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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der Widerspruch in der Offenbarung Gottes

Mit dem Begriff der Existenz hängt der Begriff der Offenbarung zusammen. Die Selbstbezeugung der Existenz, das urkundliche Zeugnis, daß Gott existiert, ist die Offenbarung. Die nur subjektiven Beweise vom Dasein Gottes sind die Vernunftbeweise; der objektive, der allein wahre Beweis von seinem Dasein ist seine Offenbarung. Gott spricht zu dem Menschen – die Offenbarung ist das Wort Gottes –, er gibt einen Laut von sich, einen Ton, der das Gemüt ergreift und ihm die frohe Gewißheit gibt, daß Gott wirklich ist. Das Wort ist das Evangelium des Lebens – das Unterscheidungszeichen von Sein und Nichtsein. Der Offenbarungsglaube ist der Kulminationspunkt des religiösen Objektivismus. Die subjektive Gewißheit von der Existenz Gottes wird hier zu einer unbezweifelbaren, äußern, historischen Tatsache. Die Existenz Gottes ist an sich selbst schon als Existenz ein äußerliches, empirisches Sein, aber doch nur noch ein gedachtes, vorgestelltes, darum bezweifelbares Sein – daher die Behauptung, daß alle Beweise keine befriedigende Gewißheit geben –, dieses gedachte, vorgestellte Sein als wirkliches Sein, als Tatsache ist die Offenbarung. Gott hat sich geoffenbart, sich selbst demonstriert. Wer kann also noch zweifeln? Die Gewißheit der Existenz liegt mir in der Gewißheit der Offenbarung. Ein Gott, der nur ist, ohne sich zu offenbaren, der nur durch mich selbst für mich ist, ein solcher Gott ist nur ein abstrakter, vorgestellter, subjektiver Gott: nur ein Gott, der mich durch sich selbst in Kenntnis von sich setzt, ist ein wirklich existierender, sich als seiend betätigender, objektiver Gott. Der Glaube an die Offenbarung ist die unmittelbare Gewißheit des religiösen Gemüts, daß das ist, was es glaubt, was es wünscht, was es vorstellt. Das religiöse Gemüt unterscheidet nicht zwischen Subjektiv und Objektiv – es zweifelt nicht; die Sinne hat es nicht, um anderes zu sehen, sondern nur, um seine Vorstellungen außer sich als Wesen zu erblicken. Dem religiösen Gemüt ist eine an sich theoretische Sache eine praktische, eine Gewissenssache – eine Tatsache. Tatsache ist, was aus einem Vernunftgegenstand zu einer Gewissenssache gemacht wird, Tatsache ist, was man nicht bekritteln, nicht antasten darf, ohne sich eines Frevels Die Negation einer Tatsache hat keine unverfängliche, an sich indifferente, sondern eine schlimme moralische Bedeutung. Darin, daß das Christentum seine Glaubensartikel zu sinnlichen, d. h. unleugbaren, unantastbaren Tatsachen machte, durch sinnliche Tatsachen also die Vernunft überwältigte, den Geist gefangennahm, darin haben wir auch den wahren, den letzten, primitiven Erklärungsgrund, warum und wie sich im Christentum, und zwar nicht nur im katholischen, sondern auch protestantischen, in aller Förmlichkeit und Feierlichkeit der Grundsatz aussprechen und geltend machen konnte, daß die Ketzerei, d. h. die Negation einer Glaubensvorstellung oder Tatsache ein Strafobjekt der weltlichen Obrigkeit, d. h. ein Verbrechen sei. Die sinnliche Tatsache in der Theorie wird in der Praxis zur sinnlichen Gewalt. Das Christentum steht hierin weit unter dem Muhamedanismus, wenigstens dem Koran, welcher nicht das Verbrechen der Ketzerei kennt. schuldig zu machen, Tatsache ist, was man nolens volens glauben muß, Tatsache ist sinnliche Gewalt, kein Grund, Tatsache paßt auf die Vernunft, wie die Faust aufs Auge. O ihr kurzsichtigen deutschen Religions-Philosophen, die ihr uns die Tatsachen des religiösen Bewußtseins an den Kopf werft, um unsere Vernunft zu betäuben und uns zu Knechten eures kindischen Aberglaubens zu machen, seht ihr denn nicht, daß die Tatsachen ebenso relativ, so verschieden, so subjektiv sind, als die Vorstellungen der Religionen? Waren die Götter des Olymps nicht auch einst Tatsachen, sich selbst bezeugende Existenzen? »Oft zeigen die Götter ihre Gegenwart an.« Cicero (De nat. D. üb. II.). Ciceros Schriften de nat. D. und de divinatione sind besonders auch deswegen so interessant, weil hier für die Wahrheit der heidnischen Glaubensgegenstände im Grunde dieselben Argumente geltend gemacht werden, welche noch heute die Theologen und Positivisten überhaupt für die Wahrheit der christlichen Glaubensgegenstände anführen. Galten nicht auch die lächerlichsten Mirakelgeschichten der Heiden für Fakta? Waren nicht auch die Engel, auch die Dämone historische Personen? Sind sie nicht wirklich erschienen? Hat nicht einst auch der Esel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht selbst von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der sprechende Esel ebensogut als ein wirkliches Wunder geglaubt, als das Wunder der Inkarnation oder sonst ein anderes Wunder? O ihr großen tiefsinnigen Philosophen, studiert doch vor allem die Sprache des Esels Bileams! Sie klingt nur dem Unwissenden so fremdartig, aber ich bürge euch dafür, daß ihr bei näherm Studium in dieser Sprache selbst eure Muttersprache erkennen und finden werdet, daß dieser Esel schon vor Jahrtausenden die tiefsten Geheimnisse eurer spekulativen Weisheit ausgeplaudert hat. Tatsache, meine Herren! ist, um es euch nochmals zu wiederholen, eine Vorstellung, an deren Wahrheit man nicht zweifelt, weil ihr Gegenstand keine Sache der Theorie, sondern des Gemüts ist, welches wünscht, das Das ist, was es wünscht, was es glaubt, Tatsache ist, was zu leugnen verboten ist, wenn auch nicht äußerlich, doch innerlich, Tatsache ist jede Möglichkeit, die für Wirklichkeit gilt, jede Vorstellung, die für ihre Zeit, da, wo sie eben Tatsache ist, ein Bedürfnis ausdrückt und eben damit eine nicht überschreitbare Schranke des Geistes ist, Tatsache ist jeder als erfüllt vorgestellte Wunsch, kurz, Tatsache ist alles, was nicht bezweifelt wird, aus dem einfachen Grunde, weil es nicht bezweifelt wird, nicht bezweifelt werden soll.

