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Das Weserthal.

n dem Weserthal also beginnen wir die Wanderung durch das Gebiet der »rothen Erde«, um ihre zahlreichen malerischen Punkte aufzusuchen, in unserer Hand als Wanderstab die Wünschelruthe, die stille steht, wo einer der Schätze, denen wir nachgehen, sich birgt, wo das Gold der Poesie versteckt als Tradition in den Trümmern alter Burgen und Edelsitze ruht; oder wo Städte mit grauen Thürmen über ihrem Mauerkranze ragen und den Hort von Erinnerungen hüten, welchen die Geschichte dort zurückließ. Wir werden unsre Einbildungskraft die Gestalten verschollener Jahrhunderte neu heraufbeschwören lassen und die Menschen einer rauhen und dunklen Zeit in ihren schweren faltenreichen Gewändern, oder im Schmucke ihrer wunderlichen Bewaffnung, ihres wuchtigen Rüstzeuges erblicken; zuweilen in Frieden und öfter in Streit, – denn Streit war die Losung der Vorzeit und ihre schweren Waffen unterscheiden sich von unsern nicht allein durch die Form und Gestalt, sondern mehr noch dadurch, daß selten eine darunter war, die nicht Blut getrunken hatte, während Gottlob unter den unsrigen diejenige selten ist, welche wirklich vom Blute eines Menschen geröthet wurde.

So werden wir viel des Schwertgeklirrs und Waffengerassels vernehmen, aber durch den Streit und das Gewühl, das mit eisernem Fußtritt die Geschichte an uns vorüberzieh'n läßt, auch andere, mildere Klänge, die wie fernes Glockengeläut an einem schönen Sommerabend warm und innig euch zum Herzen dringen, vernehmen. Aus den Gründen steigen sie empor, von den Bergen tönen sie herab, Felswand und Gestein hallen sie leise wieder; und unter den Wohnungen der Menschen sind es zumeist die niedrigen, die von Holz gebauten, mit strohgedeckten Dächern, in die sie einzieh'n und fortvibriren. Die Silberglocken der Sage sind's, von denen ich rede. Das ganze Land durchzittern sie; überall, wo ein abgeschlossenes Waldthal euch aufnimmt, oder wo ihr einsam über die braune, baumlose Haide einherschreitet, oder wo raschelnder Epheu ein morsches Gemäuer umklammert, sind ihre Töne zu vernehmen. Wahr ist's, die Sagen unsres Landes haben nicht ganz das Tiefe und Poetische, oft auch nur modern Aufgeschmückte, das die Sagen anderer Gegenden Deutschlands, namentlich die des Rheines, auszeichnet. Keine Lurlei singt auf einem Felsen des Ruhr- oder Weserthals ihre verlockenden Weisen, keinen Roland hat Westphalen, der düstern Blicks im hohen Fensterbogen steht, und hinunter sieht auf das Eiland seiner Liebe; und wenn ihr Nachts an einen schwarzen, schilfumrauschten Waldteich tretet, so harrt ihr vergebens auf die weiße Nonnenhand, die, wie jene des Laacher Sees, flehend emportaucht aus der Tiefe. Die Sagen Westphalens sind derber und einfacher, ausgestreut aber sind sie, wohin ihr immer lauschen mögt, eine allzeit frische, nie verwelkende Volkspoesie. Durch die Straßen Hamelns zieht Bundting, der seltsame Rattenfänger; in den Kirchenstühlen Corvey's glänzt die todweissagende Lilie; durch die Schlösser des Hauses Lippe schreitet gespenstisch die weiße Frau; tief im Köterberge blitzt es von Gold und Schätzen, und im Desenberge bei Warburg sitzt verzaubert Karl der Große, mit der Krone auf dem Haupte, und dem Scepter in der Hand. In Westphalen schlug er seine Schlachten, am Rhein aber pflanzte er seine Reben, baute er seine Pfalzen und Palläste, und ruhte er aus in den Armen der Liebe. Darum auch läßt ihn der Rhein bei nächtlicher Weile durch die Weinberge schreiten, und seine Trauben segnen; darum läßt er ihn bei Aachen am stillen Wasserspiegel sitzen, und Fastradens gedenken, Westphalen aber bannt ihn in den Desenberg, wo er einst im Sachsenkriege ein unterirdisch Hoflager gehabt haben soll. Da sitzt er und träumt, der Bart wächst ihm durch den Tisch, wie Friedrich dem Rothbart im Kyffhäuser, und gleich diesem wird auch er einst wiederkehren, als der große friedebringende Hort einer neuen Zeit.

Wenden wir uns nun zuerst nach Minden zurück, das wir von unsrer Höhe herab mit seinen Thürmen und seiner massiven Weserbrücke überschauten. Eine andere Erklärung wie die schon angeführte leitet den Namen von dem Worte »Minnen« her, um der »minniglichen« Lage der Stadt willen, und stützt sich dabei auf das nahe »Himmelreich,« »Amorkamp« und »Venusbach,« (Venebeck jetzt) eine Erklärung, die gewiß so gut ist, wie so manche andre ohne alle Kenntniß der Geschichte und regelrechten Entwicklung unsrer Sprache unternommene. Hat doch schon Meibom, der alte Historiker, ein Gedicht auf Mindens schöne Lage, worin es heißt:

»Ibi rivi, ibi fontes,
Ibi aquae necnon montes,
Et brutorum pascuae;
Inibi videntur frontes
Dominarum et insontes,
Ibi torrens Wiserae.« –

Dort sind Bäche, dort sind Quellen,
Berge, draus die Wässer schwellen,
Für die Heerde Weide-Aun;
Dort sind Frauen mit der hellen
Reinen Stirne‚ dort die Wellen,
Die die Weser strömt, zu schaun. –

Die ältesten historischen Erinnerungen der Stadt knüpft die Sage an den Sachsenherzog Wittekind, der hier, im Engernlande, seine hauptsächlichsten Besitzungen, auf den Bergeshöhen, welche von der Weserscharte aus gegen Nordwesten sich erstrecken, seine Burgen hatte, bleibt auch sein eigentlicher Wohnsitz ungewiß. Da, wo der Dom in Minden steht, habe er, heißt es, ein festes Schloß gehabt, von dem noch ein starker Thurm bis zum Jahre 1613 erhalten worden, wo ihn der Domprobst habe wegräumen lassen; da seien in seinen unterirdischen Verließen steinerne Särge, Gerippe und irdene Gefässe gefunden worden. Daß aber Wittekind seinen Hof hergegeben habe zur Erbauung des Christentempels, sei also gekommen: der gewaltige Sachsenführer hatte einst in das Gewand eines Bettlers sich geworfen und so einen Weg in das Lager Karl's, des verderblichen Feindes seines Volk's gefunden. Hier feierte man das Fest der Auferstehung und Wittekind sah, wie dem Frankenkönige und den Seinen das Brod des Abendmahls gereicht wurde. Bei diesem Anblicke wurden seine Augen aufgethan und er sah in jeder dargereichten Hostie ein wunderschönes Knäblein, bald freundlich, bald traurig, je nachdem der Sinn des Menschen war, der die Hostie empfing. Da warf der heidnische Held zerknirscht seine Verhüllung ab und trat vor seinen Feind hin, um ihm die Friedensrechte zu bieten, und ihn um Priester zu bitten, die solche Wunder wirken könnten. Karl versprach sie ihm und einen Bischof obendrein: eine weiße Gans bezeichnete den Ort, wo die Cathedrale des Bischofs zu erbauen sei.

Eine gelungene Bearbeitung dieser Sage hat Graf Platen geliefert, wie sie hier nachfolgt:

Da kaum die Hügel matt erhellte
Der morgenrothe, lichte Schein,
Wer schleicht sich in die Zelte
Des Frankenlagers ein?
Mit Schritten leise, leise,
Wie Späherschritte sind,
Verfolgt er die geheime Reise;
Das ist der Sachse Wittekind.

Schon focht er wider muth'ge Franken
Durch lange Jahre blut'gen Streit,
Und grollte sonder Wanken
Dem Herrn der Christenheit;
Nun schlich er kühn und schnelle
Zum Feinde sich bei Nacht,
Vertauschend seine Heldenfelle
Mit einer feigen Bettlertracht.

Da fühlt er plötzlich sich umrungen
Von Melodien sanft und weich,
Gesungen wird, geklungen
Wird um ihn her zugleich;
Verwundert eilt er weiter,
Durchzieht das rüst'ge Heer,
Da sieht er Beter statt der Streiter,
Das Kreuz als ihre ganze Wehr.

Weihnachten war herangekommen,
Der heil'ge Morgen war entglüht,
Und innig schwoll des frommen,
Des großen Karl's Gemüth:
Zum hohen Tempelbaue
Liess wölben er sein Zelt,
Dass er im Land der Heiden schaue
Die Glorie der Christenwelt.

Hoch über'm Altar prangt und raget
Ein blauer golddurchwirkter Thron,
Drauf sitzt die reine Maget,
Und ihr im Schooß der Sohn.
Hell schimmert rings das schöne,
Das heilige Geräth,
Und alle Farben, alle Töne
Begrüssen sich mit Majestät.

Schon kniete brünstig, stillandächtig
Der Kaiser vor dem Hochaltar,
Mit Grafenkronen prächtig
Um ihn die Heldenschaar;
Schon fällt vom Spiel der Lichter
Ein rosenfarbner Schein
Auf ihre klaren Angesichter,
Da tritt der Heide keck hinein.

Er staunt, als er die stolzen Päre
Mit Karl auf ihren Knien erkennt,
Damit sie himmlisch nähre
Das ew'ge Sakrament;
Doch staunt er deß nicht minder,
Da sich kein Priester fand,
Und sieh! es kamen Engelkinder
Im blüthenweißen Lichtgewand.

Sie boten zum Versöhnungsmahle
Die Hostie dem Kaiser dar,
Die auf smaragdner Schaale
Sie trugen wunderbar:
Und Jubel füllt die Seelen
Empfahend Brod und Wein,
Es dringt ein Lied aus tausend Kehlen
Vom göttlichen Zugegensein.

Der Sachse steht betäubt, er faltet
Die Hände fromm, sein Aug' ist naß,
Das hohe Wunder spaltet
Den heidnisch argen Haß:
Hin eilt er wo der Haufe
Mit frohem Blick ihn mißt:
Gib, Karl, dem Wittekind die Taufe,
Daß er umarme dich als Christ!

Die Sage bezeichnet einen »Königsborn« bei Minden als die Stelle der Taufe des Sachsenherzogs: da aber diese in Attigny statt fand, so schließt man mit mehr Recht, daß der Born seinen Namen von Conrad dem Salier erhalten habe, der 1026 in Minden war und einen Reichstag hielt.

Das Bisthum Minden wurde gestiftet, im Jahre 803 oder 780, und nachdem der erste Bischof der neuen Diözese verschieden war, folgten ihm noch 59 andere, bis Karl's des Großen Werk umgestürzt wurde, und der Westphälische Frieden den Bischofsstuhl der hohen Domkirche zu Minden vor die Thüre stellte, nachdem sie so lange als Schlummerstuhl für die einst jugendlich blühende Jungfrau mit dem Schwert in der einen, und dem Kreuz in der andren Hand, mit dem Palmenzweige der Verheißung um das schöne stolze Haupt, die Idee Karl's des Großen, gedient hatte.

Die Geschichte dieser Bischöfe bietet wenig Bedeutendes dar: Erwerbungen von Grundeigenthum, Errichtungen von Freistühlen der Fehme, Reibungen mit dem Domkapitel, mit der nach demokratischer Regierungsform strebenden Hauptstadt, später die Unruhen, welche die Verbreitung der Reformation in ihrem Gefolge hat, Fehden mit den Nachbarn u. s. w., das ist es, wovon fast einzig ihre Annalen zu melden haben. Und das ist überhaupt die Geschichte eines solchen Westphälischen Bisthums, die in ihren Grundzügen fast immer dieselbe bleibt, bei Minden so wie bei Paderborn, den Stiftern Engerns, bei Münster so wie bei Osnabrück, den Stiftern des eigentlichen Westphalens. Zuerst hat weite unendliche Waldung über der Gegend gelegen, nur gelichtet, wo der Sitz eines Adalings oder der einzelne Hof eines Freien mit den Hütten der Liten umher seine Strohdächer über den schlechtgefügten Quadern oder den moosverstopften Balken der rohen Wände erhebt; lange Zeit erst, nachdem das Christenthum jenseits des Rhein's bei den Franken verbreitet war, wagen seine Apostel sich bis hierher, um die Nacht der Gegend und den Sinn des Volks zu hellen, und das Wort zu bringen, wo man nichts, als die rohe That kennt. Das geschieht um die Zeit zumeist, wo die ersten Karolinger das Frankenreich beherrschen, im siebenten Jahrhundert. Die Apostel kommen aus Franken, am häufigsten aber aus Irland oder England herüber, wo schon seit Pabst Gregor dem Großen, durch die Ueberzeugung und friedliche Belehrung verbreitet, das Christenthum blühte: es ist wunderbar, wie überhaupt jene britischen Inseln uns voraus gewesen sind, wo immer ein neues Werden, eine neue Erscheinung der weltgeschichtlichen Idee für Jahrhunderte sich vorbereitet. Sie haben uns aus Irland die ersten Apostel des Christenthums gesandt: sie haben in Wicklef den Anfang der Reformation bezeichnet, dann in Baco von Verulam und Locke die beiden Thorsäulen am Tempel der Philosophie der neuern Zeit, in Bolingbrocke, Shaftesbury und andren die ersten Fackeln der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts entzündet; und jetzt, sind sie nicht wieder die ersten gewesen, welche die industrielle und materielle Richtung unsrer erfindungsreichen Zeit eingeschlagen haben? Ihres politischen Vorgängerthums nicht einmal zu gedenken. Doch dies im Vorübergehen – obwohl wir bei unsrer Wanderung durch Westphalen noch auf Manches stoßen werden, was in Clima, Charakter der Einwohner, Sprache und Physiognomie der Gegend an England erinnert.

