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XII.
Löwen.

Ansicht der Gegend von Lüttich bis Löwen. La puissance de Dieu est grande. Schöne Dörfer und Menschen. Tirlemont. Anbau. Reisegesellschaft. Universitätsgebäude in Löwen. Unausgepackte Bibliothek. Doctorpromotionen. Methodische Ignoranz. Joseph's II. Reform. Neue Barbarei. Das Rathhaus. Collegium Falconis. Vlämische Sprache. Löwener Bier. Volksmenge.

Sobald man von Lüttich aus die steile Höhe erreicht hat, die sich längs dem linken Ufer der Maas erstreckt, findet man oben eine Ebene, welche nur in geringen wellenförmigen Wölbungen sich hier und da erhebt und ein reiches, fruchtbares Saatland bildet, das an einigen Orten eine ziemlich weite Aussicht gewährt. Verschwunden sind nun hier die lebendigen Hecken, welche jenseit Lüttich die Aecker und im Limburgischen die Wiesen und Weiden umzäunten. Oft sieht man auf sehr weiten Strecken nicht einen Baum; oft aber zeigen sich Dörfer in Espen und Ulmenhainen halb versteckt. Der Frühling kämpfte ritterlich mit dem verzehrenden Ostwinde: denn die Blüten von Birnen, Aepfeln, Kirschen, Schwarzdorn, Ulmen und Espen drangen trotz der Kälte hervor, die von den Obstsorten indeß nur an warmen und geschützten Wänden.

Durch das kleine Städtchen St.-Trond im lütticher Gebiete kamen wir nach Thienen oder Tirlemont, wo wir zu Mittag aßen. Auf dem Wege dahin nahmen wir eine Wirthin aus einer Dorfschenke in den Postwagen. Sie fing sogleich ungebeten an, indeß die übrige Gesellschaft schlief, mir von einer berühmten Ostertagsprocession zu erzählen, von welcher wir die Leute soeben zurückkommen sahen. Mehr als tausend Pilger zu Fuß und mehrere Hunderte zu Pferde ziehen über einen Acker und zertreten die daraufstehende grüne Saat. Allein jedesmal wird der Glaube des Eigenthümers reichlich belohnt, indem sein Acker dieses Jahr ungewöhnlich reichliche Früchte trägt. Ein Bauer, der nicht glauben wollte und sich die Procession verbat, ward von Gottes Hand gestraft und sein Acker blieb unfruchtbar. Ich begreife, sagte ich, daß das Niedertreten des jungen Korns ihm nichts schadet. Sie sah mich mit großen Augen an. » Oui«, rief sie endlich in einem bedeutungsvollen Tone, » la puissance de Dieu est grande!« Ich verstand und schwieg.

Die Dörfer in dieser Gegend sind schön. Man bemerkt zwar noch manche leimerne Hütten, doch auch diese sind geräumig und in ihrem Innern reinlich; aber fast noch öfter sieht man Bauerhöfe ganz von Backsteinen erbaut. Die Einwohner haben in dieser Gegend etwas Edles und Schönes in der Physiognomie; der gemeine Mann hat ein schönes Auge, eine große, gebogene Nase, einen scharfgeschnittenen Mund und ein rundes, männliches Kinn. Wir glaubten die Originale zu den edlern Bildungen der flamändischen Schule zu sehen. Die Frauenzimmer zeichnen sich bei weitem nicht so vortheilhaft aus; ich habe hier noch kein schönes angetroffen, doch wäre dies auf einem so schnell vorübereilenden Zuge wirklich auch zu viel verlangt. Munterkeit, Thätigkeit, mit einem Behagen an sinnlichen Empfindungen und einer gewissen Ungezwungenheit vergesellschaftet, schienen mir an diesen Menschen hervorstechende Charakterzüge. Ich spreche nur vom Volk; aber das Schicksal der zahlreichsten Klasse hat auch den ersten Anspruch auf den Beobachter, und wenn ich mich in meiner Prognosis nicht geirrt habe, so deuten jene Züge zusammengenommen auf einen ziemlich glücklichen Zustand des Landvolks.

Tirlemont ist eine reinliche, gutgebaute kleine Stadt mit vielen massiven Gebäuden, die ihren ehemaligen Wohlstand noch bezeugen. Jetzt scheint sie von ihrer Nahrung viel verloren zu haben; doch werden hier noch wollene Waaren, Flanelle nämlich und Strümpfe, verfertigt. Der starke Anbau des Oelrettichs, den man auf französisch colsat oder colza nennt, welches offenbar aus unserm »Kohlsaat« entstanden ist, beschäftigt hier ein Dutzend Oelmühlen. Auf die vortrefflichen Wege, die wir überall seit unserm Eintritt in die österreichischen Niederlande gefunden hatten, folgte jetzt eine Chaussee, welche bis nach Löwen in gerader Linie fortläuft und unzerstörbar zu sein scheint. Espen, Ulmen und Linden, oft in mehrern Reihen nebeneinander, beschatten diesen Weg und begleiten auch an manchen Stellen jeden Acker. Die häufigen Landhäuser und Dörfer, bald am Wege, bald in einiger Entfernung, zeugen von der starken Bevölkerung dieses fruchtbaren, schönen Landes, welches sich jedoch hier immer mehr bis zur vollkommenen Ebene verflacht. An einigen Stellen sahen wir die Aecker und Wiesen mit Gräben umzogen; Saatland und Kleeäcker und Oelsamen wechselten mit den bereits zur Sommersaat gepflügten Feldern ab. Alles, was romantisch ist, mangelt dieser Gegend; dafür zeigen sich aber Ueberfluß und Cultur eines leichten, fruchtbaren, mit Sand gemischten Bodens.