Das religiöse Gemüt ist, seiner bisher entwickelten Natur zufolge, in der unmittelbaren Gewißheit, daß alle seine unwillkürlichen Bewegungen und Bestimmungen Eindrücke von außen, Erscheinungen eines andern Wesens sind. Das religiöse Gemüt macht sich zu dem leidenden, Gott zu dem handelnden Wesen. Gott ist die Tätigkeit; aber was ihn zur Tätigkeit bestimmt, was seine Tätigkeit, die zuvörderst nur Allvermögen ist, zur wirklichen Tätigkeit macht, das eigentliche Motiv, der Grund ist nicht Er – er braucht nichts für sich, er ist bedürfnislos –, sondern der Mensch, das religiöse Subjekt oder Gemüt. Aber zugleich wird wieder der Mensch bestimmt von Gott, er macht sich zum Passivum; er empfängt von Gott bestimmte Offenbarungen, bestimmte Beweise seiner Existenz. Es wird also in der Offenbarung der Mensch von sich, als dem Bestimmungsgrund Gottes, als dem Gott Bestimmenden bestimmt, d. h., die Offenbarung ist nur die Selbstbestimmung des Menschen, nur daß er zwischen sich den Bestimmten und sich den Bestimmenden ein Objekt – Gott, ein anderes Wesen – einschiebt. Der Mensch vermittelt durch Gott sein eignes Wesen mit sich – Gott ist das personifizierte Band zwischen dem Wesen, der Gattung und dem Individuum, zwischen der menschlichen Natur und dem menschlichen Bewußtsein.