Die christlichen Missionare gewinnen nun durch die begeisterte Macht ihres Wortes, durch die Kraft, die dem Princip des Christenthums innewohnt, und den Muth, der sie die Hand an die geweihten Irmensäulen oder die heiligen Eichen legen läßt, dem harten Sinn des Volkes einen Glauben ab, der zuerst noch störrisch mit allerlei wunderlichem Heidenthum gemischt, der christlichen Lehre mannigfache Concessionen abdringt, dafür aber die Taufe annimmt und mithilft an der Erbauung kleiner Waldkapellen, bei denen einer oder ein Paar der frommen Männer zurückbleibt zum Dienste des erkannten Gottes. Oft aber werden die Apostel Opfer ihres Eifers: oder sie müssen Tagelang ohne Labung durch die Wälder ziehen, oft flüchten, sich verbergen, um sich vor der verfolgenden Rohheit zu retten. Fromme Frauen, bei denen ihre Lehre zuerst Eingang gefunden, beherbergen und pflegen sie; sie wirken ein Wunder zu deren Belohnung, wie bei ihrem Grabmale ebenfalls Wunder geschehen; sie verscheuchen die Unzahl schädlicher Vögel, wie Ludger die wilden Gänse zu Billerbeck, sie lassen Quellen in der Einöde aus Felsen entspringen, heilen Kranke u. s. w.; äusserliches Wohlthun wird die Gewähr für die innere Wohlthat ihrer Lehre. Viele Sagen erhalten das Andenken daran. Die alten Heldenlieder der Sachsen sind uns verloren. In diesen Heiligensagen stellt sich uns unsre älteste Poesie dar, nicht wie die spätere Poesie des Mittelalters, eine blühende, in Glanz gekleidete und verlockende Jungfrau, die voll selbstbewußter Schöne keck in dem Sattel ihres milchweißen Zelters sich schaukelt und mit ihm durch den Tann einhersprengt, den muthigen Falken auf der Faust, den liebesiechen Minnesänger und den begehrenden ungestümen Paladin in ihrem Gefolge; – es ist die weißverschleierte Gestalt der Legende, die in Nonnentracht und mit dem schwarzen Kreuz auf dem ruhig wallenden Busen ihren nackten Fuß scheu und doch voll Gottvertrauens auf das Waldesmoos setzt, und zum Beten niederkniet, wo unter dem Laubdach einer Linde die herzgeformten Blätter ein verwittertes Steinkreuz oder ein Marienbild beschatten. Sie hat keine stolzen Siegeskränze, um ihre Getreuen damit zu krönen; aber wem sie segnend die weiße stigmatisirte Hand auf die Locken legt, um dessen Haupt leuchtet die Glorie des Heiligenscheines: so hat sie die Ewaldsbrüder, die heilige Ida, den heiligen Switbert, des Earl Siegfried von Northumberland Sohn und viele Andre gesegnet.

Karl der Große kommt, um mit geharnischter Rechte der Bannerträger des Kreuzes in diesen Gegenden zu werden: aber wenn auch als Eroberer seine Kampfhelden durch die Waldungen Westphalens ziehen, so bringen sie den Krieg doch nur als den Diener des Friedens: nicht wie die Römer, die bis zum Rhein und zur Weser vordrangen, legt der Frankenkönig feste Plätze und Castelle in dem eroberten Lande an, um es im Zaun zu halten, sondern Kirchen und Stifter werden die Haltplätze seiner Gewalt, und wehrlose Priester die Burgmänner, die sie beschützen sollen. Die Unterwerfung des Landes wurde um so dauernder durch diese Festungen, welche die Gemüther in der Furcht Gottes hielten, nicht die Leiber in Furcht vor Fränkischem Wurfgeschütz, das die Sassische Kraft nach Karl's Tode doch wieder überwältigt hätte. – Auch an Karl's des Großen Erscheinung knüpft die Legende Wunderwirkungen, wie die Sage mannigfache Mähren; so schlägt er mit einer Gerte einen Felsenblock bei Osnabrück in Stücke, der als heidnischer Opferaltar gedient hatte. – Dem großen Karl, dem »aisken Schlächter«, wie ihn die Sachsen in ihren Verwünschungen nannten, soll Westphalen nach A. W. Schlegels Behauptung noch einen Vorzug verdanken, der sich seit so vielen Jahren schon, was man auch sonst von unsrem Lande sagen mag, seiner allgemeinen Anerkennung erfreute. Schlegel hat davon in seinem Trinklied auf Karl den Großen also gesungen:

Es lebe Karl der Große,
Ein echter deutscher Mann!
Und jeder Deutsche stoße
Mit seinem Becher an!
— — — — — — — —

Am Rüdesheimer Berge
Hat er den Wein gepflanzt,
Wo Nixen sonst und Zwerge
Um Hatto's Thurm getanzt.

Wenn wir den Rheinwein trinken,
So werde sein gedacht;
Auch die westphälschen Schinken
Hat er erst aufgebracht.

Er taufte ja die Sachsen;
Es war ein strenges Muß;
Er zog sie bei den Fachsen
Wohl in den Weserfluß.

Die heidnischen Westphalen‚
Die schlachteten nicht ein;
Die Mönche drauf befahlen
Ein fett St. Martinsschwein.

Den heil'gen Mann zu ehren,
Hing man sie in den Rauch:
So sah man sich vermehren
Den lobenswerthen Brauch.

Es lebe Karl der Große,
Ein echter deutscher Mann!
Und jeder Deutsche stoße
Bei seinem Namen an!

Errichtet wurden jene Stifter wohl, wo ein bedeutender Hof als Mittelpunkt größerer Bevölkerung, wie in Minden der Wittekinds, vorhanden, wo die Gewohnheit seit je zur Gottesverehrung oder Volksversammlung an altgeheiligten Stätten zusammenführte. Die Kirche aber wurde da erbaut, wo ein wunderbares Zeichen, das nächtliche Leuchten einer Flamme, das Stillestehen eines Gespanns von Stieren, die Stelle als Gott wohlgefällig bezeichnet hatten – in Minden ist es eine weiße Gans, welcher die Legende diese Rolle gibt. – Wie nun eine Stadt umher ersteht, wie der Bischof zu der Ausübung seiner rein geistigen Mission nach und nach auch die weltliche des Grafenamts in seinem Gau fügt und endlich Landesherr wird: wie der Bischof sein Eigen von dem des Capitels scheidet; wie die alte Regel des Zusammenlebens der Domgeistlichen umgangen und Chrodegang's von Metz Vorschriften über die klösterliche Einrichtung der Stifter vergessen werden u. s. w., wird in der allgemeinen Geschichte des deutschen Reiches geschildert. Die Deutsche Reichsgewalt und ihre Träger hatten wenig Macht über die Westphälischen Verhältnisse; die Sitze der Kaiser waren entfernt, und der Weg zu ihnen weit: man sagt ja, ein Bischof von Osnabrück habe ein volles Jahr Zeit gebraucht, um sich gen Worms zu Kaiser und Reichstag auf den unwirthbaren und unsichern Straßen durchzuarbeiten: die Herzogsgewalt aber war gebrochen seit den Tagen, in welchen Heinrich der Löwe geächtet. Desto strafloser konnte der Hang zu roher Gewaltthat sich austoben und Fehden und Raufereien, Sengen und Brennen verwilderten desto toller das Land. Die benachbarten Dynasten sind es, die unter sich, oder verbündet gegen das Stift, den Kampf beginnen; die Bischöfe treten als friedenwirkende Vermittler oder als Sühner und Rächer begangener Unbilden darin auf, wenn sie nicht selbst angegriffen – oft von dem eignen Schirmvogt ihrer Kirche – sich in den Stegreif erheben und den Hirtenstab mit dem Schwerte, die Inful mit dem Helm vertauschen. Sie sind meist siegreich in diesen Fehden, wenn nicht etwa ein Friedrich von Isenburg meuchlerisch sie erschlägt, wie den heiligen Engelbert von Köln; – sie wissen dann auch den Sieg zu benutzen, wie davon die Burggrafschaft Stromberg, und die schönsten Besitzungen der Grafen von Tecklenburg zeugen, die unter die Herrschaft des Krummstabs gebracht wurden mit gewaffneter Hand. So z. B. auch Ottenstein, die feste Burg des Grafen von Solms, die Bischof Otto IV. von Münster acht Jahre lang belagerte und endlich durch Hunger zu der Capitulation zwang, die Weiber sollten frei mit so vielem ihrer Habe, als sie zu tragen vermöchten, ausziehen, die Männer aber sich gefangen geben. Als darauf das Thor der Feste sich erschloß, sah man eine schöne kräftige Jungfrau mit einem schweren Manne auf ihren Schultern, in ihrer Schürze werthvolle Urkunden und Geschmeide, herausschreiten: es war die Tochter des Grafen Heinrich, die so ihren Vater aus den Händen des grimmen Bischofs, den man den Hektor Westphalens nannte, rettete und gegen seinen Zorn Schutz bei dem in der Nähe mit vielen Reisigen haltenden Geliebten, dem jungen Grafen von Steinfurt fand, der jetzt nicht zögerte, sie auf seine Burg heimzuführen.

Einen langwierigen und öfter gegen sie ausschlagenden Kampf hatten die Bischöfe mit den Hauptstädten ihres Landes zu bestehen: die Westphälischen Städte waren fast alle in den Bund der Hansa aufgenommen und wurden blühend und reich dadurch; das Bewusstsein ihrer immer wachsenden Macht leitete sie bald zu dem Streben nach Unabhängigkeit, welches den Trieb des Mittelalters nach corporativen Bildungen belebte, und welches so manche unabhängige Stadt im deutschen Reiche groß machte: so entzogen sie sich nach und nach dem Grafenamt, oder der Territorial-Hoheit des Bischofs und beförderten die Fehmgerichte, um der geistlichen Jurisdiction sich zu entziehen: unterdeß bildete sich, meist nach dem Muster des Soester oder Magdeburger Stadtrechts, ihre innere Verfassung aus, gewöhnlich von anfangs aristokratischen Formen zu demokratischen übergehend; den Bischöfen aber blieb in ihrer eignen Hauptstadt oft nicht das Recht des Uebernachtens und daher kam es, daß die von Minden in Petershagen, die von Osnabrück in Iburg, Fürstenau, auf der Petersburg, die von Paderborn in Neuhaus, die von Münster endlich allenthalben, nur nicht in Münster residirten. Doch wußte in dem letztgenannten Stifte die Energie Christoph Bernhards von Galen alle Rechte und Ansprüche des bischöflichen Stuhles gegen die Hauptstadt auf eine so unwiderstehliche Weise geltend zu machen, daß der stolze Magistrat sich endlich sogar gefallen ließ, einmal im Jahre bei einer Prozession hinter den Schülern einherzuschreiten.

Die Reformation dringt endlich auch bis in das gläubige Westphalen und mit ihr kommt eine Zeit voll Wirren und Unruhe; das neue Licht geht nicht wie eine milde Sonne in ruhiger Majestät auf, sondern es offenbart sich wie ein Wetterleuchten im Sturme, es kommt dem Blitze gleich, der ein blutigrothes Kreuz durch die Wolken wettert: dem geschichtlichen Verlaufe dieser Erscheinung aber haben wir im allgemeinen hier nicht mehr zu folgen, hier, wo wir das Malerische und die Romantik des Landes und seiner Geschichte aufsuchen; die Reformation ist ja die Tochter der Kritik und die Kritik das Antiromantische.

Die Geschichte des Bisthums Minden hat wenig, was sie vor diesem allgemeinen Verlaufe auszeichnet. Der erste Bischof von Minden hieß Herumbert und ging aus dem (alten) Kloster Corvey hervor. In den stürmischen Zeiten Kaiser Heinrichs IV. saß Folkmar, ein Anhänger des Kaisers auf dem bischöflichen Stuhle; er wurde ein Opfer der Parteiwuth jener Tage, – der Mord aber wurde dem Patrone des Stifts, dem heiligen Gorgonius zugeschrieben, welcher zweien Kirchendienern erschienen sein und zum Wahrzeichen seiner That das blutbefleckte Altartuch vorgezeigt haben soll, woran er sein himmlisches Schwert abgewischt hatte. Der 38. Bischof Gottfried, Graf von Walbeck († 1324), wählte zu seinem Aufenthalte die Burg zu Huckelen, Huckulvi, sein Nachfolger Gerhard von Schaumburg vergrößerte diesen Ort und nannte ihn Petershagen. Bischof Otto III. der letzte des Geschlechtes zum Berge († 1398) brachte die väterliche Herrschaft mit allen Gütern dem Stifte zu. – In unsaubere Hände gerieth das Stift durch die Wahl des der Reformation anhängenden Hermann, Grafen von Schaumburg, um 1566, der sich in tausend Streitigkeiten verwickelte, namentlich mit dem Kloster Loccum, dessen Abt er auf öffentlicher Straße mit Schlägen mißhandelte. Als er die lange vorenthaltene päbstliche Bestätigung endlich erhalten, resignirte er, um sich auf die Arensburg zurückzuziehen und dort ein Bauernmädchen zu heirathen. Er starb 1592. Der letzte der Bischöfe Mindens, der 60., war ein energischer Mann, den das Schicksal viel umher warf und durch das Auf und Ab des Lebens schleuderte. Es war der Graf Franz Wilhelm von Wartemberg, Bischof von Regensburg, Osnabrück, Minden und Verden und endlich Cardinal der römischen Kirche. Der dreißigjährige Krieg hatte ihn aus all diesen reichen Pfründen vertrieben, er mußte eine Zeitlang von den Einkünften seines Archidiaconats an der Kirche des heiligen Cassius zu Bonn leben; dann aber tritt er als Gesandter Churkölns in Wien, Regensburg, Rom, auf, zuletzt als einflußreicher Theilnehmer am Friedens-Congreß zu Münster, wo er seine Stifter und außerdem Köln, Lüttich, Hildesheim, Paderborn, Münster, Eichstädt, Chur, Corvey, Stablo und Bergtesgaden vertrat, so daß er 15 Stimmen in seiner Person vereinigte. Sein Bisthum Minden jedoch gelang es ihm nicht sich zu erhalten; es wurde dem Hause Brandenburg für die Ansprüche auf Pommern durch Beschluß des Friedens-Congresses übergeben. Am 15. October 1649 trat der schwarze Adler an die Stelle der zwei gekreuzten silbernen Schlüssel im rothen Felde, dem Wappen der Stadt, und am 1. Februar 1650 nahm der große Kurfürst persönlich die Huldigung entgegen.

