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5. Kapitel

Einige Tage später machte Ulrike eine unliebsame Entdeckung: Sie hatte Konkurrenz bekommen!

Das war mehr als unangenehm, das war eine ausgesprochene Bosheit des Schicksals!

Erst fiel es ihr gar nicht so sehr auf, daß ihre Geschäfte sich nicht mehr reibungslos abwickelten. Aber als sie immer wieder hören mußte, daß schon ein Herr dagewesen sei, der mehr geboten habe, wurde sie stutzig.

Durch vorsichtiges Fragen erfuhr sie, daß dieser Herr sich auch durch Zeitungsinserate als Aufkäufer für Kunstgegenstände aller Art anbot. Sie stürzte sich auf alle Lokalzeitungen, deren sie habhaft werden konnte und entdeckte neben ihren bescheidenen Anzeigen die großen, mit dicken Balken eingerahmten Inserate der Konkurrenz.

Einige Tage später machte sie eine neue, sehr merkwürdige Feststellung. Der Konkurrent machte erstaunlich hohe Angebote – aber er kaufte nicht!

Wo immer sie auch hinkommen mochte, nie hieß es, der betreffende Gegenstand sei schon verkauft, aber häufig war schon ein anderer Interessent dagewesen. Dieser Mann mußte völlig geschäftsuntüchtig sein! Selbst Dinge, die kaum der Beachtung wert waren, erklärte er zu einem Kunstwerk ersten Ranges und bot Preise dafür, die Ulrike zur Verzweiflung brachten.

Nervös hetzte Ulrike hin und her, ohne daß sie nennenswerte Erfolge verbuchen konnte. Das so vielversprechende Geschäft drohte zu einer Pleite zu werden.

Unglücklich klagte sie Herrn von Demin ihr Leid.

In tadellosem Anzug, die Beine, in denen das Rheuma zwickte und ihn zur Untätigkeit verdammte, in eine warme Decke gehüllt, saß er in einem Lehnstuhl am Fenster. Das schwarze Haar war zweifellos gefärbt, ebenso das kleine Menjou-Bärtchen. Ein paar scharfe Falten zogen sich von der Nase zu den Mundwinkeln, aus dem hageren Gesicht glühten ein paar stechende schwarze Augen. Die Hände waren lang, schmal und äußerst sorgfältig gepflegt, am Ringfinger trug er einen schweren Wappenring. Nachdem Ulrike ihren Bericht beendet hatte, schaute er eine Weile nachdenklich vor sich hin.

»Die Sache sieht nach System aus! Wenn ich nur wüßte, weshalb«, sagte er schließlich.

Als Ulrike nicht antwortete, fuhr er überlegend fort:

»Mysteriös, sehr mysteriös, diese Geschichte! Diese wahnsinnigen Preise ... und anscheinend ohne ernstliche Kaufabsichten ... wie gesagt, es ist System in der Sache. Aber wer könnte daran interessiert sein, die Leute kopfscheu zu machen und uns das Geschäft zu verderben?«

Ulrike zuckte zusammen. Mit greller Klarheit überblickte sie plötzlich die Situation. Daß sie auch nicht eher auf diesen Gedanken gekommen war.

Natürlich ... Hagedorn! Er war der geheimnisvolle Konkurrent! Hatte er ihr nicht angedroht, ihr das Geschäft zu verderben?

Sie sackte in sich zusammen. Mit erschreckender Deutlichkeit erkannte sie, daß Hagedorn sie auf diese Art zwingen würde, das Feld zu räumen.

Und sie konnte Herrn Demin nicht einmal sagen, wer ihr Widersacher war.

»Mein liebes Fräulein Arnstein«, hörte sie ihn sagen, »es hat wenig Sinn, jetzt den Kopf hängen zu lassen. Ein Geschäftsmann muß immer mit Schwierigkeiten rechnen – Sie werden das mit der Zeit auch noch lernen.«

»Aber was soll ich nur tun? Herr Henningsen wird es nicht begreifen ...«

»Aushalten, meine Gnädigste! Eines Tages wird dieser geheimnisvolle Konkurrent die Freude an seinem sonderbaren Spiel verlieren. Und bis dahin ...«

»Bis dahin?« wiederholte sie gedankenlos und dachte resigniert, daß Hagedorn so leicht nicht aufgeben würde.

