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Luff stemmte die Ellenbogen auf den Tisch.
»Sie, sagen Sie mal!« schnaufte er. »Wer führt diesen Fall? Sie oder ich? Ich verhafte, wen ich will. Kapiert?«
Ballinger begegnete Luffs Wut mit amüsiertem Lächeln.
»Natürlich«, erwiderte er, »verhaften Sie nur drauflos. Zum Schluß bleibt keiner mehr übrig. Und was dann?«
Statt einer Antwort riß Luff das Mittelfach seines Schreibtisches auf, holte einen Stoß Polizeiberichte heraus und streute sie über die Tischplatte.
»Da, nur damit Sie sehen, was Sie für einen Unfug reden«, knurrte er. »Hier sind die Recherchen über alle in Frage kommenden Personen, die um die Mordzeit im Hause waren.«
Er hielt das erste Blatt hoch. »Armando hat ausgesagt, daß er um drei Viertel drei zu Hause war. Clavin hat nachgeforscht und herausgefunden, daß es absolut wahr ist. Dann ist da von Oefele. Sein Nachtportier bestätigt seine Aussage, daß er lange vor drei Uhr zu Hause gewesen ist.« Er blätterte gereizt die anderen Berichte durch. »Und genau so ist es mit Redstone und Doris Nielan. Übrig bleibt allein Ruth Raynor. Und Sie können mir nicht erzählen, daß es eine Frau getan hat. Sie selbst haben mir ja zugegeben, daß der Täter eine ganze Menge von Dolchen und solchem Kram gewußt haben muß; na, und welche Frau tut das?«
Ballinger nickte ernst.
»Und um welche Zeit ist nach Ihren Recherchen Porcell zu Hause gewesen?«
»Um drei Viertel drei. Aber wir wissen ja, daß es nicht stimmt.«
Ballinger stand unvermittelt auf«.
»Und woher wissen Sie dann, daß Ihre anderen Recherchenprotokolle da nicht auch falsch sind?«
Luff starrte betroffen auf das Papierbündel vor sich und suchte nach einer Antwort, als Mike Clavin eintrat.
»Hab' eben gehört, daß Sie nach Redstone geschickt haben, Chef«, sagte er. »Haben Sie irgend was Belastendes herausgefunden?«
»Weiß noch nicht«, brummte Luff. »Aber vielleicht nachher.«
Clavin warf seine riesige Gestalt in den Stuhl neben dem Schreibtisch und zündete sich eine Zigarre an.
»Wissen Sie«, er schob sich an Luff heran, »ich habe den Jungen auch schon in Verdacht. Aber der ist ein ganz gewitzter Kerl.« Er schüttelte mit offensichtlichem Unbehagen den Kopf. »Jawoll, verdammt gewitzt. Hab' doch tatsächlich bis jetzt nichts gegen ihn herausknobeln können. Dabei habe ich so das Gefühl, daß sein Nachtportier nicht so ganz die Wahrheit gesagt hat, mit der Zeit und so ... Aber um das aus dem Kerl rauszukriegen, muß man schon andere Tricks anwenden, als unsereiner es darf. Versucht hab' ich alles mögliche ...«
»Gar nichts über ihn rausbekommen?« fragte Luff. »Nichts in seiner Vergangenheit, was uns einen kleinen Fingerzeig geben könnte?«
Clavin kaute mißmutig auf seiner Zigarre herum.
»Nichts von Wert. Nur das alte Zeug über ihn und die Raynor, daß er früher was mit ihr gehabt hat und letzthin immer hinter der Bancroft her war. Na, und daß er in der Mordnacht einen kleinen Streit mit ihr gehabt hat, wissen wir ja schon von dem Mädel. Das wäre so ziemlich alles über ihn. Hat auch noch nie was mit den Behörden zu tun gehabt, was man von ein paar von den anderen nicht behaupten kann.«
Er blätterte mit angefeuchtetem Zeigefinger in seinem Notizbuch.
