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An diesem Freitagabend, der für ihn ereignisvoller sein sollte, als er es sich träumen ließ, ging George Ellington nach Hause, ohne zu ahnen, daß er das Opfer von mehr als einem Komplott war. Er wußte nicht, daß er von dem Augenblick an, wo er das Ministerium verlassen hatte, bis zu dem Zeitpunkt, da er aus dem Parlament fortging, ständig beobachtet wurde, daß wachsame Augen auf ihm und der Tasche in seiner Hand ruhten, als er vor dem Haus in der Curzonstraße aus dem Auto stieg. Ahnungslos trat er ein, ging gewohnheitsmäßig erst in sein Arbeitszimmer und legte die verhängnisvolle Mappe auf den Schreibtisch.
Damit verließen ihn alle Gedanken an Staatsgeschäfte und Amtssorgen. Im Speisezimmer aß er eine Schnitte, trank das einzige Glas Whisky mit Soda, das er sich täglich leistete, rauchte eine Zigarette halb auf, gähnte und ging zu Bett.
Sonst pflegte er noch eine Stunde mit Letty zu plaudern. Sie war aber an diesem Abend in Ashminster. Wohl weilte Marcia auf Besuch, aber George hatte keine Lust, zu dieser Stunde mit seiner kriegerischen Schwester zu debattieren. So lag um halb eins das ganze Haus in Ruhe und Finsternis.
Seit einiger Zeit litt Ellington an leichter Schlaflosigkeit. Er pflegte zwar unmittelbar nach dem Zubettgehen in tiefen Schlummer zu versinken, wurde aber gewöhnlich nach ein paar Stunden wieder wach, um dann sobald nicht wieder einzuschlafen. Auch heute fuhr er plötzlich auf, um festzustellen, daß es erst eben zwei Uhr war. Er suchte ein Buch auf dem Nachtschränkchen. Da fiel ihm ein, daß er es am Tage zuvor mit in sein Arbeitszimmer genommen hatte. Er stand auf, zog seinen Schlafrock an und ging hinaus, um es zu holen. Die Flure und Treppen waren mit Läufern ausgelegt, so daß Ellington nicht das geringste Geräusch verursachte. Da er den Weg genau kannte, hatte er kein Licht mitgenommen. Mitten auf der Treppe bemerkte er plötzlich einen kleinen erleuchteten Punkt auf dem untersten Treppenabsatz. Sofort war ihm klar, daß in seinem Arbeitszimmer Licht war, daß ein Schimmer davon durchs Schlüsselloch drang.
Ellington war überzeugt, daß Einbrecher eingedrungen sein mußten. Furchtlos wie er von Natur war, kam ihm gar nicht der Gedanke, sein Dienstpersonal zu wecken. Er lächelte bei dem Gedanken, daß sein Revolver ungeladen im Schreibtisch lag. Da verschwand plötzlich der Lichtschimmer vor ihm. Alles lag wieder in völliger Dunkelheit da.
Er faßte den Türgriff und öffnete. Im selben Augenblick drehte er das elektrische Licht an. Und da sah er, so nahe vor sich, daß er sie hätte berühren können, Hilda Tressingham.
Einen Augenblick schauten sie einander schweigend an. In ihren Augen las er Überraschung, Ärger, Enttäuschung. Sie sah auf seinem Gesicht fragende Verwunderung. Dann senkte sie den Blick und trat unbewußt einen Schritt zurück. Und Ellington griff hinter sich, drehte den Schlüssel um und steckte ihn zu sich.
»Frau Tressingham«, sagte er leise, »Frau Tressingham!«
Hilda hatte sich gefaßt.
»Öffnen Sie die Tür und lassen Sie mich hinaus!«
Er schüttelte den Kopf.
»Das hat Zeit. Wollen Sie sich nicht setzen?«
Hilda ließ sich in einen Sessel sinken.
»Ich muß Ihnen eine offene Frage stellen. Was tun Sie um diese Zeit in meinem Hause?«
Hilda zwang sich zu einem spöttischen Lächeln.
»In Ihrem Hause? In meines Bruders Hause, denke ich.«
»Da ich Miete bezahle, ist es mein Haus. Ich wiederhole die Frage.«
»Und wenn ich nicht antworte?«
»Dann würden Sie mich zwingen, die Polizei holen zu lassen. In guter Absicht sind Sie nicht hier.«
»Was wissen Sie von meinen Absichten?«
»Dann erklären Sie sich bitte.«
Hilda zögerte einen Augenblick. Dann sah sie auf einen Schrank in der Ecke.