»Außerdem bin ich auch noch da, meine Liebe. Ich habe immerhin einige Verbindungen ... nur ...« wieder machte er eine Kunstpause.

»Nun?« fragte sie erwartungsvoll.

»Nun ja, es ist schwierig. Sie verstehen – kein Geschäftsmann gibt gern seine internsten Geschäftsgeheimnisse preis. Aber Ihnen zuliebe würde ich dieses Opfer bringen.«

Ulrike schaute ihn ziemlich töricht an, sie begriff nichts.

Als er weitersprach war seine Stimme schärfer und kälter.

»Also mein liebes Fräulein Arnstein, Sie wissen ja, daß ich hier über sehr gute Beziehungen verfüge. Mein augenblickliches Leiden hindert mich jedoch, sie für mich selbst auszunützen. Ich wäre deshalb unter gewissen Umständen bereit, Ihnen mit meinen Verbindungen behilflich zu sein. Allerdings wäre das – wie schon gesagt, ein Opfer. Ich verliere viel Geld an der Sache.«

»Das kann ich doch gar nicht annehmen ...«

»Unter gewissen Bedingungen schon, mein liebes Fräulein Arnstein!« Herr von Demin lächelte liebenswürdig. »Ich schlage vor, Sie beteiligen mich mit zwanzig Prozent. Das dürfte angesichts der hervorragenden Objekte, die ich an der Hand habe, nicht zuviel sein.«

»Zwanzig Prozent?« murmelte sie verstört.

»Sie sind doch hoffentlich überzeugt, daß ich diese Geschäfte auch selbst machen könnte, sowie ich wieder gesund bin?« fragte Demin hart.

Sie nickte.

Aber dennoch – bei zwanzig Prozent würden die Geschäfte wohl nur für Herrn von Demin und den Kunsthändler in Hamburg gewinnbringend sein. »Sie werden trotzdem glänzend verdienen, meine Gnädigste«, sagte Demin und lächelte ihr aufmunternd zu.

»Ich will es versuchen«, entschied sie und erhob sich.

Mit guten Ratschlägen und zwei Adressen versehen, verließ sie Herrn von Demin und stieg ein Stockwerk höher hinauf in ihr Zimmer.

Sie fühlte sich wie zerschlagen. So schwer hatte sie sich ihre Aufgabe nicht vorgestellt. Damals, als sie im Auftrage Henningsens ins Dithmarsche gefahren war, erschien ihr diese Art des Erwerbs kinderleicht. Sie wurde erwartet, man legte ihr den Schmuck – es war wundervolle friesische Filigranarbeit, vor und war schnell handelseinig. Herr Henningsen hatte ihr den Höchstpreis genannt, sie war sogar noch daruntergeblieben und erntete die volle Anerkennung ihres Chefs, den sie sonst nur im Büro und Verkauf unterstützte.

Hier, ganz allein auf sich selbst gestellt, war die Sache doch wesentlich anders. Trotz ihres guten Verständnisses für Kunstgegenstände aller Art war es doch schwierig, allein zu entscheiden, ob der Ankauf lohnend sei und zu welchem Preis sie kaufen dürfe. Und nun mußte Hagedorn ihr noch das Leben schwer machen, und Demin wollte gar doppelt verdienen. Dafür, daß er ihr behilflich war, bekam er ja ohnhin eine Vermittlungsprovision von ihrem Chef.

Die reinste Gaunerei, dachte sie niedergeschlagen, und wenn es eine Sünde sein sollte, daß ich mit der Kunst Schacher treibe, dann bin ich dafür gestraft genug.

Das Mittagessen durch eine Tasse Kaffee, die sie sich selbst bereitete, ersetzend, fuhr sie wenig später los. Sie war aufs höchste gespannt, ob die Objekte des Herrn von Demin wirklich so lohnend waren. Als sie die Heimfahrt antrat, war sie wieder zuversichtlicher. Herr von Demin hatte ihr tatsächlich zu zwei glänzenden Geschäften verholfen.

Eine schwere eichene Truhe mit reichen Schnitzereien – Darstellungen aus der biblischen Geschichte – war angekauft und würde morgen vom Spediteur abgeholt und nach Hamburg geschickt werden.

