tischler.
»Bi Pastor Brügge is dat immer voll,« sagte der Schuster.
»Ja, oll Wiewer und Kinner.«
»He is so n Salbungsvollen, so n Scheinheiligen.«
»Nee, scheinheilig is he nich. He is n rechten und ehrlichen Mann.«
Die Meinungen gingen etwas auseinander, aber man sprach doch im ganzen mit Respekt von den beiden Geistlichen. Nur Pastor Collasius' Lehrlingsbestrebungen kamen nicht gerade gut weg. »All so 'n niemodschen Kram. Bestand hett dat doch nich,« meinte der Schuster. Und Maurermeister Eggers machte ironische Bemerkungen über Volksbeglückung und Verbrüderung.
»Der Geselle ist der natürliche Feind vom Meister, die Köksch von ihrer Madame, der zweite Kanzleischreiber vom ersten und uns lütt Piccolo vom Ober. Das ist die menschliche Natur so. Das bringen sie mit 'n bißchen Bilderbesehn und Theaterspielen nicht raus. Und wenn Hein seine Bilder n bißchen bunter sind als Tetje seine, ist das n soziale Ungerechtigkeit, und Tetje wird fuchtig. Ick bin dor mank wesen, johrlang. Neid und Afgunst und beständige Stänkerie is dat. – Ober! Noch n Pschorr! Und so n Portion Ente bringen Sie man noch eine. Wirklich zu empfehlen, meine Herren.«
Aber die Herren hatten schon zu Abend gegessen. Nur der Schuster sah noch etwas »nipp« zu, wie auch die zweite Portion Ente nach und nach vom Teller verschwand. Es mochten auch ihm dunkle Empfindungen von sozialer Ungerechtigkeit anwandeln, und Hunger nach ausgleichender Gerechtigkeit. Daß Collasius' Weg nicht auf Entenbraten abzielte, war ihm klar, und er hatte ja auch vorhin schon seine Meinung darüber gesagt.
»Ob dat noch lang duuert, mit den Schlosserstreik?« fragte Tischler Behrens.
»Lang holt se t woll nich ut,« meinte der Schuster, und Meister Sichelmann zuckte die Achseln.
»Das ist auch wieder so n Stück,« legte Maurermeister Eggers los, schob den leeren Teller von sich und. langte nach dem Zahnstocher. »Reiner Übermut. Was stehn die Leute bei Düsel aus? Haben erst vorm halben Jahr aufgebessert. Aber da wird so n Krakeler und Faulpelz an die Luft gesetzt, gleich sind alle solidarisch. Die Fleißigen mit den Faulen, die Ordentlichen mit den Schlampigen. Alle in Freiheit und Brüderlichkeit. »Wi lat uns nix gefallen. Wenn unser starker Arm nicht will.« Ja, wo blivvt noher de starke Arm? Wenn se nir mehr in de Knaken hebbt, kömt se wedder an. Ausgemergelte Lohnsklaven. Wer mergelt sie aus? Düsel doch nicht? Wenn ich nicht arbeit, verdien ich kein Geld, und wenn ich kein Geld verdien, kann ich mich nicht satt essen, und wenn ich mich nicht satt essen kann, mergel ich auch aus.«
»Dat ward bi di sin Tied beanspruchen,« sagte Sichelmann und klopfte dem dicken Sprecher auf die feiste Schulter.
Alles lachte und trank Meister Eggers zu.
»Prost Eggers! Recht hest du. Ganz einerlei. Du schalst wirklich in de Bürgerschaft sitten mit din Redegabe.«
»Son Lüd könt wi dor bruken,« sagte der Sattler. »Aus dem Volke, für dem Volke!«
»Handel und Gewerbe, darauf beruht der Staat. Das muß geschützt werden!« rief der Schuster. »Und das wollen die Sozialdemokraten ruinieren. Da gehen sie auf aus. Prost Sager.«