Seit 1816 hat man Minden in eine Festung nach modernen Regeln umzuschaffen begonnen, welche den Uebergang über den Strom, die Straße vom Rhein nach dem Osten hüten soll. Doch hat seitdem kein Feind ihre Widerstandsfähigkeit auf die Probe gestellt; sie hat höchstens entwaffnete Feinde als Gefangene in ihren Mauern gesehen, und einen unentwaffneten im Jahre 1837. Desto größer ist die Rolle, welche Minden in der Kriegsgeschichte des vorigen Jahrhunderts gespielt hat, in den Zeiten des siebenjährigen Krieges. Der Erbprinz von Braunschweig hatte im Jahre 1758 den Marquis von Morangies aus Minden vertrieben und in der Stadt befehligte nun General Zastrow eine preußische Besatzung, als im Sommer 1759 ein großes französisches Heer, unter dem Marschall Contades und dem Herzog von Broglio über den Rhein drang, das vom Herzog Ferdinand von Braunschweig angeführte Heer der verbündeten Preußen, Hannoveraner und Engländer vom Main bis tief in Westphalen zurückschob und sich Minden nahte. Ein Bauer, Sander, aus Aulhausen – auf seinem Hof ruht noch heute, sagt das Volk, ein Fluch – verrieth den Feinden eine Fuhrt durch die Weser, und machte ihnen möglich, die Stadt nächtlich zu überrumpeln, wonach die mit ihnen kämpfenden Reichstruppen unter dem Obersten Fischer lustig zu plündern begannen, bis die verbrüderten Franzosen selbst sie wieder zur Stadt hinauswarfen. Dieser Verlust Mindens bestimmte den Herzog von Braunschweig, der seine Verbindung mit der Weser und Niedersachsen bedroht sah, offensiv mit seinem Heere von 50,000 Mann gegen die 80,000 Franzosen vorzugehen. Von Osnabrück her näherte er sich der Weser und marschirte an ihrem linken Ufer herauf bis Petershagen; südlich von diesem schlug er das Lager auf und rückte dann noch weiter vor, bis Todtenhausen, Kutenhausen, Stemmer und Südhemmerde. Das französische Heer war ihm gegenüber, hinter dem Bache Bastau gelagert, die Höhen des Wittekindsberges u. s. w. im Rücken. Ihre Reserve unter dem Herzog von Brissac stand bei Rehme und Gohfeld. Der Erbprinz von Braunschweig hatte sich mit einem abgesonderten Corps bei Quernheim aufgestellt.

Die Zurüstungen zur Schlacht vermochte der Herzog von Braunschweig mit ruhiger Muße zu machen – Dank einem ehrlichen Bürgersmanne aus Minden, Jobst Heinrich Lohrmann genannt. Der Marschall Contades hatte nämlich vom Bürgermeister von Minden einen zuverlässigen Boten verlangt, der dem Herzog von Brissac nach Herford ein Paar Schuhe als Muster für die 2000 Paar Schuhe überbringen solle, welche die Stadt Herford zu liefern habe. Dazu wählte der Bürgermeister unsern Jobst Heinrich, der als Matrose und Steuermann die Welt gesehen hatte und französisch und englisch sprach. Lohrmann verstand also auch, was, als ihm die Schuhe übergeben wurden, die Franzosen mit einander redeten und dies genügte ihm. Er machte sich auf den Weg, eilte jedoch, als er den Franzosen aus dem Gesichte war und die Porta hinter sich hatte, in weitem Umkreise rechts über die Berge in's Lager des Herzogs, wo man die Schuhe untersuchte und zwischen den Sohlen eine Depesche fand, nach welcher am 1. August der Angriff der Franzosen stattfinden und Brissac gleichzeitig den Erbprinzen angreifen sollte. Nachdem Abschriften von der Depesche genommen, wurden die Schuhe wieder wohlverpackt und Lohrmann war mit Anbruch der Nacht richtig mit ihnen in Herford. – Die gewonnene Kunde aber wußte namentlich Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe zu brauchen, der mit seinem auserlesenen Corps unter dem Herzog von Braunschweig diente und nun für seine ausgezeichnete Artillerie Stellungen vorbereitete und Entfernungen abmaß.

In der That rückten die Franzosen am Morgen des ersten August aus ihrem Lager vor und gingen auf 19 Brücken über die Bastau. Aber sie ordneten sich langsam, ihre Bewegungen zeigten keinen Zusammenhang; die Anführer operirten ohne Uebereinstimmung; die Reiterei, welche seltsamer Weise (wie bei der großen Niederlage der Franzosen bei Hochstädt 1704) in's Centrum gestellt war, griff auf's tapferste an, wurde aber von der Infanterie der Verbündeten zurückgeworfen, und dies entschied auch die Niederlage der zerrissenen Infanteriecorps; die Schlacht war für die Franzosen bald verloren, wie es Contades selbst schon im Anfang der Aktion seinem Adjutanten vorhergesagt hatte. Kein Wunder bei Zuständen, wie damals die französischen waren, wo ein Heerführer sich für zu vornehm hielt, dem andern zu gehorchen, wo, wie einer der geschlagenen Befehlshaber, von dem gehaltenen Kriegsrath redend, sich ausdrückte: C'est un crime de parler, c'en est même un d'oser penser, et pour vivre tranquille il faut devenir automate. Von solchen uns heute nicht mehr faßlichen Zuständen lieferte die Schlacht bei Minden jedoch auf der Seite der Verbündeten ebenfalls ein Beispiel. Als die Infanterie derselben ihre Aufgaben glänzend gelöst und den Feind auf allen Punkten geworfen hatte, befahl der Herzog von Braunschweig dem Lord Germain, der die englische und deutsche Reiterei befehligte, die Verfolgung zu beginnen, welche die völlige Vernichtung des französischen Heeres herbeigeführt hätte. Lord Germain aber, der auf den Kriegsruhm des Herzogs von Braunschweig eifersüchtig war und den Oberbefehl für sich erstrebt haben soll, gehorchte nicht; er gab vor, den Befehl des Herzogs nicht zu verstehen, obwohl drei Adjutanten, darunter zwei Engländer, hinter einander an ihn abgesandt wurden. Dadurch wurde es Contades und Broglio möglich, sich in ziemlicher Ordnung zurückzuziehen, mit einem Verlust von 7000 Mann, 25 Geschützen und vielen Fahnen und Standarten. – Lord Germain wurde in England vor ein Kriegsgericht gestellt und cassirt; Georg II. strich in dem Buche, worin seine geheimen Räthe aufgezeichnet waren, den Namen des Lords Germain mit eigener Hand aus, und das Volk drohte, ihn in Stücke zu zerreißen... hatte doch dieser selbe Lord Germain als Mitglied des geheimen Raths an der Verurtheilung des Admirals Bing Theil genommen, der drei Jahre vorher erschossen worden war, weil er es an einer Tapferkeit hatte fehlen lassen, welche, wie man voraussetzte, England die Insel Minorka hätte retten können. Aber trotz alledem wurde Lord Germain unter König Georg III. später Colonialminister und veranlaßte die ersten höchst unglücklichen Kriegsunternehmungen in Amerika, die den Kampf um die Unabhängigkeit der vereinigten Staaten einleiteten. Den Namen Sackville, mit dem ihn unsere Geschichtsschreiber bezeichnen, nahm er erst später an – es ist der Titel, den der älteste Sohn des Herzogs von Dorset führt. –

Der Herzog von Brissac, welcher an demselben ersten August den Erbprinzen von Braunschweig vernichten sollte, wurde von diesem angegriffen und geschlagen – die Franzosen wurden dadurch genöthigt, nachdem sie Minden noch am selben Tage übergeben, sich nach Hameln, Münden, Kassel zurückzuziehen.

Unter den Gebäuden Mindens zeichnet sich nur der Dom aus, und auch der ist eben kein Muster von der hohen Vollendung, welche die Baukunst des Mittelalters da, wo sie »versteinerte Musik« schaffte, sonst erreichte. Im Jahre 1062 zerstörte eine große Feuersbrunst, als gerade Kaiser Heinrich IV. in Minden sich aufhielt, die früher an der Stelle stehende kleinere Kirche, die dem heiligen Gorgonius, Laurentius und Alexander geweiht war: da baute man die jetzige Cathedrale in ungefähr zehn Jahren auf und aus dieser Zeit – 1062–1072 – stammt zunächst wohl der romanische Thurmbau, der plump und völlig schmucklos ist. Die östlichen Bautheile sind ebenfalls romanischen Stils; zwischen Thurm und Chor hinein ist das gothische Langhaus gestellt, das eine Hallenkirche bildet, d. h. drei Schiffe von gleicher Höhe mit hoch und kühn anstrebenden Kreuzgewölben besitzt und namentlich wegen der Fenster merkwürdig ist, welche von einer ganz seltenen Schönheit, einer bewundernswürdigen Mannigfaltigkeit in der Anlage des Maßwerkes sind und unübertroffen genannt werden dürfen. Der Schatz des Domes hat einige beachtenswerthe Kleinode, ein romanisches Reliquiarium und ein Cruzifix, an dem eine dasselbe verzierende große Camee merkwürdig ist, ein Sardonix mit dem Bilde eines römischen Kaisers, in welchem der gelehrte Ekkard einst das Abbild Karls des Großen gefunden zu haben glaubte. Und so ist unser Sardonix Gegenstand einer sehr gelehrten Abhandlung » De imaginibus Caroli magni,« Lüneburg 1719 in Quart, geworden.

Die zwei andern größern Kirchen Mindens sind nach dem Muster des Domes erbaut. Die Marienkirche enthält das Epitaphium des streitbaren Ritters Georg von der Holle, des westphälischen Sickingen, wie man ihn genannt hat. Ritter Georgs kriegerische Thätigkeit fällt in die Mitte des 16. Jahrhunderts, und seine Thaten, von denen das Denkmal sagt, daß sie

Complecti hac tabula singula nemo potest,

sollen noch im Munde des Volks in der Gegend Mindens leben, obwohl ihr Schauplatz zumeist die Fremde war – er diente König Philipp von Spanien im Kriege wider Frankreich 1557 und dem Dänenkönig wider Schweden 1563. Daß Ritter Georg mit seiner Streit- und Fehdelust seiner Vordern würdiger Sproß gewesen, darauf deutet das niedersächsische Sprichwort:

Halt zum Freunde Mönchhausen, Holle und Halle,
So behältst du deine Kuh im Stalle.

In der Martinskirche wird ein Gemälde gezeigt, welches man Lucas Cranach zuschreibt. –

Das Domkapitel hat das Bisthum überlebt. In dem Homagialrecesse von 1650 bestätigt, ward es erst 1808 aufgehoben. Andre Stifter hatte Minden mehrere, darunter das Chorherrnstift zu St. Martin und das (seit der Reformation) freiweltliche adlige Fräuleinstift zu St. Marien. – Wenden wir nun das Auge ab von den Thürmen und Bastionen der besprochenen Stadt und von den Erinnerungen aus alter Zeit, welche sich für uns daran geknüpft haben und lassen es den ruhigen Spiegel der Weser hinaufgleiten, die von der Porta an durch eine fruchtbare bebaute Ebene ihre Wässer den Bogen der Mindener Brücke zuwälzt. Vor uns in der Porta, höchst malerisch am rechten Weserufer an dem Berge sich hinaufziehend, welcher der letzte Höhenpunkt des Süntelgebirges ist und den man nach einem früher darauf angesiedelten Invaliden den Jacobsberg genannt hat – liegt Hausberge, das »Haus der edlen Herrn vom Berge«, eines mächtigen Geschlechts, das bis zu seinem Erlöschen am Ende des 14. Jahrhunderts die erbliche Schutzvogtei über die Mindensche Kirche besaß, und als Nachkommen Wittekinds, dessen Namen fast alle Glieder der Familie trugen, betrachtet wurde. Sie hausten da unten in der jetzt verschwundenen Schalksburg ( scalcsburg), in welcher 1018 Kaiser Heinrich II. mit dem Sachsenherzog Bernhard III. zusammenkam. Der Stammsitz der Herrn vom Berge scheint ursprünglich auf der Höhe gelegen zu haben, welche uns als Standpunkt dient, und in Urkunden als mons Wedigonis mit einem castellum Widegenborch vorkommt. Dieser Berg erhebt sich 834 Fuß über den Weserspiegel und bildet die erste wie die höchste Spitze des »Wiehengebirgs.« Minoritenmönche erbauten im 13. Jahrhundert die Margarethenklause darauf. Im 10. Jahrhundert lebte am Wedigensteine‚ wie noch jetzt das am Fuße des Wittekindsberges halb im Walde versteckte Gehöft heißt, eine fromme Frau, Theutwif, welche gleichgesinnte Frauen um sich sammelte, um mit ihnen nach der Regel des heiligen Benedikt dort ihr Leben dem Gebete zu weihen. Bischof Milo baute ihnen ein Kloster, das sie aber bald verlassen haben, um sich in der Stadt selbst anzusiedeln, wo das Fräuleinstift zu St. Marien daraus entstanden ist. Man hat das bekannte schöne Volkslied vom Fräulein vom Berge an diese Oertlichkeit, die Ruinen des Schlosses in Hausberge und das jetzt verschwundene Kloster am Wittekindsberge, geknüpft.

