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Die Baronin von Birkhofen hatte heute eine ziemlich große Gesellschaft auf ihrem Landgute um sich versammelt. Es waren meistens Männer, Gutsbesitzer aus der Umgegend oder Herren aus der Stadt, die zum Besuche herausgekommen waren. Frau von Birkhofen machte, wie immer, auf die liebenswürdigste Weise die Honneurs ihres Hauses. Sie war eine schöne Frau im Anfange der Dreißig. Eine außerordentlich schlanke Gestalt, ein schmales, feines Gesicht und prachtvolle blonde Haare, dabei eine ganz exclusiv aristokratische Haltung waren die Vorzüge ihrer äußern Erscheinung für die große Welt.
Für ihre nähern Bekannten besaß sie noch den großen Reiz einer höchst sorgfältigen Erziehung und Bildung und mehrer sehr hervorragenden Talente. Sie war an einen Mann verheirathet, der sie, wie die Welt sagte, durchaus nicht zu schätzen wußte. Er war ein Landjunker im ganzen Sinne des Wortes, gutmüthig, freundschaftlich, brav und ehrlich, dabei voll natürlichen Verstandes, aber behaftet mit einer Scheu vor allen Dingen, die mit Aesthetik, oder Schöngeisterei, oder Bildung, oder Kunstliebe zusammenhängen; dennoch störte er nicht seine Frau, die hauptsächlich in diesen Regionen lebte und webte. Den Sommer ging sie mit ihm auf das Land, den Winter er mit ihr in die Stadt, wo denn Pferde und Jagden und auch wol noch das Lustspiel ihn für seine geopferten Landfreuden entschädigten. Es herrschte zwischen beiden Gatten ein durchaus guter Ton, aber im Grunde waren sie sich wildfremd. Keines liebte das Andere, aber sie fühlten auch nicht die leiseste Antipathie gegeneinander, und das ist schon viel in einer Ehe, die nur die Convenienz und der entschiedene Wille der Verwandten geschlossen. Die Ehe war kinderlos; die Gatten sahen sich äußerst selten, da jedes allein frühstückte und nur der späte Mittagstisch sie vereinte, wo denn gewöhnlich Gäste jedes Tête à tête fernhielten.
Das Leben Adelinens, so hieß die Baronin, war übrigens nicht ohne Roman – es hatte ein Mann sie glühend geliebt, und zwar ein höchst interessanter und bedeutender Mann, ein Mann, der in seinem Wesen die Eigenschaften der alten Troubadoure mit denen der modernen Poeten vereinigte, ein echter Cavalier und ein echter Dichter (obgleich nie eine Zeile von ihm gedruckt worden), und dennoch wußte Niemand, ob Adeline ihn wieder geliebt, nicht einmal er selbst!
Seit zehn Jahren war er nun ihr Freund, ihr Anbeter, ihr Begleiter; aber ihr Benehmen war so musterhaft, ihre Haltung ihm gegenüber so gemessen, daß Niemand ihr einen Vorwurf aus diesem Verhältniß machte, sondern die Welt höchstens über Baron Kempten's antidiluvianische und höchst langweilige Treue spottete.
Es wäre lächerlich, zu behaupten, daß er nach zehnjähriger Entsagung noch immer sterblich in Adeline verliebt gewesen sei; aber gewiß ist, daß er sie noch immer liebte. Wo sie war, schien es ihm unmöglich, einen andern Platz als den neben ihr einzunehmen; dann aber war er freilich fähig, auch die übrigen Frauen zu beachten und zu würdigen. Doch nie hatte er, seitdem er öffentlich und ohne Scheu die Farben Adelinens trug, einer andern Dame den Hof gemacht – seine Treue war makellos.
Adeline, obgleich sie immer seine stürmischen Liebesausbrüche zurückgewiesen und unerschütterliche Tugend und Ruhe ihnen entgegengesetzt, hatte sich dennoch an seine Liebe und Verehrung so sehr gewöhnt, daß ihr nie der Gedanke kam, das könne anders sein, und dennoch, wäre er kein Dichter gewesen, sie hätte ihn schon sich von ihr entfernen sehen; aber – sie war seine Muse, mit seinem Schaffen, seiner Kunst auf das innigste verwebt! Jedes neue Gedicht las er ihr vor, jeden poetischen Gedanken brachte er ihr zuerst, und da war sie auch die liebende, theilnehmende Genossin, die hingebende, aufmerksame Freundin – das fesselte ihn an sie.
Heute, als er zu ihr herausgeritten kam, wie er allwöchentlich mehrmals zu thun pflegte, seitdem er ihre Farben trug, empfing sie ihn mit einem besonders heitern Gesicht.
»Was werden Sie sagen, Kempten«, rief sie ihm lachend entgegen, »wenn Sie erfahren, daß ich eine Ihrer Cardinalregeln verletzt?«
»Das würde mich nur den alten, von Ihnen so oft belachten Satz wieder anführen lassen, daß nur schlechte Menschen Grundsätze zu haben brauchen, gute hingegen immer ruhig ihrem Instinct folgen können. – Sie wissen«, setzte er etwas ironisch hinzu, »daß ich Ihnen Carte blanche zuerkenne, Alles zu thun, was Ihnen einfällt!«
»Ja«, sagte sie mit einem kleinen allerliebsten Zuge des Trotzes, »ich weiß es: Leute, die so vernünftig sind und so kaltes Blut haben wie ich, können sich immer ruhig gehen lassen. Heißt nicht so Ihre uralte Beschuldigung?«
»Beschuldigung, gnädige Frau?«
»Ja, Beschuldigung! Denn Sie wollen doch weiter nichts damit sagen, als daß ich eine herzlose, berechnende Frau bin.«
»Gnädige Frau!«
»Lassen wir den alten unfruchtbaren Streit! Und nun mein Geständniß. Denken Sie, ich habe eine Gesellschafterin engagirt!«
»Heiliger Himmel! Soll man also auch bei Ihnen ewig auf die Folter gespannt werden, Jemanden anzutreffen, den man nicht zu behandeln weiß, wo Einem immer das gute Herz zuflüstert: Rede mit der armen Person! während der Egoismus ruft: Laß das langweilige Geschöpf bei Seite liegen! Eine Gesellschafterin – diese unglückseligste aller Erfindungen der Cultur, dieses Zwischending von Dame und Zofe, von Prätention und Unterwürfigkeit – wie mögen Sie die Verantwortung auf sich laden, daran schuld zu sein, daß so ein Wesen mehr auf Erden herumwandelt?«
»Mäßigen Sie Ihren komischen Eifer. Das Exemplar, das Sie bei mir finden werden, wird Sie durchaus nicht incommodiren. Es ist noch ein halbes Kind, siebzehn oder achtzehn Jahre alt, die Tochter eines Landpfarrers, die nicht einmal Französisch spricht.«
»Wie kommen Sie denn dazu?«
»Schon lange wünsche ich mir Jemanden, der mir bei den häufigen Besuchen auf dem Lande – denn in die Stadt will ich das Mädchen gar nicht mitnehmen – etwas die Honneurs des Salons machen hilft, Jemanden, der den Thee einschenkt und denjenigen Besuchern als Unterhaltung dienen kann, die mir selbst zu langweilig sind. Dann auch, da hier oft zehn, zwanzig Herren, wie heute, versammelt sind, wäre es mir angenehm, noch Jemanden meines Geschlechts um mich zu sehen; es ist behaglicher.«
Kempten lachte. »Zu beneiden ist Ihre Gesellschafterin auf keinen Fall, so impertinent das lautet; aber Ihre Gesellschaft soll ihr ja eigentlich nie zu Theil werden!«
»Doch, an den Tagen, wo Niemand da ist, ist es mir auch angenehmer, wenn Jemand Birkhofen und mir Gesellschaft leistet.«
Kempten verstand wohl, daß das heißen sollte: Wenn Jemand die Tête à tête zwischen mir und meinem Manne verhindert.
»Ich frage nun noch einmal, wie kommen Sie zu dem Mädchen?«
»Meine Haushälterin hat sie mir empfohlen. Es ist das älteste von zehn Pfarrkindern, wobei sechs Töchter sind!«
»Du gütiger Gott!«
»Die Mutter ist todt; die Aelteste, mein Kleinod, hat bisher die Wirtschaft und Alles besorgt; nun aber ist die Zweite auch herangewachsen, und der Vater will ihr nun Alles übertragen, um der Aeltesten Gelegenheit zu geben, sich etwas zu civilisiren, wozu sie im einsamen Gebirgsdorfe keine Gelegenheit hatte.«
»Und hier sehr viel!«
»Spotten Sie nur! Meine Haushälterin kennt die Familie seit lange, da sie auch aus der Gegend ist, und bürgt mir für das Mädchen.«
»Wann wird sie kommen?«
»Heute Abend noch.«
Es kamen nun andere Gäste und nahmen die Unterhaltung der Dame in Anspruch.
