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Drittes Buch

Erstes Kapitel

Auf den Schuten, die sich in den Kanälen des Hammerbrooks, hier in langer Kette aneinanderreihten, dort Bord an Bord drängten, lag die Sonntagsruhe. Die tiefen Nachmittagsschatten eines noch milden, aber feuchten Oktobertages hüllten diese Wasserstraßen ein, in deren trüben Fluten sich hier und da schon ein Licht spiegelte, das aus dem Fenster einer Hinterwohnung schimmerte; früh dunkel wurde es in diesen Stuben, in denen man doch gern mit Licht und Feuerung sparte. Arbeiterbevölkerung, die ihren Pfennig zusammenhalten muß, hauste in den großen, tristen Häuserblöcken, die diese Kanäle einfaßten. Das Volk der Wasserkante drängte sich hier in engen Wohnungen zusammen. Hafenarbeiter vor allem, dann Maschinisten, Trimmer und Heizer, alles was auf dem Wasser sein Brot suchte und für kargen Lohn fand, bevölkerte, ja übervölkerte diesen Stadtteil, der sich aus dem einstigen Sumpf- und Wiesenland allmählich heraushob.

Als noch die Frösche hier quakten und die Salamander hier huschten, als noch die gelben Sumpfdotterblumen hier leuchteten und allerlei Getier der Lüfte, Falter und Vögel, Bienen und Libellen, sich spielend drüber hinbewegte, da war es gewiß schöner hier. Aber die Riesenstadt mußte sich ausdehnen, wollte sie nicht in ihrem zu eng gewordenen Kleide ersticken. Jetzt durchzogen breite Kanäle, durch kleinere miteinander verbunden, dieses ehemalige Reich der Frösche, das durch Aufdeichung trocken gelegt worden war, und die idyllische Musik der Urbewohner wurde längst von der rauschenden Symphonie der Arbeit abgelöst, zwischen deren harten, tapferen Klängen die Molltöne menschlichen Jammers hier leise aufklingen, dort dumpf herauftönen.

Der Schein eines der früh aufflammenden und im trüben Kanalwasser sich spiegelnden Lichter fiel an diesem Oktobernachmittag aus Hugo Winsemanns Zimmer. Es war ein einfenstriger, schmaler aber behaglicher Raum, von dessen weißgetünchter Decke die kleine Hängelampe auf den Tisch herabhing, über den eine weiß und rot gewürfelte Decke gebreitet war. Eine braune Kaffeekanne stand auf dem Tisch, an die drei geleerte Tassen hinangeschoben waren, zum Zeichen, daß man genug getrunken hatte.

In der einen Ecke des kleinen Haartuchsofas saß Hugo Winsemann selbst mit einem Buch in der Hand, in der andern Christian. Auf dem einzigen Stuhl aber hatte ein großer vierschrötiger Mensch vor dem Tisch Platz genommen, mit aufgestützten Ellbogen, die Zigarre im Mund. Das war Wilhelm Kröger, der Schlosser, der den Sommer über mit Anton Krautsch zusammen gearbeitet hatte und gerade von ihm sprach.

»Dor sett se em sin Dickkopp noch torecht,« sagte er und versuchte Ringe zu blasen, wobei er den Mund gewaltig voll Rauch nahm. Es mißlang aber. Mit seiner Bemerkung mochte er aber nicht unrecht haben, denn Anton war vor ein paar Wochen nach Kiel abgedampft, um dort seine zwei Jahre in der Marine zu dienen.

Christian, der in den mächtigen Rauchwolken des Schlossers husten mußte, sah ihn mißbilligend an. »Dein Dickkopp is noch größer,« dachte er, »Anton wird schon durchkommen.« Er sah noch immer zu diesem auf und liebte ihn, obgleich sie sich noch immer nicht viel näher gekommen waren.

Hugo strich nervös seinen kleinen Schnurrbart, der ihm während der drei Jahre, die er nun schon mit der Mutter hier in Hammerbrook wohnte, gewachsen war, und ließ das Buch in der Hand auf und ab tanzen. »Fritz Kleesand hat ihn nur beschnackt, zur Marine zu gehen,« sagte er.

»Hat er auch,« stimmte Christian zu.

»Warum auch nicht?« meinte der Schlosser. »Für unsereins ist das lange nicht schlecht, als Maschinenmaat. Wenn er man bloß nicht kapituliert.«

»Kleesand bleibt ja wohl dabei?« fragte Christian.

»Der soll man bleiben wo er ist, den werden sie da auch schon zurechtzwiebeln.«

»Is dat ok so n Dickkopp?« fragte der Schlosser.

