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XII

Sie fand Campion unten in der verlassenen Halle.

»Ich habe gesehen, wie Sie hinaufgingen«, sagte er aufgeregt. »Geht es ihm gut? Wann wird das Duell stattfinden?«

»Ich weiß nicht.« Es mißfiel ihr, daß er davon sprach wie von einem Zirkus, in dem McKisco den tragischen Clown mimte.

»Wollen Sie mitkommen?« fragte er mit einer Miene, als verfüge er über Eintrittskarten. »Ich habe den Hotelwagen gemietet.«

»Ich habe keine Lust.«

»Warum nicht? Es wird mich zwar Jahre meines Lebens kosten, aber ich möchte es nicht um alles in der Welt versäumen. Wir könnten aus großer Entfernung zusehen.«

»Warum bitten Sie nicht Herrn Dumphry, daß er mitkommt?«

Sein Monokel fiel herunter, ohne daß es in seinen Brusthaaren verschwinden konnte – er richtete sich auf.

»Ich will ihn niemals wiedersehen.«

»Ich werde wohl nicht mitkommen können. Meine Mutter würde es nicht gern haben.«

Als Rosemarie ihr Zimmer betrat, fuhr Frau Speers verschlafen hoch und rief ihr zu:

»Wo bist du gewesen?«

»Ich konnte nicht schlafen. Schlaf nur ruhig weiter, Mutter.«

»Komm in mein Zimmer.« Als Rosemarie hörte, daß sie sich im Bett aufsetzte, ging sie hinüber und erzählte ihr, was vorgefallen war.

»Warum gehst du nicht und siehst es dir an?« schlug Frau Speers vor. »Du brauchst ja nicht nahe heranzugehen, und vielleicht kannst du hinterher helfen.«

Rosemarie stellte sich vor, wie sie dastehen und zusehen würde, und da ihr das Bild mißfiel, erhob sie Einwendungen, aber Frau Speers, deren Bewußtsein noch vom Schlaf befangen war, entsann sich nächtlicher Hilferufe bei Tod und Unglücksfällen, als sie noch die Frau eines Arztes gewesen war. »Ich wünsche, daß alles – wohin du auch gehst und was du tust – deiner eigenen Initiative entspringt, ohne mich. Du hast viel schwierigere Dinge für Rainys Propagandatricks getan.«

Immer noch sah Rosemarie nicht ein, warum sie gehen sollte, aber sie gehorchte der sicheren, klaren Stimme, die sie, als sie zwölf Jahre alt gewesen war, in den Bühneneingang des Odeon in Paris dirigiert hatte und sie später, als sie wieder herauskam, begrüßte.

Sie dachte, sie habe noch etwas Zeit, als sie Abe und McKisco unten an der Treppe wegfahren sah – aber einen Augenblick später kam der Hotelwagen um die Ecke. Mit einem beglückten Ausruf zog Luis Campion sie neben sich.

»Ich habe mich versteckt gehalten, weil sie uns am Ende nicht erlaubt hätten, mitzukommen. Ich habe nämlich eine Filmkamera mit.«

Sie lachte hilflos. Er war so schrecklich, daß er schon nicht mehr schrecklich war, nur seelenlos.

»Ich möchte gern wissen, was Frau McKisco gegen Divers hat«, sagte sie. »Sie waren doch sehr nett zu ihr.«

»Ach, das war es nicht. Sie hat irgend was gesehen. Wir sind nicht dahintergekommen, was es war, wegen Barban.«

»So waren Sie nicht deswegen so traurig?«

»O nein«, erwiderte er mit versagender Stimme, »das war etwas anderes; etwas, das geschah, als wir ins Hotel zurückkamen. Aber jetzt mache ich mir nichts daraus – ich will nichts mehr damit zu tun haben.«

Sie folgten dem anderen Wagen in östlicher Richtung, am Strand entlang, an Juan les Pins vorbei, wo das Gerippe des neuen Kasinos in die Höhe ragte. Es war vier vorbei, und die ersten Fischerboote fuhren knarrend unter einem blaßblauen Himmel in die grünlich schimmernde See hinaus. Dann bogen sie von der Hauptstraße ab, ins Hinterland.

»Es geht zum Golfplatz«, rief Campion. »Sicher wird es dort vonstatten gehen.«

Er hatte recht. Als Abe vor ihnen die Fahrt verlangsamte, war der östliche Himmel rot und gelb getönt und verkündete einen schwülen Tag. Nachdem der Hotelwagen in einem Piniengehölz untergestellt war, hielten sich Rosemarie und Campion im Schatten eines Waldes und gingen am Rande der hellen Spielbahn entlang, auf der Abe und McKisco auf und nieder schritten, wobei der letztere von Zeit zu Zeit den Kopf hob wie ein witterndes Kaninchen. Plötzlich tauchten bei einem entfernteren Erdhaufen Gestalten auf, die sich bewegten und in denen die Beobachter Barban und seinen französischen Sekundanten erkannten, der den Pistolenkasten unter dem Arm trug.

Einigermaßen erschrocken, glitt McKisco hinter Abe und nahm einen tiefen Schluck Branntwein zu sich. Hustend ging er vorwärts und wäre der anderen Partei in die Arme gelaufen; aber Abe hielt ihn an und ging selbst dem Franzosen entgegen. Die Sonne stand über dem Horizont.

