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Die beiden Mädchen setzten Alan Tasburgh in seinem Klub ab und lenkten das Auto nach dem Chelsea-Viertel. Dinny hatte nicht gedrahtet, sie verließ sich auf ihr gutes Glück, Angela zu treffen. Als sie das Haus in der Oakley Street erreichten, stieg sie aus und klingelte. Eine ältliche Hausgehilfin öffnete mit verstörter Miene.
«Mrs. Forest zu Hause?»
«Nein, Miß, Hauptmann Forest.»
«Was, Hauptmann Forest?»
Das Mädchen spähte nach rechts und links und sprach dann leise in hastigem Ton: «Jawohl, Miß; der Schreck ist uns in alle Glieder gefahren, wir wissen nicht, was wir anfangen sollen. Zur Lunchzeit kam plötzlich Hauptmann Forest herein, wir hatten nicht die leiseste Ahnung. Die gnädige Frau war nicht daheim. Sie erhielt ein Telegramm, aber Hauptmann Forest hat es übernommen. Und zweimal hat sie jemand telephonisch zu sprechen verlangt, wollte aber keine Botschaft hinterlassen.»
Dinny rang nach Worten: «Was – was für einen Eindruck macht er denn?»
«Weiß wirklich nicht, Miß. ‹Wo ist die gnädige Frau?› hat er gefragt, kein Wort weiter. Er sieht soweit ganz normal aus, weil wir aber so gar keine Ahnung hatten, haben wir Angst. Die Kinder sind zu Hause, aber wir wissen nicht, wo die gnädige Frau ist.»
«Einen Augenblick!» sagte Dinny und ging zum Auto zurück.
«Was ist los?» fragte Jeanne beim Aussteigen.
Die beiden Mädchen besprachen sich rasch auf der Straße, die Hausgehilfin sah ihnen von der Tür aus zu.
«Ich muß Onkel Adrian aufsuchen», erklärte Dinny, «der Kinder wegen.»
«Tu das, ich geh inzwischen hinein und wart auf dich. Das Mädchen sieht ganz verstört drein.»
«Er war, glaub ich, oft gewalttätig, Jeanne. Vielleicht ist er jetzt entsprungen.»
«Nimm das Auto, mir wird nichts passieren.»
Dinny drückte ihr die Hand: «Ich nehm ein Taxi, dann hast du das Auto zur Hand, wenn du fort willst.»
«Gut! Sag dem Mädchen, wer ich bin, dann verschwinde. Es ist schon vier.»
Dinny sah zum Haus empor, da gewahrte sie plötzlich ein Gesicht im Fenster des Speisezimmers. Sie hatte Hauptmann Forest erst zweimal gesehn, erkannte ihn aber augenblicklich wieder. Man vergaß sein Gesicht nicht so bald, es war, als lodere hinter diesen Zügen ein Feuer. Ein scharf geschnittenes, hartes Gesicht, mit kurz gestutztem Schnurrbart, breiten Backenknochen, dichtem, leicht ergrautem Haar und stahlhellen, flackernden Augen. Jetzt starrten diese Augen sie an, so unstet und angestrengt, daß sie gequält zur Seite blickte.
«Sieh nicht hinauf! Da ist er – hinterm Fenster!» sagte Dinny zu Jeanne. «Er sieht ganz normal aus, ist sorgfältig gekleidet, nur seine Augen – gehn wir lieber beide weg, oder bleiben wir beide hier.»
«Sei unbesorgt, ich weiß mir schon zu helfen. Fahre du nur fort!» Und Jeanne trat ins Haus.
Dinny eilte fort. Dieses plötzliche Wiederauftauchen eines Mannes, den alle für hoffnungslos geisteskrank gehalten, war beunruhigend. Sie wußte nichts von den näheren Umständen seiner Internierung, überhaupt nichts, nur daß Angela vor seinem völligen Zusammenbruch furchtbare Zeiten mit ihm durchgemacht hatte. Nun dachte sie sogleich an Adrian; der war gewiß der einzige, der näher Bescheid wußte. In ihrer Angst schien ihr die Fahrt endlos. Sie traf ihren Onkel, als er eben das Museum verlassen wollte, und erzählte ihm hastig den Vorfall. Entsetzt starrte er sie an.
