Heinrich Federer
Umbrische Reisegeschichtlein
Heinrich Federer

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Campagna-Vision

Auf und ab geht es im Gebirge zwischen Corese und Fara Sabina. Immer wieder taucht sie auf im Süden... die Campagna... beinahe hätte ich gesagt: die Weltgeschichte.

Und wenn ich sie lange anstaune, brennt mir das Auge, und ich schreie: Schatten, Berge, Abruzzen, rettet mich...! Und wo eine Kuppe sie mir verdeckt, muß ich schnaufend und schwitzend empor, um sie doch wieder in meine Seele hineinzutrinken, diesen Engel und Teufel aller Geographie.

Campagna! Laß dich noch einmal grüßen!

Wie schildere ich dich, du sonderbare, geheimnisvolle, gewellte Flur mit den dürren Halmen, dem bald so dunkeln, bald so leuchtenden Ried, den stillen, gleichsam verwitweten Bäumen, den herrlichen Fetzen eines uralten Bogengemäuers, das hoch über den Wipfeln der Platanen einst die schallenden Wasser des Gebirges in den großen dürstenden Mund der Stadt leitete? Ein gelbes, schmutziges Gehöfte, fast nirgends ein sichtbarer Weg, Wässerchen, die ihr Siechtum durch das Gras schleppen, ein paar magere Kühe und Ziegen unter dem Schatten einer Kastanie. Im übrigen Schweigen, Hitze und endlose Weite.

In nahender Wohlgestalt die Ansätze der Albaner- und Sabinerberge und im Rücken immer und immer das Gefühl des majestätischen Rom. Das ist die Campagna.

Alles glitzert vor Sonne, jedes Gras, jeder Kiesel, jedes Baumblatt, jede Kalkwand. Bald weht ein Wind vom Meer, bald verscheucht ihn ein anderer von den Bergen her. Aber trotzdem ist die Luft glühend und trocken wie aus einem Ofen. Ein Dunst von Schwüle und Fieber liegt glashell und süß zwischen der harten Erde und dem noch härteren Himmelsbogen.

Nicht Lenz oder Herbst, der italienische Sommer nur gibt der Landschaft die echte, römische Stimmung, diese heiße, wie sie aus den Schlachtenbüchern des Livius, aus Märchen Ovids und aus den schattensuchenden Strophen Horazens empfunden wird. Da sieht man Haus und Äckerlein, das der gute Mäzenas ihm gab, in die Frische einiger Oliven gestellt und ringsum von der wütenden Sonne und den wütenden Zikaden belagert. Da quaken Ovids Frösche, indem sie den breiten Rücken gegen die Sonne stellen. Da mustert Scipio die Legionen, mit denen er nach Afrika übersetzen will. Nur hier im italienischen Sommer kann man sich die Konsuln vorstellen, die aus den heißen Ämtern der Stadt auf ihr Gut fliehen, Beete jäten und Gemüse für die Küche schneiden. Nur hier sieht man die Sklavenzüge, die schwitzenden, mückenverstochenen, welche mit der Sänfte ihrer Herrschaft auch die Götterbilder des Hauses, die Aschenkrüge und Weinschläuche, die Bibliothek und das Geräte der Küche hinauf in die Bergferien tragen, und sieht umgekehrt von den Bergen einen andern knechtischen Troß durch den Brand der gequaderten Straße die dicksten geschälten Akazienstämme, glatte Platanenbalken, mächtige Blöcke der Steineiche und schwere, vom Wasser phantastisch zernagte Felsen von Tivoli nach der Urbs tragen. Das ist die beutereiche Heimkehr des Senators Cajus Vitellius Piso aus seiner Sommerfrische in den Abruzzen. Es gräbt sich eine tiefe Runzel in seine Stirne, so oft er von einem schmalen Papyrus aufblickt und durch die Ritze der Vorhänge aus der Sänfte auf die müde Prozession seines Reichtums blickt. Die Knechte haben einen heißen Atem, dürre Lippen, rote, sonnenmatte Augen. Zumeist sind es Afrikaner und Hispanier. Aber da sehe ich auch einen blonden, riesengroßen Mann im Haufen. Es ist gewiß einer aus dem Reußtal, einer von denen, die gern im blauen Eiswasser baden und für die eine Sonne ohne Schatten der Tod ist. Mühsam schleppt er sich vorwärts. Breiter sind seine Achseln als aller übrigen im Zuge. Dennoch trägt er die kleinste Last, das duftende Holz wilder Rosenbäume, das der Faber lignarius in Rom auf die feinste Art drechseln und zu kunstvollen Wandtafeln verwenden wird. Der Mut seiner blauen Augen ist gebrochen. Sein grobes Gesicht sieht in der Fieberröte feiner und glatter aus als das eines Kindes. Jetzt steht er baumstill. Die Peitsche des Aufsehers trifft ihn. Er bäumt sich nicht auf. Er zittert nur wie ein armes, müdes, überzahmes Roß unter dem Hiebe. Aber er schreitet nicht weiter. Ein neuer Geißelschlag. Dem Mann schwindelt, er taumelt. Durch sein Ohr rauscht die Reuß, orgeln die kühlen Tannenwipfel im Wind. Er sieht sein Weib aus dem reisig-geflochtenen Hüttlein treten, den Bub auf den Armen, und warten und harren und zu den Kämmen aufblicken, woher der liebe Mann käme. »Freya, Freya!« schreit er unter dem letzten Riemenstreich und stürzt leblos im römischen Ried zusammen.

Der Aufseher aber treibt den Zug weiter. Und wie die Sänfte des Senators an der Leiche vorbeigetragen wird, lächelt verächtlich ein kühles, blasses Jünglingsgesicht zwischen den Vorhängen hervor und sagt: »Vater, ein Germane ist niedergefallen. Sind das so schwache Leute?«

»Als Sklaven zu schwach, als Freie zu stark!« gibt der Senator zurück und liest mit bewölkter Stirne sich aus Tacitus' Germania in neue Sorgen um die Zukunft Roms.


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