Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Anton hatte nur für die Festtage Urlaub bekommen. Aber er wollte doch nicht nach Kiel zurück, ohne auf dem Weihnachtsmarkt gewesen zu sein.

»Weihnachten und kein Dom, dat givt nich.«

Lenen schien das Natron gut getan zu haben. Aber Lust zum Ausgehen hatte sie am andern Tage doch nicht.

»Laß ihr man,« sagte Mutter Krautsch.

Allein rumbummeln war aber nicht nach Antons Geschmack.

»Fritz harr man mitkamen füllt,« dachte er, sprachs aber nicht aus. Er vermied in Lenens Gegenwart, den Namen wieder zu nennen.

»Da wird woll schon n Bekannten sein,« ermunterte ihn Mutter Krautsch. »Geh man mal n büschen aus. Das is dich auch besser.«

»Wullt mi wol gern los sin?«

»Jung, die frische Luft is dich doch gut.«

Da lachte er. Frische Luft. Daran fehlte es ihm wahrlich nicht. Deswegen konnte er schon mal drei Tage bei Mutter in der Stube hocken. Nachher wehte ihm wieder Wind genug um die Ohren. Aber er nahm doch seine Mütze, zog sein Halstuch zurecht und die weißen Baumwollenen an.

»Den olln Spiegel sollst man n bischen höher hängen, kann ja kein Mensch was in sehen.«

Er machte in guter Laune eine Kniebeuge vor dem in der Tat zu niedrig hängenden Sofaspiegel.

»Nu is der Herzensbrecher fertig.«

Er wartete, daß Lene etwas darauf sagen sollte. Aber sie schwieg. Mutter Krautsch aber freute sich über ihren Jungen.

»Anders is er doch geworden beis Dienen.«

Auch sie hätte gern eine Zustimmung von Lene gehört, nahm es aber nicht übel, daß sie nicht darauf einging. Die hatte genug mit sich selbst zu tun. Da muß man jeden Menschen zufrieden lassen; dann zieht sich alles schon wieder zurecht.

Anton hatte den kurzen Weg nach dem Heiligengeistfeld schnell zurückgelegt, und die Scharen der ab- und zuströmenden Menschen umdrängten ihn. Das Geschrei der Budenbesitzer, die Musik der zahlreichen Karussells, Kindertrompeten, dazwischen das Läuten der sich vor dem Festplatz kreuzenden Straßenbahnwagen, das alles hob sich als einzelnes Geräusch aus dem gleichmäßigen, dumpfen Brausen, das den Festplatz erfüllte, hervor. Auch der fettige Geruch der Schmalzbuden war schon weithin bemerkbar. Eine verwirrende Menge gedämpften Lichtes, aus dem hier und da ein heller, blendender Schein hervorstach, breitete über den Zelten und Buden einen Lichtnebel aus. Alles, Licht, Laut und dunstgeschwängerte Luft schien zu einer einzigen wogenden Masse zusammen zu rinnen, in die man untertauchte, wie in einen See, dessen Wasser gurgelnd über einem zusammenschlägt. Einmal dann, ließ man sich anfangs von dem Strom tragen, bis irgend etwas die Aufmerksamkeit mit Gewalt fesselte und einem halt zurief.

So ging es auch Anton, der sich mit einem fast kindlichen Lächeln auf dem breiten Gesicht von der Menschenmasse, in die er gerade hineingeraten war, vorwärts schieben ließ.

»Die schwerste Dame der Welt,« die in imponierender Leibesfülle auf dem Plakat einer Bude abgebildet war, lockte ihn nicht, er hatte einen Ekel davor. Vor einer Tierbude, der ein scharfer, beißender Geruch mehr abschreckend als einladend entströmte, wenn das Zelttuch vor den Eintretenden zurückgeschlagen wurde, blieb er einen Augenblick stehen. Die heiseren Raubtierstimmen waren vernehmbar, und die nicht minder heisere Stimme des Ausrufers redete auf die sich stauende Menge ein.

»Die Silberfüchse Kamtschatkas in ihrer natürlichen Gestalt, meine Herrschaften! Der Jaguar, das reißendste Tier, welches die Naturgeschichte kennt, in seiner angeborenen Wildheit und Grausamkeit hier zu sehen! Der König von Schweden und der König von England und andere hohe und höchste Herrschaften haben sich darüber in den Ausdrücken des höchsten Lobes geäußert. Zwanzig Pfennig der erste Platz! Zehn Pfennig der zweite Platz!«

Aber Anton war nicht gewillt, sein Geld gleich in den ersten zehn Minuten anzugreifen. Er ließ sich weiterschieben, von Bude zu Bude, immer mit dem glücklichen Lächeln eines Kindes, das alles zum erstenmal sieht. Bei einem »Kraftmesser« aber konnte er nicht widerstehen und zog sein Portemonnaie. Zwei »Halbwüchsige« erprobten ihre Armkraft mit vielem Geprahle, und zwei kleine Jungen sahen bewundernd zu.