Um der Sicherheit willen versahen wir uns hier mit der Cocarde von Brabant, die wir vielleicht noch länger hätten entbehren können; denn so kindischfroh noch alles in Brabant mit der neuen Puppe der Unabhängigkeit spielt, so ist gleichwol die erste Wuth des Aufruhrs verraucht, und man dürfte es leicht dem durchreisenden Fremden verzeihen, daß er nicht das patriotische Abzeichen aufsteckt. Allein, um der Gefahr einer Mishandlung von einzelnen unbändigen Menschen nicht ausgesetzt zu sein, ist es immer rathsamer, sich lieber nach Landesart zu bequemen. Wir hatten überdies noch einen muthwilligern Antrieb, den die abenteuerliche Erscheinung eines unserer Reisegefährten veranlaßte. Die Gesellschaft bestand in einem alten französischen Chevalier de St.-Louis, seiner Gouvernante und einem saarbrückischen Spiegelarbeiter, der wie ein ehrlicher Bauer aussah. Unterwegs gesellten sich noch ein französischer Kupferdrucker aus Lüttich und seine niederländische Frau dazu.

Der alte Ritter hatte wenigstens seine sechzig Jahre auf dem Rücken und war ein kleines vertrocknetes Gerippe mit einem sauern Affengesicht und einer Stimme, die etwas zwischen Bär und Bratenwender schnarchte und knarrte. In seinen Zügen lag alles Eckige, Mürrische und Schneidende von Voltaire's Caricaturgesicht, ohne dessen Satire, Risibilität und Sinnlichkeit. Den ganzen Tag kam der Alte nicht aus seinem verdrießlichen, kurz abgebrochenen, trockenen Ton; nicht ein einziges mal schmiegten sich seine verschrumpften Wangen zu einem wohlgefälligen Lächeln. Eine entschiedene Antipathie wider alles, was nicht auf seinem vaterländischen Boden gewachsen war, ein aristokratisches Misfallen an der unerhörten Neuerung, daß nun auch der Pöbel, la canaille, wie er sich energisch ausdrückte, Rechte der Menschheit reclamirte, und ein ungeberdiges Bewußtsein seiner Herkunft und Würde, welches sich bei allen kleinen Unannehmlichkeiten der Reise äußerte, schienen den Grund zu seiner übeln Laune auszumachen, die dadurch noch sichtbarer und lächerlicher ward, daß er offenbar in sich selbst einen innern Kampf zwischen der Lust zu sprechen und der Abneigung, sich der Gesellschaft mitzutheilen, fühlte. Er saß da in einem kurzen, ganz zugeknöpften Rock vom allergröbsten Tuch, das einst weiß gewesen war und das unsere Bauerkerle nicht gröber tragen; im Knopfloch das rothe Bändchen, auf dem Kopfe eine runde, weißgepuderte Perrüke und einen abgetragenen, runden Hut mit flachem Kopf und schmalem Rande, der ihm folglich nur auf der Spitze des Scheitels saß, so oft er ihn auch ins Gesicht drückte. Die Gouvernante war eine ziemlich wohlgenährte französische Dirne mit einem wirklich nicht unebenen Gesicht, das eher feine Züge hatte, und mit einer Taille, worüber nur die Verleumdung dem erstorbenen Ritter einen Vorwurf machen konnte. Sie schien ohne alle Ausbildung, blos durch Nachgiebigkeit und indem sie sich in die Launen ihres Gebieters schickte, ihn doch packen zu können, wo er zu packen war. Den ganzen Weg hindurch disputirte er mit ihr, verwies ihr Dummheit und Unwissenheit, belehrte sie mit unerträglicher Rechthaberei und behielt am Ende immer unrecht. Er affektirte von seinen Renten zu sprechen und zankte mit jedem Gastwirth um seine Forderungen. Diese vornehme Filzigkeit brachte ihn mit den Zollbeamten in eine verdrießliche Lage. Ein halber Gulden hatte unsere Koffer vor ihrer Zudringlichkeit gesichert; allein ob sie ihn schon kannten oder hier ihre berüchtigten physiognomischen Kenntnisse an den Mann brachten, genug, als hätten sie geahnt, er werde nichts geben, packten sie seine Habseligkeiten bis auf das letzte Stück Wäsche aus und ließen ihm den Verdruß, sie unsern Augen preisgegeben zu haben und sie wieder einzupacken, wofür er denn, sobald sie ihn nicht mehr hören konnten, eine halbe Stunde lang über sie fluchte. Durch eine ziemlich leichte Ideenverbindung kam er auf den Finanzminister Necker Jacques Necker, geb. 1732 zu Genf, Bankier zu Paris, national-ökonomischer Schriftsteller, 1777 Generaldirector der Finanzen, 1781 entlassen, 1788 als Finanzminister zurückberufen, bedeutsam durch seine staatsmännische Wirksamkeit bei Beginn der Französischen Revolution, 1790 wieder entlassen, starb 1804 zu Coppet am Genfersee. Anmerkung d. Hg. und ergoß den noch unverminderten Strom seiner Galle über ihn: »Der Mann«, sagte er, »empfängt immer und zahlt niemals; lebte ich nicht von meinen Renten, ich müßte zu Grunde gehen, denn meine Pension bleibt aus.« Zu St.-Trond fingen wir an, von Cocarden zu sprechen; dies setzte ihn, der den Beutel so ungern zog, in Angst und Verlegenheit, zumal da wir äußerten, daß man sich leicht eine Mishandlung zuziehen könne, wofern man ohne dieses Schibolet der Freiheit sich auf den Straßen sehen lasse. Da wir es indeß doch für gut fanden, ohne Cocarde bis Tirlemont zu fahren, beruhigte er sich wieder. Hier aber steckten wir nach Tische die patriotischen drei Farben, schwarz, gelb und roth, an unsern Hut und versicherten mit bedeutender Miene: jetzt sei nicht länger mit den wüthenden Brabantern zu scherzen. Zwischen Furcht und Knauserei gerieth unser Ritter in neue Bedrängniß; mit der Gouvernante ward förmlich Rath gepflogen; sie stimmte für den Ankauf und schon war er im Begriff, das Geld hinzuzählen, als die Liebe zu den vierzehn Stübern siegte und er sich, freilich mit etwas banger Erwartung, ohne Abzeichen in den Wagen setzte. Die Menge der Cocardenträger, die uns nachmittags begegneten, beunruhigten ihn aber so sehr, daß er, wiewol wir schon in der Dämmerung zu Löwen eintrafen, noch beim Abendessen mit einem vierfarbig gestreiften Bändchen um seinen schäbigen Hut, wie ein alter Geck, der auf dem Theater eine Schäferrolle spielt, zum Vorschein kam und nach hiesiger Landesart, ob wir gleich unbedeckt waren und in Gesellschaft einer von Antwerpen angekommenen Französin dasaßen, ihn bei Tische auf dem Kopfe behielt. Die Gouvernante, die im Wagen neben ihm saß, hatte doch nicht die Ehre, mit ihrem Herrn aus einer Schüssel zu essen, sondern mußte in der Küche mit des Kutschers Gesellschaft fürliebnehmen; ein Zug, der seinen Stolz desto mehr charakterisirte, weil sonst der Kutscher schon oft der Gegenstand seines Zorns gewesen war: er fuhr ihm zu langsam, er hielt zu oft an, er war ein viel zu hübscher Kerl und schäkerte zu viel mit den Mädchen in den Schenken.