Schon diese Renaissancetruhe war ein Prachtstück gewesen, sie wurde jedoch noch übertroffen von dem schweren, wundervoll mit Intarsien geschmückten Barockschrank.

Als sie ihn sah, hatte sie vor Aufregung Herzklopfen bekommen. Diesen Ankauf wagte sie nicht allein zu entscheiden, zumal sie nicht genügend Bargeld zur Verfügung hatte. Telefonisch hatte sie sich mit ihrem Chef verständigt, den Schrank genauestens beschrieben und dann seine Genehmigung zum Ankauf erhalten. Das Geld sollte sofort angewiesen werden.

Sehr müde aber doch zufrieden betrat sie ihr Zimmer.

»Mädchen, wo treibst du dich nur herum?« schallte ihr eine muntere Stimme entgegen.

»Hans! Du?« rief sie überrascht und blieb in der Tür stehen.

»Wie du siehst, Rieke«, lachte er und zog sie an den Händen näher. »Aber nun laß dich mal anschauen – ich glaube, du bist noch hübscher geworden ...«

»Vielleicht noch gewachsen?« neckte sie.

»Vielleicht«, nickte er ernsthaft, »ich meine innerlich. Man hört ja die tollsten Geschichten von dir.«

Er legte seinen Arm um ihre Schultern und küßte sie.

Ulrike duldete es widerstrebend und machte sich schnell los.

»Nun erzähle, Hans ...«

»Aber doch nicht so stürmisch, Kind. Wer wird denn so neugierig sein? Nach so vielen Jahren könntest du mich wirklich etwas netter begrüßen, ich habe mich so sehr auf dich gefreut.«

»Ich ja auch, Hans«, sagte sie leise und strich leicht über seine Wange.

Er haschte nach ihrer Hand, hielt sie fest und führte Ulrike zu dem altmodischen Sofa.

Er setzte sich neben sie und legte den Arm leicht um ihre Schulter. »Ja, Rieke, wo soll ich nun anfangen? Das Wichtigste schrieb ich dir, alles andere müssen wir in Ruhe besprechen. Im Augenblick interessiert es mich viel mehr, zu hören, was du hier treibst. Ich war platt, als mir deine Mutter von deinem schwunghaften Handel erzählte.«

»Ach Hans, da ist auch nicht viel zu sagen. Weißt ja, wie es daheim aussieht. Und als unser hiesiger Aufkäufer krank wurde, bin ich halt losgezogen, um Geld zu verdienen.«

»Verdienst du denn gut, Kleine?« fragte er mit gutmütigem Spott.

»Wie man es nimmt – ich fange ja erst an. Mal so, mal so. Heute ging es glänzend ...«

»Ach Mädchen, das ist doch kein Job für Frauen. Und nun gar für dich. Da muß man gerissen sein, und das bist du nicht. Viel zu zart besaitet ... siehst übrigens sehr müde aus. Hast du eigentlich schon Abendbrot gegessen?« erkundigte er sich besorgt.

»Ich hatte noch keine Zeit. Aber warte einmal ...« sie überlegte und nickte dann eifrig, »ich glaube, es wird auch für dich reichen. Komm, ich decke schnell den Tisch.«

Sie wollte aufstehen, aber er hielt sie fest.

»Nee, du, mit Butterbrötchen und irgend was drauf bin ich heute nicht zufrieden. Schließlich müssen wir unser Wiedersehen feiern, nicht wahr?«

»Eigentlich hast du recht ...«

»Nicht nur eigentlich, ich habe immer recht. Gewöhne dich langsam an diese Tatsache, Rieke. Und nun mach' dich fertig. Wir werden jetzt irgendwo sehr schön und sehr vornehm speisen ...«

»Dann müßte ich mich ja umziehen?«

»Tue das, mein Schatz. Ich werde inzwischen unten warten. Aber denke daran, ich habe Hunger.«

Lachend packte er sie an den Oberarmen, gab ihr einen herzhaften, fast brüderlichen Kuß und ging hinaus.

Beklommen starrte Ulrike auf die Tür, die sich hinter ihm schloß. Du lieber Himmel, was sollte aus dieser Geschichte werden? Er tat so, als sei er seiner Sache absolut sicher ...