Wir wandern nun an den Gestaden der Weser hinauf in südwestlicher Richtung, und gelangen so zuerst nach Rehme, in dessen Nähe die aus dem Teutoburger-Walde, an Herford vorüber, fließende Werre in die Weser mündet. – Unser Strom ist hier von der großen Brücke für die Schienenbahn von Köln nach Minden überspannt. Zwanzig Minuten westlich von Rehme entfernt, bei der Königlichen Saline »Neusalzwerk« liegt das vielbesuchte Bad Oeynhausen, das seine erste Anlage dem Jahre 1845 verdankt, nachdem man im Jahre 1829 eine Bohrarbeit auf Salz begonnen, welche jetzt auf eine Tiefe von fast 2500 Fuß niedergedrungen ist und eine Soolquelle von seltener Ergiebigkeit und Heilkräftigkeit hervorgebracht hat. Schon im Jahre 1847 hatte man das Flötzgebirge, welches die Umgegend von Neusalzwerk bildet, bis auf 2220 Fuß Tiefe durchbohrt; Alexander von Humboldt nennt schon in seinem Kosmos dies Bohrloch die größte relative d. h. unter den Meeresspiegel hinabsteigende Tiefe, welche die Menschen bisher erreicht haben. Bei der auffallenden Heilkräftigkeit, welche die aufsteigenden Wasser zeigten, beschloß die Regierung die Anlage einer Badeanstalt, welche im Juni 1845 mit drei Badehäusern eröffnet wurde – zehn Jahre später gab die persönliche Theilnahme des Handelsministers von der Heydt den Anstoß zu einer größern Entwickelung der Anlagen und heute erhebt sich um das zweckmäßig erbaute, gut entworfene neue Badehaus ein ganz neuer Ort, mit allem was zum fashionablen Badeleben gehört. Zwei Kirchen werden in nächster Zeit hinzukommen. Den Namen dieses neuen Orts aber wählte man zu Ehren des verdienten Mineralogen, des Berghauptmanns von Oeynhausen, der die Bohrarbeiten geleitet hatte. – Unter den Neubauten, welche in Oeynhausen so rasch aus der Erde zu wachsen scheinen, erwähnen wir einen, der mit großem Erfolge der Kunstindustrie dient – es ist die Thonwaaren-Fabrik von A. Rasch, die in großer Vollendung Gartenstatuen, Ziergefäße und Bau-Ornamente jeder Art liefert, und welcher der Eisenbahnhof seinen Schmuck an aufgestellten allegorischen Figuren verdankt.

Der nächste Ort am linken Weserufer – und dies, als das westphälische, ist das, welches wir hauptsächlich im Auge behalten – ist Vlotho, die Fluthau, ein freundlicher, gewerbthätiger Flecken im eng von Hügeln umgebenen Thale, das uns ein anmuthiges Landschaftsbild zeigt. Die schmucken Häuser liegen in grüner Umfassung am Ufer, und ein altes Schloß beherrscht sie von der Höhe herab. Einst stand unten im Thale, von dem Flusse umströmt, eine Burg, deren Besitzer, die edlen Herrn von Vlothow, im 13. Jahrhundert ausstarben. Sie hatten eine zweite Burg, von der noch dürftige Spuren zu erblicken, auf der Höhe dicht am Ufer sich erbaut, nachdem sie die erste zu einem Kloster für Cisterzienser-Nonnen hergegeben, das Segenthal, vallis benedictionis genannt wurde: viel Segen scheint bei der Stiftung jedoch nicht gewesen zu sein, denn später trieben Benedictiner-Mönche die Nonnen aus, um selbst wieder der Reformation zu weichen. Nachdem die alten Besitzer von Burg und Flecken Vlotho aus den Reihen der Lebenden geschieden, schien ihr Eigen vom Schicksal verurtheilt zu sein, nie darüber zum klaren Bewußtsein zu kommen, wer eigentlich nun Herrschaft sei. Es ist beinahe kein Dynastengeschlecht im Lande ringsum, in dessen Hände Vlotho nicht einmal gerathen, durch Tausch oder Verpfändung oder Kauf oder Abtretung; bald hatten die guten Heimbürger von Vlotho den Grafen von Ravensberg, bald den von Tecklenburg, bald den von Oldenburg, von Bentheim, von Braunschweig, von Waldeck, von Jülich u. s. w. als Landesvater zu lieben und zu verehren. Mit dem Ravensbergischen kamen sie endlich aus der Jülich-Cleve-Berg'schen Erbschaft an Brandenburg, um sich nun unter einer steten Herrschaft zu der Gewerbsamkeit und dem Wohlstande zu erheben, der heute den Flecken auszeichnet. Hinter Vlotho beginnt Lippisches Gebiet. Das alte Schloß vor'm Holte (vor dem Walde) zeigt sich auf einer von der Weser umflossenen Höhe. Jetzt heißt Varenholz der uralte und seit je edlen Junkern von der Lippe zugehörige Sitz. Früher hüteten ihn Burgmänner, Ministerialen »von Varnholte«; pfandweise bekamen ihn die Herren von Wendt – ob schlechter Nachbarschaft berufen, – dann Herrn von Westphalen, Saldern, Caldorf, und seit 1548 die Familie von Donop; 1595 war er wieder eingelöst, denn in diesem Jahre erbaute Graf Simon VI. von der Lippe aus dem alten Burgstall das jetzige ansehnliche Gebäude, das heute von einem Domänenpächter bewohnt wird, der damit die größte Domänenpachtung des Lippe'schen Landes inne hat. – Unsere Abbildung stellt den inneren Hof des Schlosses dar, welchem reich mit Skulpturen bedeckte Treppenthüren, Giebel, Lucarnen und Erker ein malerisches Gepräge geben. Die Berge weichen hier von der Weser auf dem linken Ufer zurück; die nächste Stadt, welche der Fluß bespült, Rinteln, liegt in einer Ebene.

Rinteln verdankt seine Entstehung dem Grafen Adolph V. von Schaumburg, der im Jahre 1238 das Cisterzienser Nonnenkloster zu Bischopperode bei Stadthagen hierher verlegte. Ein Ritter Gerslaff von Eckersten, dem das Stift Minden seine Reisekosten auf einer in Stiftsangelegenheiten gemachten Fahrt nach Rom durch Begabung mit Land und Zehnten an dieser Stelle ersetzte, baute sich neben dem Kloster seinen Hof; von jenseits der Weser zogen nun die Bewohner eines älteren kleinen Orts Rentelen auch herüber und so entstand Rintelen, das gegen Ende des 13. Jahrhunderts als Stadt genannt wird, und in welchem die Grafen von Schaumburg 1621 ihre Landesuniversität errichteten, die durch den 30jährigen Krieg brach gelegt, von der Gräfin Elisabeth von Schaumburg 1642 wieder hergestellt und 1810 durch König Jerôme von Westphalen aufgehoben wurde. Unter den Lehrern derselben waren Leute von rühmlichem Namen wie Lotichius, Thomas Abbt, Wachler, Wegscheider. Aber es scheint nicht, daß das Licht, welches von ihr ausging, je ein hellleuchtendes gewesen sei, es würde sonst die blutigen Flammen der Scheiterhaufen nicht neben sich geduldet haben, die man im siebenzehnten Jahrhundert mit solcher Wuth in dieser Musenstadt schürte, daß kein altes Mütterchen ihres Lebens mehr sicher war. In den Jahren 1653 bis 60 soll der weise und fürsichtige Stadtrath von Rinteln im Hexenverbrennen das Stärkste geleistet haben, was unsere Landesgeschichte kennt. War es deshalb, daß grade in Rinteln der edle Spee 1631 sein berühmtes Werk: cautio criminalis contra sagas herausgab? Man weiß nur, daß es dort wenig fruchtete.

Hinter Rinteln bilden auf dem rechten Weserufer die jähen und steilen Höhenzüge des Süntels (Sunthal, Sonnenthal, wie man etymologisirt), auf dem linken die mehr sich abflachenden Gebirge, die vom Osning oder Teutoburger Walde aus durch das Lippische bis hierher sich ziehen, eines der freundlichsten Stromthäler in Deutschland. Die höchst malerischen Punkte des Paschen- oder Osterberges mit dem alten Schloße, die Schaumburg, des Hohenstein's, der wie der Stammvater des ganzen Süntelgebirgs ragt, darzustellen, muß ich dem Crayon und dem Grabstichel überlassen; und auch sie können den Zauber nicht wiedergeben, den dies gesegnete Thal mit seinen frischen reichbelaubten Waldhöhen, mit seinen fruchtbaren Stromgestaden auf uns übt. Der Blick schweift von der Höhe des Paschenberges über die ganze herrliche Landschaft von den Porta-Bergen bis nach Hameln, das mit seinen Thürmen am Horizonte auftaucht: gegen Nordost ragen die Gipfel des Deistergebirges, südwestlich ihnen gegenüber die Hügelrücken Pyrmonts und des Lipper Waldes, ja bei heitrem Himmel im Osten wolkenhaft, ganz in die blaue Ferne gerückt, die Spitze des Brockens empor; unten schlängelt sich in behaglicher Ruhe der Fluß, von Hameln bis Rinteln nach Nordwesten, von da bis gen Vlotho ganz nach Westen strebend. – Aber man wähle, welchen Standpunkt man will, auf der Lüdener Klippe, auf dem Hohenstein, auf der kahlen Halde des »Papenbrinks«, überall blickt man hinab auf ein Gefilde, das mit Recht das des Sonnenthals heißt. Die Geschichte und die Sage hat diese Landschaft sich geweiht; hier, wo das Gebiet der Cherusker mit dem der Angrivarier zusammenstieß, wurde die Schlacht des Germanikus auf dem Felde Idistavisus (von Stau, Marschland, Visi, Wiese und Ida, Klippe, Fels, also Felsenstauwiese?) geschlagen; in derselben Gegend wurden Karl's des Großen Feldherren Adalgis, Geilo und Warand sammt ihren Frankenschaaren von Wittekind vernichtet; in neuerer Zeit bluteten hier, beim Segelhorster Berg, 1633, die liguistischen Heerhaufen des Grafen Merode unter dem Schwerte des protestantischen Herzogs Georg von Lüneburg. Die Sage läßt auf dem Pascha- oder Osterberge, dem die flammende Feier des christlichen Auferstehungsfestes seinen Namen gab, schon früher den heidnischen Lichtdienst der Gottheit des strahlenden Morgens, des aufsteigenden Lichts, der Ostara, halten. Sie war ja eine freudige, eine heilbringende Erscheinung, deren Begriff leicht für das Auferstehungsfest des christlichen Gottes von seinen Dienern verwandt werden konnte. Noch lange nachher behauptete der Volksglaube, die Sonne thue beim Aufgehen am ersten Ostertage drei Freudensprünge, das Wasser, das man am Ostermorgen schöpfe, sei heilig und heilkräftig, wie das der Weihnacht. Weißgekleidete Jungfrauen, die sich auf Ostern, zur Zeit des einkehrenden Frühlings, in den Felsenklüften und auf den Bergen sehen lassen, gemahnen noch an die alte Göttin. (S. J. Grimm Myth. S. 182.) Auf den Bergen umher haben ehemals Riesen gewohnt, und sind hinüber und herüber geschritten über den Strom, oder haben sich Bälle zugeworfen, von einem Berge zum andern. Man findet die Hünensagen von der Weser in A. Kuhns Sagen aus Westphalen. Leipzig 1859 – I. 280 u. 348. Siehe dort B. I. S. 250 noch die Erklärung des Namens »Papenbrink«. In der Nähe ist eine Höhle, das Mönken- oder Münckenloch; darin hauste einst eine wunderschöne Zwergin oder Wichtelweibchen; das verliebte sich in den Grafen von der Schauenburg, der in ihren Gründen jagte, und warf ihre zauberhaften Netze um den schmucken Ritter so geschickt, daß er sich bethören ließ und täglich sich wegschlich von seiner braven Gemahlin, um seine reizende kleine Buhlerin zu sehen. Die Gräfin aber war schlau und durchschaute ihren Gemahl; eines Tages folgte sie ungesehen seinen Gängen und fand in der Mümkenhöhle ihn schlummernd, sein Haupt mit dem dunklen Lockenhaar auf dem Busen der verliebten Elfe, die neben ihm schlafend auf dem Mooslager ruhte. Da schlich die Gräfin leise sich näher und schnitt eine Locke von dem langen Goldhaar der Verführerin und eilte rasch dann auf die Burg zurück, um weinend ihren Raub, den Beweis, daß er durchschaut sei, ihrem Gemahl zu zeigen. Da ging der Graf in sich und fühlte den Zauber gelöst und erhielt Verzeihung von seinem edlen Weibe; als er nun aber nicht mehr zu der Höhle kam, hörte man Nachts die herzzerreißenden Klagetöne der verlassenen Zwergin die Burg umschwirren, bis sie durch Gebet gebannt wurden.