Nach diesem Gespräch mochte ungefähr eine Stunde verflossen sein, als ein Diener erschien und die Hausfrau abrief. Im Hinausgehen flüsterte sie Kempten, an dem sie vorübergehen mußte, zu: »Die Gesellschafterin ist da.«
Als sie wieder heraufkam, ging ihr Freund ihr neugierig entgegen. »Wie sieht sie aus, wie gefällt sie Ihnen?«
»Sie gefällt mir sehr gut; aber das ist gerade das Unglück, das Mädchen ist für diese Stellung viel zu hübsch! Alle die Herren hier werden ihr die Cour machen, und heirathen wird sie von meinen Freunden doch wol kein einziger!«
»Soll ich es thun, um den Moralitätsruf Ihres Salons zu retten?«
»Kempten, Kempten! Spielen Sie nicht mit dem Feuer! Das Mädchen ist bildhübsch, und auf eure Männerstandhaftigkeit, sobald eine Frau will, gebe ich nicht so viel!«
Und sie eilte weg, indem sie ihre feinen Finger in der Luft schnellte – Kempten aber sah ihr etwas triumphirend nach: er wußte, daß sie nicht leiden konnte, wenn er von seiner Heirath sprach, und konnte sich das doch nicht versagen; welcher Gefangene rüttelt nicht gern, wenn auch nur zum Scherz, an der Kette, und wäre sie auch von Rosen?
Luise Harold, die neue Gesellschafterin, frühstückte am andern Morgen mit der Baronin; das arme Kind war so verlegen, daß ihr der Bissen im Munde quoll; Adeline beobachtete sie scharf und sprach wenig mit ihr.
Als der Bediente das Kaffeeservice hinausgetragen, sagte sie: »Vor allen Dingen, Fräulein Luise, müssen wir Ihre Toilette reformiren. Dieses bunte Wollkleid mit dem schwarzen Sammetkragen ist für den Sommer keine passende Tracht.«
»O, gnädige Frau, ich habe auch Sommerkleider.«
»So bringen Sie sie herauf; wir werden dann sehen, was davon zu brauchen ist. Was Sie dann noch außerdem nach meiner Ansicht bedürfen sollten, können Sie sich morgen aus der Stadt mitbringen; ich werde der Haushälterin, die mit Ihnen fährt, Vorschuß auf Ihr Gehalt mitgeben. Sie können sich äußerst einfach kleiden, aber in einem Hause, wo so viel Besuch kommt, wie in dem meinigen, muß ein junges Mädchen immer modern gekleidet sein; weiter verlange ich nichts, als modern und der Jahreszeit angemessen – es genügt vollkommen, wenn Sie drei bis vier Kleider haben.«
Mit Thränen in den Augen, mit zitternden Händen brachte das arme Kind seine Fähnchen zur Ansicht – und nicht ein einziges wurde angenommen.
»Davon können Sie gar nichts brauchen«, sagte bestimmt, aber doch freundlich die Baronin. »Diese kurzen und engen Röcke machen eine lächerliche Figur aus Ihnen – und wie kurz sind die Taillen, Sie würden sich ja förmlich entstellen!«
»Ich bin so rasch gewachsen …«
»Schon gut, ich begreife das. Diese Kleider packen Sie alle ein und schicken sie zu Ihren Schwestern. Wir besorgen Ihnen neue, die Ihnen besser stehen sollen.«
Luise sagte nichts, aber die Frau von Birkhofen sah, daß das junge Mädchen Trauer und keine Freude über diesen Wechsel ihrer Garderobe empfand, und schätzte sie deshalb höher, als sie anfangs zu thun geneigt gewesen.
Drei Tage später kam Kempten wieder heraus. Er trat mit den Worten bei seiner Freundin ein: »Hat Ihnen die Kleine unsere Begegnung erzählt?«
»Welche Kleine?«
»Nun, Ihre neue Gesellschafterin.«
»Wo sind Sie mit ihr zusammengetroffen?«
»Vorgestern in der Stadt.«
»Davon weiß ich keine Silbe, auch meine Haushälterin Marianne hat mir nichts davon gesagt.«
»Ja der hatte ich's verboten, weil ich es Ihnen selbst erzählen wollte.«
»Das ist sonderbar! Nun so erzählen Sie mir.«
»Ich ging in einen Quincaillerie-Laden, um mir ein Paar Sporen zu kaufen, als ich ein junges Mädchen eintreten sah. Sie fiel mir auf durch ihre Schönheit. Diese große, volle Gestalt, diese dunkeln, üppigen Haare, der frische Mund, die leuchtenden, jungen Augen, es war eine Centifolie in ihrer vollen Pracht!«
»War aber nicht die Centifolie gekleidet, als wäre sie eine Feldblume?«
»Das fiel mir nicht auf, sie hatte einen einfachen Strohhut auf und einen bescheidenen schwarzen Ueberwurf …«
»Da war sie schon halb metamorphosirt«, sagte lächelnd Adeline; »sie kam schon von der Putzmacherin!«
»Das kann sein, aber sie sah sehr hübsch aus. Sie verlangte mit klangreicher Stimme eine einfache Gürtelschnalle. ›Aber eine ganz einfache‹, sagte sie eindringlich, ›nur von Stahl!‹«
»Und das rührte Sie!« sagte ironisch Adeline; »o leicht gerührtes Männerherz!«
»Lassen Sie mich nur weiter erzählen. Ich erblickte nämlich hinter der jungen Centifolie Ihre alte Marianne und errieth so, wer die Unbekannte sei. Ich stellte mich ihr nun vor als einen Freund Ihres Hauses.«
»Wirklich!« sagte Adeline überrascht; »ich kannte Sie gar nicht als so zuvorkommend gegen wildfremde Mädchen …«
»Das bin ich auch außerdem nicht – aber erstens war mir das Mädchen nicht wildfremd, denn sie gehörte zu Ihrem Hause, und zweitens hatte ich einen Einfall, den ich befriedigen mußte.«
»Offenes Geständniß!«
»Warum denn nicht? Ich war nämlich in Begriff, auf die Ausstellung zu gehen, um das schönes Bild Steinle's zu sehen, und es fiel mir ein, das junge Mädchen, das nach Ihrer Schilderung noch wol nie ein großes modernes Bild gesehen, dorthin mitzunehmen. Ich schlug es ihr vor, sie sah ängstlich zu der Haushälterin hinüber; als ich dieser aber einen Wink gab, redete sie der Centifolie zu, deren freudestrahlende Augen hinreichend bekundeten, wie gern sie nachgab.«
»Die Centifolie heißt Luise Harold«, bemerkte Adeline trocken.
»Ich nahm also einen Fiaker, und wir fuhren auf die Ausstellung. Im großen weißen Saale stand nichts als das schöne, einfache Bild. Im dunkeln Walde die blasse, junge Mutter mit dem Kinde! Das junge Mädchen war ganz Auge, ich erzählte ihr Genoveva's Geschichte, von der sie nichts wußte, und da vergoß sie Thränen.«
»Die Geschichte ist einem so jungen, unschuldigen Mädchen schwer zu erzählen, und ich bewundere Sie, das zu Stande gebracht …«
»Schwer? einem so reinen Geschöpf kann man Alles erzählen. Aber je raffinirter und routinirter die Zuhörerin ist, desto schwieriger ist es, ihr etwas zu erzählen – die unschuldigste Geschichte kann bei einer solchen eine schlimme Auslegung finden; aber den Reinen ist Alles rein!«
»Sie haben Recht, Kempten, oder Sie könnten wenigstens Recht haben; aber erzählen Sie nur weiter.«
»Es ist nicht viel mehr zu erzählen. Das junge Geschöpf war unbeschreiblich rührend in ihrer Bewunderung des ersten Bildes, das sie in ihrem Leben sah. Ueber die großen Häuser und die schönen Läden sei sie nicht viel verwundert gewesen, sagte sie mir, das habe sie sich nach den Erzählungen all eher noch schöner gedacht; aber daß man so malen könne, habe sie nie geglaubt. ›Ich weiß nicht‹, rief sie aus, ›was ich lieber habe, die Mutter oder das Kind! Sehen Sie nur seine süßen, kleinen Füße, das blonde Köpfchen! Ach, welch ein reizendes Kind! Und die arme, unschuldige Mutter, die auch noch aussieht, als wäre sie ein junges Mädchen – der muß ja der liebe Gott helfen, solch ein lieblich Geschöpf kann er ja nicht im Elende vergehen, nicht ihr Kind verhungern sehen lassen, für die müssen ja die Engel im Himmel Fürbitte leisten!‹ Und dabei rollten ihr die Thränen über die Wangen.«
»Ich kenne das Mädchen gar nicht so gesprächig«, sagte Adeline, »Sie müssen sie besonders begeistert haben.«
»Ich nicht, das Bild hat sie begeistert. Aber Sie glauben nicht, wie wohl mir diese frische, uncultivirte Bewunderung gethan hat. Unsere jungen Damen sind alle so grenzenlos wohlerzogen!«
»Ich wollte, das wäre wahr!« sagte lachend Adeline.