Sie schob alle Gedanken, die auf sie einstürmten, energisch beiseite, jetzt war keine Zeit dafür. Und heute muß ja noch nichts entschieden werden, tröstete sie sich.

Vor ihrem Kleiderschrank blieb sie überlegend stehen.

Ihre Hand hatte nach dem hellgelben Wollkleid gegriffen. Zögernd hielt sie es am Rocksaum fest ... die Erinnerung an den Abend kam, als sie es zum letztenmal getragen hatte ... dann ließ sie es fallen. Schnell zog sie ein modisch geblümtes Kleid hervor. Auf weißem Grund breiteten sich große lila Blüten mit grünen Ranken aus, ein lila Jäckchen vervollständigte den Anzug. – –

»Du bist wirklich ein hübscher Kerl«, meinte Herwig anerkennend und schob ihren Arm in den seinen, als sie aus dem Haus trat.

»Hans, du machst ja Komplimente«, lachte sie.

Er blickte sie verdutzt an.

»Tatsächlich«, wunderte er sich über sich selbst, er war immer ein Gegner fader Schmeicheleien gewesen – dann lachte er vergnügt: »Warum auch nicht? Stimmt ja. Du bist wirklich sehr hübsch. Paß auf, ich werde mich noch regelrecht in dich verlieben, Rieke.«

»Hans, du wirst doch nicht?« amüsierte sie sich.

»Ich möchte sogar, mein Kind. Dadurch kommt die Sache erst richtig in Ordnung. Ich habe zwar noch nicht eingehend darüber nachgedacht, aber ein bißchen Verliebtheit gehört wohl zum Heiraten, nicht wahr?«

»O Hans, du bist köstlich!«

Sie blieb stehen und lachte hell und klingend. Sie war plötzlich sehr froh – es würde ihm sicher nicht sonderlich wehe tun, wenn sie ihm einen Korb geben würde.

*

Der nächste Tag war ein Sonntag.

Herwig kannte den Bodensee noch nicht und hatte eine Dampferrundfahrt vorgeschlagen. Ulrike hatte sich dieses Vergnügen noch nicht geleistet und stimmte freudig zu.

Mit dem Wagen fuhren sie hinüber nach Meersburg. Selbstverständlich hatte Ulrikes altertümliches Gefährt wieder Hohn und Spott ertragen müssen.

»Möchtest du diese Antiquität nicht deinem Kunsthändler verkaufen, Rieke?« fragte er lachend. »Der Karren muß einen enormen Altertumswert haben.«

Und wie immer verteidigte sie ›Seine Hoheit« lebhaft.

In Meersburg begannen sie ihre Rundfahrt, die sie zunächst nach Konstanz führte.

Langsam schlenderten sie durch die vielen kleinen Gassen, betrachteten altehrwürdige Gebäude, die an eine stolze Vergangenheit erinnerten.

»Hier ist alles viel enger als drüben, aber ich weiß nicht, ich glaube, es ist auch viel anheimelnder«, sagte Herwig mit einer an ihm ganz ungewöhnlichen Versonnenheit.

»Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, daß ich hier einmal wieder fortgehen soll«, erwiderte Ulrike nachdenklich.

Er musterte sie mit schnellem Blick. Dann atmete er tief auf, aber er sagte nichts.

Am Nachmittag waren sie auf Schweizer Boden in Romanshorn.

Behaglich saßen sie auf der Terrasse eines Hotels, tranken mit Genuß den vorzüglichen Kaffee und ließen sich wohlig von der Sonne bescheinen.

Herwig hatte seinen Sessel an die Seitenwand der Terrasse gerückt und hielt die Augen geschlossen.

Ihre Blicke ruhten auf seinem Gesicht, das so vertraut und sympathisch war. Ein tiefes Bedauern überkam sie. Warum kann ich ihn nicht lieben, so sehr, daß ich ihn heiraten könnte? fragte sie sich traurig. Alles wäre so klar, so gut und schön.

Zweifel stiegen in ihr auf, ob sie wohl richtig handele, wenn sie ihn abwies. Wäre es nicht möglich, daß sie durch ihn Alexander Hagedorn vergessen könnte?