«Weißt du nicht, wo Angela ist?» fügte sie hinzu.
«Heut abend sollte sie bei Fleur und Michael dinieren. Ich wollte auch hingehn. Wo sie jetzt ist, weiß ich nicht. Fahren wir gleich in die Oakley Street zurück. Ein Blitz aus heiterm Himmel!»
Sie stiegen ins Auto.
«Könntest du nicht in die Irrenanstalt telephonieren, Onkel?»
«Das wag ich nicht auf eigene Faust, vorher muß ich mit Angela sprechen. Er sieht normal aus, sagst du?»
«Ja, bis auf die Augen – aber diesen seltsamen Blick hat er, wenn ich mich recht entsinne, immer gehabt.»
Adrian fuhr sich an den Kopf. «Grauenhaft! Meine arme Angela!»
Dinnys Herz krampfte sich zusammen – er und die Frau taten ihr so leid.
«Und wie grauenhaft», fuhr Adrian fort, «daß die Heimkehr des armen Teufels so auf uns wirkt. O du mein Gott! Ein schwerer Schlag, Dinny, ein schwerer Schlag.» Dinny drückte seinen Arm.
«Was bestimmt denn das Gesetz in solchen Fällen, Onkel?»
«Weiß der Himmel! Angela hat sich nie ein Attest ausstellen lassen, sie wollte davon nichts hören. Man hat ihn als Privatpatienten aufgenommen.»
«Aber er konnte doch unmöglich nach Belieben weggehn, ohne daß man seiner Frau Nachricht gab?»
«Wer weiß, was da geschehen ist! Vielleicht ist er so verrückt wie nur je und in einem lichten Augenblick davon. Doch was wir auch tun» – Dinny war von seiner Miene bei diesen Worten ergriffen –, «wir müssen an ihn genau so denken wie an uns selbst. Wir dürfen es ihm nicht noch schwerer machen. Armer Forest! Sorgen, Krankheit, Armut, Laster, Verbrechen – sag, was du willst, Dinny, nichts von all dem ist für die Betroffenen auch nur halb so tragisch wie der Wahnsinn.»
«Onkel» fragte Dinny, «was wird denn nachts –?»
Adrian stöhnte. «Davor müssen wir sie irgendwie zu bewahren suchen.»
Vor der Oakley Street stiegen sie aus dem Auto und schritten zur Tür …
Beim Eintritt hatte Jeanne dem Mädchen erklärt: «Ich bin Miß Tasburgh. Miß Dinny ist Mr. Cherrell holen gegangen. Ist das Empfangszimmer oben? Ich möchte dort warten. Hat er die Kinder schon gesehn?»
«Nein, Miß, er ist erst seit einer halben Stunde hier. Die Kinder sind mit Mademoiselle oben im Schulzimmer.»
«Dann werd ich in ihrer Nähe bleiben», erklärte Jeanne. «Führen Sie mich hinauf!»
«Soll ich mit Ihnen warten, Miß?»
«Nein, halten Sie nach Mrs. Forest Ausschau und melden Sie ihr gleich alles.»
Das Mädchen warf ihr einen bewundernden Blick zu und ließ sie im Empfangszimmer zurück. Jeanne öffnete ein wenig die Tür und blieb horchend stehn. Kein Laut. Mit leisen Schritten begann sie zwischen Fenster und Tür auf und ab zu wandern. Wenn sie Angela kommen sah, wollte sie zu ihr hinunterlaufen, wenn Forest herauskam, zu ihm auf den Flur hinaustreten. Ihr Herz schlug etwas schneller als gewöhnlich, doch nervös erregt schien sie nicht. Eine Viertelstunde war sie so hin und her gegangen, da vernahm sie hinter sich ein Geräusch – als sie sich umwandte, sah sie Forest im Zimmer stehn.
«Ah!» rief sie, «ich warte auf Mrs. Forest. Sind Sie Hauptmann Forest?»
Die Gestalt verneigte sich. «Und Sie?»
«Jeanne Tasburgh. Sie kennen mich wohl nicht?»
«Wer war vorher mit Ihnen hier?»
«Dinny Cherrell.»
«Wo ist sie hingegangen?»
«Sie will einen ihrer Onkel aufsuchen, scheint mir.»
