Mynona (Salomo Friedländer)
Rosa die schöne Schutzmannsfrau und andere Grotesken
Mynona (Salomo Friedländer)

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Die Kunst, sich selber einzubalsamieren

Mein Haus war abgebrannt und nicht versichert gewesen. Als ich nach meiner Bank ging, hatte dort schon jemand statt meiner mein ganzes Guthaben für sich abgehoben. Auf der Post nahm ich drei Telegramme in Empfang. Im ersten stand der Tod meines besten Freundes, im zweiten enterbte mich mein Großonkel, weil er wieder heiratete; nebenbei gesagt, meine letzte Möglichkeit, jemanden zu beerben, war damit höchstwahrscheinlich verschwunden. Aus dem dritten Telegramm erfuhr ich den plötzlichen Tod meiner Braut.

Ich stand nun, da Eltern und Geschwister mir längst gestorben waren, mein Freund soeben mich verlassen hatte, desgleichen meine liebe Braut, und ich meinem Großonkel von Herzen fluchte, mutterseelenallein auf der Welt. Das passiert ja so manchem. Aber mir war es doch allzu gut ergangen; ich hatte mich an das gemütlichste, behaglichste Leben gewöhnt. Und nun? Mein ganzer Besitz bestand in dem, was ich auf dem Leibe trug; in meinen Taschen steckten etwa fünf Mark und ein paar Pfennige. Schulden bedrohten mich überdies, und zum Kampfe ums Dasein fühlte ich mich nicht im mindesten fähig. Dabei war ich ein dicker, schöner, blonder Mann mit Bonvivantmiene, und mein angeborenes Stilgefühl verbot mir den mimischen Ausdruck der Verzweiflung, welche sich meiner bemächtigte. Trotzdem muß etwas davon sichtbar geworden sein, denn mir begegnete folgendes: Ich beschloß, eine Art Henkersmahlzeit einzunehmen, und wählte, um mit meinem letzten Gelde auszulangen, ein mittleres Speisehaus. Ich hatte nicht sobald einen Teller Suppe vor mir, als ich mich mit einer sonderbaren Teilnahme fixiert sah. Ich aß außergewöhnlich langsam; zwischen Löffel und Löffel machte ich lange Pausen voller Nachdenklichkeit. Vielleicht war das dem dürren, 154 langen Herrn mit Magistergesicht am Nebentische aufgefallen. Jedenfalls begegnete ich seinem merkwürdigen, sich tief in meine Augen einbohrenden und sie gleichsam zwangsweise festhaltenden Blicke. Während der nächsten Gänge gerieten wir öfter und öfter in dieses eigentümliche Duell. Bis ich – was hatte ich zu verlieren? – es müde wurde und einfach fragte: «Was wollen Sie?» Er meckerte und hüstelte ein entschuldigendes Lachen: «Es ist nicht so ganz einfach, das zu erklären. Würden Sie mir gestatten, mich zu Ihnen zu setzen? Oder darf ich Sie bitten, an meinem Tische Platz zu nehmen?» Mir war dieser Zwischenfall eigentlich willkommen; er lenkte mich wohltuend von meiner fruchtlosen Grübelei ab. Ich bat den Alten, da nicht ich von ihm, sondern er von mir etwas zu verlangen schien, an meinen Tisch. Er kam, in einer etwas zitterigen Hand ein Glas Wein haltend, auf mich zu, setzte sich mir gegenüber, nippte am Getränk, machte aber noch keine Miene, sich