»Sie machen eine Ausnahme!«
»Ich danke für das Compliment!«
»Sie verstehen recht gut, was ich sagen will. Unsere Damen sind alle des Glaubens, daß man einem Kunstwerk gegenüber seine Bildung durch Tadel an den Tag lege.«
»Sind unsere Herren das nicht auch?«
»Die dürfen es sein. Ein Mann kann doch tüchtig, ein Mann im ganzen Sinne sein, ohne zu bewundern, ohne sich zu begeistern und ohne zu lieben. Er braucht nur gerecht zu sein in der Anerkennung – aber eine Frau, ein Weib ist eine Misgeburt, wenn sie nicht ein Uebermaß von Liebe und blindem Enthusiasmus besitzt.«
»Daß den Männern die Frauen so mehr conveniren, begreife ich«, sagte lachend Adeline, »es ist so unendlich viel bequemer.«
»Nein, nein, gnädige Frau, lachen Sie nicht. Ich bin im vollen Ernst. Ohne Begeisterung und ohne Liebe kann eine Frau im ganzen Sinne des Wortes nicht liebenswürdig sein, und das ist ihre erste Haupteigenschaft, ohne das ist sie nichts – aber ein Mann braucht nicht liebenswürdig zu sein!«
»Von dieser Theorie sind alle Herren unsers Cirkels ganz und gar durchdrungen, und ich mache Ihnen ein Compliment, wenn Sie diese gelehrigen Schüler gebildet haben!«
»Ich sammle glühende Kohlen auf Ihr Haupt, indem ich Ihnen sage, daß Sie liebenswürdig sind!«
»Wie kann man einer Frau so etwas ins Gesicht sagen! Pfui, Baron Kempten!«
»Weil es doppelt merkwürdig ist, daß Sie so liebenswürdig sind, da Sie nur die Hälfte der dazu nöthigen Eigenschaften besitzen – nämlich den blinden Enthusiasmus für Dinge –, aber der Liebe für Menschen ganz unzugänglich sind.«
»Glauben Sie das im Ernste, Kempten?« fragte Adeline, indem sie ihre schönen blauen Augen voll und klar auf ihn richtete.
Er litt unter diesem Blick, aber er sagte doch mit dem Ton der festen Ueberzeugung: »Seit zehn Jahren beweisen Sie mir es.«
»Kempten, wer gab mir sein Wort, dieses Thema nicht mehr aufzubringen?«
»Ich brachte es nicht auf, Sie selbst haben davon angefangen!«
»Schon gut! Nun erzählen Sie weiter von Luisen.«
»Von ihr habe ich nichts weiter zu sagen, als daß ich sie an ihren Wagen gebracht habe und mir von ihr habe versprechen lassen, ihr Begleiter sein zu dürfen, wenn sie zum ersten male ein Theater besucht. Diese rückhaltlose, volle, erste Hingabe an einen Kunstgenuß ist mir ein Balsam für mein, vom ewigen Tadeln und Nergeln und Kritteln gepeinigtes Ohr!«
Das Theezeug wurde gebracht, und mit ihm erschien Luise Harold, um ihres Amtes zu warten. Sie wurde verlegen, als sie Kempten erblickte, er aber ging sehr freundlich auf sie zu und fragte sie, ob sie nicht das Bild vergessen, dessen Anblick ihr so viel Freude gemacht.«
»Tag und Nacht denke ich daran«, sagte sie offen.
Auch Birkhofen kam jetzt herein. Ihm ging es wie Kempten – die junge Gesellschafterin gefiel ihm außerordentlich, und seine Frau machte die Bemerkung, daß er jetzt regelmäßiger bei Tische erschien.
Man konnte keine vollkommenern Gegensätze sehen als Adeline und Luise, aber eine diente der andern zur Folie. Adeline zart, blond, schlank und fein; Luise üppig, dunkel, voll und blühend – wie im Aeußern, so waren die beiden Frauen auch im Innern: Adeline eine Treibhausblume von seltenem Werth, Luise eine uncultivirte vollblühende Feldblume.
Kempten fragte: »Blieb Ihnen bei Ihrer häuslichen Beschäftigung Zeit zum Lesen übrig?«
»Hoffentlich nicht!« brummte lachend Herr von Birkhofen.
»Zeit wol«, sagte Luise schüchtern, »aber ich hatte keine Bücher! Das einzige Unterhaltungsbuch, das mein Vater besaß, war der Schiller, und den kann ich auswendig.«
»Auch die Räuber?« fragte Birkhofen, »und Kabale und Liebe?«
»Ja«, sagte unbefangen Luise.
»So kennen Sie nicht Goethe?«
»Nur dem Namen nach.«
»Nicht Shakspeare, nicht Byron?« fragte die Baronin.
Luise schüttelte anmuthig den Kopf. Herr von Birkhofen aber rief: »Das Mädchen sollte man in Gold fassen.
»Mit welcher Inschrift?« fragte die Baronin ihren Freund; dieser sagte so leise, daß es nur das Ehepaar verstehen konnte: »Der ungeschliffene Diamant.«
»Das wäre ja eine Beleidigung!« rief der Hausherr: »als ob der Schliff nöthig oder besser wäre, oder noch verschönern könnte! Gerade, daß kein Schliff da ist, macht sie zum Edelstein.«
Die Baronin sah ihren Mann an und legte den Finger auf den Mund; denn sie fand es für so ein junges Mädchen peinlich, der Gegenstand der Erörterung dieser Herren zu sein. Glücklicherweise hatte Luise nicht verstanden, was man sprach.
»Habe ich recht vernommen, so geht sogar Ihre Vortrefflichkeit so weit, daß Sie nicht einmal Französisch verstehen?« fragte Birkhofen wieder.
»Leider«, sagte tief erröthend die arme Kleine, die diese Bemerkung für Spott hielt, »leider kann ich nicht einmal Französisch; es fehlte bei uns an aller Gelegenheit.«
»Sie müssen wissen, liebes Kind«, bemerkte mit gutmüthiger Ironie die Baronin, »daß Sie dadurch bei meinem Manne einen Stein im Brete gewinnen: er haßt nichts mehr, als Kenntnisse.«
»Sie verschütten das Kind mit dem Bade, Frau Gemahlin! Es gibt Kenntnisse, die ich an einer Dame außerordentlich schätze.«
»Nennen Sie uns die«, sagte mit heiterm Lächeln Kempten.
Birkhofen aber versetzte hastig: »Gott behüte, daß ich bei euch beiden gelehrten Herrschaften meine Ansichten auskramte; würde ich doch nichts als Spott ernten. Nein, das werde ich einmal Fräulein Harold in einem à parte mittheilen, wenn ihr Beiden in irgend einem Kunstgenusse verhimmelt.«
»Ach, Herr Baron«, sagte etwas vorlaut das junge Mädchen, »ich verhimmele auch gern in einem Kunstgenusse, wenn er mir nur geboten wird. Fragen Sie nur den Herrn da.«
»Lieber Kempten, ich bitte Sie, lassen Sie dieses Kind uncivilisirt! Sie könnten es nicht vor Gott verantworten, wenn Sie diese Blume, die ein seltener Zufall vor der Verkrüppelung der Cultur verschonte und die in naturwüchsiger Pracht ihr Wachsthum entfaltet, zustutzen und ruiniren wollten.«
Der Baron sagte das mit einer gewissen Heftigkeit. Adeline aber, die das ganze Gespräch in Gegenwart des jungen Mädchens unpassend fand, flüsterte ihrem Manne zu: »Das thust du, mit deinen Complimenten und Redensarten; du machst ja das Kind eitel und nimmst ihr alle Unbefangenheit.«
Das sah der Baron ein und schwieg. Luise wurde nun an diesem Abend wenig mehr ins Gespräch gezogen und empfahl sich dann auf einen Wink der Baronin. Ein gewisser Takt ließ auch beide Herren nach ihrer Entfernung nicht mehr von ihr reden.