Forest stieß einen seltsamen Laut aus – fast ein Lachen. «Adrian?»
«Möglich.»
Seine hellen, flackernden Augen glitten durch den geschmackvoll ausgestatteten Raum. «Hier ist's schöner denn je», meinte er. «Ich war längere Zeit fort. Sie kennen meine Frau?»
«Während eines Besuches bei Lady Mont machte ich ihre Bekanntschaft.»
«In Lippinghall? Ist Angela wohlauf?»
Gierig, hart klangen diese Worte.
«Und schön?»
«Sehr schön.»
«Danke.»
Jeanne sandte ihm unter den langen Wimpern hervor einen prüfenden Blick zu, doch vom Scheitel bis zur Sohle war an ihm nicht das mindeste zu merken, was auf Geistesgestörtheit schließen ließ. Er sah aus wie ein Soldat in Zivil, und das war er ja auch. Zurückhaltend, sorgfältig gekleidet – nur diese Augen, diese sonderbaren Augen!
«Seit vier Jahren hab ich meine Frau nicht gesehn», erklärte er, «ich will beim Wiedersehn mit ihr allein sein.»
«Ich gehe», erwiderte Jeanne und wandte sich zur Tür.
«Nein!» Erschreckend unerwartet stieß er es hervor. «Bleiben Sie!» Er vertrat ihr den Weg.
«Warum?»
«Ich selbst will ihr als erster sagen, daß ich zurück bin.»
«Begreiflich.»
«Sie bleiben also!»
Jeanne trat ans Fenster zurück. «Wie Sie wünschen», erwiderte sie. Schweigen.
«Hat man Ihnen schon von mir erzählt?» fragte er plötzlich.
«Sehr wenig. Ich weiß, daß Sie nicht ganz gesund waren.»
Er kam näher. «Können Sie mir etwas anmerken?»
Jeanne sah empor, ihr Blick hielt seinem stand, bis er die flackernden Augen abwandte.
«Gar nichts. Sie sehn vollkommen gesund aus.»
«Bin es auch. Setzen Sie sich, bitte!»
«Danke.»
Jeanne nahm Platz.
«So ist's recht», meinte er. «Behalten Sie mich im Auge!»
Jeanne starrte ihre Fußspitzen an. Und wieder brach Forest in jenes unheimliche Lachen aus.
«Sie sind gewiß noch nie irrsinnig gewesen. Hätten Sie sich je in meiner Lage befunden, dann wüßten Sie, wie scharf einen jeder im Auge behält, und wie mißtrauisch man selbst jeden ins Auge faßt. Jetzt muß ich hinunter. Auf Wiedersehn!»
Rasch wandte er sich um, ging hinaus und schloß hinter sich die Tür, Jeanne blieb ruhig sitzen, sie glaubte, er werde bald zurück sein. Sie hatte das Gefühl, sie habe den kürzern gezogen, und spürte am ganzen Leib ein seltsames Prickeln, als sei sie einem Feuer zu nahe gekommen. Er hatte die Tür hinter sich zugemacht, Jeanne stand auf, sie wieder zu öffnen. Sie war versperrt. Jeanne blieb stehn und starrte auf die verschlossene Tür. Was tun? Läuten? An die Tür trommeln und die Hausgehilfin herbeilocken? Sie beschloß, beides zu unterlassen, trat ans Fenster und spähte die Straße hinab. Dinny mußte bald zurück sein, dann konnte sie rufen. Ganz kaltblütig überdachte sie nochmals ihre Lage. Er hatte sie eingesperrt, weil er nicht wünschte, daß ihn jemand beim Wiedersehn mit seiner Frau störe. Gegen jedermann hegte er Argwohn, nur zu begreiflich! Als Geisteskranker eingesperrt zu sein – ihrem jungen, harten Sinn dämmerte die Ahnung auf, wie einem dabei zumut sein mochte. Armer Mensch! Sie fragte sich, ob sie durchs Fenster entkommen könne, ohne Aufsehn zu erregen, hielt es für unmöglich und spähte wieder nach den Befreiern. Plötzlich durchlief sie ein Schauer, die Nachwirkung dieses Zusammenpralls. Diese Augen! Wie furchtbar, seine Frau zu sein! Sie öffnete das Fenster noch weiter und beugte sich weit hinaus …