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Lange, lange schon waren die Zeiten vorüber, wo man die Aufgabe des Wasenmeisters für einen ehrlosen Beruf hielt und der ehrsame Bürger und Bauersmann sich nach Möglichkeit hütete, mit dem Schinder und seinen Knechten in nähere Berührung zu kommen, gleich als ob ihre Anwesenheit allein schon die Luft mit üblem Geruch erfüllte und alles in der Umgebung unrein machte und doch wieviel hat sich hartnäckig forterhalten von dem Abscheu, der ihn einst umgab. Sein Name wurde noch oft nur als Schmähwort gebraucht, seine einsame Behausung war als unrein verschrien, seine Person war noch immer von einem abergläubischen Dämmerschein umgeben, als ob er noch stets mit allerhand geheimen Mitteln und Zauberkräften vertraut wäre, der Brotlaib durfte ja nicht auf die Oberseite gelegt werden, wie es einst der Bäcker für den unehrlichen Kunden getan hatte, und selbst heute noch, wo sein Betrieb mit dem modernen Krematorium ausgestattet ist, bereitet es noch manchem ein starkes Unbehagen, mit ihm auf der gleichen Bierbank zu sitzen.
So erging es auch ganz mit Unrecht dem Ulmer auf der Weitenhülle. Als dieser den Dorfschuster aufforderte, mit seinen Gesellen auch zu ihm für die allgemein übliche Störe zu kommen, um des Hauses Schuhbedarf aus den eigenen Ledervorräten zu fertigen, weigerten sich die Gesellen alle bis auf einen, dem Auftrage Folge zu leisten. Dieser eine aber übernahm die Aufgabe sogar sehr gern, denn er war mit dem Sohne des Ulmer schon von der Schulbank her befreundet, war seitdem des öfteren in dessen Elternhaus gewesen und hatte einsehen lernen, daß es dort allen Vorurteilen der andern entgegen um vieles reinlicher und sorglicher herging als in manch anderm Bauernhause und nichts in der Haushaltung daran besonders erinnerte, daß der Besitzer neben der Landwirtschaft auch noch der Aufgabe eines Wasenmeisters zu warten hatte. Nachdem er aber der einzige Arbeiter war, um alle die Stiefel und Schuhe auszubessern oder neuzufertigen, währte die Zeit seiner Störe um so länger und beide Parteien fühlten sich sogar sehr wohl dabei. Es mutete offenbar die einzelnen Glieder der Familie wohlig an, wenn sie es sich auch gegenseitig verbergen wollten, daß einmal ein Mensch gar keine Scheu und Abneigung vor ihnen hatte und sich nicht fürchtete am gemeinsamen Mahle teilzunehmen, obwohl er wissen mußte, wie so viele andere Menschen darüber dachten. Die Hausfrau sorgte aber auch übereifrig dafür, daß die leibliche Atzung des Schusters eine vollauf befriedigende war und Vater und Sohn boten ihm des Abends viel früher Feierabend an als herkömmlich war, um noch eine längere Weile in frohem Geplauder sich unterhalten zu können. Ja noch mehr! Wenn nach dem Mittagsmahle die übrigen aus der Stube getreten waren, kam die Hausfrau herein, legte dem Gesellen einen Sechser in die Hand, indem sie meinte: »Der Mann denkt wieder einmal nicht daran, daß du leicht auch eine Maß Bier möchtest, da hast du etwas dazu, kauf' dlr's ein andermal, aber sag' nichts davon, der Ulmer braucht es nicht zu wissen,« und wenn ihn abends der Hausherr um der Hunde willen allein noch zum Hoftor geleitete, drückte auch er ihm noch einen Zwölfer in die Hand, indem er wiederum meinte: »Mein Weib ist wohl etwas auf der sparsamen Seite und denkt nicht daran, daß sich auch eine Maß Bier gehörte, kaufe sie dir ein andermal, aber sie braucht nichts davon zu wissen.« So ging es in stiller Abmachung jeden Tag der Arbeit und wenn der letzte Tag der Störe da war, wußte auch der Sohn noch einen heimlichen Augenblick zu erhaschen, um dem Jugendgenossen einen halben Gulden zuzustecken als kleines Trinkgeld. »Vater und Mutter, meinte er dabei, vergessen darauf, daß ein junger Mensch auch sonst etwas zum Trinken brauchen könnte, nimm es, aber sage nichts davon!« Der Schustergeselle war dessen wohl zufrieden, daß ihm in diesem Hause mehr Sorgfalt und Freigebigkeit entgegengebracht wurde als je sonst irgendwo und treulich bewahrte er auch das dreifache Geheimnis, wenn ihn nach der Heimkehr in die Werkstätte seine Mitgesellen mit Schauergeschichten necken wollten. Er konnte leicht darüber lachen, weil er es durch Erfahrung besser wußte und seine Beteuerung, daß er gern dort gearbeitet hätte und ganz zufrieden sei mit den guten und braven Ulmerleuten, wollte den andern nicht zu Sinne. Sie überließen ihm auch fürderhin willig diese Störarbeit allein und ihm konnte es nur lieb und recht so sein.