auszusprechen. Wir beschäftigten uns ein paar Minuten schweigsam mit unserm Mundvorrat. Endlich fragte ich: «Fällt es Ihnen denn so schwer, mir anzuvertrauen, weswegen ich Sie interessiere? Lassen Sie doch hören!» «Nein», antwortete er, «aber mein Interesse hat einen verwunderlichen, einen delikaten Grund. Es wird mir durchaus nicht leicht, meine natürliche Reserve aufzugeben. Ich komme mir bereits zudringlich, ja unverschämt vor, daß ich mich nicht nur tief in Sie hineinversetze, sondern sogar im Begriffe bin, Ihnen meine intime Kenntnis Ihrer seelischen Verfassung zum besten zu geben. Ich habe am Aussehen der Mitmenschen ein ganz spezielles, ich möchte wohl sagen . . . materielles Interesse, welches ich Ihnen sogleich spezifizieren werde. Aber zunächst einmal: Sie sind so gut wie verzweifelt – o verzeihen Sie! Aber ich sah es; ich sah es so klar, wie ich Ihr Antlitz sehe.» «Das können Sie nur vermuten», sagte ich mißmutig und resigniert; «es sei denn, Sie wüßten um gewisse Angelegenheiten und kännten mich, ohne daß ich Sie kenne.» «Auf Ehre, nichts dergleichen! Es ist eine 155 physiognomische, näher pathognomische Konstatierung, und diese fällt mir leicht, weil ich durch mein Interesse aufgefordert bin, mich hier nicht zu irren.» «Na also – was ist denn das für ein Interesse? Befürchten Sie nicht, mich zu verletzen. Ich kann allerdings mit dem Dichter sagen: Was auch geschehn, das Schlimmst ist mir geschehen.» «Stand für mich, beim ersten Blick in Ihr Gesicht, auf Ihre Haltung, außer Frage.» «Wirklich! In der Tat glaube ich doch nicht, meine Seele so zur Schau zu tragen; sogar wehre ich mich absichtlich dagegen.» «Und gerade diese Gezwungenheit ist verräterisch – wenigstens für mich.» «Sie überspannen meine Neugierde. Bitte, legen Sie los, oder ich zahle und gehe.» Diese Drohung wirkte sofort. Er erklärte sich: «Mein Blick ist interessiert zugespitzt für Menschen, welche sich dem baldigen Tode unwillkürlich oder absichtlich nähern» – er schraubte seine Augen in die meinigen; es überrann mich unheimlich. Es wurde mir in demselben Augenblick bewußt, daß ich meinen Selbstmord dunkel beschlossen hatte. Ich verlor alle Haltung und gab mich meinem schauderhaften Gegenüber preis. Ja, ich griff nach seiner Hand, drückte sie und fragte, zu meinem eigenen Widerwillen, hastig: «Wollen Sie mir helfen?» «Gewissermaßen! Ah, hören Sie! Ich will Ihnen ein Mittel geben, sich zu erhalten, zu . . . konservieren. Verstehen Sie, Ihr Leib soll nicht zerstört werden. Sie werden das Ehrenrecht der erlauchtesten Persönlichkeiten genießen. Bedenken Sie! Blühend wie immer; wenn Sie geschickt sind, ein Lächeln auf Ihren liebenswürdigen Zügen; biegsam, in welcher Pose immer; und, wie ich Sie versichern kann, wohl aufgehoben in heizbaren Räumen, werden Sie, ohne alle Sorgen, einem antiken Gotte gleich, Ihr Dasein, wenigstens rein äußerlich, unangetastet bis in alle Ewigkeit fortsetzen.»