Der Offenbarungsglaube enthüllt am deutlichsten die charakteristische Illusion des religiösen Bewußtseins. Die Prämisse dieses Glaubens ist: der Mensch kann nichts aus sich selbst von Gott wissen, all sein Wissen ist nur eitel, irdisch, menschlich. Gott aber ist ein übermenschliches Wesen: Gott erkennt nur sich selbst. Wir wissen also nichts von Gott, außer was er uns geoffenbart. Nur der von Gott mitgeteilte Inhalt ist göttlicher, übermenschlicher, übernatürlicher Inhalt. Mittelst der Offenbarung erkennen wir also Gott durch sich selbst; denn die Offenbarung ist ja das Wort Gottes, der von sich selbst ausgesprochne Gott. In dem Offenbarungsglauben verneint sich daher der Mensch, er geht außer und über sich hinaus; er setzt die Offenbarung dem menschlichen Wissen und Meinen entgegen, in ihr erschließt sich ein verborgenes Wissen, die Fülle aller übersinnlichen Geheimnisse; hier muß die Vernunft schweigen. Aber gleichwohl ist die göttliche Offenbarung eine von der menschlichen Natur bestimmte Offenbarung. Gott spricht nicht zu Tieren oder Engeln, sondern zu Menschen – also eine menschliche Sprache mit menschlichen Vorstellungen. Der Mensch ist der Gegenstand Gottes, ehe er sich dem Menschen äußerlich mitteilt; er denkt an den Menschen; er bestimmt sich nach seiner Natur, nach seinen Bedürfnissen. Gott ist wohl frei im Willen; er kann offenbaren oder nicht; aber nicht frei im Verstande; er kann dem Menschen nicht offenbaren, was er nur immer will, sondern was für den Menschen paßt, was seiner Natur, wie sie nun einmal ist, gemäß ist, wenn er sich anders einmal offenbaren will; er offenbart, was er offenbaren muß, wenn seine Offenbarung eine Offenbarung für den Menschen, nicht für irgendein anderes Wesen sein soll. Was also Gott denkt für den Menschen, das denkt er als von der Idee des Menschen bestimmt, das ist entsprungen aus der Reflexion über die menschliche Natur. Gott versetzt sich in den Menschen und denkt so von sich, wie dieses andere Wesen von ihm denken kann und soll; er denkt sich nicht mit seinem, sondern mit menschlichem Denkvermögen. Gott ist in dem Entwurf seiner Offenbarung nicht von sich, sondern von der Fassungskraft des Menschen abhängig. Was aus Gott in den Menschen kommt, das kommt nur aus dem Menschen in Gott an den Menschen, d.h. nur aus dem Wesen des Menschen an den bewußten Menschen, aus der Gattung an das Individuum. Also ist zwischen der göttlichen Offenbarung und der sogenannten menschlichen Vernunft oder Natur kein anderer als ein illusorischer Unterschied – auch der Inhalt der göttlichen Offenbarung ist menschlichen Ursprungs, denn nicht aus Gott als Gott, sondern aus dem von der menschlichen Vernunft, dem menschlichen Bedürfnis bestimmten Gott, d.h. geradezu aus der menschlichen Vernunft, aus menschlichem Bedürfnis ist derselbe entsprungen. So geht auch in der Offenbarung der Mensch nur von sich fort, um auf einem Umweg wieder auf sich zurückzukommen! So bestätigt sich auch an diesem Gegenstand aufs schlagendste, daß das Geheimnis der Theologie nichts andres als die Anthropologie ist! Was ist denn der wesentliche Inhalt der Offenbarung? Dies, daß Christus Gott, d.h. daß Gott ein menschliches Wesen ist. Die Heiden wandten sich an Gott mit ihren Bedürfnissen, aber sie zweifelten, ob Gott die Gebete der Menschen erhöre, ob er barmherzig, ob er menschlich sei. Aber die Christen sind der Liebe Gottes zum Menschen gewiß: Gott hat sich als Mensch geoffenbart. (S. hierüber z.B. Or. de vera Dei invocat. Melanchth. Decl. T. III. und Luther z.B. T. IX. p. 538, 539.) D.h. eben die Offenbarung Gottes ist die Gewißheit des Menschen, daß Gott Mensch, der Mensch Gott ist. Gewißheit ist Tatsache.