Als Anton den Hammer faßte, blieben verschiedene stehen. Seine Uniform machte ihn auffällig. Er fühlte sich plötzlich geniert. Aber ein kleiner Dreikäsehoch sah ihn mit so naiver Neugier von unten auf an, daß er allein dem Knirps zuliebe mal »losballerte«. Das war ein dröhnender Schlag. Höher konnte der Zeiger nicht springen.

»Dats n Smidt,« sagte einer der Halbwüchsigen verächtlich, als wollte er sagen, dann wäre es weiter kein Wunder.

Anton ärgerte sich über den Bengel und wollte ihm antworten, als er hinter sich sprechen hörte:

»Is he nich.«

»Is he doch.«

»Anton!«

Er wandte sich um.

»Was hab ich gesagt?« klang es triumphierend.

Anton war etwas verlegen. Seine Mutter hatte ihn veranlassen wollen, bei Winsemanns und Maus Besuch zu machen, aber er hatte keine Neigung gehabt. Nun sah er Hugo in Begleitung eines Unbekannten und eines jungen Mädchens vor sich stehen.

»Herr Militzky,« stellte Hugo vor. »Und die kennst du wohl noch.«

»Fräulein Mau,« sagte Anton und gab allen treuherzig die Hand.

»Haben sich aber bannig verändert,« setzte er hinzu und lachte Mariechen offen an.

»Sie auch,« sagte sie mit einem raschen, musternden Blick über seine große Gestalt, unter dem er plötzlich errötete. Es hatte eine naive Anerkennung in diesem Blick gelegen.

»Die Uniform allein schon,« sagte er.

Nun wollten sie ihn natürlich nicht loslassen, und er war es auch zufrieden. Bekannte gefunden zu haben. Jetzt hörte doch das ziellose Umherwandern auf. Mariechen hatte bestimmte Wünsche. Nach Haase wollte sie, in den Kristallpalast, und das Lachkabinett wollte sie sehen, und vor allem recht viel Karussell fahren, und Waffeln essen und türkischen Honig. Aber erst mal nach Haase.

Anton war alles recht. Er ließ sich bei solcher Gelegenheit gern leiten. So saß er denn auch bald auf einem hölzernen Schwan, hinter sich eine unbesetzte grasgrüne Gondel, und schwamm zu den Klängen einer lärmenden Karussellorgel in einer seinem Wasservogel wenig angemessenen Geschwindigkeit im Kreis herum. Mariechen hatte ihm sofort dieses Reittier angewiesen, als das einzig »maritime«, das in diesem Ring wunderlicher Ausgeburten der Zoologie aufzufinden war. Sie selbst hatte mit Jubel eine zottige Löwenkatze in Anspruch genommen, ein zitronengelbes Ungeheuer, mit weit aufgesperrtem, blutrotem Rachen. An ihrer rechten Seite saß Hugo auf einem gleichen Tiere, während sich der Schuster – als solcher hatte der Herr Militzky sich inzwischen bekannt gemacht – in dem Löwenwagen mit einiger Ängstlichkeit eingerichtet hatte.

Anton kam sich als Schwanenritter fast komisch vor und wurde auch von den umstehenden Zuschauern mit verständnisvollem Lächeln und manchem Zuruf begrüßt. Aber es blieb alles in den Grenzen eines guten Humors und störte ihm nicht die Freude, die er an dem schmucken Bild der Amazone auf dem Löwen empfand.

Der Löwenwagen befand sich unmittelbar vor seiner Schwanengondel, so daß er Mariechen beständig im Auge hatte. Sie sah in der Winterfrische allerliebst aus. Ihr mehr zartes, schmales Gesicht, dem aber das leicht vorspringende Kinn – ein Erbteil der Mutter – einen Zug von Energie verlieh, färbte Gesundheit und Frohsinn. Eine Pelzmütze saß ihr etwas verwegen auf dem blonden Haar, das unter dem Dunkelbraun des Pelzes fast goldig hervorkräuselte. Eine enganschließende Jacke aus hellbraunem Tuch mit schwarzem Krimmerkragen und ebensolchem Ärmelbesatz ließ ihre schlanke Figur aufs beste zur Geltung kommen und ihre gute, furchtlose Haltung auf dem Löwentier verstärkte noch den wohlgefälligen Eindruck.

Anton hatte in Kiel in Fritz Kleesands Gesellschaft seine frühere Abneigung gegen die »Deerns« verloren, die ja einem Gefühl der Unbeholfenheit und Befangenheit dem weiblichen Geschlecht gegenüber entsprungen sein mochte. Das alles konnte man sich in Fritz Kleesands Gesellschaft gründlich abgewöhnen. Bei Anton, der nicht zum Leichtsinn veranlagt war, hatte das keine schlechten Früchte getragen. Es war ihm zum Vorteil gewesen, und er begriff selbst nicht, wie er so lange hatte verzichten können.