»Dickkopp nich, aber n Luftibus erster Güte,« erklärte Hugo.

Christian war mit seinen Gedanken bei Anton. Wie er wohl aussah in der Marineuniform. Schmuck natürlich. Daß der nicht frei kommen würde, war im voraus zu sehen. Aber Hugo hatten sie zurückgewiesen. Zu schmächtig. Und was sollten sie nun gar mit ihm, mit seinen zarten Gliedern und seiner schwachen Brust. Hugo hatte sich gefreut. Davon konnte bei Christian ja nicht die Rede sein. Es war ja nicht die leiseste Besorgnis gewesen, daß sie ihn nehmen könnten. Da war also für Freude, so oder so, kein Platz. Es stimmte ihn vielmehr traurig, daß er so war. So gar nicht stark und männlich wie Anton Krautsch. Und der Traurigkeit mischte sich ein wunderliches Schamgefühl bei, und er konnte doch nichts dafür, daß die Natur ihn so vernachlässigt hatte.

»Hest du noch wat in din Book dor, oder wat fuchtelst du dormit rüm?« fragte Wilhelm Kröger.

»Eins noch, aber es ist ja nicht nötig,« sagte Hugo und legte das Buch weg.

Christian widersprach. Aber der Schlosser meinte: »Sin Lex kann he ja, denn wüllt wi man forts n lüttn Lorbeerkranz mitnehmen. Dunner! Is ja Sünndag hüt! Ja, denn geit nich. Denn stülpt wi di n olln Hot up, so n Damenhot, mit bunte Blomen un Bänners.«

Christian und Hugo lachten süßsauer, und Christian zog die Uhr.

»Eine kleine halbe Stunde noch. Müssen wir auch schon hinüber?«

»Sie holen uns hier ab,« antwortete Hugo und stellte sich vor einen kleinen Spiegel, der in der Nähe des Fensters an der Wand hing, zupfte an seiner Kravatte und kämmte Haar und Bart mit einem kleinen Taschenkamm.

»Mak di man nich to fin,« sagte der Schlosser und erhob sich auch. Er reckte die langen Arme, daß er beinahe die Decke berührte. »Ick har eigentlich danzn wüllt hüt Abend, un nu sall man dor sittn un sall sick anquasseln latn.«

»Es zwingt Sie ja keiner dazu,« sagte Christian.

»Zwang, ne Zwang is nich dorbi, aber wenn man nu mal Mitglied is.«

»Gefällt es Ihnen denn nicht bei uns?«

»Gefallen? O ja, gefallt mi schon.«

Er wandte sich ab und ließ den Blick über die Wände gleiten.

»Se hebbn sik ja orig veel Biller hinhängt,« meinte er, und sah sie sich der Reihe nach an, wobei er vor jedem Bild erst den Mund voll Rauch nahm und ihn langsam ausstieß.

»Scheune Biller.«

Christian hatte das Buch genommen und blätterte darin. Es waren Geibels Gedichte, aus denen Hugo heute abend noch den Tod des Tiberius vortragen wollte. Es war die Eröffnung des neugemieteten Volksheimsaales, zu der sich die jungen Leute gerüstet hatten. Hugos Mutter wollte auch mitgehen, ebenso Frau Mau und Mariechen, die ja auf der anderen Seite dieser Etage wohnten.

Christian hatte gerade das Buch aus der Hand gelegt und sich auch erhoben, als an die Tür geklopft wurde, und noch vor Hugos »Herein« trat Mariechen Mau ins Zimmer, fuhr aber gleich wieder zurück.

»Puh! Was n Qualm!«

Sie schien jetzt erst den paffenden Schlosser zu gewahren.

»Ach so! Tag Herr Kröger. An Sie hab ich gar nicht mehr gedacht. Dann is s ja kein Wunder.«

Und als Christian hustete, fuhr sie fort zu schelten.

»Sie könnten auch etwas Besseres tun, als in solchem Stinkstank sitzen.«

Sie stieß das Fenster auf. Aber ein Windstoß machte die Lampe flackern und Hugo meinte: »Zug ist auch nichts für den Husten.«

So schloß sie es gleich wieder.

»Nehmen Sie man n par Brustbonbons mit, oder n par Lakrizen.«

»Woher nehmen, Sonntags gibt es nichts.«

»Dann hab ich noch welche. Geht nichts verkehrt!«

Und damit war sie wieder zur Tür hinaus.

»Famose Deern,« sagte der Schlosser.

