Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Er holt sich Zwirn.

Der Bericht des schweizerischen Obersten Karl Müller über den bayerischen Landwehrmann, der auf eigene Faust patrouillieren gehen wollte, erinnerte mich lebhaft an ein Ereignis aus dem Siebziger Kriege, das seinerzeit in der Heimat in aller Munde war.

Der Kohler Wastl von der Waldeinöde Königsbach, zwischen dem Brettbach- und Limbachtale, war körperlich ein baumlanger Kerl mit Nerven, die herhielten wie ein neues hanfenes Heuseil und mit Sehnen, die in schwerer Bauernarbeit gestählt waren, so daß ihm die vier Monate im Felde trotz aller Schwierigkeiten noch nichts anhaben konnten. Geistig allerdings war er nicht ganz so gut gestellt; für den gewöhnlichen Lebensbedarf reichte es allerdings aus, wenn er auch die Gescheitheit nicht mit dem Muslöffel zu kosten bekommen hatte.

Da hatte nun die Infanteriekompagnie, bei der Wastel als Flügelmann eingestellt war, wieder einmal einen schweren Marschtag hinter dem sich zurückziehenden Feind her; quer durch Feld und Wiesen ging es, was die Beine leisten mochten; mitten drinnen stellte sich auch noch ein Bächlein entgegen, nicht gerade tief, aber breit genug, daß es eines starken Sprunges bedurfte, um jenseits trocken zu landen. Manch ein Kamerad plumpste denn auch ungeschickt ins Wasser, aber Wastl nahm mit seinen langen Beinen einen solch kräftigen Anlauf, daß er glücklich drüben auf dem Trockenen landete. Die Wucht des Sprunges warf ihn allerdings auf die Knie nieder, so daß seine Nase fast den Erdboden berührte und trotz des Lärmes ringsum glaubte er dabei einen leisen Krach auf seiner Hinterseite zu vernehmen. Er krabbelte rasch auf, um vorwärts zu eilen, aber schon nach wenigen Schritten mußte er die Bescherung vermerken, welche ihm der geglückte Weitsprung eingetragen hatte. Die beiden hinteren Hosenknöpfe waren zu gleicher Zeit abgesprungen und das Kleidungsstück, welches sie ordnungsgemäß in die Höhe halten sollten, folgte vorschriftswidrig dem natürlichen Gesetze der Schwere und behinderte ihn im Gehen. Wohl zog er es immer wieder hinauf und schnallte die Säbelgurte enger, aber auf die Dauer konnte auch dieses unbequeme Aushilfsmittel das Unheil nicht wenden. Da half er sich denn schließlich auf die Weise, welche er daheim auch so manches Mal angewendet hatte, wenn ihm solch ein loser Kerl davongesprungen war, ohne daß er gerade Zeit gehabt hatte, sich den Ausreißer gleich von der Mutterhand ersetzen zu lassen; er brach von einem Weidenbaume ein entsprechend Zweiglein ab, ließ sich durch einen Nebenmann mit dem Messer passende Löcher in das Beinkleid stechen, zwängte die Enden des Hosenträgers durch und versperrte ihnen den Rückweg durch die Holzknebel. Damit ging es denn auch ungefährdet weiter, bis es am Spätnachmittage hieß, sich für die kommende Nacht an einem Waldrande heimisch einzurichten.

Bald waren die nötigen Befehle dazu ausgeführt und während das Essen in den Feldkesseln brodelte, wollte Wastel den erlittenen Schaden ausbessern. Er holte aus seinem »Affen« das blauleinene Säckchen hervor, das ihm die sorgsame Mutter gefüllt hatte mit Reserveknöpfen, Zwirn und Nadeln, so dick wie ein Hirtenstecken nach ihrer Meinung, damit auch die ungeübte rauhe Kriegerhand damit noch hantieren könnte. Aber leider war der Zwirnvorrat verbraucht bis auf ein letztes Endchen, das noch in der Nadel haftete, aber nicht mehr hinreichte, um auch nur einen Knopf fest genug annähen zu können, denn Wastls Muttergabe hatte schon oft herhalten müssen auch für jene Kameraden, denen Mutterliebe und Frauensorge kein solch nützlich und nötig Ding mitgegeben hatte. Brummelnd barg er deshalb das Säckchen wieder im Tornister mit der stillen Hoffnung, daß sie bald wieder zu menschlichen Herdstätten kommen würden, wo man die nötige Ergänzung auf irgend eine Weise requirieren könnte.

