Heinrich Federer
Umbrische Reisegeschichtlein
Heinrich Federer

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Romam Versus

Die Geleise der Eisenbahn Rom-Terni-Sulmona-Rom schließen ein gebuckeltes Land ein, mit lauter Ketten und Tälern, die gern mit der Halbinsel parallel gehen und auf der Karte wie feine, kleine Nähte des italienischen Stiefels aussehen. Es sind nicht mehr hohe Berge, wenigstens für einen Schweizer, sondern starke Hügellinien, die geliebten und vielgelobten Sabinerberge mit inbegriffen. Neben den Schluchten, aber am liebsten auf halber Höhe, doch auch einigemal auf den obersten Kamm geschneit, findest du die kleinen Borghi und Paesi, Städtchen und Dörflein. Geringe Flüßchen brechen sich überall durch. Daher deckt dickes Buschwerk und halbwilde Gartenpflanzung die tiefern Plätze. Zum Tiber, zum Tiber, raunt und schreit das nasse Maul all dieser Gewässer. Und mit dem Tiber nach Rom! Denn alle wollen sie die Urbs sehen, ihre Marmorfüße küssen, ihre Säulenköpfe widerspiegeln und unter ihren alten Brücken das große, herrische Weltvolk da oben anstaunen. Im kleinsten Bächlein zuckt ein Nerv von Weltgröße.

An den Hängen dieser Berglein gedeiht schon überall Wein, und abends, wenn der Wind von Osten kommt, schwängert sich die Luft mit Pfirsichblüten. Feigen und süße Kastanien wachsen. Aber kaum gehst du ein wenig in die Höhe, so bist du gleich wieder auf einsamen Wegen, in unfruchtbarer Öde, und bald, bald ohne menschliche Fußstapfen weit und breit.

Jedoch nach drei, vier Stunden Marsch geht es schon wieder abwärts in ein warmes Tal, Straßen blitzen, Menschen schreien, ein Engländer mit großem Sonnenschirm und ein deutscher Kodakheld begegnet dir, und viel zu früh mußt du schon den Autos der jungen, Zeit und Welt vergeudenden reichen Römer ausweichen.

War die Sprache weiter oben noch sonderbar steinig und schroff, so kommen jetzt hier unten gleich weiche, tiefe Noten hinein. Die schwere Bergmelodie läutert sich. Bocca Romana!

Rom, Rom, du bist nahe. Ich spüre es der heißen Luft an. Es ist ein Gefühl wie vor dem Atem einer Löwin.

Wer so weit ging, kann kaum mehr zurück. Er ist eine Beute dieses gewaltigen Raubtieres.

Aber ich, von den vielen Bergen rauh und stark gemacht, sagte gegen Süden hinunter: Mich sollst du nicht haben, du alles verschlingende Gigantin! Sieh, du große heiße Katze mit den wunderbaren Augen: so viele Mäuse auch in deinen Krallen verschwunden sind, nachdem du mit ihnen gespielt und sie reichlich genarrt hast, dieses eine nordische Mäuschen will dich jetzt narren. Es spielt mit dir. Es sieht dich lauern, kommt ganz nahe, pfeift und lockt. Aber sowie deine Pfote ausholt, hopst es blitzschnell zurück ins Gebirg oder in die Campagna und lacht dich so recht frech in deine goldgrünen Augen hinein aus. –

Ich weiß wohl, das Spiel ist gefährlich. Zu lange darf man in diese smaragdenen Augen nicht schauen, sonst bekommt man Schwindel und Fieber und einen Durst, den man nur noch in den rauschenden Brunnen der Stadt, im Schatten des Pincio oder unter den Ruinen des Forums meint stillen zu können. Die kühlen Dome, die Adelshäuser, die Bogen und Brücken und Säulen, der so schmutzige und doch so unvergleichliche Tiber, Vatikan und Kapitol, Tiara und Krone, sie ziehen unwiderstehlich an. Aber ein bißchen spielen ist doch gar zu schön!

Bald lief ich nun durch kleine Täler romwärts, bald ging ich sogar dem Tiber entlang, der sich wunderlich schlängelt. Man könnte Bücher über dieses Land vor den Toren Roms schreiben. So nahe dem Mäcenas ein Dorf, das nicht lesen kann! So nahe dem Lukullus ein Dorf, das nur Reis ißt und Ziegenmilch trinkt! So nahe dem Cäsar der Nomade!

Allmählich geriet ich aus den Bergen in die Campagna. Die meisten denken dabei an den Süden Roms. Nein, man muß auch an den Osten und Norden Roms denken. Mir gerade hat es die nördliche Campagna angetan. Wie oft habe ich sie durchstreift und bin ihren Sagen und Historien nachgegangen! Wie oft habe ich am Feuer bei Herdenführern gesessen und mich innig bemüht, ihr Nomadenherz, das immer herumschweift und sich doch nie aus der Campagna wagt, begreifen zu lernen!

Vom berühmten Soracte an, wo Horaz ein Fetzlein Schnee sah und Frösteln kriegte, von diesem klassischen Berglein an beginnt die eigentliche Welt der Campagna-Einsamkeit, der Träumerei, der Schwermut, das Kaiserreich der Hirten und der Maler, der Schnaken und Poeten, die Heimat der Fieber und der kleinen faulen, silbergrauen Schlangen in Halmen und Sandlöchern und das Vaterland der frühsommerlichen Gewitter. Campagna-Gewitter! Wer das nicht erlebte, hat eine der größten Naturtragödien nicht gesehen. Nirgends stampft der Donner so klotzfüßig über die Erde, und nirgends züngeln die Blitze so schwertbreit nieder und streichen ziegelrote und rußige Wetterwolken fast bis zum Boden wie hier. Nirgends darnach ist aber auch der Himmel so tiefblau und die Sonne so durchsichtig gelb und flammend. Vor allem aber: nirgends sind die frühen Morgen so feierlich still und so großartig ernst. Von der Nacht hängt noch Tau und Nebel im weiten Ried. Die Sonne ist noch nicht da. Es ist grau, so weit du schaust. Da und dort tröpfelt ein Wasser durch die Halme. Ferne blinkt eine Schleife des Tibers, kalt, silberig, schlangenglatt. Du bist allein. Es riecht wie nach dem Lehm des Sechstagewerks. Dir ist, jetzt müsse irgendwo aus dem Weidengebüsch der große Schöpfer hervortreten, der Urvater der Menschheit mit dem weißen, wallenden Bart und den herrlichen Greisenaugen der michelangelesken Zeichnung, den Mantel, der von Ewigkeiten rauscht, weit umgetan, ausgehend nach dem Klotz Erde, woraus Adam geschaffen werden soll. So einsam, so menschentot, so unweltlich ist es hier.

Und ich schrecke zusammen, weil wirklich irgendwo die Gräser auseinandergehen und eine hohe Gestalt mit langem Bart hervortritt. Und schon will ich mich bücken und das Gesicht auf die Erde werfen... Aber sieh da, es ist ein Maler! Mein Freund Carl Herreras.

Ach, du großer Meister Herreras! Magst du den ersten Pinsel der Welt führen, – aber jetzt hast du mir ein Bild zerstört, wie dir keines zu schaffen gelänge!


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