Die anderen sagten nichts, aber man sah es ihnen an, daß jeder auf seine Weise zustimmte, Christian mit einem leichten Erröten – galt doch ihm die Aufmerksamkeit des Mädchens in diesem Augenblick – Hugo mit einem glücklichen, überlegenen Schmunzeln, das deutlich sagte: Das weiß keiner besser als ich.

Und ne famose Deern war es, die dann nach ein paar Minuten wieder ins Zimmer trat und Christian eine kleine Blechdose mit Salmiakpastillen hinhielt.

»Da stecken Sie sie man bei. Ich sing heute das hohe C, sehen Sie?«

Sie sang ein paar hohe Töne und mußte nun doch husten, weil ihr von dem Tabaksqualm in die Kehle gekommen war.

»Schnell, schnell,« winkte sie mit Wort und Hand, und nahm Christian das Döschen wieder ab.

»Auch gefällig?«

Sie bot dem Schlosser an, aber der zog eine Grimasse. Hugo jedoch nahm nach kurzem Besinnen.

»Der nimmt alles, was ich ihm in den Mund stecke,« scherzte sie.

»De Happn sind mi to lütt,« lachte der Schlosser.

»Sie wolln gleich so n Eisbein mit Sauerkraut, nicht wahr? Und dann gleich noch was hinterher?

»Langt noch nicht, Fräulein.«

Mariechen schickte sich an, das Kaffeegeschirr abzuräumen.

»Laß das doch, das kann ja doch Mutter tun,« sagte Hugo. »Deine Mutter hat noch mehr zu tun. Du hast hier gar nichts zu sagen,« wies sie ihn zurück. Sie strich mit rascher Hand die Kuchenkrümel von der Decke auf einen Teller und setzte die Tassen ineinander. Alle ihre Bewegungen waren flink und sicher. Mariechen war in den drei Jahren noch gewachsen. Sie war jetzt ein großes schlankes Mädchen mit gefälligem, lebhaftem Wesen und einem hübschen, frischen Gesicht. Sie trug heute eine glatte, anschließende graue Taille zu einem schwarzen Rock. Alles war schlicht und in den Farben etwas trist, aber von ihrem munteren, sommersprossigen Gesicht, dem fast rotblonden Haar und den hellen, blauen Augen ging es wie ein sonniger Schimmer über die ganze Gestalt und ließ keinen Wunsch aufkommen, sie etwa anders gekleidet zu sehen. Hugo sah sie sogar am liebsten in diesem Kleide. Ein schmaler weißer Halskragen vermittelte glücklich zwischen dem Grau der Taille und dem zarten rosaüberhauchten weichen Wangen. Eine kleine oxydierte Brosche, in Gestalt einer Schwalbe, ein vorjähriges Geburtstagsgeschenk von ihm, sah er immer mit besonderer Freude bei ihr. Sonst trug sie keinen Schmuck und bedurfte auch keines.

Wilhelm Kröger öffnete ihr galant mit einem unbeholfenen Kratzfuß die Tür, als sie das Kaffeegeschirr hinaustrug.

»Ich mach mich gleich fertig, Mutter ist auch wohl schon so weit,« rief sie zurück.

»Ein Viertelstündchen noch,« meinte Hugo.

»Nee, nachher kriegen wir keinen Platz, man nich wieder so nödeln.«

*

Drei Jahre lang wohnten Winsemanns und Maus hier zusammen in einem Haus. Der Abschied von Ohlsens Gang war ihnen allen nicht leicht geworden. Die Alten hatten da ihre schwersten Tage durchlebt, und das gibt auch einen Kitt, der nicht bröckelt, und den Jungen war jener Winkel ihr Kinderparadies gewesen. Sie alle dachten noch oft an Ohlsens Gang. Ihre Erinnerung, ihre Träume bauten die alten Häuser wieder auf und ergingen sich in den liebgewordenen Räumen. Und in ihren Erinnerungen und Träumen lebte der breite Strom, das Getöse von daher, all die Pfeifen und Sirenen und Glocken, und der freie Wind, der durch die Masten pfiff, und der hohe weite Himmel, der dort immer das Gefühl der Freiheit und Ferne gab, wenn er sich auch in einen Dunst von hundert Schornsteinen und in einen trüben Wolkenschleier hüllte.

Hier, zwischen diesen hohen Steinmauern, sahen sie nur immer ein langes schmales Streifchen Himmel, länger und breiter, als sie es über Ohlsens Gang sahen; aber es blieb immer dasselbe, hier etwas länger, dort über den Kanälen etwas breiter. Und dunstig und trüb war es auch meist. Und zwischen den Häusern war es dumpfig und kalt und öde trotz all des Lärmes, der auch hier herrschte, und der Wind, der hier um die Straßenecken sprang, war nicht der freie Wasserwind von da, er war ein frecher Straßenjunge, der einen mit Staub bewarf.