Vor ihren geistigen Augen stieg das Bild des geliebten Mannes auf. Sie sah ihn vor sich – lachend, liebevoll, ernst und schließlich streng und finster. Aber wie sie ihn auch sehen mochte – sie liebte ihn.

Nein – es war unmöglich, die Frau eines anderen zu werden ...

Später machten sie einen Spaziergang in die nähere Umgebung von Romanshorn. Am Seeufer suchten sie sich ein Plätzchen, auf dem sie Rast halten konnten.

Ringsum herrschte tiefe, sonntägliche Stille, leise plätscherten die Wellen auf das steinige Ufer, Vögel stiegen singend in die Luft, in dieses lichte, seidige Himmelsblau, sonst kein Laut weit und breit. Eine ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander und ließen ihre Augen auf der sonnenblitzenden Fläche des Sees ruhen.

Herwig brach das Schweigen.

»Hast du nun schon darüber nachgedacht, ob und wann du mich heiraten willst, Rieke?«

Sie schrak zusammen. Unsicher blickte sie ihn an.

»Ach, Hans ...«

»Was denn, Kleine? Tu nicht so zimperlich – sag', was du auf dem Herzen hast, ja.«

Er lachte so siegesgewiß – es war schwer, ihm zu sagen, was gesagt werden mußte. Sie raffte all ihren Mut zusammen.

»Hans, ich glaube, es geht nicht, ich kann dich nicht heiraten.«

»Rieke! Nun mach' bloß keinen Quatsch! Wir passen doch großartig zusammen. Oder ...« er sah sie fest an, sein Gesicht wurde ernst, »oder hast du dich etwa verliebt?«

Sie nickte. Eine dunkle Röte überzog ihr Gesicht.

»Das hatte ich freilich nicht einkalkuliert«, meinte er nachdenklich, »so ein Blödsinn, damit hätte ich rechnen müssen.«

»Ach, Hans«, seufzte sie ...

»Mädchen, nun mach' bloß nicht so ein Gesicht, als ob du heulen wolltest. Kannst ja nichts dafür. Wie man sagt, ist gegen die Liebe kein Kraut gewachsen«, tröstete er gutmütig und ohne sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen, »erzähl lieber, wie und was er ist, wann ihr heiraten wollt und so weiter.«

Verlegen wich sie seinen forschenden Augen aus.

»Na, Rieke«, mahnte er, »was ist? Klappt die Sache nicht ganz?«

Als einzige Antwort ein stummes Nicken.

Er legte den Arm um ihre Schulter und fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das Haar.

»Nun beichte mal, Rieke. So hoffnungslos wird doch der Fall nicht sein.«

»Frage nicht, Hans. Es ist ganz hoffnungslos. Aber ich kann wirklich nicht darüber sprechen«, sagte sie gequält.

Sinnend blickte er über ihren Kopf hinweg ins Weite. Allmählich wurde sein Blick bewußter, die Augen schienen ein festes Ziel vor sich zu sehen.

»Hör mal, Rieke«, sagte er schließlich, »besteht auch nicht die geringste Hoffnung, daß ...«

»Nicht die geringste«, fiel sie ihm ins Wort.

Seine Antwort war verblüffend, aber echt Hans ...

»Also dann sehe ich nicht ein, warum du ewig einer unglücklichen Liebe nachtrauern willst. In der heutigen Zeit stirbt man nicht mehr an gebrochenem Herzen, dazu leben wir viel zu fix. Ich gebe dir einen Rat: heirate mich, dann wirst du am schnellsten mit der Geschichte fertig.«

»Aber Hans ...«

»Ach was! Wirst dich doch nicht unterkriegen lassen, Mädchen? Wenn der Kerl nicht weiß, was er an dir hat, dann kümmere dich auch nicht mehr um ihn. Paß auf, in ein paar Monaten lachst du selbst über diese Eselei.«

»Hans, so einfach ist das wirklich nicht. Ich habe ja selbst schon überlegt, ob ich nicht ...«

Er hielt ihre Hände fest, die unruhig mit dem Handtäschchen spielten. »Siehst du, es ist dir selber schon aufgefallen, daß es sehr töricht ist, wenn du ihm lange nachweinst. Und nun mache ich dir einen Vorschlag: Du überlegst dir die Sache noch einmal ganz genau – sagen wir einen Monat, und dann gibst du mir endgültig Bescheid. Einverstanden?«

In ihren Augen schimmerte es feucht.