Nun mußte neben dem schlanken Mariechen auch noch Hugo eine so schlechte Figur als Löwenreiter spielen. Er hing ziemlich unglücklich im Sattel und machte ein Gesicht, dem man anmerkte, daß er den letzten Kreislauf herbeisehnte. Mariechen aber, als nun mit einem letzten quietschenden Laut der Orgel die Fahrt endete, wollte nicht herab von ihrem Löwen. »Einmal noch,« verlangte sie, aber ihre beiden Ritter von der traurigen Gestalt waren nicht zu einer zweiten Fahrt zu bewegen. Da wandte sie sich an Anton, der gefällig seinen Schwan mit Hugos Löwen vertauschte und nun Seite an Seite mit ihr noch einmal »rummachte«. Er saß eingeklemmt in dem etwas engen Sattel und merkte mit einem wunderlichen Gemisch von Verlegenheit und Befriedigung, wie sie sich mit der wachsenden Geschwindigkeit des Kreisens mehr und mehr zu ihm hinüberneigte; obgleich ihre Schulter die seine nicht berührte, fühlte er doch ihre Nähe fast körperlich. Es war das erstemal, daß er solches empfand, und es war ihm eigen zumute.

Und es entspann sich ein hastiges, atemloses Gespräch in kurzen, herausgestoßenen Bemerkungen zwischen ihnen.

»Ist das nicht fein?« fragte sie.

»Fein, Fräulein.«

»Werden Sie gar nicht schwindlig?«

»Ne, wo?«

»Ich könnte den ganzen Tag so fahren.«

Dazwischen nickte Mariechen den andern beiden zu, die etwas gelangweilt danebenstanden.

»See auf dem Land ist noch feiner.«

»Ne, da geh ich nicht rein,« sagte Anton.

»Nu aber! Als Seemann?«

»Das ist was anderes.«

»Das schaukelt doch auch.«

»Aber anders.«

»So von oben runter,« sagte sie und schloß die Augen vor Entzücken.

Er lachte. Das mögen sie alle gern, dachte er.

»Schade!« rief Mariechen, als die Fahrt zum zweiten Mal endete. Sie sprang leicht von ihrem Löwen und amüsierte sich über Anton, der sich nur schwerfällig aus seinem Sattel lösen konnte. Er schwankte nach diesem langen Herumkreisen etwas auf seinen Füßen, und Mariechen neckte ihn. »Der Seelöwe auf dem Lande.« Da hob er kaum merklich die Hand, als ob er ihr mit dem losen Handschuh einen leichten Schlag versetzen wolle. Und als sie nun, immer zum Scherzen aufgelegt, wie in Furcht ein wenig zurücksprang, warf sie einen Funken ihres Wesens in seine Schwerfälligkeit, so daß diese in einem jähem Flammenwerk unterging. Er haschte nach ihr und erwischte sie auch am Handgelenk, ließ sie aber gleich wieder los, wie erschrocken über seine Kühnheit. Aber ein paar Sekunden lang hatte er doch die festen Klammern seiner großen Finger den Widerstand ihrer schwächeren Kraft brechen fühlen und hatte gesehen, wie sie die weißen Zähne auf die Unterlippe setzte. Und er spürte das Verlangen, sie noch einmal zu packen, und schalt sich, daß er sie sobald losgelassen.

Doch ließ sein weiteres Benehmen solche heroischen Wünsche nicht merken. Er war im Gegenteil verlegener als zuvor und infolgedessen lenkbarer. Er war für alles zu haben, was die drei noch unternehmen wollten, lachte sein gutmütiges breites Lachen, als seine große Gestalt und sein volles Gesicht in den hundert Spiegeln des Lachkabinetts zur grotesken Fratze verzerrt wurde und empfand zwischen allerlei Heiterkeit hindurch ein wunderliches, leises Vergnügen, daß auch Mariechen in diesen abscheulichen Gläsern ihre Wohlgestalt einbüßen mußte, und eine eben so wunderliche Genugtuung, daß Hugos Spiegelbild an Fratzenhaftigkeit dem seinen nichts nachgab.

Nach dem Lachkabinett besuchte man eine Waffelbäckerei und tat sich reichlich gütlich. Anton bezahlte alles und wurde heftig, als Hugo Einspruch erhob. Das eine Mal, daß er das Vergnügen hätte, mit Fräulein Mau zusammen zu sein, wolle er es sich auch was kosten lassen. Hugo hätte ja immer noch Gelegenheit, sich nobel zu machen.

Hugo schwieg, fand es aber protzig und aufdringlich von Anton. Er war schon eifersüchtig und ungerecht. So drängte er denn zum Aufbruch, als Anton, einmal mit der Hand im Portemonnaie, noch in eine Bierhalle einlud.

»Nein, Fräulein Mau muß zu Hause. Wir haben noch einen weiten Heimweg.«

Fräulein Mau sah freilich noch unternehmend aus, aber sie merkte Hugos Verstimmung und deutete sie recht. Einen Augenblick prickelte es sie, ihn zu ärgern und zu reizen, sie war aber doch zu gutmütig, Hugo, der sie für diese Domwanderung eingeladen hatte, den Abend zum Schluß noch zu verderben. So mußte Anton sich bescheiden; aber das Geld schien ihm nun einmal in der Tasche zu brennen, denn er kaufte beim Verlassen des Festplatzes noch ein rotes Nelkensträußchen aus dem Korb einer Vierländerin und überreichte es Mariechen mit einer linkischen Galanterie.


 << zurück weiter >>