Ja, Lärm war auch hier genug. Hier wohnten viele, viele Leute, mit vielen, vielen Kindern. Und sie waren früh auf, vor Tagesgrauen, wenn die Arbeit sie rief, oft nach weit entlegenen Arbeitsstätten, und spät in der Nacht beendeten manche erst ermüdet, mit knickenden Knien, ihren weiten Heimweg. Und hier war Wirtschaft an Wirtschaft, zur ebenen Erde und in Kellern, denn all diese schwer arbeitenden Menschen wollten Erholung und Zerstreuung außerhalb ihrer engen, meist überfüllten vier Wände, wollten auch ihr Vergnügen haben. Blumen und Rasen und Springbrunnen gab es hier nicht, nicht einmal freie Plätze, wo die Kinder sich austoben konnten. Hier gab es nur Kneipen, in denen die Männer bei Grog, Bier und Karten saßen; Straßen, auf denen Männer und Frauen umherstanden, rauchten, klöhnten, spuckten und den lauten Spielen der Kinder zusahen, deren Schreien sich mit dem Lärm der Fuhrwerke und dem vielstimmigen Rufen der Karrenhändler vermischte.

Schwere Lastwagen rollten auch hier; denn die Kanäle waren ebensoviele Arme, mit denen der Handel bis in diese entlegenen Stadtteile hineingriff. Und von diesen Kanälen her klang so gut wie damals vor Ohlsens Gang das Pfeifen und Tuten der Schlepper, und wer darauf achtete, unterschied davon das Pfeifen der Lokomotiven, die im Süden des Hammerbrooks ihre Wagen nach Berlin schleppten und im Norden ihre Ein- und Ausfahrten vom Lübecker Bahnhof her meldeten. Aber es achtete kaum einer darauf. Was ist der einzelne Ton in diesem unendlichen Konzert des arbeitenden Lebens! Und hier klang alles noch wirrer, wie die Musik schlecht geübter Musikanten, oder wie die Musik in einem Raum mit schlechter Akustik, wo sich die Schallwellen an allen Ecken und Wänden hilflos brechen und unglücklich durcheinander taumeln. Gefangen zwischen diesen hohen, schmucklosen, einförmigen Steinwänden fehlte dieser Musik der freie Ton, der große Atem, den sie weiter abwärts über dem breiten Strom besaß. Hier war ein Druck auf allem, eine Beklemmung. Das Atmen war hier schwer. Man gewöhnte sich ja, und es kam einem nur zum Bewußtsein, wenn man von anderswo herkam.

Aber wieviel Jugend und Frische gehörten dazu, sich hier so fröhlich und freudig zu erhalten wie Mariechen Mau! Eine Frische, von der man sogar noch abgeben konnte. An Mariechen Maus Fröhlichkeit und Freudigkeit war ihre Mutter wirklich ein wenig aufgelebt, hatte Frau Winsemann ihren ergebenen Gleichmut wieder gefunden und hatte Hugo immer wieder das stille Feierflämmchen entzündet, mit dem er sich Mariechens Bild zum Ideal aufhellte.

Ihr Verkehr war wie zwischen Bruder und Schwester. Das »Du« war geblieben, auch als Hugos Schnurrbart sproß und er vom Lehrling zum Gesellen avanciert war, der jetzt in einer großen Kunsttischlerei ihm zusagende Arbeit gefunden hatte. Er wohnte bei der Mutter, der er als Mieter eine willkommene Stütze war, und fühlte sich unter einem Dach mit den wenigen Leuten, die seinem Herzen nahe standen, glücklich.

Die beiden alten Frauen führten jetzt ein verschöntes und gesicherteres Leben, da die Kinder fürs Tägliche mitsorgten. Frau Winsemann verdiente sogar ein ganz nettes Geld mit ihrer Weißnäherei, so daß sie jetzt mit Hugos Beihilfe ein wenig zurücklegen konnte. Wie lange hatte sie kein Sparkassenbuch besessen. Jetzt lag eins wohlverwahrt, in ein buntes Taschentuch eingeschlagen, in der Kommode; ihr geheimer Stolz und ihre große, stille Freude, freilich auch der Wecker mancher trüber Erinnerung, wenn sie daran dachte, wie früher immer das Aufsammeln der Sparpfennige an dem Durst ihres Seligen gescheitert war.