Wir haben die Unterhaltung dieser vier Personen so ausführlich mitgetheilt, weil noch sehr oft ähnliche auf Birkhofen gepflogen wurden, da Kempten nicht der Versuchung widerstehen konnte, das empfängliche und reine Gemüth des jungen Mädchens wenigstens in die Vorhallen der Kunst und Wissenschaft einzuführen, während Birkhofen das mit beiden Händen abwehrte und die Feldblume, wie er Luisen nannte, um jeden Preis davor schützen wollte, ein Unkraut, wie er sich sehr ungalant gegen gebildete Frauen ausdrückte, zu werden. Luise wurde immer mehr und mehr der Mittelpunkt der Unterhaltung der beiden Herren; die Baronin sah das ohne Neid, das müssen wir ihr zugestehen, aber doch mit einem schmerzlichen Gefühl, da sie früher unbestritten diese Stelle eingenommen. Luise blieb in der Unterhaltung eigentlich dieselbe wie in den ersten Tagen, entweder scheu und verlegen, oder lebhaft aufgeregt und in ihrer Bewunderung und ihrem Redeeifer dann das richtige Maß überschreitend. Auch war sie der Baronin gegenüber nicht Das, was diese sich von ihr versprochen. Das Mädchen war beiweitem nicht so biegsam und empfänglich, als sie geglaubt – es war ein edler, aber ein spröder Stoff, woraus die Natur sie geformt. So zum Beispiel hatte Adeline schon mit der Toilette viel Noth mit ihr. Luise hatte durchaus kein Interesse an den Vervollkommnungen, welche die Baronin mit ihr vornahm. Dem ausgesprochenen Rathe, oder Wunsche, oder Befehle der Dame folgte sie natürlich immer, aber ihr selbst war es durchaus gleichgültig, welche Farbe und welchen Schnitt das Kleid besaß, das sie trug. Selbst ihr schönes kastanienbraunes Haar pflegte sie durchaus nicht mit der Sorgfalt, die Damen gewöhnlich darauf verwenden.
Adeline sagte eines Tages lächelnd zu Kempten: »Ich muß für dieses Kind ein eigenes Costume, eine eigene Haartracht erfinden – denn für die pariser Moden hat sie gar nicht genug Sorge und Aufmerksamkeit. Sie muß Etwas tragen, wozu Schönheit und Jugend hinreicht. Ich werde sie nicht mehr als zwei Flechten um den Kopf gewunden und dunkle, glatte, hohe Kleider mit einer kleinen Halskrause tragen lassen. Chemisetten und Spitzenärmel, Locken und Gürtel, Schleifen und Brochen, Kämme und Armbänder sind nichts für dieses primitive Geschöpf, sie verdirbt sie nur.«
»Das ist dann umgekehrt, wie bei andern Frauen«, sagte lachend Kempten, »die werden von ihnen verdorben – ganz gewiß. Wenn unsere Damen wüßten, wie sehr sie die schöne Einheit ihrer Erscheinung durch die verschiedenen Kleinigkeiten, womit sie sich behängen, stören, sie würden wahrhaftig einfacher sein.«
»Glauben Sie das nicht, Kempten! Die Kunst der Toilette wirkt so unermeßlich verschönernd, wie Sie das gar nicht ahnen, weil Männer wie Sie keine Gelegenheit haben, Frauen, die allgemein für schön gelten, ungeschmückt zu sehen.«
»Ich gebe das nur zu, was den Schnitt und die Farbe des Kleides und die Art, das Haar zu tragen, betrifft; dabei kann die Dame genug Kunst entwickeln, nämlich die Kunst, zu wissen, was sie kleidet, – aber wenn ich heute den Thron bestiege, würde ich alle die Dinge, deren sie vorhin Luisen als unwürdig erklärten, verbieten. Wenn ich mit einer unserer eleganten Damen spreche, muß ich fortwährend die Fassung ihrer Armbänder, die Spitzenzeichnung ihrer Chemisette, die Form ihrer Gürtelschnalle, die Virtuosität der unnatürlichen spitzen Verlängerung ihres Oberleibes verfolgen und bewundern und höre darüber gar nicht, was sie sagt.«
»Das ist vielleicht den meisten unserer eleganten Damen recht vortheilhaft«, sagte lächelnd Adeline.
»Und wenn ich nun bedenke, wieviel Kopfzerbrechen, wieviel Mühe und wieviel Geld diese Lappalien gekostet – diese Dinge, die nur dazu da sind, die Bewunderung von ihren schönen Augen, ihrem feinen Munde und ihren weißen Händen abzulenken …«
»Eines tauget nicht für Alle! Aber wenigstens soll Ihnen in Zukunft die schöne Gestalt unserer Luise nicht verkümmert werden. Doch kann ich Ihnen nicht verbergen, daß selbst diejenige Sorgfalt, die Sie uns erlauben für uns selbst zu haben, Luise nicht einmal hat; sie ist nur reinlich und ordnungsliebend, und das ist zu wenig; ein wenig Sorgfalt gehört dazu.«
Eben wollte Kempten etwas entgegnen, als der Baron eintrat und das Gespräch abgebrochen wurde. Er kam, um zu melden, daß er eine transportable Orgel für Luisen bestellt habe; es sei das einzige Instrument, das sie spiele, und auch das einzige, das er liebe.
»Ich wußte nicht, daß du so wählerisch seiest«, sagte Adeline lächelnd. »Bisher erstreckte sich deine Musikliebe ziemlich weit und großmüthig bis auf die Straßenorgeln herab.«
Birkhofen entgegnete nichts auf diese ungewöhnlich bittere Bemerkung seiner Frau.
Die kleine Orgel kam an, und nun war das für Adelinen selbst ein Genuß. Das schöne Mädchen saß am Abend daran und entlockte dem klangvollen, wehmüthigen Instrumente heilige Melodien. »Eine feste Burg ist unser Gott« und »Befiehl du deine Wege« spielte sie außerordentlich schön. Mit Thränen in den Augen horchte ihr die Baronin zu. Birkhofen schlief zuweilen dabei ein, aber wenn er erwachte, was regelmäßig beim Verstummen der Musik geschah, war er immer des Lobes voll. Kempten saß still, fern von den beiden Frauen, in einer Ecke, und eine tiefe Wehmuth lag auf seinen edlen, männlichen Zügen. Ueberhaupt war er seit einiger Zeit still und verschlossen geworden, wie ihn Adeline nicht kannte.
Adeline war in der That die Einzige von den Dreien, die sich seit Luisens Eintritt in das Haus nicht veränderte. Ihre ruhige, harmonische Natur war am schwersten zu erschüttern, und die Veränderung der beiden Männer wirkte im Ganzen nicht verstimmend auf sie. Kemptens Schweigsamkeit, da er außerdem in seinem Benehmen gegen sie unverändert derselbe aufmerksame Freund blieb, schrieb sie einem dichterischen Versenken in irgend eine neue Arbeit zu. Bei ihrem Manne sah sie wohl, daß seine Veränderung, die hauptsächlich in einer größern Theilnahme an der allgemeinen Unterhaltung sich äußerte, von einem sehr weit getriebenen Wohlgefallen an Luisen herstammte; aber Luisens durchaus gesunde Moral bürgte ihr für die Erfolglosigkeit seines Interesses – und da sie ihn nicht liebte, so kümmerte sie das Gefühl an sich selbst nicht.
Luise hatte sich an sie mit einer begeisterten Verehrung angeschlossen, und das that ihr wohl. Frauen finden doch am Ende immer nur in der Liebe und dem Mitgefühl einer aus ihrem Geschlechte den Trost und die Ermuthigung, deren sie manchmal so sehr bedürfen.
Als eines Morgens sehr früh – Birkhofen schlief noch – die beiden Frauen im Garten auf- und abwandelten, sagte Luise: »Diese Linde da, die erscheint mir als Ihr Bild; so kühl, so schattig, so weitausreichend, so erquickend und so süß und harmonisch abgerundet sind Sie – so werde ich in meinem Leben nicht!«
»Weil Sie nun einmal eine junge Eiche sind, liebes Kind.«
»Ja, so knorrig und unbiegsam, nicht wahr?«
»Aber auch so fest, hoffe ich«, sagte mütterlich freundlich Adeline.
»Sie halten mich für besser als ich bin, gnädige Frau. Ich habe einen entsetzlichen Fehler – und dieser Fehler ist mir selbst erst bekannt geworden, seitdem ich in Ihrem Hause bin!«
»Und er heißt?«
»Ungemessener Stolz – oder, um ganz wahr zu sein, Hochmuth! Ich bilde mir ein, die Welt könne mir gehören! Ich bilde mir ein, Ansprüche an Glück und …«
»Und was?«
»Und – Liebe zu haben. Ach, das ist mir früher nie eingefallen! Wenn mein Vater zu mir sagte: ›Sobald du einmal zwanzig Jahre alt bist und etwas gelernt hast, will dich der Onkel Wilhelm heirathen‹, erschien mir das als eine große Ehre. Und jetzt …«
»Wer ist Onkel Wilhelm?«
»Ein alter Buchhändler in München. Und jetzt – würde ich eher sterben, als zu dem alten Manne in seinen düstern Laden ziehen – und ich bin doch um nichts besser geworden. Ich trage freilich die schönen Kleider, die Sie mir geschenkt – aber im Innern war ich früher besser. Ich dachte damals nur daran, wie ich meinem guten Vater und meinen kleinen Geschwistern das Leben verschönern wollte, und jetzt …«
»Nun, und jetzt?« sagte Adeline, freundlich des Mädchens Hand ergreifend.