»Du bist so gut, Hans ...«

»Quatsch! Ich wäre ja blöd, wenn ich nicht jede Chance wahrnehmen würde, daß du doch noch ›Ja« sagst. Du hast nun mal die Dummheit gemacht, dich völlig programmwidrig zu verlieben, aber vielleicht können wir gemeinsam die Sache wieder in Ordnung bringen. Vier Wochen sind eine ganz nette Zeit, da können sich die Ansichten gewaltig ändern.«

»Und du willst während der ganzen Zeit hierbleiben?« fragte sie, ihren Widerstand schon halb aufgebend.

»Na klar, Mädchen. Jetzt muß ich am Feind bleiben. Wir wollen doch mal sehen, wer stärker ist. Der ferne Geliebte oder ich.«

Jetzt müßte ich ihm eigentlich sagen, daß der Geliebte gar nicht so fern ist, schoß es Ulrike durch den Kopf, aber das brachte sie doch nicht fertig. Statt dessen fragte sie:

»Und deine Mutter? Sie hat sich doch auch auf dich gefreut?«

»Ach ja, was machen wir da?«

Er überlegte kurz und lachte dann leise.

»Kein Problem. Mutter muß herkommen. Frühling am Bodensee tut ihr auch mal ganz gut. Wir telegrafieren nachher und dann kann sie in ein paar Tagen hier sein.«

*

Am Dienstag saß Ulrike in der ländlichen Gaststube eines kleinen Städtchens. Sie wartete auf den Spediteur, der den kostbaren Barockschrank unter ihrer Aufsicht verpacken sollte. Sie befürchtete, daß man nicht sorglich genug dabei verfahren und das wertvolle Stück beschädigen könne.

Nachdenklich trank sie ihren Kaffee.

Sie beachtete nicht, daß ein neuer Gast in die Wirtsstube gekommen war und sie schreckte erst auf, als er vor ihr stand.

»Nun, Ulrike, wieder auf Raubjagd?« fragte Herr Hagedorn.

»Könnten Sie mich nicht endlich in Ruhe lassen?« erwiderte sie bitter und abweisend.

»Ich denke nicht daran«, kam es unbeirrbar zurück. Hagedorn setzte sich, als sei das selbstverständlich, auf den Stuhl neben ihr.

»Herr Hagedorn«, empörte sie sich, »das geht denn doch zu weit! Außerdem möchte ich Sie bitten, mich nicht immer zu duzen.«

»Du kannst nicht verlangen, daß ich meine Grundsätze ändere. Und ich pflege grundsätzlich nichts rückgängig zu machen. Was ich tue, wird vorher genau überlegt und dabei bleibt es dann auch.«

»Und Ihr sonderbarer Kunsthandel?«

Er lachte leise ohne sie anzublicken.

»Dieser Kunsthandel ist nur als etwas Vorübergehendes geplant – gewissermaßen eine Notstandsaktion – und kann deshalb jederzeit wieder abgeblasen werden.«

»So, und daß ich dadurch in einen Notstand geraten könnte, daran haben Sie wohl noch keinen Augenblick gedacht?« rief sie erregt.

»Doch. Sehr genau sogar. Aber ich denke mir, daß es für dich auch noch andere Möglichkeiten gäbe, Geld zu verdienen. Und wenn du eine Kleinigkeit Vertrauen aufgebracht hättest ...«

Er preßte die Lippen fest zusammen und schwieg.

Beklommen schaute sie ihn an.

Warum sprach er nicht weiter? Was hatte er sagen wollen?

Der Hinweis, daß sie es ihm gegenüber an dem nötigen Vertrauen hatte fehlen lassen, versetzte sie in einen unbeschreiblichen Aufruhr. Ihr war, als sei sie bisher durch dichten Nebel gegangen und jetzt, ganz plötzlich, wurde es licht und hell.

Aber diese Helligkeit tat weh. Sie zeigte ihr nur, was sie falsch gemacht hatte.

Ein Mann in blauer Schürze kam herein und schaute sich suchend um. Dann kam er schnurstraks auf Ulrike zu.

