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Abe North war immer noch in der Ritz-Bar, in die er um neun Uhr früh gegangen war. Als er dort Zuflucht suchte, standen die Fenster offen, und breite Sonnenbänder waren an der Arbeit, den verräucherten Teppichen und Kissen den Staub zu entziehen. Livrierte Diener rasten durch die Korridore, losgelassen und körperlos, als bewegten sie sich im Augenblick in einem luftleeren Raum. Der Bartisch für Frauen, der eigentlichen Bar gegenüber, erschien sehr klein – man konnte sich nur schwer vorstellen, wie viele Menschen am Nachmittag an ihm Platz fanden.
Der berühmte Paul, der Inhaber, war noch nicht da, aber Claude, der die Bons nachzählte, unterbrach, ohne sich besonders überrascht zu zeigen, seine Arbeit, um für Abe eine Stärkung zu bereiten. Abe saß auf einer Bank, an die Wand gelehnt. Nach zwei Gläsern fing er an, sich besser zu fühlen, und zwar so viel besser, daß er zum Frisör hinaufging und sich rasieren ließ. Als er in die Bar zurückkam, war Paul in seinem nach Maß gebauten Auto angelangt, das er ordnungsgemäß am Boulevard des Capucines hatte stehen lassen. Paul hatte Abe gern und ging auf ihn zu, um sich mit ihm zu unterhalten.
»Ich sollte mich eigentlich heute früh nach Hause einschiffen«, sagte Abe. »Ich meine gestern früh, oder was das nun ist.«
»Warum haben Sie's nicht getan?« fragte Paul.
Abe dachte nach und fand schließlich einen Grund. »Ich las einen Fortsetzungsroman in ›Liberty‹, und die nächste Nummer war hier in Paris fällig, und wenn ich abgefahren wäre, hätte ich die versäumt, und dann hätte ich es nie gelesen.«
»Das muß eine sehr schöne Geschichte sein.«
»Es ist eine fü–fü–fürchterliche Geschichte.«
Paul stand lachend auf, dann hielt er inne, stützte sich auf eine Stuhllehne und sagte:
»Wenn Sie wirklich abfahren wollen, Herr North – Freunde von Ihnen fahren morgen mit der ›France‹ – Herr ... wie ist gleich sein Name? – und Slim Pearson, Herr ... ich komme schon noch darauf ... groß, mit einem Bart nach der neuesten Mode.«
»Yardly«, half Abe aus.
»Herr Yardly. Sie fahren beide mit der ›France‹.«
Er wollte seinen Obliegenheiten nachgehen, aber Abe versuchte, ihn zurückzuhalten: »Wenn ich nicht über Cherbourg fahren müßte! Mein Gepäck ging dahin.«
»Nehmen Sie Ihr Gepäck in New York in Empfang.«
Die Logik dieses Vorschlages ging Abe allmählich ein. Er war ganz entzückt davon, daß sich jemand um ihn kümmerte, oder vielmehr, daß sich der Zustand der Verantwortungslosigkeit in die Länge zog.
Unterdessen waren andere Gäste in die Bar gekommen, zuerst ein riesenlanger Däne, den Abe irgendwo kennengelernt hatte. Der Däne setzte sich und streckte die Beine quer in den Raum, und Abe vermutete, er werde den ganzen Tag dortbleiben, werde trinken, lunchen, sich unterhalten oder Zeitungen lesen. Er spürte das Bedürfnis, länger zu bleiben als der andere. Um elf Uhr begannen die Studenten zu kommen, und zwar gingen sie vorsichtig, um sich nicht gegenseitig die Taschen wegzureißen. Um diese Zeit ungefähr trug Abe dem livrierten Diener auf, die Divers anzurufen. Bis die Verbindung mit ihnen hergestellt war, hatte er auch mit anderen Freunden Verbindung bekommen, und sein Einfall war, mit allen gleichzeitig zu sprechen, und das Ergebnis war ein allgemeines Durcheinander. Von Zeit zu Zeit kehrte sein Geist zu der Tatsache zurück, daß er gehen müßte, um Freeman aus dem Gefängnis zu holen; aber er schüttelte alle diese Gedanken ab, als seien sie Bestandteile eines Alptraums.
Um ein Uhr war die Bar gerappelt voll; inmitten des anhaltenden Stimmengewirrs taten die Kellner ihren Dienst, indem sie die Gäste auf Getränke und Bezahlung festnagelten.
»Sie hatten zwei Schnäpse ... und noch einen ... zwei Martinis und einen ... nein, nicht Sie, Herr Quarterly ... das sind drei Lagen. Macht fünfundsiebzig Franken, Herr Quarterly, Herr Schaeffer sagt, er hätte diesen gehabt – Sie hatten den vorigen ... ich führe nur Ihre Bestellungen aus ... schönsten Dank.«
In dem Durcheinander hatte Abe seinen Platz eingebüßt; nun stand er, leicht schwankend, und sprach mit einigen Leuten, an die er sich herangemacht hatte. Seine Beine verwickelten sich in der Leine eines Terriers, der um ihn herumlief, doch gelang es ihm, sich daraus zu befreien, ohne hinzufallen, und er bekam überschwengliche Entschuldigungen zu hören. Gleich darauf wurde er zum Lunch eingeladen, lehnte es aber ab. Es handele sich um Briglith, erklärte er; er habe in Briglith eine Sache zu erledigen. Etwas später verabschiedete er sich von einem Bekannten, mit den tadellosen Manieren des Alkoholikers, die dem Benehmen eines Sträflings oder eines herrschaftlichen Dieners glichen, und als er sich umdrehte, entdeckte er, daß der große Ansturm auf die Bar ebenso plötzlich vorüber war, wie er begonnen hatte.
Schräg gegenüber hatten der Däne und seine Begleiter Lunch bestellt. Abe tat ein Gleiches, doch rührte er die Speisen kaum an. Danach saß er nur da und war glücklich, in der Vergangenheit zu leben. Trinken ließ vergangene Dinge wieder Gegenwart werden, so als dauerten sie noch an, ja sie wurden sogar Zukunft, so als würden sie wieder geschehen.
Um vier Uhr kam der livrierte Diener auf ihn zu.
»Wollen Sie einen Farbigen namens Jules Peterson empfangen?«
»Um Gotteswillen, wie hat er mich gefunden?«
»Ich habe ihm nicht gesagt, daß Sie hier sind.«
»Wer dann?« Abe fiel vornüber auf die Gläser, raffte sich aber wieder auf.
»Er sagt, er sei bereits in allen amerikanischen Bars und Hotels gewesen.«
»Sagen Sie ihm, ich sei nicht hier.« Als sich der Diener umwandte, fragte Abe: »Darf er hier hereinkommen?«
»Ich werde mich erkundigen.«
Als Paul die Frage hörte, blickte er über die Schulter und schüttelte verneinend den Kopf; dann, als er Abe sah, kam er hinüber.
»Es tut mir leid, ich kann es nicht gestatten.«
Mit einiger Anstrengung erhob sich Abe und ging auf die Rue Cambon hinaus.