»Das kann ich Ihnen gar nicht sagen, Sie würden mich verachten!«
»Sie denken wol, wie Derjenige beschaffen sein muß, dem Sie einst diese schlanke Hand gewähren wollen?«
Luise antwortete nicht, sie sah dunkelroth zur Erde; aber nach einer langen Pause flüsterte sie mit Thränen in den Augen: »Zu Hause habe ich, bei Gott, an so Etwas nie gedacht, – aber das kommt daher, weil hier die vielen Herren, die Sie besuchen, mir so viel Schmeicheleien sagen; das muß mir doch diese Gedanken in den Kopf gesetzt haben!«
»Gleicht keiner meiner Bekannten Ihrem Ideale?«
Luise lachte hell auf: »Nein! Nehmen Sie mir's nicht übel, aber die sind mir Alle zu fade. Doch! Einen könnte ich heirathen – aber auch nur den Einzigen, – wenn er nämlich jünger wäre und besser im Alter zu mir paßte.«
Adeline war blaß geworden, doch ihre Stimme klang ruhig, als sie fragte: »Baron Kempten, nicht wahr?«
»Ja wohl! Aber welche Anmaßung von mir einfältigem, ungebildeten, armen und niedern Mädchen, an diesen Fürsten zu denken! Denn wie ein Fürst kommt er mir immer vor, wenn er eintritt. Im Schiller heißt es: ›Unter Larven die einzige fühlende Brust‹ – so kommt er mir immer vor, wenn er unter Ihren übrigen Freunden steht.«
»Die Andern sind nicht meine Freunde, er ist es allein«, sagte Adeline mit einer gewissen Kälte.
»Wie kommt es, daß er nicht verheirathet ist?«
»Die er geliebt hat, konnte ihm nicht angehören, und da hat er den Gedanken aufgegeben.«
»Das dachte ich mir! Er sieht aus wie ein Mann, der unglücklich liebt!«
Seit Luisens offener Mittheilung, die doch nichts enthielt, was die kluge, scharf und richtig beurtheilende Adeline beunruhigen konnte, war das Verhältniß zwischen den beiden Frauen inniger geworden, ohne daß die beiden Herren es bemerkten, die in der festen Meinung waren, Luise fürchte Adelinen, weil sie von ihr zu hart und streng behandelt werde. Selbst die besten Männer können sich nicht des Vorurtheils gegen Frauen reifern Alters enthalten – sie setzen immer voraus, daß solche Frauen, wenn sie auch noch so wohlwollend sich zeigen, einen gewissen Neid gegen aufblühende Schönheit nicht bemeistern können, und vergessen ganz, daß viele ältere Frauen Jugend und frische Schönheit schon deshalb lieben, weil sie ihnen ein Bild ihrer selbst zurückstrahlen, wie sie waren in ihrer glücklichsten Zeit, in der Zeit, da sie auch jung und schön waren.
Adeline bemerkte diesen Verdacht der beiden Männer, aber sie that nichts, um ihn zu entkräften, – weil sie nichts thun konnte; denn Alles würde ihr doch nur als absichtliche Verstellung ausgelegt worden sein. Wer hätte noch je ein Vorurtheil ausgerottet, das »einer höhern Einsicht« entsprang?
Eines Morgens – Luise war jetzt ein Vierteljahr im Hause – kam Birkhofen zu ungewohnter Stunde zu seiner Frau. Er sah verlegen und beklommen aus und sagte mit einer gewissen Feierlichkeit: »Liebe Adeline, ich habe dir eine wichtige Mittheilung zu machen und bitte dich, Befehl zu geben, daß wir nicht gestört werden.«
Adeline schellte ihrer Kammerfrau und ertheilte ihr in sehr gleichgültigem Tone die Weisung, Niemanden zu ihr zu lassen, bis der Herr sie verlassen habe. Dann nahm sie eine Häkelarbeit, setzte sich recht bequem in einem Fauteuil zurecht und sagte darauf, wie man ein Kind aufmuntert, seine Lection zu sagen: »Ich bin ganz Ohr; nun sage!«
»Du weißt«, begann der Gemahl, nachdem er sich ebenfalls gesetzt, »daß bei unserer Verheirathung du achtzehn, ich einundzwanzig Jahre zählte.«
Adeline nickte, ließ aber aus lauter Verwunderung, wo dieser Eingang hinauswolle, ihre Häkelarbeit in den Schoos fallen.
»Du wurdest mir gegeben, ohne daß du mich kanntest, weil dein Oheim, in dessen Hause du dich seit dem Tode deiner Aeltern aufhieltest, fürchtete, daß deine Schönheit der Verheirathung seiner eigenen Töchter im Wege stehen möchte, die alle drei häßlich waren; – ich heirathete dich, weil mein Vater mir bewies, wie angenehm das sei, wenn deine Güter, die überall die unserigen begrenzten und durchschnitten, auch in unsere Hände kämen. Wir liebten uns damals nicht – und das ist noch immer so geblieben.«
»Lieber Birkhofen, habe ich dich beleidigt, oder …«
»Nein, nein, ich wollte nur die Sache vor deinen Augen klar machen.«
»Das war nicht nöthig, lieber Freund, ich bin über unser Verhältniß vollkommen im Klaren, aber auch im Reinen, und es thut mir leid, daß ich an deinem Eifer sehe, daß das bei dir nicht der Fall ist und daß du es vielleicht noch immer bereuest, deinem Vater gehorcht zu haben.«
»Nein, nein, liebe Frau, durchaus nicht! Du hast mich nie unglücklich gemacht, wenn auch unsere sehr verschiedenen Charaktere und Lebensauffassungen …«
»So sage mir, was du willst, lieber Max.«
»Also bis jetzt habe ich nicht bereut. Aber plötzlich kommt mir der Gedanke, es könnte für mich doch noch ein höheres Glück als an deiner Seite geben. Ich bin der Letzte meines Namens – wir haben keine Kinder – wir sind beide Protestanten.«
»Wenn du dich deshalb zum zweiten mal vermählen lassen willst, so finde ich das sehr begreiflich«, sagte ruhig und kalt Adeline.
»Nicht deshalb«, fuhr immer stockender und verlegener der Baron fort; »nicht blos deshalb. Ich habe auch ein Wesen kennen gelernt, dessen ganze Richtung so sehr mit der meinigen übereinstimmt …«
»Welche Richtung ist denn das, um Vergebung?« fragte mit anscheinender Aufrichtigkeit, aber tief versteckter, grenzenloser Ironie die Frau.
»Die Richtung einer einfach natürlichen Weltanschauung. Keine Firlefanzereien, die man Kunst, Wissenschaft, Literatur und Politik zu nennen pflegt, sollen uns den Genuß des Einzigen verkümmern, wofür jeder vernünftige Mensch leben soll – der Natur.«
Birkhofen zog sein Schnupftuch heraus und wischte sich den Schweiß ab. Eine so lange zusammenhangende Rede hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehalten.
Adeline preßte ihre Augenlider etwas zusammen – sie war erschüttert von der Absicht ihres Mannes, und doch war er ihr so gleichgültig; – sie mußte sich aber doch erst in sich selbst zurechtfinden!
»Soll ich dir meine Wahl nennen? Du bist die Erste, die sie erfährt.«
»Nun?«
»Luise Harold.«
Das hatte Adeline nicht erwartet. Sie kannte zwar ihres Mannes Neigung für Luisen, aber sie kannte auch neben jener Liebe für Natur seinen ungemessenen Adelstolz, seine Liebe zum Besitz!
»Luise Harold?« sagte sie nur, weiter nichts.
»Ich weiß, Adeline, was du denkst. Du meinst, es sei unpassend, mich von einer Frau meines Alters, Standes und Vermögens scheiden zu lassen und ein blutjunges, bürgerliches, armes Mädchen zu heirathen?«
»Rede nur weiter.«
»Das Alles wird aber ausgeglichen durch die Gleichheit der Charaktere und …«
»Die Weltanschauung«, sagte mit feinem Spott Adeline.
»Ganz recht.«
»Was sagt denn Luise dazu?«
»Sie weiß kein Wort. Mir dünkte, das Einzige, wodurch man einer Frau gegenüber sich berechtigen kann, ihr den Wunsch der Scheidung vorzutragen, ist die Erklärung, daß sie die Erste ist, die davon etwas erfährt.«
»Sehr ritterlich!« sagte wieder Adeline mit demselben Lächeln wie bisher.
