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Es war gegen die Mittagszeit, als Inspektor Luffs mächtige Limousine vor einem alten Sandsteinhaus des oberen Broadway vorfuhr. Ballinger sprang heraus, bevor der Wagen noch endgültig hielt, und lief die Stufen zur Haustür hinauf. Zögernd kam Luff aus dem Wagen geklettert. Er betrachtete mißtrauisch die vernachlässigte Fassade, die verschmutzten Fenster und das verwitterte Pappschild: »Zu verkaufen.«
»Sagen Sie mal!« rief er in tiefster Verwunderung zu Ballinger hinauf, der in seinen Hosentaschen nach einem Schlüssel fischte. »Was soll denn das alles?«
Ballinger hatte den Schlüssel gefunden und steckte ihn ins Schloß.
»Halten Sie uns nicht durch unnötige Fragen auf«, rief er jungenhaft, »und kommen Sie rauf.«
Kopfschüttelnd gehorchte der Inspektor.
Kreischend öffnete sich die alte Eichentür, und die beiden Männer traten in einen halbdunklen, modrig riechenden Vorraum, von dem aus am entferntesten Ende eine breite Treppe in eine spinnwebenverhangene Dunkelheit führte. Wie die Tür, so erhoben auch die Treppenstufen knarrenden Protest gegen ihre Benutzung. Am Ende der Treppe ging Ballinger einen engen Korridor entlang bis zu einer rückwärtigen Tür. Durch sie traten sie in einen weiten und hohen Raum, in dem helle Sonnenstrahlen tanzten, die durch die zwei hohen Fenster an der Seitenwand hereinfielen.
»Es war mal ein Schlafzimmer«, erklärte Ballinger und sah sich um. »Und was für ein Schlafzimmer!«
Wie Beverley Bancrofts Schlafgemach im anstoßenden Hause hatte der Raum fast die Größe einer ganzen modernen Wohnung. Ein marmorner Kamin, schwarzgrau vor Staub, sprang aus der Rückwand hervor. Die zwei Fenster, die fast bis zur Decke reichten, führten auf den Hof.
Luff sah sich mit verständnislosem Gesicht um.
»Nun sagen Sie bloß, was Sie hier wollen! Ein ganz nettes Schlafzimmer. Aber was schon weiter?«
Er blickte von den zerschlissenen Tapeten auf die dicken Spinnenweben in den Ecken. »Nur ein bißchen renoviert müßte hier werden, bevor ich einziehe.«
Ballinger ging zu dem Fenster, das der Tür am nächsten war. Er reckte sich auf die Fußspitzen und untersuchte den rostigen Fensterriegel. Streifen in der dicken Staubschicht, die auf ihm lag, bewiesen, daß er vor nicht allzu langer Zeit berührt worden war. Auch das Fensterbrett war an verschiedenen Stellen staubfrei, als ob jemand sich daran gelehnt hätte.
Ballinger trat einen Schritt zurück und winkte dem Inspektor. Dann zeigte er auf das Fenster des Nachbarhauses, das direkt gegenüber lag.
»Dieses Fenster dort«, sagte er leise, »gehört zu Beverley Bancrofts Schlafzimmer. Und zwar ist es das Fenster, neben dem sie tot aufgefunden worden ist.«
»Na ja und?«
»Begreifen Sie denn nicht?« Ballinger riß Luff an den Schultern herum. »Der Mörder war in jener Nacht in diesem Zimmer.«
»In diesem Zimmer?«
Ballinger nickte.
»Jawohl, in diesem Zimmer.«
Inspektor Luff trat nahe an das Fenster. Sein erstes ungläubiges Lächeln war ihm auf dem Gesicht eingefroren.
»Sie meinen also«, fragte er etwas erregt, »daß der Mörder von hier aus eine Planke zu ihrem Fenster legte?« Er schüttelte heftig den Kopf in plötzlich aufschießendem Zweifel. »Nein, das müßte schon eine verdammt riesige Planke sein. Bis nach drüben sind es ja mindestens zwanzig Meter. Und dann, bei dem massigen Brett, das der Mörder benutzt haben müßte, wären auf jeden Fall drüben am Fenster Spuren zurückgeblieben. Und wir haben keine gefunden.«
Ballinger schüttelte ernst den Kopf.
»Nein, er hatte es nicht nötig, eine Planke zu benutzen. Er hat den Dolch – geworfen. Wie ich Ihnen gestern an Ihnen selbst demonstriert habe, konnte ein so horizontaler Stich unmöglich anders ausgeführt werden ...
Beverley Bancrofts Mörder war in der Mordnacht in ihrem Hause. Er war einer der Gäste. Und während die letzten von ihnen gingen, schlich er sich in dieses Haus und postierte sich hier an diesem Fenster. Wie die Spuren da in der Staubschicht beweisen, riß er das Fenster weit auf ...«
Er hob abwehrend die Hand.
»Nein, nein, keine falschen Hoffnungen. Fingerabdrücke finden Sie nicht. Er hat zweifellos Handschuhe getragen ...
Hier also wartete er; mit dem Dolch in Wurfbereitschaft. Nach einiger Zeit kam Beverley in ihr Schlafzimmer. Sie ging zum Spiegel vor der Kommode, nahm Halskette und Armbanduhr ab und begann ihre Ohrringe herauszudrehen. Sie bot sekundenlang dort drüben im Fensterausschnitt ein vorzügliches Ziel, und so – schleuderte er den Dolch.«
Luff schlug sich an die Stirn.
»Der Spanier ist's! So sicher wie ich hier stehe! Diese Burschen sind doch die geborenen Messerwerfer. Aber wie – wie ist der Kerl hier hereingekommen?«
Ballinger hielt einen Schlüssel hoch.
»Das war kinderleicht«, antwortete er. »Das Haus steht zum Verkauf, und zwar hat es die Immobilienfirma Billings & Cross in Kommission. Ich habe mir heute morgen da den Schlüssel geholt und mir gleichzeitig meinen Verdacht bestätigen lassen. Der Mörder hat sich vor einer Woche von einem Angestellten durch das Haus führen lassen; und zwar unter der Vorgabe, er wolle es kaufen. Es war eine Kleinigkeit für ihn, den Schlüssel so lange zwischen den Fingern zu behalten, bis er in der Tasche einen netten Wachsabdruck gemacht hatte. Uralter Trick natürlich!«
Luffs Augen hingen an seinen Lippen.
»Und sein Name? Ist es Armando?«
Ballinger ließ den Schlüssel in die Tasche zurückgleiten.
»Den Namen weiß ich«, lächelte er. »Aber bevor Sie ihn erfahren, dürfte noch einige Zeit vergehen.«
»Sie, das grenzt an Begünstigung.«
»Na schön. Dann komme ich eben auch ins Kittchen. Aber ich will Ihnen noch eine kleine Lektion erteilen, Luff, das lasse ich mich gern etwas kosten.« Er schüttelte den Rockärmel zurück und sah auf seine Uhr. »Es ist jetzt genau ein Uhr. Um zwei Uhr sollen Sie den Namen des Mörders wissen. Und jetzt wollen wir hinübergehen zur Bancroftvilla, denn sonst wird unser Freund Berenson nicht eingelassen.«
* * *