Unser Kupferdrucker war ein Original von einer ganz andern Art. Was im Gesicht des alten Ritters fehlte, war das einzige herrschende Wahrzeichen des seinigen: ein tiefer Einschnitt auf beiden Wangen, um den Mund, welcher die Gewohnheit, denselben in die Falten der Freundlichkeit zu legen, andeutete. Sein übrigens auch hageres Gesicht hatte einen Ausdruck von Geschmeidigkeit ohne Falschheit, von der Weichheit und sanften Gefälligkeit, die aus einem dunkeln Gefühl von Schwäche und Furcht entspringt, versetzt mit einer wahrhaft parisischen Reizbarkeit für den leichtsinnigsten Genuß der Minute, einer feinen Scherzlustigkeit und einem Sinn für das Groteskkomische. Er hatte sich noch nicht zurechtgesetzt, so kündigte er sich schon an und ließ uns nicht länger in Ungewißheit über seine Schicksale, sein Gewerbe, seine Vermögensumstände, seine Verwandtschaft, seine Aussichten und seine Gebrechen. Einen Topf, in ein Tuch gebunden, behielt er sehr sorgfältig in der Hand. Dieser Topf, sagte er, sei mit einem vortrefflichen Oelfirniß angefüllt, den er bereiten könne und der zum Kupferdrucken unverbesserlich sei. Daher war auch der Schlußreim seiner Erzählungen immer: »Ich weiß zuverlässig, man wird mich in Lüttich sehr vermissen.« Sein Handwerk nannte er ein talent, und versicherte sogar, daß er drei talens besäße, nämlich das Kupferdrucken, das Buchdrucken und das Formschneiden in Holz. Weiter als St.-Trond wollte er nicht gehen, dort sei er gesonnen zu bleiben, bis es da nichts mehr zu thun gäbe. Einen Theekessel führe er überall mit sich; es sei das einzige, unentbehrliche Geschirr, weil er seinen Kaffee selbst koche. In Deutschland rühmte er sich einer guten Aufnahme; er war bis Andernach gekommen, wo man ihn nach Vermögen in einer kleinen Schenke bewirthet und ihm sogar über die Streu ein Leintuch gedeckt hatte; dafür habe er auch der Magd, comme un généreux Français, beim Weggehen etliche Kreuzer geschenkt. Sein Vater war Zolleinnehmer gewesen, er nannte ihn einen petit monsieur, qui a mangé soixante mille francs. Hätte der kleine Herr nicht beträchtliche Schulden hinterlassen, die seine Witwe und Kinder bezahlen mußten, so hätte sein Sohn studirt und wäre wieder ein Régisseur geworden; allein wenigstens seine Schwestern lebten dans le grand monde. Seine Frau konnte fast gar kein französisch und war so häßlich, daß sogar unser alter Erbsenkönig, als sie in den Wagen stieg, ein ah Dieu! qu'elle est laide! zwischen den Zähnen murmelte, ohne an seine eigenen Vorzüge zu denken. Um das Räthsel zu lösen, wie man zu einer unfranzösischen Frau kommen könne, eröffnete uns der Kupferdrucker, daß sie zwölftausend Gulden erben würde, und daß er im Begriff stehe, diese Erbschaft zu heben. »Mit dem Gelde«, fuhr er fort, »bin ich ein reicher Mann, kaufe mir ein Pferd und einen brancard dazu, führe mein Weib nach Paris, zeige ihr alle Herrlichkeit der Welt und etablire mich dann in der Provinz.« Nun fing er an, uns alle Sehenswürdigkeiten der unvergleichlichen, einzigen Hauptstadt zu beschreiben. Zuerst nannte er die Tuilerien, weil der König jetzt darin wohnt; sodann die Sternwarte. »Hier«, sagte er, »steigt man dreihundert Stufen tief hinab in einen Keller und guckt dann durch drei Meilen lange Röhre am hellen Mittage nach dem Mond und den Sternen. Aber lassen Sie sich nichts weismachen, wenn Sie hinkommen; es sind keine wahren Gestirne, die man dort zu sehen bekommt, sie sind von Pappe ausgeschnitten und werden vor die Sehröhre geschoben.« Ebenso klare Begriffe hatte er vom königlichen Naturaliencabinet, »wo man in einem Zimmer alle Thiere und Vögel, im andern alle Pflanzen der Erde beisammen sieht«. Besonders aber pries er die Wunder des Invalidenhauses und das Merkwürdigste von allem, nämlich die Küche. »Hier steht eine marmite von ungeheuerer Größe und hundert Bratspieße, et sur chacune vingt gigots de mouton.« Hätten wir einen Engländer bei uns gehabt, er würde den Zug charakteristisch gefunden haben, da man in England immer über das Hungerleiden der Franzosen spottet. Während der Mann von Paris plauderte, hatte sein ganzes Angesicht sich zur Miene des höchsten Entzückens verklärt, und er beschloß mit der Betheuerung, daß er die Stadt vor seinem Ende wiedersehen und sich seiner guten Tage dort erinnern müsse. Dann pries er uns seine glückliche Ehe; und als einer bemerkte, daß der Ehesegen ausgeblieben sei, wäre er mit der ernsthaften Versicherung, dies sei auch der einzige Streitpunkt zwischen ihm und seiner Frau, gut durchgekommen, wenn sie nicht zur Unzeit von vier Jungen, so groß wie er selbst, aus ihrer ersten Ehe gesprochen hätte. Jetzt mußte er sich aus der Sache ziehen, so gut er konnte; er that es indeß mit der besten Art von der Welt und mit der feinsten französischen Galanterie gegen seine wirklich ausgezeichnet häßliche Hälfte. Endlich lenkte er das Gespräch auf seine Armuth, spottete über den Inhalt seines Koffers und wiederholte aus »Annette und Lubin«: »Tu n'as rien, je n'ai rien non plus; tiens, nous mettrons ces deux riens-là ensemble et nous en ferons quelque chose«, und da ihm dies die Sache nahe legte, müßte er weniger leichtes Blut gehabt haben, als ein Franzose wirklich hat, um nicht von diesem Dialog den Uebergang zum Singen zu machen und sehr zärtlich zu quäken. Im ersten Wirthshause, wo wir abstiegen, producirte er uns aus einem Päckchen etwas von seiner Arbeit. Es waren einige Kupferabdrücke, die er zu einem lütticher Nachdruck von Levaillant's François Levaillant, geb. 1753 in Holländisch-Guiana, gest. 1824, studirte Naturgeschichte zu Paris, machte 1781-85 zwei größere Reisen in das Innere des Caplandes, beschrieb dieselben und ist auch als Ornitholog von Bedeutung. Anmerkung d. Hg. Reisen gemacht hatte. Bei dieser Gelegenheit kam auch der Nachdruck der Encyklopädie Die »Encyklopädie« oder » Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et métiers«, erschienen zu Paris 1751-72, war eine Art Conversations-Lexikon über alle Wissensgebiete, unter Diderot's und d'Alembert's Leitung von einer Anzahl der bedeutendsten Gelehrten Frankreichs verfaßt. Das Werk wirkte vornehmlich dadurch, daß es in seinen Aufsätzen über Religion, Sitten- und Staatslehre dem Bedürfniß der Zeit nach Befreiung von kirchlichem und weltlichem Despotismus Ausdruck gab. Anmerkung d. Hg. in Erwähnung, die er kaum nennen hörte, als er schon ausrief: » Ah l'excellent ouvrage, que l'Encyclopédie! – Aber schade«, setzte er hinzu, »daß ich es nicht bei mir habe, das schöne Blatt, welches ich auch noch in Lüttich druckte, le Capsignon parmi ses disciples!« Hätte ich den Anacharsis »Die Reise des jungen Anacharsis in Griechenland« (1788), ist das Hauptwerk des Abbé Jean-Jacques Barthélémy (1716-95), welcher als Director des königlichen Münzcabinets zu Paris lebte. Anmerkung d. Hg. nicht kürzlich in Händen gehabt, so wäre es mir nicht eingefallen, daß dies die Aussicht vom Minerventempel aus dem Vorgebirge Sunium sein sollte, wo Plato mit seinen Schülern steht.