Frau Maus Einkünfte waren geringer. Hier mußte Mariechen das meiste verdienen, die auch nicht litt, daß die Mutter sich mehr als nötig außer den häuslichen Arbeiten aufbürdete. »Was brauchen wir groß?« pflegte sie zu sagen. »Verdiene ich nicht genug für uns zwei Frauen? Staat brauchen wir nicht zu machen, satt werden wir und schmecken tut es auch. Will mich einer heiraten, so halt ich ihm mein Sparkassenbuch mit 28,37 Mark unter die Nase. Dann nimmt er mich entweder sicher oder sucht sich eine andere.«

So stand sie denn täglich vor der Waschbalge und am Plättbrett, war früh auf und machte spät Feierabend und brachte es mit ihrem Fleiß zu einem täglichen Verdienst von vier bis fünf Mark.

»Ist das nicht genug für zwei alte Frauenzimmer?«

Und Frau Mau lohnte es ihr mit einem ihrer stillen Blicke, womit ihr Herz zu sprechen pflegte, und dachte: Ganz der Vater. So konnte der auch reden. Fröhlich, tapfer, mit wenigem zufrieden, so war auch er. Und diesen Schatz hat er mir hinterlassen, daß ich in meinen alten Tagen nun Gutes davon habe. Als Hugo ins Haus zog, hatte auch Frau Mau das freudig begrüßt. Es war jetzt doch etwas Männliches da. Frauen brauchen oft mal Rat und Beistand eines Mannes. Hier war mal mit dem Hauswirt zu verhandeln, da mal eine handwerkliche Frage oder irgend etwas, was man lieber in Männerhände legt.

Der vertrauliche, fast geschwisterliche Verkehr, der sich von Ohlsens Gang her hier zwischen Hugo und Mariechen weiter spann, machte ihr keine Sorgen. Für Mariechen legte sie die Hand ins Feuer. Und im übrigen meinte sie, feine Augen und Ohren für dergleichen zu haben. Von Mariechens Seite wurde dem Hugo wirklich nichts weiter als geschwisterliche Vertraulichkeit entgegengebracht; wie es um ihn stand, wußte sie freilich nicht recht, aber jedenfalls war er ehrlicher Gesinnung, und sollte sich da doch mal etwas anspinnen, große Ansprüche dürfte Mariechen nicht machen. Ein Graf würde nicht kommen, und Mariechen sah auch nach keinem aus.

Auch das war eine Errungenschaft, daß sie jetzt durch Hugo manchmal hinkamen, wohin sie als Frauen allein sich nicht getraut hätten. Er war mal mit ihnen in einen Biergarten gegangen oder ins St. Georger Tivoli, hatte sie nach Wandsbek und an die Bille geführt, wohin sie ja freilich auch hätten ohne ihn gehen können, aber die Anregung machte es doch meistens. Und dann kostete alles nicht so viel, man konnte es sich ein paarmal im Jahre leisten.

Jetzt hatte auch das Volksheim – so hatten Herr Heinrich und Pastor Collasius ihr Unternehmen getauft – seine Tätigkeit hier heraus verlegt, ein geräumiges Lokal gemietet, und auch den Frauen und Mädchen Gelegenheit geben können, an dem Guten, was es zu bieten hatte, Anteil zu nehmen. Das alles brachte ein Anderes, Neues, Farbiges in das bisher so eintönige Leben der drei Frauen. Es wehte eine frischere Luft, schien eine wärmere Sonne in ihr Heim und in ihre Herzen.

Heute war nun ein besonderer Tag. Sie wußten von Christian, daß auch dessen Meistersleute, ja wahrscheinlich auch Tischler Behrens und Frau kommen würden, um der Einweihung dieses neuen Volksheims beizuwohnen. Herr Heinrich und Pastor Collasius hatten Einladungen ergehen lassen, und auch Hugo hatte dafür gesorgt, daß sein Auftreten in den Kreisen seiner früheren Tätigkeit rechtzeitig und ausgiebig bekannt würde. Vielleicht trafen sie also gar noch mehr Bekannte aus dem alten Hafenstraßenwinkel wieder, vielleicht gar Mutter Krautsch.

Aber Mariechen meinte, ohne Anton würde die wohl nicht kommen.

»Tut sie auch wohl nicht,« pflichtete Frau Mau bei, »so allein den weiten Weg in der Bahn.«

»Na, das ist es wohl nicht,« meinte Mariechen, »aber sie hat's ja nicht nötig.«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, sie sitzt im Fett. Volksküchen sind für Hungerleider.«

»Da hast du wohl recht,« sagte Frau Mau und setzte sich ihren Sonntagshut mit der schwarzen Feder auf, natürlich wie immer zu weit in den Nacken, so daß Mariechen ihn ihr nach vorn rücken mußte.


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