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Daß hier überhaupt ein Gasthaus stand, war eine Quelle ständiger Verwunderung der Leute, die auf diese einsame Landstraße verschlagen wurden. In der Nähe lag kein Dorf, keine Stadt. Außer ein paar weit verstreuten Pachthöfen konnte auch das schärfste Auge erst am fernen Horizont den Turm eines Dorfkirchleins oder die ragenden Dächer eines Schlosses entdecken. Hier war nichts als Ruhe und Einsamkeit.
Das Gasthaus lag an einem Kreuzweg. Auf einem halb verwaschenen Schild sah man das Bild eines verzweifelten Fuchses, der von Hunden, die ihre rote Zunge heraushängen ließen, verfolgt wurde. Dieses Schild hatte mehr Sinn, als ein flüchtiger Beobachter hätte ahnen können. Denn die Existenz dieses Wirtshauses beruhte auf den Füchsen im Walde und der Meute im Hundezwinger. Während der Jagdzeit war Leben in den alten Zimmern, und edle Pferde stampften in den Ställen. Wenn die Ernte auf den Feldern vorüber war, begann die Ernte des »Wirtshauses zum Fuchs«.
Es war aber erst Ende Juni, und der Wirt hatte wenig zu tun. Ab und zu kam ein Landfahrer vorüber und trank sein Gläschen Bier in der Küche. Dann und wann hielt der Wagen eines Bauern oder eines Handlungsreisenden vor dem Haus. Es kam auch gelegentlich vor, daß ein Autler einkehrte. Aber die vornehmen Gäste der Jagdzeit ließen sich jetzt nicht sehen. Frühstücksraum und Fremdenzimmer waren abgeschlossen, und das Personal bestand nur aus dem Wirt nebst Frau und Tochter.
So hatte Hoskins, der Fuchswirt, von Mai bis August ein geruhsames Leben, und er pflegte seine Zeit in einer Weise hinzubringen, wie es eher in Spanien als in England Sitte war. Er saß den größten Teil des Tages auf einer Bank, die er sich selbst im Schatten einer Blutbuche gezimmert hatte, stärkte sich von Zeit zu Zeit mit einem Glas Bier und einer Pfeife Tabak und überließ sich seinen Gedanken.
Auch an diesem heißen Junimorgen befand sich Hoskins auf seinem Lieblingsplatz. Ein buntes Taschentuch um den kahlen Kopf, die Zeitung auf den Knien war er eingeschlafen. Das Summen der Bienen im Garten, das feine Surren der Insekten, die die Hecken bevölkerten, das Rauschen des vorbeieilenden Baches hatte einschläfernd auf ihn gewirkt. So saß er und träumte von der Jagdzeit, wenn munteres Leben das alte Haus erfüllte.
Ein Schlag auf die Schulter rief Hoskins jäh in die Wirklichkeit zurück. Er öffnete die Augen und sah ein Auto, das an der Gartentür hielt, darin einen Chauffeur, und neben sich einen Herrn, der ihn aus belustigten Augen anblickte.
»Sie haben einen gesunden Schlaf, mein Freund«, bemerkte der Fremde.
Hoskins sprang auf. Aus langjähriger Gewohnheit, seine Gäste zu taxieren, schaute er den Herrn mit prüfendem Blick an. Er sah einen großen, wohlbeleibten Mann mit blondem Haar und Schnurrbart und rotem Gesicht vor sich. Der Fremde trug einen eleganten blauen Anzug und einen grauen Filzhut. An seiner linken Hand funkelte ein kostbarer Diamant. Er sah aus wie ein Mann, der gutes Essen und Trinken, Luxus und Behaglichkeit liebt, und Hoskins begriff sofort, daß eine Erfrischung von ihm verlangt wurde.
»Ein schläfriges Wetter, Herr«, sagte er als Entschuldigung. »Womit kann ich dienen?«
Der Fremde lächelte.
»Kennen Sie mich nicht?« fragte er.
Hoskins sah ihn an und schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, Herr, nein. Vielleicht waren Sie einmal zur Jagd hier?«
»Richtig. Bei der Gelegenheit habe ich hier gefrühstückt. Und nun möchte ich ein ordentliches Essen haben. Es gibt hoffentlich etwas?«
Hoskins machte ein langes Gesicht.
»Es ist tote Zeit jetzt, Herr, Sie werden das verstehen. Im Sommer kehren Herrschaften selten ein. Aber wenn Sie vorliebnehmen wollen –«
Der Fremde klopfte ihn auf die Schulter.
»Darüber reden wir noch. Holen Sie erst Ihr bestes Ale, auch für Sie und für den Chauffeur ein Glas. Das andere wird sich finden.«
Als Hoskins mit einer Kanne des Bitterbieres, durch das die Gegend berühmt war, zurückkam, betrachtete der Fremde die Blumen im Garten. Nachdem der Chauffeur sein Bier getrunken hatte, sagte er zu ihm:
»Sie fahren jetzt zurück und sind pünktlich um vier Uhr wieder da.«
Das Auto wendete und verschwand. Der Fremde nahm sein Glas in die Hand und setzte sich auf die Bank.