Das Glück, sich mit einer Landsmännin von Stande in Gesellschaft zu sehen, hatte sichtbaren Einfluß auf unsern Ritter; er nahm ein Air von Würde an, das in der That ins hohe Komische gehörte. Die Dame aus Antwerpen war indeß in ihrer Art wenigstens eine ebenso auffallende Caricatur wie er selbst. Sie reiste ohne alle Bedienung mit einer achtjährigen Tochter und mochte wirklich von Stande sein, wofür sie der Ritter hielt; denn 4sie war für eine Modehändlerin zu gelehrt und für eine französische Komödiantin nicht ungezwungen genug in ihrer Koketterie. Ihr langes, bleiches Gesicht machte noch Ansprüche auf Schönheit, die aber ihre lange hagere Figur schlecht unterstützte; im Grimassiren, Gesticuliren und Moduliren des Tons war sie Meister, sodaß sie alle Beschreibung zu Schanden macht. Sie politisirte über alle Angelegenheiten von Europa mit einer Dreistigkeit und einer Fülle von Kunstwörtern, die mancher für Sachkenntniß genommen hätte. Auf ihrer Reise in Holland hatte Rotterdam ihr gefallen; vom Haag hingegen behauptete sie, daß es den Vergleich mit Versailles nicht aushielte. Doch rühmte sie den Diamantenschmuck der Erbstatthalterin. Alles war entweder ganz vortrefflich oder ganz abscheulich, und ihre Superlativen bestanden immer aus einer dreifachen Wiederholung des Worts, welches sie das erste mal langsam, die beiden folgenden male aber äußerst schnell aussprach,