Übrigens gesteht das religiöse Bewußtsein selbst in Beziehung auf vergangne Zeiten die Menschlichkeit des geoffenbarten Inhalts ein. Dem religiösen Bewußtsein einer spätern Zeit genügt nicht mehr ein Jehova, der von Kopf bis zu Fuß Mensch ist, ungescheut seine Menschheit zur Schau trägt. Das waren nur Vorstellungen, in welchen sich Gott der damaligen Fassungsgabe der Menschen akkommodierte, d.h. nur menschliche Vorstellungen. Aber in Beziehung auf seinen gegenwärtigen Inhalt, weil es in ihn versenkt ist, läßt es dies nicht gelten. Gleichwohl ist jede Offenbarung Gottes nur eine Offenbarung der Natur des Menschen. In der Offenbarung wird dem Menschen seine verborgene Natur aufgeschlossen, Gegenstand. Er wird von seinem Wesen bestimmt, affiziert als von einem andern Wesen; er empfängt aus den Händen Gottes, was ihm sein eignes unbekanntes Wesen als eine Notwendigkeit unter gewissen Zeitbedingungen aufdringt.

Der Offenbarungsglaube ist ein kindlicher Glaube und nur so lange respektabel, solange er kindlich ist. Das Kind wird aber von außen bestimmt. Und die Offenbarung hat eben den Zweck, durch Gottes Hülfe zu bewirken, was der Mensch nicht durch sich selbst erreichen kann. Deshalb hat man die Offenbarung die Erziehung des Menschengeschlechts genannt. Dies ist richtig; nur muß man die Offenbarung nicht außer die Natur des Menschen hinauslegen. So sehr der Mensch von innen dazu getrieben wird, in Form von Erzählungen und Fabeln moralische und philosophische Lehren darzustellen, so notwendig stellt er als Offenbarung dar, was ihm von innen gegeben wird. Der Fabeldichter hat einen Zweck – den Zweck, die Menschen gut und gescheut zu machen; er wählt absichtlich die Form der Fabel als die zweckmäßigste, anschaulichste Methode; aber zugleich ist er selbst durch seine Liebe zur Fabel, durch seine eigne innere Natur zu dieser Lehrweise gedrungen. So ist es auch mit der Offenbarung, an deren Spitze ein Individuum steht. Dieses hat einen Zweck, aber zugleich lebt es selbst in den Vorstellungen, vermittelst welcher es diesen Zweck verwirklicht. Der Mensch veranschaulicht unwillkürlich durch die Einbildungskraft sein innres Wesen; er stellt es außer sich dar. Dieses veranschaulichte, personifizierte, durch die unwiderstehliche Macht der Einbildungskraft auf ihn wirkende Wesen der menschlichen Natur, als Gesetz seines Denkens und Handelns – ist Gott.

Hierin liegen die wohltätigen moralischen Wirkungen des Offenbarungsglaubens auf den Menschen; denn das eigne Wesen wirkt nur auf den ungebildeten, subjektiven Menschen, wenn er es vorstellt als ein anderes, persönliches Wesen, als ein Wesen, welches die Macht hat, zu strafen, und den Blick, welchem nichts entgeht.

Aber wie die Natur » ohne Bewußtsein Werke hervorbringt, die aussehen, als wären sie mit Bewußtsein hervorgebracht«, so erzeugt die Offenbarung moralische Handlungen, aber ohne daß sie aus Moralität hervorgehen – moralische Handlungen, aber keine moralischen Gesinnungen. Die moralischen Gebote werden wohl gehalten, aber dadurch schon der innern Gesinnung, dem Herzen entfremdet, daß sie als Gebote eines äußerlichen Gesetzgebers vorgestellt werden, daß sie in die Kategorie willkürlicher, polizeilicher Gebote treten. Was getan wird, geschieht, nicht, weil es gut und recht ist, so zu handeln, sondern weil es von Gott befohlen ist. Der Inhalt an sich selbst ist gleichgültig; was nur immer Gott befiehlt, ist recht. »Was grausam ist, wenn es die Menschen ohne Gottes Befehl tun, das mußten die Hebräer tun, weil sie auf Befehl Gottes, des höchsten Herrn über Leben und Tod den Krieg führten.« J. Clericus (Comm. in Mos. Num. c. 31, 7). »Vieles tat Samson, was kaum entschuldigt werden könnte, wenn er nicht für ein «Werkzeug Gottes, von dem die Menschen abhängen, gehalten würde.« Ders. (Comment. in Judicum c. 14, 19). S. hierüber auch Luther, z. B. T. I. S. 339. T. XVI. S. 495. Stimmen diese Gebote mit der Vernunft, mit der Ethik überein, so ist es ein Glück, aber zufällig für den Begriff der Offenbarung. Die Zeremonialgesetze der Juden waren auch geoffenbarte, göttliche und doch an sich selbst zufällige, willkürliche Gesetze. Die Juden erhielten sogar von Jehova das Gnadengebot, zu stehlen; freilich in einem besondern Fall.