»Sie wissen, daß sich in jenem Schrank verschiedene Papiere meines Bruders befinden. Ich habe es Ihnen selbst erzählt. Ich wollte darunter etwas suchen. Das ist alles.«
»Und dazu müssen Sie nachts um zwei in das Haus eindringen? Eine seltsame Geschichte, Frau Tressingham.«
»Wenn ich Ihnen die Wahrheit sage, glauben Sie mir nicht.«
»Haben Sie gefunden, was Sie suchten?«
»Sie unterbrachen mich.«
»Ich nehme an, Sie wollten das Zimmer verlassen, denn Sie machten Ihr Licht aus. Die Taschenlampe haben Sie noch in der Hand. Aber wie sind Sie hineingekommen?«
»Mit einem Schlüssel zu der Seitentür«, sagte sie, indem sie ihm einen Schlüssel hinhielt.
Mißtrauisch schüttelte er den Kopf.
»Das klingt glaublich, aber ich traue Ihnen nicht, Frau Tressingham.«
Hilda lächelte verächtlich. Ihr Selbstvertrauen wuchs. Und Garnier hatte sein Ziel erreicht.
»Wirklich nicht?« fragte sie.
»Nein«, wiederholte Ellington, »zu meinem Bedauern muß ich das sagen. Ich glaube, Sie verfolgen irgendeinen dunklen Zweck, wenn ich auch nicht weiß, welchen. Offenbar fing Ihr Spiel schon an, als Sie mir Ihre Wahlhilfe anboten. Wir wollen offen miteinander reden. Meine Frau hat mir gestern gebeichtet. Sie hat mir vom Amaranthklub erzählt, und was dort geschehen ist.«
Hilda rümpfte die Nase.
»Ihre Frau ist eine Närrin.«
»Sie ist meine Frau. Närrin oder nicht, sie war klug genug, mir alles zu erzählen, und infolgedessen werde ich die Aufmerksamkeit der Polizei auf Ihre Freunde, die Herren de Garnier und Barthelemy, richten.«
Hilda erschrak.
»Polizei!« rief sie aus.
»Ich hätte es sogar schon heute getan, wenn ich nicht stark beschäftigt gewesen wäre.«
»Es ist nichts geschehen, was die Polizei interessieren könnte«, sagte sie. »Ihre Frau wollte einmal einen lustigen Abend verleben, ich verhalf ihr dazu. Ich kenne die Gesetze ebensogut wie Sie. Es ist keinem verboten, in seiner Privatwohnung um Geld zu spielen. Wenn Sie die Sache an die große Glocke bringen, schaden Sie nur dem Ruf Ihrer Frau.«
Ellington lächelte.
»Über den guten Ruf meiner Frau werde ich schon wachen. Morgen gehe ich nach dem Polizeipräsidium.«
»Sie würden es Ihr Leben lang bedauern, wenn Sie es täten. Lassen Sie sich warnen.«
»Mich kümmern weder Warnungen noch Drohungen. Offen gesagt, ich glaube nicht an die Begründung, die Sie mir für Ihre Anwesenheit hier gegeben haben. Ich will Sie gehen lassen, werde aber meine Maßnahmen treffen.«
Er öffnete die Tür, auf die Hilda Tressingham zuschritt. Und dann starrten sich beide stumm und erschreckt an. Denn auf der Schwelle stand, ein Licht in der Hand, Marcia, und blickte argwöhnisch von einem zum andern.
Ellington erholte sich zuerst von seiner Überraschung. Er führte Hilda den Korridor entlang, ließ sie durch die Seitentür hinaus und legte die Sicherheitskette vor. Dann ging er in die Halle zurück, um Marcia diese nächtliche Zusammenkunft zu erklären.
Die Schwester war verschwunden. Langsam ging er bis zu ihrem Zimmer und klopfte an. Marcia öffnete. Ihr Gesicht zeigte bedrohliche Strenge.
»Marcia«, begann er, »sei so gut und erzähle niemand, was du soeben gesehen hat. Ich –«
Aber die junge Dame schlug ihm ohne ein Wort der Erwiderung die Tür vor der Nase zu.