  prestissimo
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z. B. superbe — superbe — superbe!

Als der alte Chevalier seine Magd aus dem Zimmer zum Essen schickte, riß die Donna die Augen weit auf und blickte starr hinter ihr her, bis sie schon längst zur Thür hinaus war: dabei schraubten sich Mund und Nase zu einem unbeschreiblichen Ausdruck der hochmüthigsten Verachtung. Sprach ein Bedienter sie bei Tische an, so antwortete sie ihm mitten in der heftigsten Declamation, wobei sie gemeiniglich, um Eindruck zu machen, im Tenor blieb, mit einer sanften, unschuldigen Discantstimme und einem Tone der unerträglichsten Gleichgültigkeit. Mit eben dieser zarten Stimme und einem affectirten, ganz gefühllosen Zärtlichthun adressirte sie auch von Zeit zu Zeit an ihr Hündchen unter dem Tisch einige süße Worte. Kurz, es wäre verlorene Mühe gewesen, an diesem Geschöpfe nur noch eine Faser Natur zu suchen.

Unter solchen Menschen leben wir, lachen wo wir können, und wälzen uns durch eine Welt, die uns fremd bleibt, bis der Zufall hier oder dort ein Wesen erscheinen läßt, an dessen innerm Gehalt der lechzende Wanderer sich erlaben kann. Daß solche Erscheinungen fast überall möglich sind, wird man ohne die auffallendste Einseitigkeit nicht leugnen wollen; daß aber mehr als Glück dazu gehört, sie gleichsam im Fluge zu treffen, indem wir schnell vorübereilen, das, dünkt mich, versteht sich von selbst. Trifft man sie aber nicht an, so sind dergleichen Verzerrungen, wie ich sie hier geschildert habe, willkommener als die ganz alltäglichen platten Geschöpfe, die keine Prise geben, weil ihnen sogar alles fehlte, was des Verschraubens fähig war. In Löwen machten wir keine Bekanntschaft; ich muß mich daher bei meinen Bemerkungen ziemlich auf das Aeußere und Leblose einschränken.