Man nimmt in Deutschland gewöhnlich den Rhein mit seinen Gestaden zum Maßstab für jedes andere schöne Stromthal. Mit ihm verglichen hat die Weser weniger großartige und wildromantische Parthien; ihre Gebirgsmassen sind weniger zusammengedrängt; aber sie ist idyllischer, farbreicher und hat auch die tieftrüben Verließe des Rheines nicht, wo die schwarzen Schieferfelsen, bedeckt von der höchst kümmerlichen Vegetation der Rebengärten, euch in ihren engen Kesseln von der Welt für ewig zu sondern scheinen; die Weser ist überall ein freundlicher Fluß; sie schlängelt sich durch ein offenes, helles Gefilde, mit voller Freiheit der Bewegung, denn die errichteten Grundgesetze für ihren Lauf, die Bergeszüge, scheinen sich nach ihr gerichtet zu haben, nicht sie von ihnen bestimmt worden zu sein. Ich möchte die Weser im Gegensatze zum Rheine deßhalb den protestantischen Fluß Deutschlands nennen, und den letztern den katholischen. Wo der Weser die Autorität der Gewalt in den Bergmassen der Porta Westphalica entgegengetreten ist, da scheint sie ihren dreißigjährigen Krieg geführt und endlich die Anerkennung ihres freien Prinzips errungen zu haben; der Rhein dagegen ist der katholische Strom Deutschlands; er spiegelt nicht allein die schönsten Dome, die Münster von Speyer und Köln und Mainz in seinen Wogen, er gibt sich in seinen beengten Windungen resignirt den Gesetzen hin, welche Gott ihm für seinen Lebenslauf in den steinernen Tafeln seiner Felsenwände offenbart hat: was er an Bergen und Klippen bespült, trägt zudem die Trümmer mittelaltriger Herrlichkeit, die finster und klagend hineinschauen in die moderne Völkerwanderung da unten, welche einen so bunten, schreienden Contrast mit seinem einfach düstern Charakter bildet. Ich habe hier die pittoreske Parthie des Rheins, welche am meisten bewundert wird, von Bingen bis Coblenz, im Auge, eine Strecke, die mir immer wie vor Schwermuth über das neue modernflüchtige und blaudunstige Leben, das tagtäglich jetzt auf tosenden Dampfschiffen über die Wasserbahn zieht, alt und grau geworden schien. Man müßte einmal den Rhein dort schließen und ihn Jahrelang ungestört lassen, daß er an's Licht gebären könnte, was in den dunklen Kluften brütet; die zusammengesunkenen Felsen würden vielleicht in jugendlicher Kraft sich aufrichten und mit lichterem üppigerem Laube neu ihre Wände begrünen und ein frisches blühendes Leben in ihre dunklen Kessel einziehen lassen. Was hätte die Lurlei Eiligeres zu thun, wenn man sie ungestört ließe, als auf's Neue ihren alten romantischen Spuk mit aller Zaubermacht der verlockenden unwiderstehlichen Lautenklänge zu beginnen? Und mit den Klängen aus der alten verschwundenen Zeit, mit ihren herzbewegenden Weisen würde sie vielleicht die alten Burgen wieder aufbauen, wie Amphion Thebens Mauern einst; die zerfallenen Gewölbe würden neu sich schließen, und der Donjon wieder hoch und stolz seine Zinnen recken, wenn er die alten bekannten Töne der Zauberjungfrau vernähme.

Doch wir kehren vom Rhein zur Weser zurück, und fügen an dieser Stelle Dingelstedts dichterische Schilderung des Stromes ein:

ch kenne einen deutschen Strom,
    Der ist mir werth und lieb vor allen,
Umwölbt von ernster Eichen Dom,
    Umgrünt von kühlen Buchenhallen.
Ihn hat nicht, wie den großen Rhein,
    Der Alpen dunk'ler Geist beschworen,
Ihn hat der friedliche Verein
    Verwandter Ströme still geboren.

So taucht die Weser kindlich auf,
    Von Bergen traulich eingeschlossen,
Und kommt in träumerischem Lauf
    Durch grüne Au'n herabgeflossen;
So windet sie mit leisem Fuß
    Zum fernen Meere sich hernieder,
Und spiegelt mit geschwätz'gem Gruß
    Der Ufer sanften Frieden wieder.

Doch hat sie in der Zeiten Flug
    Gar manche große Mähr' erfahren;
Und ihre stille Woge trug
    Viel Herrliches zu fernen Jahren.
Sie sah in ihrer Wälder Schooß
    Des Adlers Siegerflügel wanken,
Und vor der deutschen Arme Stoß
    Der ew'gen Roma Säulen schwanken.

Und als mit fester Eisenhand
    Held Karl den deutschen Scepter führte,
Da war es, wo im Weserland
    Sich manche Stimme mächtig rührte.
Da hörte man des Kreuzes Ruf
    Mit hellem Klang an den Gestaden,
Und sah der Frankenrosse Huf
    Sich in den nord'schen Wellen baden.

Und so erzählt sie manchen Traum
    Aus ihrer Vorzeit grauen Tagen,
Und sieht dabei des Lebens Baum
    Stets frisch an ihren Ufern ragen.
Es glänzen in der lichten Fluth
    Der Klöster und der Burgen Trümmer,
Des Mondes und der Sonne Gluth,
    Des Thurmes und der Segel Schimmer.

So rollt sie durch ihr Felsenthor,
    Durch immer wechselnde Gefilde,
Die Wellen leicht und frisch hervor,
    Wie jugendliche Traumgebilde.
In ihren Tiefen, klar und rein,
    Hörst du es seltsam wehn und rauschen,
Und kannst bei stillem Abendschein
    Der Nixe Wunderlied belauschen. –

Einer der schönsten Punkte auf der linken Seite des Flusses ist die Anhöhe in der Nähe der jetzt restaurirten Kirche des alten freiadligen Frauenstiftes Möllenbeck. Eine edle Matrone Hildburg gründete im Jahr 896 mit einem Priester Folkart aus Minden dies Gotteshaus, worin Jungfrauen und Frauen sich zurückziehen und ohne strenge Clausur‚ im schwarzen Gewande und weißen Schleier, nach des hl. Benedikt Regel, ihre Tage dem Gebete widmen sollten. Im 14. Jahrhundert war eine der Stiftsfrauen Adelheid vom Berge, von der eine seltene lateinische Druckschrift erzählt, daß sie so schön wie reich an Geist und Kenntnissen gewesen. »Bei dem Auf- und Untergange der Sonne, heißt es darin, sah man sie auf dem benachbarten, damals mit einem Kreuze geschmückten Hügel Stundenlang mit gefalteten Händen regungslos dastehn, indem ihr Geist den Banden des Körpers entschwunden zu sein schien. Nach ihrem frühen Tode fand man von ihr mehrere Gedichte in lateinischer Sprache, welche einen tiefen Schmerz über ihr Leben aussprechen.« – »Du bist«, besingt sie eine Quelle, »das Sinnbild meines Herzens: Deine schauerliche Grotte ist entfernt von den Stürmen und Leidenschaften der Welt; du hörst nichts als das Girren der Holztaube und die Klagetöne der Nachtigall. Im Scheine des Abendroths umspielt dich das Eichhörnchen und der junge Hase; aber vergoldet die Gluth auch deine rieselnden Wellen – mein Herz umwölkt eine düstre Mitternacht. Der Duft des Veilchens erstirbt unter meinen ermatteten Füßen und keine deiner Blumen erinnert mich an einen Freund: nur der Tod bietet mir den kalten Arm und wenn ich mit ihm gegangen, wird Niemand bald mehr wissen, wer Adelheid vom Berge war.«

Die Stiftung der edlen Frau Hildburg zerfiel im 15. Jahrhundert; die Frauen gräflichen und fürstlichen Stammes, welche die Abtissinwürde nach einander einnahmen, wußten die geistliche Zucht nicht zu erhalten und die völlige Auflösung drohte dem Kloster, so daß Bischof Adalbert von Minden 1441 dasselbe dem Augustinerorden abtreten ließ; die Augustiner aber mußten hundert Jahre später, nachdem der Probst den lutherischen Lehrbegriff angenommen, protestantischen Conventualen weichen, und nach abermals hundert Jahren ward das Kloster durch den westphälischen Frieden zu einer Domaine. Die Klosterkirche ist gothisch und stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts; eine zweithürmige Hallenkirche mit schlanken Verhältnissen ist sie zum Theil sehr schlecht erhalten, während das Kloster als Kornlager benutzt wird.

Weiter aufwärts führt der Strom uns gen Hameln, das mit seiner stattlichen Hämelnschen Burg unsre Blicke, aber nicht uns selbst zum Verweilen fesseln darf, da es jenseits unsrer Gränzen liegt. Statt der Weser durch das niedersächsische Gebiet, in welches sie getreten, zu folgen, erwähnen wir hier zweier ihrem rechten Ufer nahe liegender Punkte. Der erste ist die Höhe, welche den ganzen Bergzug des rechten Weserufers beherrscht, der 1807 Fuß hohe Köterberg (Götterberg, als Stelle heidscher Gottesverehrung, wie man glaubt), berühmt durch seine Sagen. »Er ist innen voll Gold und Schätzen, die einen armen Mann wohl reich machen könnten, wenn er dazu gelangte. Auf der nördlichen Seite sind Höhlen, da fand einmal ein Schäfer den Eingang und die Thüre zu den Schätzen: aber wie er eingehen wollte, in demselben Augenblicke kam ein ganz blutiger entsetzlicher Mann über's Feld gelaufen und erschreckte und verscheuchte ihn. Südlich auf einem waldbewachsenen Hügel am Fuße des Berges stand die Harzburg, wovon die Mauern noch zu sehen, und vor kurzem Schlüssel gefunden sind. Darin wohnten Hühnen und gegenüber, auf dem zwei Stunden fernen Zierenberg stand eine andere Hühnenburg. Da warfen die Riesen sich oft Hämmer herüber und hinüber. Auf dem Köterberge hütete vor Zeiten friedlich ein Schäfersmann, da stand, als er sich einmal umwandte, ein prächtiges Königs-Fräulein vor ihm und sprach: »nimm die Springwurzel und folge mir nach.« Die Springwurzel erhält man dadurch, daß man einem Grünspecht oder einem Wiedehopf sein Nest mit einem Holz zukeilt; der Vogel, wie er das bemerkt, fliegt alsbald fort, und weiß die wunderbare Wurzel zu finden, die ein Mensch noch immer vergeblich gesucht hat. Er bringt sie im Schnabel und will sein Nest damit wieder öffnen, denn hält er sie vor den Holzkeil, so springt er heraus, wie vom stärksten Schlag getrieben. Hat man sich versteckt und macht nun, wie er herankommt, einen großen Lärm, so läßt er sie erschreckt fallen (man kann aber auch nur ein weißes oder rothes Tuch unter das Nest breiten, so wirft er sie darauf, sobald er sie gebraucht hat.) Eine solche Springwurzel besaß der Hirt, ließ nun seine Thiere herumtreiben und folgte dem Fräulein. Sie führte ihn bei einer Höhle in den Berg hinein; kamen sie zu einer Thür oder einem verschlossenen Gang, so mußte er seine Wurzel vorhalten und alsbald sprang sie krachend auf. Sie gingen immer fort, bis sie etwa in die Mitte des Berges gelangten, da saßen noch zwei Jungfrauen und spannen emsig; der Böse war auch da, aber ohne Macht und unten an den Tisch, vor dem die beiden saßen, festgebunden. Ringsum waren in Körben Gold und leuchtende Edelsteine aufgehäuft und die Königstochter sprach zu dem Schäfer, der da stand und die Schätze anlusterte: »Nimm dir soviel du willst.« Ohne Zaudern griff er hinein und füllte seine Taschen, so viel sie halten konnten, und wie er, also reich beladen, wieder heraus wollte, sprach sie: »Aber vergiß das Beste nicht!« Er meinte nicht anders, als das wären die Schätze und glaubte sich gar wohl versorgt zu haben, aber es war die Springwurzel. Wie er nun hinaustrat, ohne die Wurzel, die er auf den Tisch gelegt, schlug das Thor mit Schallen hinter ihm zu, hart an die Ferse, doch ohne weitern Schaden, wiewohl er leicht sein Leben hätte einbüssen können. Die großen Reichthümer brachte er glücklich nach Haus, aber den Eingang konnte er nicht wieder finden.« S. Grimm's deutsche Sagen. Vergl.: A. Kuhn und W. Schwartz Nordd. Sagen, Leipzig, 1848, S. 240. – Der Köterberg gewährt von seinem kegelartigen, oben mit einer Warte gekrönten Gipfel eine weite und schöne Aussicht. Wir haben die Blicke nach drei verschiedenen Richtungen von hieraus zu wenden: erst nordwestlich auf das nahe Schwalenberg (Schwalbenberg), wo einst von der hochgelegenen Burg herab ein mächtiges Grafengeschlecht sein gebirgiges und waldiges Gebiet überschaute; sodann nach Norden hin, wo das Preußische Städtchen Lügde (sprich Lüde), der alte Lagerplatz Karl's des Großen liegt. Lügde hat auf seinem Friedhofe ein uraltes romanisches Kirchlein, in dessen Absis man vor einigen Jahren merkwürdige romanische Wandgemälde entdeckte, braunrothe Conturen mit leichter braunrother Schattirung; wohl die einzige Malerei aus romanischer Zeit, welche in Norddeutschland gefunden sein dürfte. – Hinter Lügde versteckt sich unserm Blick das schöne, das berühmte Pyrmont. Dieser freundliche Ort ist eigentlich nur eine lange, von Gärten und Höfen unterbrochene Straße, an deren Ende das Brunnenhäuschen mit seinem kräftigen Heilquell sich erhebt; im rechten Winkel schließt sich die breite prächtige Allee mit den Cur- und Restaurationssälen, dem Theater und hellen Sommerwohnungen daran. Nach Norden und Osten hin umschließen es schützende Waldgebirge, nach den andern Seiten ist die Gegend ebener; das Fürstlich-Waldeck'sche Residenzschloss liegt hart am Orte; ebenso in entgegengesetzter Richtung, nach Süden, eine beträchtliche Saline mit ihren Soolbädern, und unfern die Quäker-Colonie Friedensthal. Der Königsberg mit seiner schönen Aussicht, das Denkmal der Königin Louise, das Monument aus schwarzem Marmor zum Andenken an Friedrich den Großen, der hier den Brunnen trank, die Kohlensäure aushauchende Grotte, sind die Sehenswürdigkeiten des Ortes. Pyrmont heißt in den ältesten Urkunden Peremunt (Mündung des Vere- oder Pere-Baches?) und wurde von einem Grafengeschlecht beherrscht, dessen Ursprung so dunkel, wie seine Geschichte glanzlos ist. Der Mineralquellen erwähnt zuerst der Chronist Heinrich von Herford, der 1370 starb; er nennt sie den heiligen Born; im sechszehnten Jahrhundert begann ihr häufiger Besuch und hielt sich, bis der dreißigjährige Krieg auch sie verödete; gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts aber war Pyrmont mit Spaa vielleicht das besuchteste Bad Europa's. Das Schloß zu Pyrmont ist von den Grafen von Spiegelberg erbaut, welche dem ältesten Grafengeschlecht im Besitze folgten; als der letzte dieser Grafen von Spiegelberg 1557 in der Schlacht von St. Quentin blieb, fiel das kleine Land an dessen Schwager, den Grafen Hermann Simon von der Lippe, und dieser ist es, welcher das Schloß ausbaute, befestigte und mit Wall und Graben umgab. Seit 1668 ist Pyrmont ein Besitzthum der Grafen von Waldeck.