Campion packte Rosemarie am Arm.

»Ich halte das nicht aus«, keuchte er fast ohne Stimme. »Es ist zuviel. Das kostet mich –«

»Hören Sie auf«, sagte Rosemarie bestimmt. Sie schickte ein inbrünstiges französisches Gebet zum Himmel.

Die Kontrahenten standen einander gegenüber, Barban mit aufgekrempeltem Ärmel. Seine Augen flackerten unruhig in der Sonne, aber die Bewegung, mit der er seine Handflächen am Hosenboden abwischte, war bedächtig. McKisco, den der Branntwein leichtsinnig gemacht hatte, spitzte die Lippen zum Pfeifen und streckte seine lange Nase gleichgültig in die Luft, bis Abe mit einem Taschentuch in der Hand einen Schritt vortrat. Der französische Sekundant stand mit abgewandtem Gesicht da. Rosemarie hielt aus übergroßem Mitleid den Atem an und knirschte mit den Zähnen aus Haß gegen Barban; dann:

»Eins – zwei – drei!« Abe zählte mit gepreßter Stimme.

Sie drückten gleichzeitig ab. McKisco schwankte, bekam sich aber wieder in die Gewalt. Beide Schüsse hatten nicht getroffen.

»So, es ist genug!« schrie Abe.

Die Duellanten traten zu den anderen, und alle blickten Barban fragend an.

»Ich erkläre, daß ich noch nicht zufriedengestellt bin.«

»Ach was! Natürlich bist du zufriedengestellt«, sagte Abe ungeduldig. »Du weißt es nur nicht.«

»Verweigert dein Mann einen weiteren Schuß?«

»Du hast verdammt recht, Tommy. Du hast hierauf bestanden, und mein Mandant hat mitgemacht.«

Tommy lachte verächtlich.

»Die Entfernung war lächerlich«, sagte er. »An solche Possen bin ich nicht gewöhnt – dein Mann sollte daran denken, daß er hier nicht in Amerika ist.«

»Es hat keinen Sinn, auf Amerika herumzuhacken«, erklärte Abe ziemlich scharf. Dann, in etwas versöhnlicherem Ton: »Die Sache ist weit genug getrieben worden, Tommy.« Eine Weile verhandelten sie lebhaft miteinander – dann nickte Barban und verbeugte sich kühl gegen seinen ehemaligen Widersacher.

»Geben Sie sich nicht die Hand?« meinte der französische Arzt.

»Sie kennen sich schon«, sagte Abe.

Er wandte sich McKisco zu: »Kommen Sie, wir wollen gehen.«

Als sie sich aufmachten, ergriff McKisco frohlockend seinen Arm.

»Warten Sie einen Moment!« sagte Abe. »Tommy will seine Pistole zurückhaben. Er könnte sie noch brauchen.«

McKisco reichte sie ihm.

»Zum Teufel mit ihm«, sagte er in hartem Ton. »Sagen Sie ihm, er kann –«

»Soll ich ihm sagen, daß Sie nochmal schießen wollen?«

»Ich hab' es geschafft«, schrie McKisco, während sie gingen. »Und ich habe es ganz anständig geschafft, nicht wahr? Ich sah doch nicht käsig aus?«

»Sie waren ganz hübsch betrunken«, sagte Abe ziemlich grob.

»Nein, das war ich nicht.«

»Also schön, Sie waren es nicht.«

»Und was würde das für einen Unterschied machen, wenn ich vorher einen getrunken hätte?«

Seine Keckheit wuchs, und er blickte Abe verstimmt an.

»Nun, was für einen Unterschied würde das machen?« beharrte er.

»Wenn Sie es nicht fühlen, hat es keinen Zweck, sich darüber auszulassen.«

»Wissen Sie nicht, daß im Kriege alle dauernd betrunken waren?«

»Schön, vergessen wir's.«

Aber die Episode war noch nicht ganz vorüber. Im Heidekraut hinter ihnen waren eilige Schritte zu vernehmen, und der Arzt tauchte neben ihnen auf:

»Pardon, Messieurs«, keuchte er. »Voulez-vous régler mes honoraires? Naturellement c'est pour soins médicaux seulement. M. Barban n'a qu'un billet de mille et ne peut pas les régler et l'autre a laissé son portemonnaie chez lui.«

»An so was denkt ein Franzose immer«, sagte Abe und dann zum Arzt: »Wieviel?«

»Lassen Sie mich bezahlen«, bat McKisco.

»Nein, ich habe es schon. Wir haben uns alle in annähernd der gleichen Gefahr befunden.«

Abe bezahlte den Arzt, während McKisco unversehens im Buschwerk verschwand und sich übergab. Dann stolzierte er, blasser als zuvor, mit Abe durch den nunmehr rosigen Morgen zum Wagen hin.

Campion, das einzige Opfer des Duells, lag schwer atmend im Gebüsch auf dem Rücken, während Rosemarie ihn unter hysterischem Gelächter mit ihren weißen Leinenschuhen anstieß. Dies setzte sie fort, bis sie ihn aufgerüttelt hatte – nur eine einzige Sache war für sie jetzt von Wichtigkeit: daß sie in einigen Stunden den Menschen am Strand sehen würde, den sie im stillen immer noch »die Divers« nannte.


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