Eine alte Mauer von Backsteinen umringt diese Stadt, und in Büchsenschußweite voneinander sieht man noch alte runde, massive Thürme, die, sowie die Mauer selbst, verfallen sind. Die hiesige Collegiatkirche zu St.-Peter ist ein schönes gothisches Gebäude; die Höhe der Bogen, die weiße Farbe und die Einfalt des ganzen Innern machen einen herrlichen Effect. Es war schon zu finster, um das Altarblatt und überhaupt irgendetwas von den vielen Gemälden in den hiesigen Kirchen und Klöstern zu sehen. Crayer's beste Stücke trifft man hier in der St.-Quintins-, der St.-Jakobs- und der Karmeliterkirche an. Allein außer diesen und Einigen ältern Blättern von Matsys Quintin Matsys oder Messys, gest. zu Antwerpen 1530 oder 1531, berühmter älterer Heiligenmaler der Niederländer. Anmerkung d. Hg., Coxis Michael Coxis, geb. zu Mecheln 1497, gest. zu Antwerpen 1592. Anmerkung d. Hg. und Otto Venius Othon van Veen, gewöhnlich Otto Venius genannt, geb. zu Leyden 1558, gest. 1629. Er lebte zu Antwerpen, Haag und Brüssel und war Rubens' Lehrer. Anmerkung d. Hg. findet man hier bei weitem nicht das Vorzüglichste aus der flamändischen Schule.

In dem sehr großen und geräumigen Universitätsgebäude wurden wir bei Licht herumgeführt. Die Hörsäle sind von erstaunlicher Höhe und Größe; an den Wänden stehen die Sitze stufenweis übereinander und die Katheder sind mit kostbarem Schnitzwerk reichlich verziert; allein im Winter muß man hier entsetzlich frieren, da es kein Mittel gibt, diese weitläufigen Säle zu erwärmen. Im Conciliensaale und im medicinischen Hörsaale hängen eine Menge Schildereien; in einem andern Saale sieht man einen prächtigen Kamin von Marmor, von ungeheuerer Größe. Der Bibliotheksaal schien mir nur auf eine kleine Sammlung eingerichtet. Die Bücher, die seit zwei Jahren in Brüssel waren, sahen wir nur zum Theil wieder hier; allein sie standen noch in Verschlägen unausgepackt. Die Professoren sind größtentheils noch abwesend; denn viele halten die kaiserliche Partei und haben sich daher seit den Unruhen außer Landes begeben. Dahin gehört vorzüglich der Rector der Universität van Lempoel, ein geschickter Arzt und ein Mann von reifer Einsicht, den Joseph II. fähig erfunden hatte, seine wohlgemeinte Verbesserung des hiesigen akademischen Unwesens durchzusetzen. Die Misbräuche, die hier aufs höchste gestiegen waren, machten eine neue Einrichtung unumgänglich nothwendig; allein diese griff natürlicherweise in die Vorrechte ein, welche man in dunkeln und barbarischen Zeiten der schlauen Geistlichkeit zugestanden hatte, und der erste Schritt der jetzigen Regierung war daher die völlige Wiederherstellung der uralten, wohlthätigen Finsterniß, bei der man sich bisher so wohlbefunden hatte. Ein Geistlicher, Namens Jaen, ist gegenwärtig zum Rector ernannt, und alles ist wieder auf den alten Fuß gesetzt. Die Doctorpromotionen kosten, mit Inbegriff der institutionsmäßigen Schmäuse, 8-10000 Gulden, und die gesunde Vernunft hat in allen Fällen genau so wenig zu sagen wie in diesem. Es war lächerlich, wie man unsere Vorstellungen von der Anzahl der hier Studirenden umwandelte. In Lüttich hatte man uns gesagt, wir würden deren bei 3000 finden; hier in der Stadt hörten wir, es wären kaum 300, und der Pedell bewies uns endlich aus seinen Verzeichnissen, daß ihrer noch nicht 50 wären. In der That hatten sich beim Ausbruch der Empörung eine sehr große Anzahl der damals in Brüssel befindlichen Akademiker für ihren Wohlthäter, den Kaiser, erklärt und sogar für ihn die Waffen ergriffen. Bei der bald darauf erfolgten gänzlichen Vertreibung der kaiserlichen Truppen aber mußten diese jungen Krieger, die freilich besser daran gethan hätten, den friedlichen Musen ununterbrochen zu opfern, ihre Rettung in der Flucht suchen.