Nachdem abgegessen war, wollte es sich Wastl bequem machen. Am grasigen Waldhange unter dem Schatten einer Buche fand er ein geeignetes Plätzchen, um zu rasten und zu duseln, bis der abendliche Appell rufen würde. Als er nun auf schiefer Ebene der Länge nach dalag, die Hände hinterm Kopf verschränkt und hinaufschaute zum Firmamente, wo unterm blauen Himmel lichtverklärte Schäfchenwolken dahinzogen und hinaus über das Ackergelände vor sich, da überkam ihn das wohlige Gefühl der Ruhe und redlich verdienten Rast für den müden Körper; aber auch geistigerweise stiegen liebe Bilder vor ihm auf. Das war derselbe weiß-blaue bayerische Himmel wie in der Heimat, und was vor ihm lag, war Ackerland gleich jenem seiner eigenen lieben Heimstätte und er mußte daran denken, wie er so oft daheim auch an lauen Sommerabenden noch draußen auf dem Hange des Angers gelegen hatte und glücklich und geborgen hinaufgeschaut zum reinen Himmelsblau und hinunter in das Limbachtal mit den grünen und gelblichen Fluren des väterlichen Gutes, die den Segen von ihrer Hände Arbeit trugen. Da steigt auch das Heimathaus vor seinem geistigen Auge auf und die Bilder all der Lieben, die dort hausen und schaffen; leicht kann er sich ausmalen, was sie jetzt daheim wohl tun und treiben werden nach der Art des altgewohnten Lebens. Bei diesem heimeligen Sinnen breiten sich unwillkürlich seine Arme aus und mit seiner ganzen Kraft beginnt er sich zu strecken und zu recken, als ob er so den trauten Heimatherd und all die Lieben darum liebend ans sehnende Herz pressen möchte. Leider waren seine Bewegungen für die improvisierten Hosenknöpfe zu kräftig; diese hielten dem Ansturme nicht stand, mit vernehmlichen Knacks brachen sie alle beide entzwei und weckten Wastl so recht unsanft aus seinem wohligen Träumen. »Höllteufel noch einmal,« greinte er mißmutig, »dös Glump hält alles nichts aus, an Zwirn muß ich hab'n, daß ich mir wieder die Knöpf g'scheidt annäh'n kann.« Ja! an Zwirn, sinnierte er weiter, aber woher nehmen, selbst wenn man ihn stehlen müßte. Da schien guter Rat teuer zu sein. Jedoch fiel ihm ein, daß bei dem Ausstellen der Vorposten davon die Rede gewesen, daß da vorne jenseits des Waldes ein kleines Dörfchen versteckt wäre, von dem man noch nicht sicher wisse, ob es wirklich von dem Feinde schon ganz sauber sei. Wie wäre es nun, folgerte er weiter, wenn er seine Beine hübsch auf die Achsel nähme und vorsichtig durch den deckenden Wald hinübereilte? Wo Häuser sind, wird auch Zwirn zu haben sein und seiner Not wäre damit abgeholfen. An der rechten Schneid dazu fehlte es ihm wahrhaftig nicht und wenn es sein müßte, würde er sich vor etlichen Franzosen auch nicht fürchten, namentlich nicht im Nahkampfe; das waren ja alle nur Kripperlmannl, die eine ordentliche Bayernfaust nicht zu scheuen brauchte. Gedacht und getan, ohne daß er von seinen Kameraden beachtet wurde. Nach einer halben Stunde eiligen Ganges kam er ungefährdet durch den Wald, wo nahe dem Waldessaume gleich ein stattlicher Bauernhof stand. Hof und Dörfchen aber lagen so stille, als ob alles ausgestorben wäre. Ohne Zagen schritt er darauf zu, kein Hund schlug an, kein Laut war vernehmbar. Erst guckte er nun zu den Fenstern hinein, aber alles schien menschenleer, auch ein kräftiger Faustschlag gegen die Tür weckte nichts als den leeren Widerhall. Da bedachte er sich nicht länger mehr, etliche wuchtige Stöße mit dem Gewehrkolben sprengten das Schloß der Tür und gewährten ihm den begehrten Einlaß. In der Annahme, daß ein französisches Bauernhaus nicht viel anders sein würde als ein bayerisches, ging er auf gut Glück suchen und entdeckte bald auch ein Wandschränkchen, das ebenso angebracht war wie bei Muttern daheim, wo sie ihr Nähzeug aufzubewahren pflegte. Und wirklich war es auch hier so; er fand darin alles, was sein Herz begehrte. »Siehstes,« sprach er beglückt vor sich hin, »es ist wahr, wer sucht, der findet,« und sogleich schickte er sich denn auch an, den verhaßten Schaden an seinem Beinkleide auszubessern. In der menschenleeren Bauernstube brauchte er von wegen der dazu nötigen Umkleidung sich nicht vor fremden Blicken zu scheuen. Als dies mit aller Gründlichkeit geschehen war, atmete er erst wieder froh auf, nahm sich von allem Brauchbaren einen gehörigen Vorrat mit und legte alles andere wieder in den Schrank zurück.