»Ich werde nun Alles einleiten, wenn du gegen unsere Scheidung nichts einzuwenden hast – vielleicht gibt sie dir auch Gelegenheit, ein besseres und glücklicheres Loos an der Seite eines andern Mannes zu finden; Kempten liebt dich, wie man sagt, seit zehn Jahren.«
»Ich bitte Sie, Herr von Birkhofen – wir sind uns jetzt fremd –, sich nicht die Sorge um mein Glück aufzuerlegen. Meiner Einwilligung zur Scheidung seien Sie versichert – weiter bedürfen Sie ja nichts mehr von mir!«
»Ich werde nur die Kinderlosigkeit unserer Ehe als Vorwand nehmen. Ihr Vermögen erhalten Sie natürlich zurück. Die Ersparnisse, welche ich während unserer fünfzehnjährigen Ehe gemacht –«
»Fünfzehn Jahre!« sagte Adeline traurig und faltete die Hände.
»Werden zwischen uns getheilt. Sie werden daraus ersehen, welch guter Wirth ich gewesen.«
Adeline stand auf und gab ihm dadurch das Zeichen zum Gehen.
Er streckte ihr die Hand entgegen. »Lassen Sie mir die Genugthuung, daß wir ohne Groll mit gegenseitiger Achtung voneinander uns trennen!«
Sie legte mit großer Ueberwindung ihre feinen Fingerspitzen in seine derbe Hand – diese Hände hätten schon durch ihre Formen gezeigt, daß sie nicht ineinander gehörten.
Er ging. Sie verriegelte die Thür hinter ihm, sank ins Sopha, und ein Thränenstrom erleichterte ihr Herz – es war dennoch getroffen worden, vom ungeliebten Manne, und zwar an der empfindlichsten Stelle, an seinem Stolze.
Aber sich rasch bezwingend sprang sie auf. »Nun zu ihm, ich habe ja weiter Niemanden auf der Welt!« Und sie setzte den Hut auf, schlug die Mantille um ihren schlanken Leib, und wie sie war, in Morgenüberrock und Morgenschuhen, lief sie hinunter in den Hof und bestellte selbst dem Kutscher, daß er anspannen solle, und stand in der Stallthür und wartete – das Haus wollte sie nicht mehr betreten, und die Domestiken waren alle verwundert; denn so etwas hatten sie noch nie von ihr gesehen.
In der Stadt, in ihrer Wohnung angekommen, schickte sie sogleich zu Kempten und ließ ihn zu sich rufen. Als er eintrat, fiel ihr seine verlegene und sogar zerstörte Miene auf.
»Verzeihen Sie, Kempten, daß ich Sie so früh am Tage stören ließ, aber …«
»Sie haben meinen Brief nicht erhalten?«
»Keine Silbe!«
»Gott sei Dank!« sagte er aufathmend – »ich dachte Sie wollten mir Vorwürfe machen.«
»Vorwürfe, Ihnen, weshalb?«
»Später, gnädige Frau; nun sagen Sie mir, worin ich Ihnen dienen kann.«
»Denken Sie sich, Kempten, mein Mann – Birkhofen – will sich von mir scheiden lassen!«
»Nicht möglich!«
»Wahrhaftig, er hat so eben feierlich meine Einwilligung eingeholt.«
»Die Sie ihm doch nicht ertheilt haben?«
»Gewiß habe ich sie ihm ertheilt …«
»So will ich gleich hinaus und ihn davon abbringen; das darf, das kann nicht geschehen!«
Adeline zuckte es durch das Herz, als habe ein dreischneidiger Dolch sie getroffen. Hatte nicht derselbe Mann auf derselben Stelle noch vor einem halben Jahre sie auf den Knien gebeten, ihm doch zu erlauben, zu ihrem Gemahl zu gehen, um ihn einer Scheidung günstig zu stimmen? War das nicht seit zehn Jahren sein ewig von ihr zurückgedrängter und verwehrter Wunsch, seine heiße Bitte, sein glühendes Verlangen? Und jetzt, jetzt, da sie meinte, er solle in Glück und Liebe aufgelöst zu ihren Füßen hinsinken und ihre nun ohne ihr Zuthun freigewordene Hand begehren – nun war er offenbar erschrocken, und wollte sogar zu ihrem Manne gehen und ihn davon abbringen?
Er liebte sie also nicht mehr!
Als sie sich mühsam nach langem Kampfe gefaßt und Kraft genug fühlte, vor ihn, den Wortlosen, Erschrockenen der nun wol einsah, was er gethan hatte, zu treten, sagte sie mit tonloser Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Baron! Ihren guten Willen kann ich nicht benutzen. Leben Sie recht wohl!«
»Wann darf ich wieder kommen?« fragte der erschütterte Freund.
»Ich fahre jetzt zurück nach Birkhofen, um meine Koffer packen zu lassen – ich dachte das von hier aus zu besorgen, aber die Stadt ist mir jetzt noch verhaßter, als das Landgut – dann werde ich gehen – wohin, weiß Gott!« setzte sie in Thränen ausbrechend hinzu.
»Aber – Sie haben mich ja nie hoffen lassen, daß Sie mich liebten – daß Sie mich jemals lieben würden? O Gott, Adeline!«
»Ganz recht, Herr Baron, ich habe Sie nie hoffen lassen, daß ich Sie liebte, daß ich Sie jemals lieben würde«, sagte sie schnell gefaßt, sich wieder die Thränen abtrocknend – »Sie haben ganz recht gehandelt, mich – aufzugeben. Und ich habe nicht den leisesten Schatten von Recht, mich über Ihre Treulosigkeit zu beklagen! Nochmals – leben Sie wohl!«
Sie schellte ihrem Diener, sie ging zur Thür hinaus. Draußen stand Kempten vor ihr und sah so unglücklich und von Zweifeln zermartert aus, daß ihr Herz selbst dem Mitleid zugänglich wurde.
»Erlauben Sie mir wenigstens, Sie noch eine Strecke zu begleiten, mich zu rechtfertigen. – Ja«, sagte er plötzlich entschlossen – »ich gehe mit Ihnen – es kann noch Alles gut werden – Adeline, Ihnen will ich, kann ich mein Leben weihen.«
Sie schüttelte mit dem Kopfe und ging die Stufen der Treppe hinab. Er ging neben ihr und flüsterte: »Ich muß hinaus, nehmen Sie mich aus Barmherzigkeit in Ihrem Wagen mit – ich muß ein Unglück verhindern und komme sonst zu spät!«
»Thun Sie, was Sie wollen, Kempten, ich fahre allein, und« – setzte sie, stolz sich aufrichtend, hinzu – »ich bitte Sie, auch in Zukunft mich nicht aufsuchen zu wollen! Eine geschiedene Frau muß sich in ihrem Betragen sehr in Acht nehmen.«
Er ließ sie gehen. Sie fuhr hinaus durch die Straßen, durch die Thore, über die Felder und wußte nichts davon! Der Gedanke, wovon sie zehn Jahre gelebt, geathmet, der Gedanke war vernichtet – und dieselbe Stimme, die ihr immer so lieblich zugelispelt: »Er liebt dich, er liebt dich!« rief jetzt mit betäubendem, markerschütterndem Tone: »Er liebt dich nicht mehr, er liebt dich nicht mehr!« und zerriß ihre Nerven, ihr Hirn, ihr Herz.
Sie kam draußen an, ohne es zu wissen. Ihre Kammerfrau stand unter der Thür und sagte: »Der Herr Baron und Fräulein Harold haben schon mehr als zehnmal nach der gnädigen Frau gefragt.«
»Ich kann Niemanden sprechen, Gertrud, Niemanden!«
»Da ist schon das Fräulein.« Und Luise stand da mit verweinten Augen und hielt einen Brief in der Hand.
»Ein andermal, liebe Luise; ich fühle mich sehr, sehr unwohl, Sie sehen, ich kann kaum auf den Füßen stehen!«
»Ach beste, gnädigste Frau, es ist der schrecklichste Moment meines Lebens!«
Adeline dachte natürlich, Birkhofen habe in liebender Ungeduld dem Mädchen schon seine Absicht mitgetheilt. In gewohnter Güte aber, als sie das angstbeklommene Wesen des armen Kindes sah, sagte sie: »Kommen Sie und setzen Sie sich vor mein Ruhebett und theilen Sie mir mit, was Ihr Herz beschwert.«
»Nun, was ist es?« fragte Adeline, als Beide Platz genommen.
»Hier diesen Brief hatte ich heute Morgen mit einer Einlage an Sie erhalten.«
»Von wem ist er?« fragte Adeline, ohne aufzusehen.