 

 

Kehren wir jetzt ganz zur Weser zurück: eine Strecke weit, wo sie Hameln und Bodenwerder bespült, haben wir sie niedersächsischem Gebiete überlassen müssen: in der Gegend von Polle schlägt sie einen majestätischen Bogen, eine mächtige Krümmung und wird von hier an bis Herstelle hinauf wieder Gränzfluss Westphalens. Polle liegt auf der nach Westen geschweiften Höhe jenes Bogens. Es ist ein Flecken mit den Ruinen eines alten Schlosses, das Haus Polle genannt, das früher zu den Besitzungen der im Sollinger-Walde begüterten Grafen von Everstein gehörte. Was es uns interessanter macht, ist die malerische Schönheit der Gegend, in welche es uns zurückversetzt. Die bewaldeten Berge treten oft dicht an die Weser heran, hier und da ragen steilrechte Felsenwände wie aus dem Strome empor und die Steinmühle, welche das anliegende Bild darstellt, ist ein so romantisch pittoresker Punkt, wie nur irgendwo in der Weser ein andrer sich spiegeln mag. Der Fluß behält diesen Charakter mehr oder minder durch den ganzen Gau, der ehemals Tilithi hieß, wie in dem höher liegenden Auga-Gau, dessen schönste und denkwürdigste Punkte Corvei und Höxter bilden.

Die alte gefürstete Reichsabtei Corvei liegt in einer Ebene, die nach zwei Seiten hin von einer Krümmung der Weser umschlossen wird, unter ihren Gärten und Alleen, als ein schönes und anziehendes Denkmal alter Herrlichkeit da. Das Gebäude ist ein großes aus Bruchstein erbautes Quadrat, das in seinem Innern mehrere Höfe und die Kirche birgt; jetzt zum Schloße umgeschaffen, zeigen die meisten seiner Räume den steifen Geschmack des vorigen Jahrhunderts: reiche seidne und gewirkte Tapeten, Vergoldungen und Stuckaturen, Deckengemälde u. s. w., kurz die ganze Rococo-Herrlichkeit, welche man vor fünfzig Jahren rastlos zu vertilgen strebte und jetzt wieder so sorglich zusammensucht. Die Wände eines der Corridore sind mit den Brustbildern der Aebte, von Adelhard dem Stifter an, ausgefüllt. Sanktus Adelhardus Senior S. Caroli Magni Imp. ex Bernardo Caroli Martelli Filio Consobrinus. – Electus Abbas novae Corbeiae in Solling D. CCC. XXII. Der letzte Abt aber heißt: Ferdinandus L. B. de Lüninck Episcopus Corbejensis et S. R. I. Princeps, natus in Ostwig ducatus Westphaliae, 25. Febr. 1755, Electus episcopus Corbejensis Anno 1794. Deinde ad episcopum Monast. vocatus etc. obiit Corb. 14. Mart. 1825 seriem Praesulum Corb. Eccl. finiens. – Der große Saal der Abtei zeigt Fresken aus der biblischen Geschichte und Kaiserbilder. Fünfzehn Säle des Schlosses im nördlichen Flügel enthalten die Bibliothek, nicht die alte Klosterbibliothek, deren Hauptschätze jetzt in das Provinzialarchiv übergegangen sind, sondern eine vor etwa 50 Jahren durch den Landgrafen von Hessen-Rotenburg, der Corvei nach der Säcularisation als Mediatfürstenthum zur Entschädigung erhielt, gestiftete Büchersammlung, welche in schönen Schränken aus Magahoniholz aufgestellt über hunderttausend Bände enthalten soll und der jetzt Hoffmann von Fallersleben, der bekannte Gelehrte und Dichter, als Bibliothekar vorsteht, emsig beflissen, die reiche Sammlung fortwährend zu mehren. In der an den südlichen Hauptflügel des Klosters sich anschließenden Kirche zieht uns vor Allem die merkwürdige fünfschiffige aus Ludwigs des Frommen Zeit stammende, in ihren Gewölben, Capitalformen und Profilen noch sehr an die Antike erinnernde Krypta an. Der Ueberbau über der Krypta ist altromanisch; er hat ein Mittelschiff und zwei niedere Seitenschiffe in Basilikenform; die reich ornamentirten Balken der Decke deuten auf eine ehemalige reichbemalte Holzdecke hin. In spätgothischer Zeit hat man einen Neu- oder Erweiterungsbau nach Osten hin aufgeführt, der in der Rococo-Periode eine neue Einwölbung erhielt.

Corvei ist eine der ältesten und bedeutendsten Klosterstiftungen in Deutschland und viele Jahrhunderte hindurch segensreich für Nah und Fern gewesen: seine Gründung fällt in die Zeit der Regierung Kaiser Ludwig's des Frommen (816). Damals hatte das Frankenreich schon viele Klöster, wohin die Söhne der bekehrten Sachsen gesandt wurden, um in ihnen den Unterricht zu empfangen, den noch keine Anstalt der Heimath bot. So hatte Bathilde, König Chlodwigs Gemahlin, im Jahre 660 in der Gegend von Amiens, an dem Bache Corbie, der sich in die Saone mündet, dem Orden des heiligen Benedikt von Nursia ein Kloster gestiftet, das rasch aufblühte. Man nannte es Corbie oder Corbeia aurea; seine Mönche mußten nach Benedicts Regel, welcher damals alle Fränkischen Klöster folgten, ihre Stunden zwischen Gebet und der Arbeit theilen, welche, der Wissenschaft zugewendet, dem Benediktiner-Orden so große und bleibende Verdienste um die Cultur des Mittelalters erworben hat. Der Abt Adelhard von Corbie, ein Enkel Carl Martel's, faßte zuerst den Plan, nachdem sein Vetter, der große Karl im Lande der Sachsen die ersten Bisthümer errichtet hatte, nun auch durch Brüder seines Ordens eine Pflanzschule des Christenthums dort zu stiften, welche Lehrer und Priester des bekehrten Volkes erziehe. Unter den Sachsen, die sich in Corbie befanden, war ein Bruder, Theodrad genannt: der versprach, als er von dem Plane des Abtes vernommen, auf den Gütern seines Vaters einen passenden, einsamen, mit einer Quelle versehenen Ort dem Orden für die Stiftung auszuwirken. Adelhard willigte gern darein und sandte nun Theodrad selbst in die sächsische Heimath; dieser aber traf auf unerwartete Schwierigkeiten, und Abt Adelhard ward von Kaiser Ludwig in ein entferntes Kloster verwiesen: erst seinem Nachfolger in Corbie, der auch Adelhard genannt wurde, gelang es, die Stiftung ins Werk zu richten. Theodrad's Verwandten bewilligten jetzt den Platz, und das neue Kloster erstand, auf Kosten der alten Congregation, an einem stillen abgelegenen Orte, Hethi genannt, tief im Sollinger Walde, wo durch frühere Einsiedler der Stätte schon eine Art Weihe gegeben war (später Neustadt, Jagdschloß Neuhaus). Die Stiftung gedieh, aber nicht in dem Maße, wie man erwartet hatte: wohl wuchs die Zahl der Mönche, nachdem Corbie mehrere seiner Brüder unter dem ersten Präpositus Adalbert herübergesandt hatte, rasch genug, daß die Genossenschaft unter drei Priore dreifach getheilt werden mußte: aber der Boden widerstand den Culturversuchen hartnäckig, Wetter und Erdbeben zerstörten die Quelle, welche Wasser spendete, und als der alte verbannte Adelhard, jüngst begnadigt, herüberkam, um nach dem Werke zu schauen, das er zuerst beschlossen hatte, fand er den Zustand der Brüder so, daß er sich an den Kaiser um die Erlaubniß wenden mußte, einen passenderen Ort für die Stiftung auswählen zu dürfen. Der fromme Ludwig gewährte gern. Die Stelle wo jetzt Corvei liegt, im Bezirke der königlichen Villa Huxori, bot in ihrer Lage eine Aehnlichkeit mit dem den Brüdern theuren alten, goldenen Corbie dar, und wie die Erinnerung an die Mutter-Stiftung sie schon früher für ihre Anlage denselben Namen hatte wählen lassen, so bestimmte dieser Umstand nun auch die Wahl des Ortes. Auf der erkorenen Stätte ward ein Zelt errichtet für den Bischof und die Heiligthümer, umher schaarten sich die Brüder in feierlicher Versammlung und sangen Psalmen und beteten Gottes Segen auf ihr Werk herab: Bischof Badurad von Paderborn aber, in der goldenen Gewandung und mit den Insignien seiner Würde bekleidet, segnete den Boden mit dem Wasser der Weihe ein und pflanzte mit mächtiger Hand das Kreuzeszeichen in den Grund, da wo man den ersten Stein zum Hochaltare der Kirche legen sollte. »Bei dem Legen des Grundstein's fand man eine Säule von röthlichem, geglätteten Marmor, welche man für die Irmensäule hielt und als solche auch nach Hildesheim gebracht, dort im Chore aufgestellt und mit dem Bildnisse der heiligen Jungfrau geschmückt hat. Vielleicht war es ein Heiligthum von dem nahen Brunsberge.« So Piderit in den geschichtlichen Wanderungen durch das Weserthal. Nun wurde rüstig gebaut, gemeißelt und gefügt: noch der Herbst desselben Jahres (822) zeigte den Bergen und Schluchten des Solling's ein Schauspiel, wie es nicht vorher oder später je gesehen. Da schritten in feierlichem Aufzuge die Mönche durch den Wald, von Hethi fort, wo sie fast sieben Jahre geweilt, der neuen Wohnung zu. An ihrer Spitze schritt der greise Adelhard über das gelbe rauschende Laub einher, ihm folgten sein frommer Bruder Walo und die Männer, so vom goldenen Corbie herübergekommen, »die großen Lehrer, mit denen er dem neuen Kloster unsterblichen Ruhm zuführte«, der heilige Ansgar, Skandinaviens Apostel, mit seinem Neffen Nortfried, Witmar und der edle Autbert und viele Andre: nach ihnen trugen die übrigen Brüder das Kruzifix und die Reliquien und die heiligen Geräthe des Gotteshauses. So zogen die schwarzgewandeten Männer durch das Dunkel des Sollinger Waldes und sandten das: vexilla regis prodeunt und andere Gesänge zum Preise Gottes zu den rauschenden Wipfeln der Eichen empor, zu denen früher nur heidnische, schlachten- und blutesfrohe Weisen hinaufgetönt. Von nah und fern waren die Sachsen herbeigeströmt und durchlärmten die stille Waldeinsamkeit: wo aber der Zug nahte, da schaarten sie still sich zur Seite, die wilden Männer mit dem wirren langen Blondhaar und den schreckbaren Antlitzen, die das Kopffell erschlagener Bären und Eber deckte: oder sie reihten fromm dem Zuge sich an und schritten mit hinab in das freundliche Weserthal, und sahen, wie vor einer unabsehbaren Menschenmenge Carl Martel's Enkel und der Bischof der Paderstadt in dem neuen Kloster das erste feierliche Hochamt hielten.

Die junge Stiftung nahm rasch einen glänzenden Aufschwung: Kaiser Ludwig und seine Gemahlin Judith beschenkten sie reichlich mit Privilegien und Gütern, Immunität und Münzrecht; Hilduin der Abt von St. Denis bei Paris verschaffte dem Kloster die Reliquien des heiligen Vitus, eines Knaben aus Lucana in Lydien, der in seinem zwölften Jahre unter Diocletian den Martyrertod erlitten hatte; er wurde mit dem Protomartyr Stephanus, dem Heiligen von Corbeia aurea, Schutzpatron unseres Corbie, und als dem letzteren der Kaiser Lothar die eroberte und von Corveiischen Missionaren bekehrte Insel Rügen schenkte, da wurde auch hier der heilige Vitus als Patron verehrt. Die Männer von Rügen aber empörten sich nicht lange nachher, schlugen ihre Missionare todt und führten den heidnischen Cultus wieder ein: doch in wundersamer Begriffsverwirrung ward nun der christliche Heilige ihr Hauptgötze, und Sankt Vitus als Swantowit in scheußlicher Gestalt auf den blutigen Altar ihres Tempels zu Arkona gestellt. Vielleicht ward jedoch bei den Slaven schon früher Swantowit, Swiatowid als Gott der Sonne und des Kriegs verehrt. Die Eroberung Rügens durch Lothar ist überhaupt mythisch.

Reicher aber als durch alle Schenkungen, glänzender als durch seine Reliquien oder die feierlichen Einzüge mehrerer Kaiser in seine Mauern, wie Heinrich's II. und Kunigundens, des heiligen Herrscherpaares, ward Corvei durch seine großen Männer, durch seine Verdienste um Glauben und Wissen der Vorzeit. Unter jenen nenne ich nur Bruno, der als Gregor V. die schwarze Kaputze von Corvei mit der Tiara vertauschte, Anselm und seinen Nachfolger Sankt Rembertus, die ersten Erzbischöfe von Hamburg und Bremen und des Nordens rastlos eifrige Bekehrer: dann Rabanus Maurus, der aus Buchenau im Stifte Mainz, seinem Geburtsorte, nach Fulda zur Erziehung gesandt, als Lehrer nach Corvei ging: Paschasius Radbertus endlich, der aus Frankreich den ersten Gründern in das Land der Sachsen folgte. Was Mönche von Corvei für die deutsche Geschichtschreibung gethan haben, ist bekannt (z. B. Wittekind, Rector der Schule zu Corvei im Anfangs des elften Jahrhunderts): weniger wohl, daß ohne ihren Eifer auch für die classische Literatur die fünf ersten Bücher der Annalen des Tacitus für uns verloren sein würden. Sie wurden im Juli 1514 in der Kloster-Bibliothek wieder aufgefunden und dem Pabste Leo X. zum Geschenk gemacht, der sie im folgenden Jahre durch den Druck vervielfältigen ließ. Das Manuscript befindet sich jetzt in Florenz. Ehemals mußte im Scriptorium der Mönche zu Corvei der Tacitus jährlich zehn Mal abgeschrieben werden. Auch den ersten Publicisten im modernen Sinne und die erste Flugschrift hat Corvei hervorgebracht: ein Mönch verfasste sie um das Jahr 1073 gegen Kaiser Heinrich IV.

