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Die Herberge zur alten Buche. – Der Wald.
Hätte ich nicht ausschließlich an mein Verlassen der guten Leute gedacht, in deren Mitte ich seither gelebt, so würde meine Art zu reisen sowie die Reise selbst mir vieles Vergnügen gemacht haben. Ich wurde auf dem duftigen, schwankenden Berge sanft hin und her geschaukelt, und vor der Nachtfrische, die auf meine Flügel fiel, schützte mich das Heu ganz vortrefflich. Von Zeit zu Zeit kamen wir zu kleinen Häusern, und das grüne Ungetüm machte da zuweilen Halt. Während die Kärrner ihren Pferden einige Sorge widmeten und dabei auch sich selbst etwas erfrischten, betrachtete ich entzückt die vom Mond beleuchtete Landschaft. Wenn es dann weiter ging, begann wiederum das leise Wiegen, und ich fiel in Schlummer.
Es war schon heller Tag, als ich plötzlich durch ein Erbeben des Bodens oder vielmehr des Heues unter mir geweckt wurde. Der Schrecken brachte mich bald auf meine Füße; wir hielten vor einer großen Herberge, über deren Tür ein Schild hing, worauf ein Baum gemalt war. Das Schild trug die Inschrift: »Zur alten Buche.«
Die Pferde waren ausgespannt, und mehrere Knechte zogen mit aller Macht an den dicken Seilen, mit welchen man die Ladung befestigt hatte. Dies war auch die Ursache der heftigen Bewegung des Heues, worüber ich so sehr erschrocken war.
Nun mußte ich zum Vorschein kommen, denn eines der Seile konnte mich packen, und dieser Gefahr wollte ich mich nicht aussetzen. Ich überlegte eben, wie ich hinabkommen sollte, als ich einen behäbigen Mann in einem blauen Kittel, die Pfeife in dem Munde und einen mächtigen Schlüssel in der Hand, unter der Türe erscheinen sah.
»Ehe ihr das auf den Speicher schafft, trinkt einen Schluck, ihr Leute«, sagte er freundlich; »der Nachttau hat doch das Heu ein wenig feucht gemacht, und die Sonne kann es trocknen, während ihr frühstückt.«
Die Knechte rollten die bereits heruntergenommenen Stricke auf und gingen dann ins Haus. Der Herbergswirt trat an den Wagen und untersuchte prüfend das Heu. Der Mann hatte ein so gutmütiges Gesicht, daß er mir Zutrauen einflößte, und ich wollte bereits zum Vorschein kommen, als ich jämmerliche Schreie hörte, die von einem Wesen meinesgleichen ausgestoßen wurden. Ich schlüpfte geschwind unter das Heu; denn eine Ahnung sagte mir, daß jetzt irgend eine furchtbare Blutszene vorgehen werde. Und in der Tat sah ich bald ein junges Bauernmädchen, welches einen prachtvollen Hahn ein den Füßen gepackt hatte und ihn so herbeitrug.
»Ist er wenigstens fett?« sagte der Herbergswirt, während er den Hahn der Magd abnahm. »Oh, oh, der könnte fetter sein!« Mit diesen Worten kehrte er in das Haus zurück, und die junge Magd folgte ihm. Ich war allein und benutzte die Gelegenheit; ich flog zur Erde und schlug den ersten besten Weg ein, der sich mir darbot. Ich war entschlossen, alle Menschen zu fliehen, und klagte in meinem Herzen nur um den Verlust meiner teuren Herrin Kamilla, bei welcher ich mich einer durch nichts bedrohten Sicherheit erfreut hatte.
Ich lief, ich flog, ich legte eine große Strecke Weges in einer kurzen Zeit zurück und gönnte mir nicht eher Ruhe, als bis ich an dem Rande einer Reihe Baumgruppen stand, deren Ende ich nicht absehen konnte. Es schien mir das zu sein, was die Menschen einen Wald nennen. Die Bäume standen manchmal so dicht, daß das Licht nur durch einzelne Lücken des Blätterdaches herabkam. In den Gängen wuchsen Gräser und Moos, um die größeren Bäume wucherte hohes Gebüsch, das mir bequeme Schlupfwinkel bot, und vorab bemerkte ich nichts, was mich an meine Verfolger erinnerte. Ich sah kein Haus, ich vernahm keinen menschlichen Ton. Da kletterte ich denn entschlossen die Böschung hinauf und ging geradeaus in den Wald, bis ich nichts mehr sah als Waldesgrün und über mir den blauen Himmel.
Dieser erste Tag war reizend; einige Würmchen und Beeren stillten meinen Hunger, ein Bächlein, das zwischen moosigen Ufern dahinrieselte, gab mir klares Wasser: ich verlangte nicht mehr. Am Abend kroch ich in das Astloch einer alten Eiche und brachte da eine sehr gute Nacht zu. Mit Anbruch der Morgendämmerung war ich wieder wach und mit mir alle Gäste des Waldes; ich war das einzige meiner Art, aber viele Vögel und andere Tiere begegneten mir aus meinem Morgenspaziergange, und schließlich machte ich noch eine prachtvolle Entdeckung. Ich fand im tiefen Walde einen kleinen, stillen See, auf welchem dunkelfarbige, allerliebste Vögel herumschwammen.
Ich sah auch Rehe und andere Tiere, von denen ich nie sprechen gehört. Dieselben kamen, um ihren Durst zu löschen oder zu baden; junge Kaninchen schäkerten im Grase, Hasen sprangen durch die Waldwege, und Vögel in allen Farben und Größen schaukelten sich auf den Zweigen hoher, mächtiger Bäume.
Ich ging mit ernsten Schritten um den schönen See, lauschte den Gesängen, betrachtete die Gegend und fand mich wie eine kleine Königin in diesem Reiche, aus welchem der Mensch verbannt schien. Dieser erste Tag im Walde war so wonnig, daß ich hier zu bleiben beschloß. Keine Gefahr drohte mir, wenigstens glaubte ich das; ich war von Natur mäßig und dachte, daß ich die Lebensmittel, die ich finden würde, sehr wohl zu Rate halten konnte; meine Einsamkeit wäre allerdings tief, aber was sollte mir die Gesellschaft von Tieren, die keinen Verstand hatten, oder von Leuten, welche stets auf dem Sprunge standen, aus mir einen Braten zu machen?
Nachdem ich so die Umgegend des Sees zu meinem Wohnsitz gemacht, lebte ich hier ein wildes und reizendes Leben, welchem schließlich eine grausame Angst und ein schreckliches Abenteuer ein Ziel setzten.