Meine Resignation, als ich diesen irrsinnigen Ausbruch über mich ergehen ließ, erreichte ihren Gipfel. Also der vermeintliche Lebensretter erwies sich als Narr, dessen Gefasel ich gar nicht verstand. Ich beschloß, nicht weiter 156 auf ihn hinzuhören und möglichst rasch zu verschwinden. Er aber entnahm seiner Brusttasche ein rotes Paket, welches er öffnete. Was war das? Es kam eine Metallbüchse in Urnenform zum Vorschein. Er drehte den Deckel ab und ließ mich hineinschauen. Ich sah ein Puder von violetter Farbe. «Was bedeutet das?» fragte ich. «Es ist ein blitzartig tötendes Gift, welches aber die erstaunliche Eigenschaft hat, jedes Lebewesen, von dem es eingenommen wird, sofort zu mumifizieren, einzubalsamieren, in alle Ewigkeit unverweslich, ja, unverbrennbar zu machen. Leider, da es eben absolutes Gift ist, darf ich mein Patent nicht zur Anwendung auf Menschen bringen; es sei denn, daß ich präsumtive Selbstmörder prognostisch ausfindig mache, welche sich lieber einbalsamieren als ordinär ums Leben bringen. Übrigens halte ich unter meinen Kunden auch ein paar Monarchen (der heimliche Monarchenselbstmord nimmt erschrecklich überhand), deren diskrete Empfehlungsschreiben ich Ihnen vorweisen kann.» – Diese Narretei machte mich fast lächeln. Ich beschloß, ihn in die Enge zu treiben: «Warum nannten Sie Ihr Interesse materiell? Glauben Sie vielleicht, ich hätte Ihnen ein Vermögen zu bieten? Ich muß Sie enttäuschen.» «Bewahre!» sagte er, «das ist keine Enttäuschung – im Gegenteil! Sie sind mir nur desto sicherer in Aussicht. Ich selber bin sehr reich. Mein Interesse ist deswegen dennoch materiell, weil ich Liebhaber bin, Leichensammler, Inhaber eines wohlassortierten Museums von herrlich konservierten Selbstmörderleichen. Wollen Sie mitkommen? Ja? Wollen Sie selber sich Ihren Stand- oder Sitz- oder sogar Schwebeplatz bestimmen? Ferner Ihr Kostüm? Ihre Haltung? Ich veranstalte eine kleine Feier, und zur Krönung des Festes balsamieren Sie sich dadurch ein, daß Sie dieses Pulver hier, in Champagner aufgelöst, hinunterschlucken. Bis dahin sind Sie mein Protégé, ich sorge väterlich für Ihre Wohlfahrt, bis zur Feier, deren Termin ich bestimme.» «Und Ihre Bedingung?» fragte ich, bereits suggestiv umnebelt. «Wie gesagt, Sie vermachen mir, zu 157 Museumszwecken, Ihren Leichnam.» Er breitete wirklich ein schon vorgedrucktes Formular vor mich hin. Was blieb mir übrig? Ich füllte es präzis aus und unterschrieb. Er steckte den Schein in seine Brieftasche. «Nun gehören Sie mir», rief er frohlockend. «Gestatten Sie mir, daß ich meine Protektorrolle sofort übernehme.» Damit zahlte er die Zeche für uns beide, zog meinen Arm durch seinen und lustwandelte mit mir seinem Hause zu, in dem sich auch das Museum befand. Es waren etwa sechs Säle voll totem Leben, mit unglaublichem Raffinement in Szene gesetzt. «Gute Regie – was?» lobte der Alte sich selbst. Aber mit Grund. Im ersten Saale war eine elegante Ballgesellschaft aus lauter Toten, vom jüngsten Backfisch, Jüngling bis zu den greisen Balleltern und Mauerblümchen; nebst bedienenden Kellnern und Zofen. Der zweite Saal zeigte Variété mit entzückenden Arrangements; eine kleine Nackttänzerin zum Verlieben lieblich. Der dritte Saal wies mittleres Bürgertum aller Schattierungen in jovialen Gruppen auf. Der vierte allerhand Proletariertypen. Der fünfte bestand aus Kindern vom achten Jahre bis zum sechzehnten; sie schienen zu spielen; die einen graziös und vornehm, die andern gewöhnlich. Der sechste Saal endlich enthielt ein Bacchanale, eine Orgie mit Intimitäten aus Brautgemächern und Schreckenskammern. Noch nie hatte ich den Tod ein solches Leben atmen sehen. Es war völlig ein negativer Friedhof.

«So!» sagte der Alte und faßte mich um die Hüfte; «heut' schreiben wir den 10. August 1917. Unsere nächste Feier (wir sind eingetragener Verein) findet am 16. September anni currentis statt. Bis dahin leben Sie bequem bei mir und haben Zeit, sich Ihren Platz, Ihre Attitüde, Ihr Kostüm auszuwählen. Sie passen, denke ich» . . . er musterte mich nachdenklich . . . «am besten in mein Variété, nicht wahr?» 159

 


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