Der Offenbarungsglaube verdirbt aber nicht nur den moralischen Sinn und Geschmack, die Ästhetik der Tugend; er vergiftet, ja tötet auch den göttlichsten Sinn im Menschen – den Wahrheitssinn, das Wahrheitsgefühl. Die Offenbarung Gottes ist eine bestimmte, zeitliche Offenbarung: Gott hat sich geoffenbart ein für alle Mal anno soundsoviel, und zwar nicht dem Menschen aller Zeiten und Orte, der Vernunft, der Gattung, sondern bestimmten, beschränkten Individuen. Als eine örtlich und zeitlich bestimmte muß die Offenbarung schriftlich aufbewahrt werden, damit auch andern unverdorben der Genuß derselben zugute komme. Der Glaube an die Offenbarung ist daher zugleich, wenigstens für Spätere, der Glaube an eine schriftliche Offenbarung; die notwendige Folge und Wirkung aber eines Glaubens, in welchem ein historisches, ein notwendig unter allen Bedingungen der Zeitlichkeit und Endlichkeit verfaßtes Buch die Bedeutung eines ewigen, absolut, allgemein gültigen Wortes hat – Aberglaube und Sophistik.

Der Glaube an eine schriftliche Offenbarung ist nämlich nur da noch ein wirklicher, wahrer, ungeheuchelter und insofern auch respektabler Glaube, wo geglaubt wird, daß alles, was in der heiligen Schrift steht, bedeutungsvoll, wahr, heilig, göttlich ist. Wo dagegen unterschieden wird zwischen Menschlichem und Göttlichem, relativ und absolut Gültigem, Historischem und Ewigem, wo nicht alles ohne Unterschied schlechterdings, unbedingt wahr ist, was in der heiligen Schrift steht, da wird das Urteil des Unglaubens, daß die Bibel kein göttliches Buch ist, schon in die Bibel hineingetragen, da wird ihr, indirekt wenigstens, der Charakter einer göttlichen Offenbarung abgesprochen. Einheit, Unbedingtheit, Ausnahmslosigkeit, unmittelbare Zuverlässigkeit ist allein der Charakter der Göttlichkeit. Ein Buch, das mir die Notwendigkeit der Unterscheidung, die Notwendigkeit der Kritik auferlegt, um das Göttliche vom Menschlichen, das Ewige vom Zeitlichen zu scheiden, ist kein göttliches, kein zuverlässiges, kein untrügliches Buch mehr, ist verstoßen in die Klasse der profanen Bücher; denn jedes profane Buch hat dieselbe Eigenschaft, daß es neben oder im Menschlichen Göttliches, d. h. neben oder im Individuellen Allgemeines und Ewiges enthält. Ein wahrhaft gutes oder vielmehr göttliches Buch ist aber nur ein solches, wo nicht einiges gut, anderes schlecht, einiges ewig, anderes zeitlich, sondern wo alles wie aus einem Gusse, alles ewig, alles wahr und gut ist. Was ist aber das für eine Offenbarung, wo ich erst den Apostel Paulus, dann den Petrus, dann den Jakobus, dann den Johannes, dann den Matthäus, dann den Markus, dann den Lukas anhören muß, bis ich endlich einmal an eine Stelle komme, wo meine gottesbedürftige Seele ausrufen kann: ευρχα; hier spricht der heilige Geist selbst; hier ist etwas für mich, etwas für alle Zeiten und Menschen. Wie wahr dachte dagegen der alte Glaube, wenn er die Inspiration selbst bis auf das Wort, selbst bis auf den Buchstaben ausdehnte! Das Wort ist dem Gedanken nicht gleichgültig; der bestimmte Gedanke kann nur durch ein bestimmtes Wort gegeben werden. Ein anderes Wort, ein anderer Buchstabe – ein anderer Sinn. Aberglaube ist allerdings solcher Glaube; aber dieser Aberglaube ist nur der wahre, unverstellte, offne, seiner Konsequenzen sich nicht schämende Glaube. Wenn Gott die Haare auf dem Haupte des Menschen zählt, wenn kein Sperling ohne seinen Willen vom Dache fällt, wie sollte er sein Wort, das Wort, an dem die ewige Seligkeit des Menschen hängt, dem Unverstand und der Willkür der Skribenten überlassen, warum sollte er ihnen nicht seine Gedanken, um sie vor jeder Entstellung zu bewahren, in die Feder diktieren? »Aber wenn der Mensch ein bloßes Organ des heiligen Geistes wäre, so würde ja damit die menschliche Freiheit aufgehoben!« Sehr richtig bemerkten schon die Jansenisten gegen die Jesuiten: Vouloir reconnoitre dans l'Ecriture quelque chose de la foiblesse et de l'esprit naturel de l'homme, c'est donner la liberté à chacun d'en faire le discernement et de rejetter ce qui lui plaira de l'Ecriture, comme venant plûtot de la foiblesse de l'homme que de l'esprit de Dieu. Bayle (Dict. Art. Adam [Jean] Rem. E.). O welch ein erbärmlicher Grund! Ist denn die menschliche Freiheit mehr wert, als die göttliche Wahrheit? Oder besteht die menschliche Freiheit nur in der Entstellung der göttlichen Wahrheit?