So wurde Corvei mächtig, berühmt und einflußreich: von allen Seiten verlangte man Lehrer, Aebte, Bischöfe von ihm: von allen Seiten strömten die Söhne der edelsten Geschlechter dorthin, um ihre Erziehung in dem gelehrten Kloster zu erhalten: die Zahl der Mönche stieg einst auf 300. Zugleich erhöhte mit dem Ruhm und Reichthum die Schönheit des Aeußeren sich und immer geschmückter und sorgfältiger bedacht ward seine Kirche; Abt Adelgar bauete drei hohe schöne Thürme; Thiatmar ließ sechs prachtvolle eherne Säulen setzen und die große fernhin schallende Glocke Cantabona giessen; neben Abtei und Kloster ward sogar auch ein Kaiserhaus erbaut zur Aufnahme der Kaiser, welche nach Corvei kamen. Und auch die Sage verherrlichte das segensreiche Gotteshaus in unzähligen Legenden und Wundern. Wem ist die schöne Mähre von der weißen Lilie zu Corvei nicht bekannt? Sie hing in alten Zeiten auf dem Chore an einem ehernen Kranze: wann aber das Ende eines Mönches nahte, dann fand er sie in der Frühe, wann er zur Matutin in die Kirche ging, auf seinem Chorstuhle liegen. Einst war es der junge Conventuale Marcward von Spiegel, der sie auf seinem Sessel fand: er erschrak, daß er sein junges Leben lassen sollte, während so viele ältere Mönche da waren, die an der Gränze der Lebensjahre standen; deshalb legte er heimlich und rasch die Lilie dem greisen Weribold in seinen Stuhl. Der alte Mann entsetzte sich, daß er in eine schwere Krankheit fiel: aber er genas, Marcward von Spiegel jedoch starb nach drei Tagen. Seit der Zeit erschien die Wunderblume nicht mehr. – War einer der Mönche krank und konnte im Chore nicht erscheinen, dann hörte man den Gesang eines Engels von seinem Platze her: auch konnte man, wenn die Knaben der Abteischule das Gloria patri etc. sangen, aus der Ferne des oberen Chores her, wo St. Viti Reliquien verwahrt wurden, die Stimmen der Engel mit wunderbarer Lieblichkeit das Sicut erat in principio etc. intoniren hören. – Am Vitusfest kamen zwei lebendige Hirsche aus dem Sollinger Walde herübergeschwommen und schritten durch das Thor, das noch später die Hirschpforte hieß, in die Küche: einen behielt man und ließ den anderen in die Wildniß zurück; hinter dem Altar in der Kirche sprudelte zugleich ein mächtiger Quell des besten Weines auf. Das geschah lange Jahre, bis man einst beide Hirsche zurückhielt und von dem Weine zuviel trank: da hörten die Wunder auf. In jenen glücklichen Tagen des Klosters sah man oft auch den Schatten des heiligen Adelhard durch die Kirche schweben: zwei Engel erschienen jährlich im Chore und leiteten die Gesänge, bis die dreiste Frage eines Präpositus, wer sie seien, und woher sie kämen, sie auf immer verscheuchte. – Ein Ereigniß aus den Zeiten des zweiten Kreuzzug's wird also erzählt: eine Schaar räuberischen Gesindels, das die Abwesenheit der edlen Ritterschaft zu seinen Gewaltthätigkeiten benutzte, machte einen Angriff auf Corvei. Die Räuber kamen plötzlich zu Schiffe die Weser herunter, drangen bei nächtlicher Weile in den Garten und erstiegen dann die Kapelle der hl. Jungfrau Maria, erbrachen ein Fenster, das in die Kirche führte, wo man alle Kleinodien und Paramente unverschlossen aufbewahrte, und wollten sich schon in die Kirche niederlassen, als sie plötzlich eine Schaar bewaffneter Reuter den Altar umgeben sahen. Die unten geblieben waren, glaubten es nicht und stiegen auch hinauf; aber alle sahen dieselbe drohende Erscheinung. Da suchten sie, noch voll Zweifels, den Haupteingang der Kirche: und sieh, auch dieser war mit Bewaffneten besetzt. Noch einmal machten sie einen Versuch, von Osten her in das Chor und in die Sakristei zu dringen; sie erstiegen ein Fenster, sahen aber wieder jene bewaffnete Schaar und hörten nun zugleich den Gesang der Brüder und das Läuten zur Frühmesse; das Morgenroth glänzte über den Bergen auf; die Räuber mußten weichen und gestanden später selbst, daß Gespenster sie vertrieben hätten. So erzählt die Geschichte von Corvei und Höxter, die Wigand geschrieben hat und worin man die ferneren Ereignisse in der merkwürdigen Abtei, ihre Beziehungen zu Kaiser und Reich, zu ihren Nachbarn und Untergebenen, zu sich den fortbildenden Gestaltungen und Entwickelungen der alten und ältesten Zeit lehrreich und in klarer Darstellung beschrieben findet.

Nachdem die gefürstete Reichsabtei Corvei glücklich der drohenden Säkularisation durch den Westphälischen Frieden entgangen war, und schon ihrem tausendjährigen Jubiläum entgegensah, machte der Frieden von Lüneville dieser Hoffnung und ihrem Bestande ein Ende. Der Erbprinz von Oranien, dem sie zur Entschädigung übergeben, mußte sie bald dem neuen Königreich Westphalen einverleiben sehen: dessen Erbe wurde Preußen, welches dem Landgrafen von Hessen-Rotenburg, den es zu entschädigen hatte, die Standesherrschaft über das Stift einräumte: als Theil der Hessen-Rotenburgischen Erbschaft ist es jetzt an den Fürsten von Hohenlohe-Schillingsfürst, Herzog von Ratibor und Corvei, gekommen.

Eine schöne hohe Kastanienallee führt von Corvei nach dem nahen Städtchen Höxter, das an einem schlanken Bogen des glatten Stromes wie eine schmucke Maid vor ihrem Spiegel steht. Fast koquett anmuthig gleitet die Weser um die Pfeiler einer neuerbauten Brücke, als ob sie mit ihnen tändeln wolle: die Berge umher sind weder steil noch sehr hoch, aber schön bewaldet und im Lenz voll Nachtigallenschlag; – sie sind ein zahmes Geschlecht, unter dem nur, nah am Stadtthore, der Ziegenberg mit seinem rothen Gesteine höher und kräftiger sich aufreckt. Aber man hat nichts destoweniger sein stolzes Haupt und die starren Glieder mit Anpflanzungen bedeckt, die Cultur hat auch ihn bezwungen‚ und wie mit grünen blühenden Banden gefesselt, daß er zu dem vorherrschenden Bilde lieblicher Anmuth das seine beitragen muß. Ein andrer Berg hart an der Stadt, nach Norden hin, ist zu einem Vergnügungsort umgeschaffen: es ist der Reuschenberg, eine wahre Nachtigallen-Colonie, aus deren frischen Baumwipfeln hier ein zierliches Dach, dort ein Zelt, drüber eine halbversteckte Bank hervorlauschen: ein kleines Bergplateau ragt mit Mauer und Geländer umgeben, wie ein großer Balkon vor: zündet ein abendliches Fest (St. Viti) dort oben seine Lampen an, dann erscheint der Berg vom Thale aus wie ein riesiger Elfenhügel, von tausend Flämmchen umzuckt, die sich nach einem Punkte zusammendrängen, wo um das lustige Geistervolk, die tanzende schöne und unschöne beau monde, seine leichten Sprünge machen sieht, nach dem Takte einer Musik, von der nur einzelne Accorde wie träumend zu uns herüberschweben. Der Anblick ist magisch: »weiße Elfen, sich mit dunklen Gnomen drehend, unter des gebräunten Pilzes Dach.« Der Pilz ist das Zelt, unter dem man Erfrischungen reicht und das wirklich der Champignon heißt. Wer dagegen oben am Berge aus dem grellen Lampenlichte zu einem dämmerigten Vorsprunge flüchtet, erhält ebenfalls einen seltsam gespenstischen Eindruck von dem entschlafenen Städtchen Höxter mit seinen Dächern und Thurmspitzen, die in blaulichten Duft gehüllt da liegen, während der Spiegel des Strom's unter dem blassen Scheine des Mondes zittert gleich einem bleichen Vorgeschichtenseher, den der Mondschein quält und ängstet. Einzelne verspätete Boote gleiten sacht wie dunkle Särge über die Fläche des Flusses hin, mehr bezeichnet als erhellt durch die matte Laterne vor dem Steuer, deren dunstiger Widerschein neben her schwimmt wie ein phosphorescirendes huschendes Todtenlicht.

Höxter, ehemals das königliche Kammergut Huxori, oder noch früher Huxeli, verdankt den Aebten Corvei's (Saracho 1058) seine Entstehung, seiner Lage an dem Handelswege von Antwerpen und Brügge über Cöln und Soest nach Braunschweig seine mittelaltrige Bedeutsamkeit als Mitglied der Hansa. Im dreizehnten Jahrhundert nahm die Stadt, blühend, wehrhaft und nach freier Selbstbestimmung, wie die meisten Städte jener Zeit sie besaßen, verlangend, das Dortmunder Stadtrecht an, welches diese Selbstbestimmung der Gemeinde zu Grunde legte. Zwei Bestimmungen daraus, welche für die Sitten verschollener Tage charakteristisch sind, mögen hier Platz finden. »Wenn zwei Weiber mit einander streiten, sich angreifen oder mit ›verkorenen‹ Worten schelten, so sollen sie zwei Steine, welche durch eine Kette aneinander hängen und zusammen ›eynen Cynteneren‹ wiegen, auf dem gemeinen Wege durch die Länge der Stadt tragen. Die Eine soll sie zuerst tragen, vom östlichen Thore nach dem westlichen und die andere mit einem eisernen Stachel, welcher an einem Stock befestigt ist, sie treiben, wobei beide ›in camisiis suis‹ gehen müssen. Alsdann soll die Andere die Steine auf ihre Schultern aufnehmen und sie zum östlichen Thore zurücktragen, die Erste aber sie hinwieder mit dem Stachel treiben. – Ferner: Wenn ein Bürger den andren bedroht, schlägt, festhält, angreift ›mit hesten muode‹, fervido animo, so hat er sechs Ohmen Wein, welche auf Deutsch ein Fuder Wein's genannt werden, der Obrigkeit zu erlegen.« Ob er das Recht hatte, mitzutrinken, wenn die patriarchalische Obrigkeit von Höxter seine »Brüchten« zweckdienlich verwendete, wird nicht angegeben.

Wie die Lage Höxter's an einer Haupthandelsstrasse und seine Brücke über die Weser die Stadt blühend gemacht hatte, so diente derselbe Umstand später dazu, nicht endende Kriegsdrangsale über sie zu bringen. Früher wiederholt Werbeplatz für deutsche Landsknechte, die man dem Dienste der Ligue in den Französischen Religionskriegen unter Carl IX. gewinnen wollte, ward sie im dreißigjährigen Kriege nach einander von allen streitenden Partheien und Völkern genommen und gebrandschatzt; der tolle Christian von Braunschweig kam zuerst mit seinem Heerhaufen von 10,000 Mann, den er angeworben hatte ohne mehr als zehn Thaler in seiner Tasche, dann zweimal Tilly, und nacheinander Dänen, Schweden, Hessen; endlich stürmten die Kaiserlichen den Ort und hausten, daß von den Bürgern nur dreißig sollen das Leben gerettet haben. 1673 war Höxter Türenne's Hauptquartier.

Von den Bauwerken Höxters sind nur die Kilianskirche mit zwei schlanken romanischen Thürmen, die kleine frühgothische Minoritenkirche, jetzt als Schuppen der Eisenbahn-Verwaltung dienend, und das hübsche alte Corvei-Thor zu erwähnen.

Eine Wanderung von einer halben Stunde die Weser aufwärts bringt uns an den Fuß des steilen und kahlhäuptigen Brunsberg's, der das Thal von Godelheim beherrscht. Oben soll eine Brunsburg oder ein festes Lager Bruno's, des Bruders oder Schwäher's von Wittekind gelegen und am Fuße Karl der Große 775 die blutigste Schlacht im ganzen Sachsenkriege zu bestehen gehabt haben, eine Schlacht, daß die Wellen der Weser davon sich roth gefärbt haben. Die Volkstradition läßt Carol Magnus mit einem ungeheuren Heere auf dem Brunsberg und dem gegenüber liegenden Wildberg hausende Riesen bezwingen, und in Höxter und Godelheim sodann Kapellen stiften. Auf dem Rücken des Brunsberges erinnern »Sachsengräben« noch jetzt an das sächsische Castell, sparsame Trümmer an eine jüngere Burg, welche Abt Wittekind von Corvei 1191 aus dem Gemäuer der älteren hier errichtete. Jene verherrlicht ein altes carmen de Brunsburgo Christoph. Elschlebii, welches in des Historiker's Paullini »Syntagma« zu finden ist.