»Von Baron Kempten.«
»Von …« Und sie riß ihr das Blatt aus der Hand; aber sie konnte nicht lesen, die Buchstaben tanzten ihr vor den Augen. »Lesen Sie mir vor, Luise.«
»Verschonen Sie mich damit, liebe, gnädige Frau, ich will Ihnen lieber den Inhalt in ein paar Worten mittheilen. Der Baron trägt mir seine Hand an.«
»Wer? wer trägt Ihnen seine Hand an?«
»Der Herr Baron von Kempten.«
Adeline gab keine Antwort, das Gesicht mit dem Tuche verhüllend, lag sie lautlos da, nur zuweilen hob ein krampfhaftes Schluchzen ihre gemarterte Brust.
»Kann ich Ihnen nichts geben, liebe, gnädige Frau? was ist Ihnen!« rief in großer Angst Luise.
Da richtete sich Adeline auf und ließ das Tuch von ihrem Gesichte sinken; aber Luise erschrak bei ihrem Anblick, denn die Baronin war um zehn Jahre plötzlich gealtert!
»Was werden Sie thun?« fragte sie mit einer Stimme, die Luise nicht wiedererkannte.
»Was ich thun werde? ach Gott, Sie erschrecken mich! – ich werde thun, was Sie mir rathen!«
Da schlug Adeline ein entsetzliches Lachen auf und rief dann mit herzzerreißender Stimme: »Nimm ihn hin, nimm ihn hin! Ich hatte ja zehn Jahre lang nicht den Muth, einer elenden Welt gegenüber mit einem Manne zu brechen, dem ich nur der Form nach angehörte. Zehn Jahre lang ließ ich ihn vergebens um Liebe flehen. Nimm ihn, nimm ihn, mir geschieht recht!«
Luise sagte aber erschrocken: »Da sei Gott vor! wenn es Sie schmerzt! Ich verdiene auch diesen Mann gar nicht!«
»Aber er liebt dich!«
»Weil Sie ihn zurückstießen.«
Adeline schüttelte mit dem Kopfe, Luise sagte aber begütigend und mit schönem Eifer: »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Sie haben recht gehandelt, daß Sie die am Altar gelobte Treue hielten. Baron Birkhofen wird es Ihnen vergelten – und sollte er es auch erst spät einsehen, welchen Schatz er in Ihnen besessen.«
»Birkhofen will sich von mir scheiden lassen!«
»Aus Eifersucht?«
»Nein, weil er dich heirathen will!«
»Mich! Ist er wahnsinnig?«
»Du hast nun die Wahl«, sagte Adeline bitter, »zwischen meinem ehemaligen Gemahl und meinem ehemaligen Anbeter! Ueberall muß ich dir weichen.«
Nach einer Pause, nur von Adelinens krampfhaftem Schluchzen unterbrochen, fragte Luise:
»Wenn ich Birkhofen heirathe, heirathen Sie dann Kempten?«
»Gutes Kind, du vergißt immer, daß Kempten dich liebt und – mich vergessen hat! Nein, nein, heirathe Kempten, und ich« – sagte sie bitter lachend – »versöhne mich mit Birkhofen.«
»Wirklich?«
»Nein, nein, für mich ist's aus – und ich weiß wirklich nicht, was ich mit mir selbst anfangen soll! Will mir Niemand den Gefallen thun und mir hierin einen guten Rath geben? Ich bin ganz überflüssig, ja, sogar hinderlich auf der Welt!«
Sie sagte das Alles, von kurzem krampfhaftem Lachen unterbrochen – Luisen wurde bange!
»O«, fuhr Adeline fort, »wie habe ich ihn geliebt! Aber tief, tief im Innern, Niemand sah es, nicht einmal er durfte einen Strahl dieser Sonne, die mein Inneres durchglühte, erhaschen!«
»Er wird es einsehen, und –«
»Kümmere dich nicht um mich und schreibe ihm dein Jawort.«
»Nein, ich werde ihm abschreiben und thue das leicht und freudig. – Nur Eines erschwert mir's: er wird mein Nein seinem ehrlichen Bekenntniß, daß er nur ein sehr kleines Vermögen besitzt, zuschreiben – er meinte, mit meinen und seinen bescheidenen Ansprüchen würden die Zinsen seines Vermögens wol hinreichen, uns in einem Winkel der Schweiz zu ernähren.«
Adeline sagte nichts mehr. Luise wollte sie leise verlassen. Als sie schon an der Thür war, winkte Adeline mit der Hand und deutete auf den Brief von Kempten, den Luise in der Hand hielt – sie wollte ihn dabehalten; Luise legte ihn zögernd auf den Tisch und ging.
Dieser Brief, den sie nach einer Stunde erst zu lesen im Stande war, beruhigte und versöhnte wenigstens ihr Gefühl, anstatt es zu verletzen, wie sie gefürchtet hatte. Kempten schrieb an Luise:
»Ich biete Ihnen meine Hand – aber mit dem vollen Bewußtsein, welche Thorheit es von Ihnen wäre, sie anzunehmen; denn es ist nicht die warm pulsirende Hand eines Jünglings, und nicht einmal die lebensmuthige eines Mannes, sondern nur die Hand eines lebensmüden Menschen, der in Ihnen die letzte Möglichkeit sieht, einen Theil seiner verlorenen Jugend wieder zu gewinnen. Ich habe meine beste Lebenszeit verschleudert mit Träumen und Lieben. Diese Liebe zu einer Frau, die keiner Gegenempfindung fähig, von jenem Tugendstolz durchdrungen, der den kalten Gemüthern so wohlfeil zu erringen ist, hat mich unendlich tief herab gestimmt – mir ist zu Muthe, als hätte ich mich zum Spielwerk misbrauchen lassen. Als mir zum ersten male die volle Sonne Ihrer frischen warmen, ungekünstelten Natur aufging, sah ich erst ein, wie diese Frau jeder natürlichen Empfindung unzugänglich war – ich verglich Sie beide im Geiste und nahm mir vor, die langgenährte Flamme meines Herzens auszulöschen. Erst später als mir das schon lange gelungen schien, erwachte das Bedürfniß, Sie selbst zu lieben, und lassen Sie mich's gestehen, geliebt zu werden. Vermögen Sie das – aber ich fodere viel, ich fodere ein ungetheiltes heißes Herz in der Einsamkeit, eine ungetheilte Aufmerksamkeit und Treue für ewig – können Sie das, so folgen Sie mir dahin, wo ich mein erobertes Glück, meine wiedergewonnene Jugend verbergen will.«
Adeline las nur bis dahin, aber sie fühlte sich beruhigt – er hatte sie nicht ganz vergessen gehabt – er hatte ihr nur gezürnt, und mit gehobenem Muth brachte sie das Opfer ihrer Liebe.
Sie schrieb an Luisen ein paar Zeilen und bat sie dringend und inständig, doch Kempten noch heute ihr Jawort zu geben. Dann empfing sie Birkhofen, der gehört, daß sie schon heute sein Haus verlassen wollte, und sie bat, im Tausche gegen eines ihrer nahe gelegenen Güter ein Gut von ihm, das im Salzburgischen lag, anzunehmen, da es immer ein Lieblingsaufenthalt von ihr gewesen. Sie nahm das dankbar an und trennte sich ohne Groll, wie er gewünscht, von ihm. Ueber Luisen, da er selbst nicht von ihr sprach, sagte sie nichts, und billigte nur seine Absicht, sogleich in die Stadt zu gehen, um das Scheidungsgesuch einzureichen.
Die an Luisen gerichteten Zeilen brachte man ihr unerbrochen zurück. Luise war plötzlich abgereist und hatte nur folgende Zeilen an die Baronin zurückgelassen:
»Ich gehe mit dankbarem Herzen und tief gewurzelter Liebe und Verehrung zu Ihnen aus Ihrem Hause, um unter das Dach meines guten Vaters zurückzukehren, das ich wol nie hätte verlassen sollen! Sie werden von mir hören – bis dahin erhalten Sie mir das Gefühl, das Sie mir zuwandten, ehe ich noch in Ihr stilles, klares, mondgleiches Dasein verfinsternd und verwirrend getreten bin!«
Adeline ging noch an demselben Tage nach dem Salzkammergute, nachdem sie noch an Luisen geschrieben und ihr ihren Entschluß mitgetheilt und sie beschworen hatte, Kempten das Glück zu verleihen, das er von ihr erwarte.
Als Birkhofen erfuhr, daß Luise zu ihrem Vater zurückgekehrt sei, schrieb er dies nur ihrem Gefühle des Anstandes zu, weil Adeline das Haus verlassen, und schätzte sie um so höher.