Mit allen ihren Fehlern und Gebrechen hatte die Universität Löwen doch immer einen großen Namen und ward von Einheimischen und Fremden fleißig besucht. Da man, ohne in Löwen promovirt zu haben, schlechterdings kein öffentliches Amt in den österreichischen Niederlanden bekleiden, ja nicht einmal in den Gerichtshöfen advociren kann, so ist es am Tage, weswegen man sich ohne Widerrede den ungeheuern Kosten der Promotion unterwarf, und zugleich, wie man durch diesen Aufwand einem strengen Examen entging. Zum Scheine war dieses Examen allerdings abschreckend genug; man mußte auf eine ungeheuere Anzahl Fragen in allen Disciplinen antworten. Allein es gab auch Mittel und Wege, die schon vorher bestimmten Antworten auf diese Fragen (die einzigen Antworten, welche die Professoren gelten ließen, weil sie selbst oft keine andern auswendig gelernt hatten) sich vor dem Examen zuflüstern zu lassen; man lernte sie auswendig, antwortete dreist und prompt und ward Doktor. An diesem Beispiele läßt sich abnehmen, wie leicht die besten Vorkehrungen gemisbraucht und der Vortheil des Staats, den man zur Absicht dabei hatte, durch den Eigennutz einzelner Gesammtheiten in demselben, vernachlässigt werden kann. Wer hätte nicht geglaubt, daß es ein vortreffliches Mittel sei, lauter geschickte und gelehrte Beamte zu erhalten, wenn man es ihnen zur Bedingung der Beförderung machte, daß sie in Löwen graduirt sein müßten? Allein die schlaue Klasse von Menschen, denen mit der Ausbildung weiser Staatsdiener kein Gefallen geschieht, die Klasse, die immer nur im Trüben fischen will und nur durch die Unwissenheit ihrer Mitbürger ihre Existenz zu verlängern hoffen kann, wußte schon jene so gut ausgedachte Anstalt zu vereiteln und ihre eigenen Einkünfte zugleich zu vermehren. Der ganze Zuschnitt der Universität war theologisch. Alle, selbst die weltlichen Professoren, waren zur Tonsur und zum Cölibat verbunden; denn nur unter dieser Bedingung konnten sie gewisse Präbenden statt der Salarien erhalten. Die Bibliothek ward allein von den Beiträgen der Studirenden vermehrt; kein Wunder also, wenn sie unbedeutend geblieben ist. Ebenso entstand aus dem jährlichen Beitrage von acht Kronthalern, den jeder Studirende erlegen mußte, eine Kasse, in welche sich die Professoren theilten, und wobei sie sich allerdings sehr gut stehen konnten, wenn die Anzahl der Akademiker sich auf mehrere Tausende belief. Viele Fremde, insbesondere die Katholiken aus den Vereinigten Niederlanden, haben diese Universität immer fleißig besucht und auf ihr beträchtliche Summen verzehrt. Van Lempoel selbst war, wenn ich nicht irre, aus den Generalitätslanden gebürtig.

Joseph erkannte bald, daß ohne eine bessere Form der öffentlichen Erziehungsanstalten sich an keine gründliche Aufklärung in seinen belgischen Provinzen denken lasse; er erkannte zugleich, daß vermehrte Einsicht der einzige Grundstein wäre, auf welchem seine Reformen in dem Staate sicher ruhen könnten. Daher verlegte er die weltlichen Facultäten nach Brüssel, um sie dem Einflusse des theologischen Nebels zu entziehen und der Aufsicht seines Gouvernements näher zu rücken. Diese eines großen Regenten würdige Einrichtung, welche schon allein beweist, wie tief der Kaiser in das Wesen der Dinge schaute und wie sehr er den rechten Punkt, worauf es ankam, zu treffen wußte, würde vielleicht noch durchgegangen sein, wenn es ihm nicht auch am Herzen gelegen hätte, die Finsterniß, in welche die niederländische Geistlichkeit sich selbst und ihre sämmtlichen Mitbürger absichtlich hüllte, durch kräftig hineingeworfene Lichtstrahlen zu zerstreuen. Unglücklicherweise waren es nur Blitze, deren grelles Leuchten blos dazu diente, die Schrecken in der Nacht recht fühlbar zu machen; hier und da sengten sie mit ihrem kalten Strahl, zündeten und zerstörten, und ließen dann alles so wüst und unfruchtbar wie zuvor. Der große Grundsatz, daß alles Gute langsam und allmählich geschieht, daß nicht ein verzehrendes Feuer, sondern eine mild erwärmende Sonne wohlthätig leuchtet, die Dünste zertheilt und das schöne Wachsthum der organischen Wesen befördert, scheint Joseph's Kopf und Herzen gleich fremd gewesen zu sein, und dieser Mangel eines wesentlichen Grundbegriffs zertrümmerte alle seine großen und königlich erdachten Plane.