So notwendig aber mit dem Glauben an eine bestimmte historische Offenbarung als die absolute Wahrheit Aberglaube, so notwendig ist mit ihm die Sophistik verbunden. Die Bibel widerspricht der Moral, widerspricht der Vernunft, widerspricht sich selbst unzählige Male; aber sie ist das Wort Gottes, die ewige Wahrheit, und »die Wahrheit kann und darf sich nicht widersprechen«. »In der heil. Schrift darf man keinen Widerspruch annehmen.« (Petrus Lomb. lib. II. dist, II. c. I.) Gleiche Gedanken bei den Kirchenvätern, bei den Reformatoren, so z. B. Luther. – Zu bemerken ist noch, daß, wie der katholische Jesuitismus hauptsächlich die Moral, so der protestantische Jesuitismus, der freilich, wenigstens meines Wissens, keine förmlich organisierte Korporation bildet, hauptsächlich die Bibel, die Exegese zum Tummelplatz seiner Sophistik hat. Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus diesem Widerspruch zwischen der Idee der Offenbarung als göttlicher, harmonischer Wahrheit und der vermeintlichen wirklichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbsttäuschungen, nur durch die albernsten Scheingründe, nur durch die schlechtesten, wahrheitlosesten Sophismen. Die christliche Sophistik ist ein Produkt des christlichen Glaubens, insbesondre des Glaubens an die Bibel als die göttliche Offenbarung.

Die Wahrheit, die absolute Wahrheit ist objektiv in der Bibel, subjektiv im Glauben gegeben, denn zu dem, was Gott selbst spricht, kann ich mich nur gläubig, hingebend, annehmend verhalten. Dem Verstande, der Vernunft bleibt hier nur ein formelles, untergeordnetes Geschäft; sie hat eine falsche, ihrem Wesen widersprechende Stellung. Der Verstand für sich selbst ist hier gleichgültig gegen das Wahre, gleichgültig gegen den Unterschied von Wahr und Falsch; er hat kein Kriterium in sich selbst; was in der Offenbarung steht, ist wahr, wenn es auch direkt dem Verstande widerspricht; er ist dem Zufall der allerschlechtesten Empirie wehrlos preisgegeben: was ich nur immer finde in der göttlichen Offenbarung, muß ich glauben und mein Verstand, wenn's not tut, verteidigen; der Verstand ist der Canis Domini; er muß sich alles Mögliche ohne Unterschied – die Unterscheidung wäre Zweifel, wäre Frevel – aufbürden lassen als Wahrheit; es bleibt ihm folglich nichts übrig als ein zufälliges, indifferentes, d. i. wahrheitloses, sophistisches, intrigantes Denken – ein Denken, das nur auf die grundlosesten Distinktionen und Ausflüchte, die schmählichsten Pfiffe und Kniffe sinnt. Je mehr aber schon der Zeit nach der Mensch sich der Offenbarung entfremdet, je mehr der Verstand zur Selbständigkeit heranreift, desto greller tritt auch notwendig der Widerspruch zwischen dem Verstande und Offenbarungsglauben hervor. Der Gläubige kann dann nur noch im bewußten Widerspruch mit sich selbst, mit der Wahrheit, mit dem Verstande, nur durch freche Willkür, nur durch schamlose Lügen – nur durch die Sünde gegen den heiligen Geist die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung bewahrheiten.


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