Adeline lebte nun ein still zurückgezogenes Leben bei Salzburg auf ihrem Gute. Eine Schwester ihres Mannes, die über das Scheidungsgesuch ihres Bruders außer sich war und Adeline durch ihre eigene Liebe und Verehrung entschädigen wollte, hatte sie dahin begleitet. Es war ein beschränktes, aber äußerst gutmüthiges Geschöpf und ihre Gegenwart war ein wahres Glück für Adelinen, da diese denn doch an Einem Tage zu viel ertragen und gelitten und nach einigen Wochen an einer Hirnentzündung lebensgefährlich erkrankte. Monate gingen für sie im traumähnlichen Zustande hin, bis sie genesen war. Aber diese Krankheit war eine Wohlthat für sie; denn auch die Schmerzen ihres Gemüthes wurden mit dem schwachen Körper immer schwächer, und als das Fieber schwand, fühlte sie eine Ruhe über sich kommen, wie sie sie bei ihrer Ankunft hier für unmöglich gehalten.
Sie war nun frei. Birkhofen's Schwester überreichte ihr eines Tages weinend die Scheidungsacte, die sie ruhig lächelnd empfing, und ein paar Tage später einen Brief von Luise, worin ihr diese ihre noch geheime Verlobung mit – Birkhofen anzeigte. Sie schrieb:
»Glauben Sie nicht, verehrte Frau, daß ich aus Edelmuth für Sie mein Leben opfere. Als ich von Ihnen ging, sprach ich mit Kempten, und er sagte mir sehr offen, daß er jetzt tief bereue, mir seine Hand angeboten zu haben; denn je länger und tiefer die Ueberzeugung, daß Sie frei seien und ihn dennoch lieben könnten, bei ihm eindringe, je mehr fühle er, daß er Sie doch über Alles liebe und allein lieben könne. Seine Worte waren: ›Ein Mann liebt nicht hoffnungslos zehn Jahre eine Frau, ohne daß diese Liebe sich ins Mark seines Lebens verwachse. Adelinen ist mein ganzes vergangenes Leben verpflichtet, und im siebenunddreißigsten Jahre vermag man nicht mehr, die Vergangenheit von der Zukunft abzuschneiden, weil es die bessere Hälfte ist, und was nun kommt, ist, wenn auch nicht Schweigen, wie Hamlet bei seinem Tode sagt, aber doch Erinnern und Zurückschauen‹. Sie werden nun denken, weil mich Kempten nicht liebt, sei es nicht nöthig, daß ich Birkhofen heirathe; aber das ist die volle Wahrheit: Ihr früherer Gemahl gefällt mir und hat mir immer gefallen, freilich nur als der Mann einer Andern. Er ist außerordentlich gutmüthig, und an seiner Seite wird mir das reiche Glück des Gebens zu Theil. Ich kann für meinen Vater, für meine jüngern Geschwister sorgen, und ich werde es schon von ihm erbitten, daß er mir die Welt und ihre Schönheit etwas zeige. Er hat mir jetzt schon versprochen, mich künftigen Winter nach Paris zu führen. Ist das nicht allein schon für solch eine ›Feldblume‹, wie Sie mich immer nannten, der Mühe werth, einen Mann zu nehmen?«
Daß Kempten jene von ihr mitgetheilten Aeußerungen erst gethan, nachdem ihm Luise erklärt, daß sie den Baron heirathen werde, schrieb diese Letztere freilich nicht.
Adeline legte tief gerührt den Brief hin, denn sie durchschaute wohl des edlen Kindes Absicht und war durch alle lustigen Reden nicht über die Größe des Opfers, welches Luise ihr brachte, zu täuschen.
Kempten ließ nichts von sich hören. Dem Fräulein von Birkhofen schrieb eine Freundin, daß er eine Reise nach Spanien angetreten und vor Jahresfrist nicht zurückkehren werde.
Jede Frau muß aber einen Lebenszweck, eine Lebensaufgabe haben. Adeline hatte bisher ihr Leben mit der Freundschaft für Kempten ausgefüllt – jetzt war das aus – sie wandte sich jetzt ganz der Wohlthätigkeit zu. Hunderte von Kindern speiste, nährte und kleidete sie; denn wie alle echt weiblichen Gemüther hatte sie eine tiefe Liebe zu den kleinen »Menschenblumen«, wie sie sie nannte. Sie lebte höchst einfach, um ihr reiches Einkommen den Kleinen in großem Maßstabe zuwenden zu können. Sie hielt selbst Schule, sie opferte sich vollkommen auf.
Eines Winterabends, es war schon ganz dunkel, kam sie allein verspätet von einem Gange zu ihren Kleinen nach Hause. Schon von weitem sah sie die Fenster ihres Wohngemachs erleuchtet, aber statt Fräulein Birkhofen's einsamer Gestalt am Fenster neben dieser einen hohen Mannesschatten.
Das Herz schlug ihr – ihr war's, als könne nur er das sein. Als sie die Treppe hinaufstieg und ihr Diener ihr den Mantel im Vorzimmer abnahm, erkannte sie auch seine Stimme. Sie blieb nun stehen und hatte nicht die Kraft, weiter zu gehen. Da öffnete er die Thür, das Fräulein blieb drin, der Diener war schon wieder auf dem Corridor – sie stand ihm allein gegenüber.
»Adeline! hast du mir vergeben?«
Sie wollte ihm nicht entgegengehen; nein, sie wollte ihm kalt die Hand reichen und vornehm sagen: »Willkommen, lieber Baron!«
Aber, du lieber Gott! das konnte sie nicht! Sie hatte nicht mehr dieselbe Kraft wie damals im Hause ihres Gemahls. Sie sank an sein Herz, sie umfaßte mit beiden Händen seinen Hals und schluchzte: »Karl, ach Karl, daß du wieder bei mir bist!«
Wie rührte ihn das so unaussprechlich! Liebesworte aus dem Munde der Frau, die er unfähig erklärt, Liebe im Herzen zu hegen und noch viel weniger sie über die Lippen zu bringen! Thränen traten ihm in die dunkeln Augen, und er konnte nur sagen: »Dank, tausend und tausend Dank!« Er küßte ihre Hände, ihre Stirn – ihr schöner, feiner, vom Schmerz herabgezogner Mund war ihm noch zu heilig!
Sie wurden ein Paar, wenn je zwei Menschen diesen Namen verdienen – ganz Gleiches haben ja nie Zwei empfunden, gedacht, gestrebt.
Einige Jahre darauf machten sie eine Reise und kamen durch München. Da kam ihnen eine schöne, große Frau, an jeder Hand einen blühenden Knaben, entgegen. Es war Luise! Sie erkannten sich gegenseitig sogleich. Wie freute sie sich, Adeline am Arme Kempten's zu sehen!
»Das ist«, rief sie, »die größte Freude nach der Freude über diese da! Sehen Sie meine prächtigen Kinder!«
»Sie gleichen Ihnen«, sagte Kempten herzlich, »sie haben Ihre schönen kornblumenblauen Augen!«
»Ja, es sind auch kleine Feldblümchen«, sagte lachend Luise, die heiter und blühend aussah. »Eine Demüthigung kann ich aber Ihrer Frau nicht ersparen, ich muß ihr sagen, daß ich mit Birkhofen, den sie immer für so eigensinnig erklärte, vortrefflich auskomme. Die Leute behaupten zwar, er stände unter meinem Pantoffel; er behauptet aber, glücklich zu sein, und sagt mir das alle Tage. Ich glaube, Ihre Frau war zu gut für ihn.«
Adeline drückte ihr die Hand und sagte weich: »Sie sind viel besser als ich!«
»Warum nicht gar! Aber sehen Sie meine Kinder! Meine beiden jüngsten Geschwister sind auch bei mir; dann bin ich eine große Landwirthin geworden und vollkommen in meinem Element. Uebrigens glauben Sie nicht«, sagte sie, sich zu Kempten wendend, »daß ich so ganz bildungsunfähig bin. Ich habe mir für den Winter, den wir jetzt auch immer auf dem Lande zubringen, eine große Bibliothek angeschafft, Birkhofen mußte mir jährlich eine Summe dazu anweisen – dort kommt er, wir wollten uns hier treffen.«
»Dann leben Sie wohl«, sagte Adeline und küßte die Feldblume auf den rothen rosigen Mund. »Gott segne Sie – Ihrem Manne und Ihren Kindern zur Freude und zum Trost!«
Dann ging sie rasch mit Kempten in die nächste Straße; denn ihr richtiges Gefühl sagte ihr, daß es für Kempten ebenso empfindlich sein müsse, jetzt mit Birkhofen zusammen zu treffen, wie es ihr peinlich und verletzend war, am Arme ihres zweiten Mannes dem ersten gegenüber zu stehen. Luise sah ihr freudig lächelnd nach und dieser Augenblick entschädigte sie für Alles, was ihr junges, heroisches Gemüth sich vielleicht zu viel auferlegt!
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