»Nun zur Sache«, sagte er. »Ich brauche ein Essen für zwei Personen, das, sagen wir um halb zwei, fertig sein muß. Ich erwarte eine befreundete Dame. Darum müssen wir unser Bestes tun.«
Hoskins machte ein nachdenkliches Gesicht, und der Fremde lächelte.
»Ich sehe, Sie haben Geflügel«, sagte er. »Wir können in drei Stunden allerlei schaffen. Nehmen Sie zwei Hühnchen, besonders zarte. Sie haben doch eine gute Köchin?«
»Meine Frau wird das besorgen. Auch habe ich Champignons.«
»Ausgezeichnet. Zweifellos wird sich auch ein Salat machen lassen. Ich will mir Ihren Garten daraufhin ansehen. Wenn alle Zutaten da sind, richte ich den Salat selbst an.
»Und ich habe einen vorzüglichen gekochten Schinken, auch alten Stiltonkäse. Was die Weine angeht –«
»Ich erinnere mich noch Ihrer vorzüglichen Weine von damals.«
»Ich habe Wein in meinem Keller, der von der Auktion bei dem Herzog vor fünf Jahren stammt. Vielleicht sehen Sie sich einmal meinen Vorrat an?«
»Ein guter Gedanke. Das werde ich tun. Dann einen hübschen, behaglichen Raum. Nicht Ihr Frühstückszimmer, das ist zu unheimlich groß für zwei Personen.«
»Wird besorgt«, erwiderte Hoskins. »Jetzt entschuldigen Sie mich, bitte, ich muß mich um die Küche kümmern.«
Der Fremde entließ den Wirt mit einer gnädigen Handbewegung, steckte sich eine Zigarre an und ging dann in den Gemüsegarten. Er schritt von Beet zu Beet und nickte zufrieden. Hier war Grünzeug genug zu einem Salat. Entzückt betrachtete er die Erbsen und die neuen Kartoffeln.
Dann holte ihn der Wirt zur Inspektion des Weinkellers ab. Hier entpuppte er sich als Kenner ersten Ranges. Hoskins verließ die unteren Regionen mit Flaschen beladen, die das edelste Gewächs enthielten.
Zu seiner Frau äußerte der Wirt, daß er seinen Gast zwar nicht im mindesten kenne, daß er aber ein vortrefflicher Kunde sei, da er, ohne mit der Wimper zu zucken, Weine ausgewählt hatte, die dreißig Schilling die Flasche kosteten.
»Und was mag das für eine Dame sein, die ihm helfen wird, den Wein austrinken?« fragte die Frau. »Sicher ist das eine Liebesgeschichte, Hoskins, soviel ich mir dabei denken kann.«
»Das geht uns gar nichts an«, erwiderte der Wirt. »Solange eine hübsche Rechnung mit gutem, barem Geld bezahlt wird, kümmere ich mich den Teufel drum, wer die Dame ist. Unsere Sache ist es nur, sie gut aufzunehmen.«
Aber trotzdem konnte auch er eine gewisse Neugierde nicht verbergen, und als die bestimmte Stunde kam, lungerte er in seinem Sonntagsstaat in der Nähe der Gartentür herum, mit einer blütenweißen Serviette bewaffnet. Denn er hatte beschlossen, selbst den Kellner zu spielen. Daß die Dame bald kommen mußte, erkannte er an den Anstalten des Fremden, der einen der Seitenwege entlang ging.
»Ah, sie kommt aus der Richtung von Ashminster«, murmelte Hoskins. »Das sind zwölf Kilometer, denn dazwischen liegt nichts. Und er kam von Lydcaster, das sind noch einmal zwölf Kilometer. Da steckt sicher ein Geheimnis dahinter.«
In diesem Augenblick tauchte ein Auto auf, das neben dem Fremden hielt. Dieser nahm seinen Filzhut ab und verbeugte sich tief vor einer großen, schlanken Dame, der er beim Aussteigen half. Sie sprachen lebhaft miteinander, und dann fuhr der Wagen wieder zurück. Der Fremde und die Dame kamen langsam auf das Wirtshaus zu. Mr. Hoskins begab sich eiligst in einen versteckten Winkel, von wo aus er den interessanten Besuch beaugenscheinigen konnte.
Zehn Minuten später stürzte er in die Küche und winkte seiner Frau.
»Maria«, flüsterte er, »ich weiß, wer die Dame ist. Es ist Lord Hartsdales Schwester, Frau Tressingham. Du weißt doch, Hilda Hartsdale, die den Oberst Tressingham heiratete. Aber – wer mag der Herr sein?«