»Sind Sie das Fräulein, das den alten Schrank verladen will?«

Sie nickte hastig und griff nach ihrer Tasche.

Hagedorn horchte auf und erhob sich ebenfalls.

»Alte Schränke interessieren mich sehr. Den mußt du mir einmal zeigen, Ulrike«, sagte er mit kalter Freundlichkeit.

»Aber das geht doch nicht. Auf keinen Fall!« protestierte sie energisch.

»Sei doch kein Spielverderber, Ulrike. Gönne mir doch das Vergnügen, einen schönen alten Schrank zu sehen. Ich schätze, er ist sehr schön, wie?«

Sie zitterte vor Zorn und hatte den Wunsch, ihn in das lächelnde Gesicht zu schlagen.

Das ist ja einfach nicht zu ertragen, dachte sie verzweifelt.

Und er ließ sich auch nicht abschütteln. Als sei es sein gutes Recht, so beharrlich folgte er ihr.

Vor dem Gasthaus wies er auf ihren Wagen.

»Das war der Verräter. Du solltest dir doch einen anderen zulegen, der weniger auffällt. Ich habe dir schon immer dazu geraten.«

Sie antwortete mit einem zornigen Blick.

Unbeirrt blieb er an ihrer Seite.

Vor einem prachtvollen alten Bürgerhaus, das inmitten eines großen Gartens lag, verhielt sie den Schritt.

»Wenn du mit hinaufkommst, dann weiß ich nicht, was ich tue!« sagte sie leise und verzweifelt, unwillkürlich wieder ins Du verfallend.

»Also hier«, erwiderte er gleichmütig, »das hätte ich wissen sollen. Du scheinst recht gute Verbindungen zu haben. Schade, diesen Schrank hätte ich auch bekommen können. Aber nun möchte ich den alten Damen wenigstens einen Besuch machen. Sie würden es mir übel nehmen, wenn ich vorbeiginge.«

»Du bist ja ...«

»Ich weiß, Ulrike«, nickte er zustimmend und öffnete die Gartentür. Sie zauderte. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und schritt wortlos an ihm vorbei.

Unbeachtet beiseite stehend, wurde sie Zeugin der sehr herzlichen Begrüßung zwischen Hagedorn und den beiden alten Damen.

»Ja, Axel, läßt du dich auch einmal wieder sehen? Ich dachte, du hast uns ganz vergessen ...« sagte die eine.

»Dein letztes Buch haben wir verschlungen. In der Zeitung stand ja, daß du den Preis für heimatliches Schrifttum dafür bekommen sollst ...« sagte die andere.

Hagedorn lachte und erzählte, vergessen stand Ulrike daneben.

Der Mann in der blauen Schürze räusperte sich.

»Wenn du uns einen Augenblick entschuldigen würdest, Axel, die Leute warten. Wir haben einen Schrank verkauft.«

»Mußte das sein?« fragte Hagedorn.

»Leider. Du weißt ja ...«

»Welcher ist es denn?« erkundigte er sich.

»Du kannst ihn dir ja noch einmal ansehen ...«

Die beiden alten Schwestern gingen voran, Hagedorn folgte ihnen und dahinter kam Ulrike mit dem Packer, neben dem jetzt noch zwei Männer auftauchten.

»Wie, dieses Prachtstück?« rief Hagedorn, als er des Schrankes ansichtig wurde, bestürzt.

»Ja, Axel«, sagte das eine Fräulein seufzend.

»Ein wahrer Jammer!«

Eingehend betrachtete er das wundervolle Stück barocker Handwerkskunst.

»Und wieviel?« fragte er dann sachlich.

»Zweitausend ...«

»Er wäre mehr als das Doppelte wert!« behauptete Hagedorn ungerührt.

Ulrike zuckte zusammen.

Hagedorn hatte nur Augen für den Schrank. Er schien das junge Mädchen vergessen zu haben.

Die alten Damen machten betroffene Gesichter.

»Du meinst viertausend?« fragte die eine beklommen.

»Ja. Und das wäre noch ein Freundschaftspreis«, erwiderte er fest.

»Ja, Fräulein – was ist Ihre Ansicht? Sie erklärten doch, zweitausend sei das Äußerste?«

Ulrike riß sich zusammen.