Nach dieser Tat wollte er sich gleich wieder auf den Heimweg machen, aber zur rechten Zeit besann er sich noch auch seiner soldatischen Aufgabe und mutig ging er von Haus zu Haus bis an das Ende des Dörfchens, aber überall fand er die gleiche Leere, kein Mensch in den Häusern, kein Tier in den Ställen, aber Heu und Stroh genug in den Stadeln. – Die Bewohner mußten alle geflohen sein und sich mit ihrer lebenden Habe versteckt haben. Diese Wahrnehmung machte ihn so sicher, daß er nunmehr nicht den Schleichweg durch den Wald einschlug, sondern sobald als möglich das offene Feld überquerte, um zu seiner Compagnie heimzukommen.

Vom Biwak aus sah man denn auch bald den langen Kerl in seiner still befriedigten Stimmung gemächlich herantrotten und Wastl war nicht wenig erstaunt, als er bei seinem Näherkommen von vielen neugierigen Augen verwundert und fragend angestarrt ward, und als ihn nun gar sein sonst so guter Hauptmann gleich hart anließ mit der Frage: »Wo er sich denn gegen alle militärische Vorschrift herumgetrieben habe?« da war er erst ganz betroffen, aber in dem Gefühle, kein wissentliches Unrecht begangen zu haben, kehrte sein Gleichmut bald wieder und mit seiner gewohnten Ruhe gab er die kurze, klare Antwort: »An Zwirn hon i mir g'holt, Herr Hauptmann!« Ob dieser verblüffenden Antwort war nun der Vorgesetzte baff und fragte hastig weiter: »Wo denn, warum denn?« »Ja no, Herr Hauptmann,« klärte Wastl in seiner trockenen Art auf, »meine Hosenknöpf san mir abgerissen g'wen, ich hätt' nimmer recht marschieren kinna; da hon i mir halt denkt, wo Häuser san, wird's an Zwirn a geb'n und da bin i halt in dös Dörferl drent umiganga und hon mir an g'sucht und g'funden hab i an a bald, so daß i mir gleich die Knöpf wieder ang'näht hon, daß 's mir nimmer so leicht abreißen.« Nach solcher Rede verzogen sich die Mienen der Zuhörer zu lachender Gebärde und der Hauptmann selbst konnte seinen strengen Ernst nicht mehr ganz wahren. »Menschenkind,« meinte er milde gestimmt, »du hast mehr Glück als Verstand gehabt.« Und als nun Wastl auf weiteres Befragen meldete, daß Wald und Dörfchen vollständig von Menschen verlassen sei, kein Feind zu sehen war ringsum, ja nicht einmal eine Katze mehr ihm über den Weg gelaufen wäre, während die Städel übergenug mit Heu und Stroh vollgestopft seien, da war ob der Wichtigkeit der eigenmächtigen Erkundung das Schuldkonto in des Hauptmanns Berechnung ausgelöscht und gutgestimmt gab er den Bescheid: »Kohler, für deine Dummheit hättest du eigentlich Strafe verdient, aber für dein geglücktes Unternehmen müßte ich dich belohnen, lassen wir also beides sich ausgleichen, du hast dir halt Zwirn geholt.«

Damit war für Wastl die Geschichte erledigt. Der Gedanke jedoch, daß man statt des freien Himmels ein gutes Dach über seinem Haupte haben und die müden Glieder in Heu und Stroh kuscheln könnte statt auf den harten Waldesboden, war verlockend genug, daß man nicht ungern noch einmal aufbrach und die kurze Strecke vorwärts ging. Das drollig-ernste Ereignis selbst aber sprach sich weit herum an den Lagerfeuern der Kameraden und das Scherzwort vom »Zwirnholen gehen« blieb lange Zeit die humorvolle Umschreibung für Patrouillendienst.

.


 << zurück weiter >>