Von dem Augenblick an, da der Kaiser die Privilegien der Geistlichkeit in seinen Niederlanden antastete, von dem Augenblick an, da er den theologischen Unterricht von seinen gröbsten Schlacken reinigen und den Sauerteig der Bollandisten »Bollandisten« sind die zahlreichen belgischen Jesuiten, welche die von Johann Bollandus (1596-1665), einem geborenen Limburger, 1635 begonnenen » Acta Sanctorum« oder Heiligengeschichten, eine sehr umfassende, noch nicht abgeschlossene Sammlung, fortsetzten. Anmerkung d. Hg. ausfegen wollte, war ihm und allen seinen Maßregeln Verderben geschworen. Zu einer Zeit, wo das ganze katholische Europa, Rom selbst nicht ausgeschlossen, sich der außerwesentlichen Zusätze schämte, die das Heiligthum der Religion entehren und nur so lange gelten, als man noch durch die Macht des Aberglaubens herrschen kann – am Schlusse des 18. Jahrhunderts wagte es die belgische Klerisei, die crassesten Begriffe von hierarchischer Unfehlbarkeit zu vertheidigen und im Angesicht ihrer hellsehenden Zeitgenossen selige Unwissenheit und blinden Gehorsam zu predigen. Mit dem Bewußtsein, daß ihr Wirken in allen Gemüthern die Vernunft entweder ganz oder halb erstickt habe und daß sie auf Ergebenheit der zahlreichsten Volksklasse, des gemeinen Mannes, sicher rechnen dürfe, trotzte sie auf ihre unverletzbaren Rechte. So kehrte man schlau die Waffen der Aufklärung gegen sie selbst; denn war es nicht unser Jahrhundert, das die Heiligkeit der Rechte in das hellste Licht gesetzt hat? Recht ist ein so furchtbares Wort, daß es den gewissenhaften Richter erzittern macht, selbst wenn Irrthum und Betrug es gegen Wahrheit und Redlichkeit reclamiren. Joseph's Grundsatz, nach welchem er sich verpflichtet glaubte, seine Wahrheit zum Glück der Völker mit Gewalt anzuwenden, verleitete ihn zu einem Despotismus, den unser Zeitalter nicht mehr erduldete; dies wußte der belgische Klerus, und laut und muthig ertönte seine Stimme. Gleichwol klebte dem Kaiser dieser Grundsatz wahrscheinlich noch aus seiner Erziehung an und hatte sich in gerader Linie von eben jener Hierarchie, die ihn zuerst ersann und ausübte, auf ihn verpflanzt. Joseph hatte unrecht; aber die Vorsehung übte durch ihn das Wiedervergeltungsrecht! Wären nur auch die Staaten von Brabant und der ganze belgische Congreß durch diese Beispiele toleranter geworden! Allein es ist zu süß zu herrschen, zumal selbst im Verstande der Menschen zu herrschen, und Löwen, das durch Joseph's Generalseminarium im Grunde an wahrer Aufklärung wenig oder gar nichts gewann, soll jetzt wieder lehren, was es schon bei der Stiftung der Universität im Jahre 1431 lehrte.

Das Rathhaus in Löwen, eins der prächtigsten gothischen Gebäude, die noch jetzt existiren, ist um und um mit kleinen Thürmen verziert, ja ich möchte sagen, aus lauter solchen Thürmen zusammengewachsen; aber das unermeßlich Mühsame dieser Bauart macht am Ende, wenn es in solchen großen Gebäudemassen dasteht, doch einen starken Effect. Wir hatten kaum Licht genug, um die Umrisse dieses Rathhauses noch ins Auge zu fassen und mußten auf die Besichtigung des Innern Verzicht thun. Im Vorbeigehen bemerkten wir noch an dem sogenannten Collegium Falconis ein sehr schönes, edles einfaches Portal von griechischer Bauart.

Das Vlämische, welches hier gesprochen wird, kommt dem Holländischen sehr nahe, und sowol in den Sitten als im Ameublement der Häuser nähern sich auch die Einwohner sehr merklich ihren Nachbarn, den Holländern. – Ich bemerkte als einen auszeichnenden Zug sehr viel Dienstfertigkeit und Höflichkeit unter den gemeinen Leuten. Die Lebensart, zumal was die Küche betrifft, ist indeß noch nicht holländisch; man bereitet die Speisen mehr nach französischer Art, trinkt aber schon mehr Bier als Wein. Das Bier in Löwen wird bis nach Holland verführt und hat einen Ruhm, den es meines Erachtens nicht ganz verdient. Wenn indeß, wie billig, der Debit hier den rechten Maßstab angibt, so muß es vortrefflich sein; denn man erzählte uns von mehr als vierzig Bierbrauereien und von einer jährlichen Ausfuhr von 150000 Tonnen, ohne was in der Stadt selbst getrunken wird. Daher bezahlen auch die Brauer allein 40000 Gulden zu den Einkünften der Stadt, die sich auf 100000 Gulden belaufen sollen. Dieses Gewerbe und einige Wollenfabriken nebst einem ziemlichen Speditionshandel geben ihr noch einigen Schein von ihrer ehemaligen großen Activität und ihrem hohen Wohlstande; allein was sind 30000 oder 35000 Einwohner gegen die Volksmenge vor der Auswanderung der Tuchmacher nach England im Jahre 1382? Damals hatte Löwen 4000 Tuchfabriken, in welchen 150000 Menschen ihre Nahrung fanden, und des Abends, wenn die Arbeiter nach Hause gingen, ward mit einer großen Glocke geläutet, damit die Mütter ihre Kinder von den Gassen holten, weil sie in dem Gedränge hätten ums Leben kommen können. Die Errichtung der Universität hat der Stadt den Verlust dieser Manufacturen und ihrer ungeheuern Bevölkerung nicht ersetzt; und was Lipsius Justus Lipsius (1547-1606), berühmter Sprach- und Alterthumsforscher, Professor zu Leyden und Löwen. Anmerkung d. Hg. nicht vermochte, werden schwerlich seine Nachfolger bewirken.



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