»Dieser Armando da beispielsweise ist ganz und gar nich' so'n liebenswürdiges Jüngelchen, wie man sich das einbilden könnte. Da hat er doch vor ein paar Jahren 'ne Messerstecherei wegen einer Kabarettänzerin gehabt und hat einen Kerl über den Haufen gestochen.«
Luff spitzte die Ohren.
»Jemand über den Haufen gestochen?«
»Jawoll. In die Schulter. Der andere hat sechs Wochen im Krankenhaus liegen müssen.«
»Und ist er denn nicht verurteilt worden?«
»Nee, der andere hat seinen Strafantrag zurückgezogen. Warum, weiß ich nicht.«
Ballinger mischte sich ein.
»Das kann ich Ihnen sagen. Das Mädchen, um das es ging, heiratete den anderen, noch bevor er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Weil sie in der Tatsache, daß der Mann um sie gekämpft hatte, den Beweis lauterster Liebe zu erblicken meinte. Na, und vor lauter Dankbarkeit verzichtete das gestochene Kalb auf eine Bestrafung von Armando.«
Luff sah ihn überrascht an.
»Du lieber Gott«, Ballinger lächelte vielsagend, »man hat so seine Quellen.«
Inspektor Luff wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Er hatte Ballingers mokanten Ton deutlich herausgehört, erinnerte sich aber nicht gleich an Ballingers von ihm so bekrittelten Gang zum Zeitungsarchiv.
»Also in Zukunft«, sprudelte er gereizt heraus, »wenn Sie noch einmal so was herausfinden, dann haben Sie wohl die Güte, mir das zu erzählen.« Er wandte sich wieder an Clavin. »Na, und wenn es weiter nichts beweist, dann wissen wir jetzt wenigstens, daß er ziemlich behende mit dem Dolch ist.«
Clavin stimmte schwerfällig zu.
»Das Dumme ist nur«, setzte er hinzu, »daß für diesen von Oefele das gleiche gilt. Ich habe nämlich entdeckt, daß er in Heidelberg studiert hat und ein ziemlich verschriener Raufbold war. Hat einen tollen Ruf als Säbelfechter gehabt. Sein Körper soll aussehen wie 'ne Landkarte vor lauter Narben. Und dann ist er ganz und gar nicht so oberflächlich mit der Bancroft befreundet gewesen, wie er uns glauben machen wollte. Vor ein paar Jahren haben die beiden ziemlich eng zusammengesteckt, und die Verbindung miteinander haben sie eigentlich nie verloren.«
Inspektor Luff warf sich im Stuhl zurück.
»Du großer Gott!« stöhnte er. »Jetzt kommt auch noch Oefele dazu. Wer wird nun der nächste sein? Porcell, Redstone, Armando, Oefele und die Raynor. Und jeder von ihnen kann es getan haben. Wo kommen wir bloß hin? Wohin? Ich frage Sie.« Er sah hilflos zu Ballinger. »Das ist die verdammteste Klemme, in die ich je geraten bin.«
Wieder seufzte er schwer auf.
»Porcell gibt zu, daß er in der Bancroft-Villa war, nachdem schon jeder gegangen war. Redstone kann auch da gewesen sein, das liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit. Armando war kurz vor dem Mord in der Nähe, denn er hat Ruth Raynor auf den Hausstufen gesehen. Und jetzt kommt auch noch dieser verflixte Pianist dazu.«
Er schüttelte trübselig den Kopf. »Es ist zu viel für mich. Ich schwöre Ihnen, es ist zu viel.«
Ballinger verbarg ein Lächeln.
»Und um allem die Spitze aufzusetzen, Inspektor«, mahnte er, »Sie haben auch nicht den geringsten Beweis dafür, daß es einer von ihnen getan hat. Wie die Dinge liegen, kann es auch ebensogut die Haushälterin wie das Dienstmädchen gewesen sein. Oder die scharmante kleine Nielan.«
Luff griff zu einem Briefbeschwerer.
»Hören Sie auf, zum Donnerwetter!«
* * *