Wir ziehen an dem hohen Wildberge mit den wenigen Trümmern einer gleichnamigen Corveiischen Burg vorbei nach dem Freiherrlich Wolf-Metternich'schen Schloße Wehrden, das nur durch einen schmalen smaragdgrünen Wiesenstreif von der Weser getrennt ist, deren Ufer hier sacht sich bis unmittelbar an die Wellen abdachen. In Wehrden ist der runde alte Thurm für uns zu erklimmen, der herrlichen Aussicht wegen, die sich oben bietet, in ein Thal voll üppiger Kornfelder und Wiesenfluren, stundenweit sich dehnend und doch nicht zu ausgedehnt, daß nicht die Formen der umgebenden Berge klar und deutlich hervorträten. Nördlich zeigt der Wildberg seine riesige Sargesgestalt, überragt von düstern Fichtencandelabern, schwarz, steil aufsteigend; die Burgruine liegt verdeckt, nur wer den Wildberg selbst ersteigt und sich durch seine Baumknorren und Gestrüppe geschlagen hat, steht mit einem Male vor den eingesunkenen Gewölben der Burg, wie am Rande eines Steinbruchs; denn was über der Erde war, ist verschwunden, nur der unterirdische Theil hält sich wie die Wurzel eines gefällten Riesenbaumes noch immer fest in den Grund geklammert; zahllose Ranken von Epheu, Steinbrech und andern Schlingpflanzen drängen sich aus jeder Spalte, und der Boden ist besäet mit Maiblumen, die hier wie verwünschte Schönheiten in der Drachenhöhle einsam blühn und welken. Der Grund zeigt vielfache Spuren von Schatzgräberei. Dem Wildberge gegenüber sieht man von unsrem Thurme aus den dunkelrothen Kathagenberg, ein ödes gespaltenes Felsgeklippe, scharfkantig, in wüsten Trümmern zusammen geschleudert, um deren Zacken pfeifend die Habichte kreisen. Jenseits der Weser dehnt der Solling seine anmuthig wogenden Formen, und trägt, Wehrden fast gegenüber, auf einem schroffen Vorberge die Braunschweigische Domaine Fürstenberg, ehemals eine Burg, jetzt eine Porzellanfabrik. Von ihrem weißen Gemäuer zieht eine breite Fahrstrasse zum Flusse sich hinab, von der die Luft das Knarren der Wagenräder und das Schnalzen der Peitschen herüberträgt, während näher die Segel der Schiffe dicht an der Gartenmauer von Wehrden herflattern und man das Aechzen der geplagten Gäule und das Rauschen der Zugleine im Grase hört. Das Innere unsres Thurm's, den einst Franz Arnold Wolf-Metternich zur Gracht, Fürstbischof von Münster, Paderborn und Corvei bewohnte, um hier neben der alten »Türkenruine«, deren Reste ziemlich wohl erhalten dicht an Wehrden stehen, ein neues Schloß um sich her erstehen zu sehen – ist mit seiner alterthümlichen Einrichtung und seiner Aussicht ein höchst poetischer Aufenthalt, dem auch die Weihe durch Sage und Gespensterglauben nicht fehlt. Im Dorfe Wehrden erzählt euch jedes Kind, daß der alte Bischof nächtlich dort bei seiner Studierlampe sitze: dann sind die Fenster des Thurmes alle mit einem blaulichten Lichte umgossen, daß das Gebäude aussieht wie ein großer Leuchtwurm, und je finstrer die Nacht ist, desto heller leuchtet der Thurm auf.

Der nächste Ort ist Blankenau, im alten Nethegau, mit seinem Amthaus, das, jetzt preußische Domaine, ehemals eine Feste war, die im dreizehnten Jahrhundert Corvei zur Beschützung der »blanken Aue« errichtete; dann folgt in einem schönen Thale, welches die Bever bildet, das Städtchen Beverungen. Bis hierhin hat die Gegend einen auffallend wilden Charakter getragen; die Gebirge weichen zurück und lassen Steinmassen vortreten, die von bloß steilen Ufern sich allmählich zu thurmhohen Klippen steigern und früher kaum dem Fahrweg Raum ließen. Jetzt führt eine neue Chaussee nach Carlshafen am linken Weserufer her, wo von Beverungen an die Berge dem Flusse zwar noch immer nahe bleiben, aber auf dem rechten Ufer fruchtbares Flachland die Berge des Sollings von dem Strome trennt, bis sie Herstelle gegenüber wieder an's Gestade sich stellen, um zu schauen, wie ihr ruppig Angesicht in dem jüngeren Gewässer sich ausnimmt, dessen neckende Najade in tausend Wellchen plätschernd durch zitterhafte Verzerrungen der Graubärte spottet. Am schönsten ist das stille helle Stromthal, wenn man in einem Nachen sich hindurch schaukeln läßt, dem Geschwirr der Wellen horcht, die der Ruderschlag des Fährmanns über die Uferkiesel streichen macht, und den Schwalben zuschaut, wie sie, mit ihren schillernden Flügeln das Gewässer streifend, blanke Furchen ziehen: wenn man den ganzen Frieden in sich saugt, in den der ächt deutsche Strom seine treuen Kinder einlullt: er ist so ruhig, so sanft bewegt, der blaue Himmel, den er spiegelt, so großartig stille gespannt, so voll einer Majestät, aber keiner, die euch gespenstisch bedrängte wie ein rothflammiger Winterhimmel über Alpengletschern; unendlich, aber keine Unendlichkeit, die euch mystische Schauer in's Herz hauchte: er ist wie das germanische Gemüth, stille, klar, voll ernster unendlicher Ruhe.

Herstelle ist jetzt ein neues Gebäude, das in halb gothischem Style errichtet mit seinem schweren zinnengekrönten Thurme und chorartigen Ausbau halb den Eindruck einer Zwingfeste aus der Feudalzeit, halb den einer Kirche macht. Es liegt auf einer senkrechten Felsenklippe, an seinem Fuße ein Dorf beherrschend. Auf dem Hofe des Schlosses fand man vor Jahren in einer Art verschütteten Cisterne einen beispiellos reichen Schatz von Alterthümern und zwar zuerst Gegenstände, die etwa dem sechszehnten Jahrhundert angehören mochten, Krüge mit Wappen und Bildern, Sporen u. s. w., darunter Sachen aus älterer Zeit, dann noch ältere, immer alterthümlicher die Formen und Stoffe, als ob man immer tiefer in graue Jahrhunderte sich senkte: ganz zu unterst lag die Römerzeit in Metallspiegeln, Waffenfragmenten und einem zierlichen Trinkgefäß aus römischer Erde, begraben. Ein ursprünglich Römisches Castell hat man längst Herstelle genannt: gewiß ist, daß es den Sachsen als Feste diente. Karl der Große bestimmte es zum Waffenplatze und nannte es danach Heeresstelle, oder gab ihm den Namen Heristallum saxonicum nach der Stammburg seines Ahnen Pipin, dem Fränkischen Heristal, (Héricourt bei Lüttich). Auch sollte es zum Schutze der Missionare dienen, die ihm folgten, Sturmio's z. B., des Gründers von Fulda und des Würzburgischen Hathumar, falls dieser derselbe, der später den Bischofssitz in der Paderstadt einnahm. Nach der Bezwingung Westphalens hielt Karl in Herstelle 797 die Feier der Weihnacht und des Osterfestes, um jetzt den Sachsen die Pracht seines Hoflagers so blendend zu entfalten, wie er überwältigend die Macht seiner Waffen ihnen gewiesen hatte. Das Heer lag im Lande vertheilt umher. Er aber ließ die ganze nie gesehene Herrlichkeit eines fränkischen Königshofes glänzen vor dem staunenden Volke der Wisuraha, das nie von Aehnlichem auch nur geträumt, dessen kindlich beschränkte Phantasie dem gewaltigsten seiner Götter, dem einäugigen Wuotan, nur einen breitrandigen Regenhut‚ den grauen Mantel und das weiße Roß Sleipnir mit den acht Füßen als Ausstattung seiner Erscheinung zu gewähren wußte, nebst einer Fülle goldbraunen Meth's in goldnem Trinkhorn. Hier war mehr als Wuotan! Die armen Sachsen hätten sich gewiß lieber mit dem Schwerte bekehren lassen, den hohen Carol Magnus selber zu verehren, denn die gepredigten Fasten- und Casteiungreichen Heiligen seiner Missionare, als sie so seine ganze Pracht über Herstelle aufgehen sahen, als man unter ihnen das in Purpur und farbiger Seide prangende Gezelt Haroun al Raschid's aufschlug für den Frankenkaiser, und das Wunderthier, des Kalifen von Bagdad ungeheurer Elephant Abulabaz, mit den kostbaren Gewanden und Spezereien des Morgenlandes beladen, hoch den Zug Wallonischer und Normännischer Rosse überragend, den Felsen von Heristal hinaufschritt oder schlürfend aus dem deutschen Strome trank. Und nun er selber erst in der ganzen überwältigenden Majestät seiner einfachen und doch so hehren Erscheinung, mitten in dem glänzenden Gedränge seiner Paladine: denn sie alle waren um ihn her, Olivier und das dreiste Haimonskind Rinald und Oger von Dänemark und wie sie alle heißen, die trutzigen Gestalten, die Turpinus Chronik sagenhaft verklärt – nur Roland nicht, der arme Roland, den längst Herzog Lupus von Vaskonien und Ganelon »der Schuft« in der Mordhöhle von Ronceval seiner trauerenden Hildegunt erschlagen lassen. Unter ihnen setzte Karl sich in Herstelle zu Throne; seine Söhne, der männliche Pipin von Italien und der milde Ludwig von Aquitanien traten an seine Seite; der stolzen Frankenführer und der ernsten Sachsenherzoge Reihen öffneten sich, und, vor seiner Hoheit sich beugend, trat der Maurenheld Abdallah, den Spanien huldigend gesandt hatte, vor das Antlitz des Gewaltigen; es kamen die Boten Galiziens und Asturiens, um ihres Emir's Geschenk, ein köstliches Gezelt anzubieten; ihnen folgten, die aus dem fernen Ungarland gesandt waren, Männer aus dem Volke der wilden Avaren, und so beugte in seinen Fürsten und seinen Abgesandten ein großer Theil des Römischen orbis terrarum sich zu Herstelle vor dem großen Karl. Das war der glänzendste der Tage, die Herstelle erlebt hat; seine spätern Geschicke, als es Malstätte unter Königsbann oder im siebzehnten Jahrhundert Wohnsitz der aus Höxter verjagten Minoriten-Mönche war, bieten keinen Erwähnung fordernden Moment dar. Paderbornisches Lehn kam es als Pfand im vierzehnten Jahrhundert an eine Familie von Falkenberg, deren Sproß Theodor (Dietrich) von Falkenberg als schwedischer Oberst Magdeburg gegen Tilly vertheidigte, bis der Untergang der unglücklichen Stadt auch ihn unter den Trümmern derselben begrub. Sein Bruder Moritz aber stand eben so warmen Sinn's auf der Seite der Katholischen und gerieth kurze Zeit vor der Schlacht von Lützen in die Gefangenschaft des Schwedenkönigs: Gustav Adolph entließ ihn jedoch ohne Lösegeld um seines Bruders Dietrich willen. Als in der Schlacht von Lützen nun den recognoscirenden König seine Kurzsichtigkeit zu nahe an eine Schwadron Kaiserlicher Reuter hatte kommen lassen, da soll Moritz von Falkenberg, der im Götzischen Regiment als Lieutnant diente, die tödtliche Kugel auf Gustav Adolph abgeschossen haben, in demselben Augenblicke jedoch von einer schwedischen Stückkugel selbst niedergeschmettert. Ein andrer Paderborner, Johannes Schneeberg aus Böckendorf, Lieutnant desselben Regimentes, gab dem Könige den Rest und nahm ihm seinen Schmuck, die goldene Halskette, ab, »damit nicht Andre, weil sich auch Feiglinge nach dem Siege den Ruhm anmaßen, den Paderbornern die Ehre dieser That nehmen,« erzählen die glaubwürdigen monumenta Paderbornensia also die Umstände von des Schwedenkönigs Tod, auf die vielfachen Versicherungen von Augenzeugen sich stützend. – Nach dem Aussterben des Falkenbergischen Geschlechts wurde die Familie von Spiegel zum Desenberge mit Herstelle belehnt; diese verkaufte es an eine Freifrau von Zuydtwyck, welche den jetzigen alterthümlichen Wohnsitz auf der Felsenhöhe erbaute. Von oben in das Thal hinab führen zwei gleich romantische Pfade; der eine an dem frühern Kloster, jetzt der Pfarrwohnung, nah vorüber, eine breite steinerne Treppe herab, die an Länge einer Jakobsleiter nicht nachgibt; der andere wie ein Gemsensteg längs der Klippe, daß man schwindelt, sieht man Träger, die unter ihren Lasten keuchen, Mädchen mit Milcheimern auf den Köpfen oder kaum flügge Kinder so ruhig wie Nachtwandler über die thurmhohen Felszinnen gleiten; man presst jeden Laut zurück, als ob er die Träumer wecken und zerschmettert vor unsern Fuß schleudern könne. Die schon früher wild und trümmerhaft geformte Wand hat durch Steinbrüche an pittoreskem Aussehen noch gewonnen; überall weite Risse, Zacken und vorspringende Flächen, die, wenn man der erwachenden Kletterlust nachgäbe, leicht in die halsbrechende Situation weiland Kaiser Maximilians brächten.

Unweit Herstelle, über ihm, mündet die Diemel in die Weser. An der Mündung erbaute Landgraf Karl von Hessen um 1700, um seinem Lande Theil an der Weserschiffahrt zu verschaffen, einen Hafen und die Stadt Karlshafen, zu deren Bevölkerung er fleißige französische Kolonisten, die schon vor der Aufhebung des Edikts von Nantes vor fanatischer Verfolgungssucht flüchtig geworden, herbeizog. Ursprünglich hieß der Ort Siburg, der Name Karlshafen datirt von 1717, in welchem Jahre die Stadt als ausgebaut betrachtet wurde.

Erwähnen wir nun noch der nahen Benediktinerabtei Helmarshausen an der durch einen von schroffen Bergwänden eingeschlossenen Wiesengrund dahinrauschenden Diemel – die Abtei ward 998 von einem Grafen Ekkehard gestiftet und nach wechselnden Schicksalen vom letzten Abt Georg von Marenholt um 1534 an Philipp den Großmüthigen von Hessen verkauft – sodann des Krückeberg oder der Kruckenburg, einer 1220 zur Sicherung der Abtei vom Erzbischof Engelbert von Köln angelegten Feste, so stehen wir am Ende unsrer Weserfahrt – denn jenseits der Diemel dehnt sich vor unsren Blicken das Hügelland Hessens aus. Wir wenden uns gen Westen und werfen unsre Blicke auf das Thal der Diemel.


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