»Es ist nicht unmöglich, daß ein Liebhaber diesen Preis zahlen würde. Aber Sie wissen, daß ich diesen Schrank im Auftrage eines Kunsthändlers erworben habe, der natürlich auch daran verdienen will. Wieviel er verdient, ist immer unsicher, er trägt auch das Risiko, daß der Schrank lange Zeit als totes Kapital bei ihm herumstehen könnte. Mein Preisangebot war also durchaus korrekt und im Rahmen des üblichen«, erwiderte sie fest.

»Siehst du, Axel, das ist es ja. Hier in unserem Nest findet man keine Käufer und deshalb muß man sich mit einem Zwischenhändler begnügen«, klagte die eine der Schwestern.

Hagedorn biß sich auf die Lippen. Er konnte Ulrike seine Achtung nicht versagen. Sie benahm sich tadellos.

»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte ...«

»Hättest du dich dafür interessiert?«

»Sehr!« Nachdenklich ruhten seine Augen auf dem Schrank. Ulrike spürte, daß er im Augenblick nicht daran dachte, ihr das Geschäft zu verderben, sein Interesse war ehrlich und fast tat es ihr leid, daß sie ihm den Schrank nicht überlassen konnte.

»Zweitausend Mark mehr ...« die beiden Damen schauten einander bekümmert an und dann sagte die kleinere:

»Hören Sie, liebes Fräulein, wir machen den Kauf rückgängig. Sie werden das sicher verstehen, nicht wahr? Du würdest doch viertausend ... Axel ...?«

»Liebend gern ...« er schaute Ulrike gespannt an.

Sie befand sich in peinlicher Verlegenheit.

»Wenn ich zu entscheiden hätte, würde ich den Kauf sofort rückgängig machen. Aber da mein Chef darum weiß ... ich fürchte, er wird nicht einwilligen ...«

»Aber er muß doch einsehen ...« erregte sich die Dame.

»Er ist Geschäftsmann. Der Schrank ist gekauft und bereits bezahlt worden.« Ulrike zuckte hilflos die Schultern.

»Na, was wird nun?« fragte der Packer. Auch er hatte einen Chef, der jede Arbeitsstunde genau berechnete.

»Nichts«, entschied Hagedorn, »Sie müssen sich noch etwas gedulden. Los, Ulrike, wir rufen jetzt deinen Chef an. Und der Himmel bewahre dich davor, daß der Knabe nicht einwilligt.«

Die alten Damen blickten überrascht auf, als Hagedorn die junge Händlerin duzte, aber sie trippelten eilig voran in das Wohnzimmer, wo sich das Telefon befand.

So sachlich wie möglich erstattete Ulrike Bericht. Wie sie vorausgesehen hatte – Herr Henningsen war Geschäftsmann, der auf seinem Recht bestand, außerdem reizt ihn dieser Schrank, der so heiß umkämpft wurde, nur doppelt.

Auf die energische Stimme ihres Chefs lauschend, schaute Ulrike Hagedorn achselzuckend an und schüttelte verneinend den Kopf.

»Gib her«, Hagedorn griff selbst nach dem Hörer.

Zunächst sprach er äußerst liebenswürdig und bat, von dem Kauf Abstand zu nehmen.

Dann, als das nichts nützte, schilderte er die finanzielle Notlage der alten Damen, die durch ihren übereilten Verkauf einen Verlust von zweitausend Mark haben würden.

Der Kunsthändler erklärte, daß die meisten Menschen, die solche Dinge verkauften, sich in einer Notlage befänden. Das sei durchaus nichts Besonderes.

Hagedorn machte ein grimmiges Gesicht und sprach unwillkürlich schärfer. Es gab ein heftiges Wortgefecht.

»Der Schrank bleibt hier! Ich lasse es auf eine Klage ankommen!« schrie er schließlich erbost und knallte den Hörer auf.

Er atmete erregt. Ulrike blickte furchtsam drein. Eine der alten Damen begann leise zu weinen.

Der Packer brachte sich wieder in Erinnerung.

»Es tut mir leid – aber der Schrank bleibt hier. Ich regele das mit Ihrer Firma.« Er gab den Männern ein Trinkgeld, zufrieden zogen sie ab.


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