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Der rote Glanz des Abends war über den Himmel ausgegossen, und träumerisches Leuchten wob sich um all das purpurne Laub des Herbstes. Sogar die dunklen Fichtenwälder hatten matten Rotschein.
Die linden Klänge einer Glocke, die drunten auf dem Thurm des Münsters geläutet wurde, mischten sich mit dem leisen Abendrauschen der Wipfel und mit dem Geraschel der fallenden Blätter.
Durch den Wald, in dem der alte Witting am Morgen den Schwamm aus der Buche geschnitten, stieg ein Einsamer bergwärts – Joß Friz, der Schwabe. Doch trug er nicht mehr die Tracht seiner Heimat, sondern war gekleidet wie einer der Bergbauern.
Da hörte er Schritte hinter sich, blieb stehen und wartete.
Der durch den Wald heraufkam, das war der Schmiedhannes. Um die Schultern trug er einen langen schwarzen Mantel mit einer Kapuze dran.
Forschend betrachtete Joß den hünenhaften Menschen. Auch der andere sah den Fremden mit mißtrauischen Blicken an; es schien ihm nicht sonderlich willkommen zu sein, daß er auf seinem Weg einen Menschen fand, von dem er nicht wußte, was von ihm zu halten war. Ohne Gruß wollte er vorüber gehen. Doch der Schwabe sprach ihn lächelnd an: »Guten Abend, Nachbar! Und Zeit lassen!«
Der Schmiedhannes guckte über die Schulter. »Guten Abend auch!« Nun standen die beiden wieder Aug in Aug, bis der Schmied mit groben Worten fragte: »Was schaust mich denn allweil an?«
»Ich schau halt, weil mir gefallen thust.« Nun redete Joß auch die Sprache der Bergbauern; kaum daß man noch ein wenig den Schwaben heraushörte. »Mannsleut, wie du eins bist, die wachsen nicht jeden Tag. Hast Schmalz in den Knochen!«
Geschmeichelt lachte der Schmied. »Wird wohl sein, daß im Thal kein Bursch und Bauer ist, der mich wirft.«
»Gott soll's verhüten, daß du deine feste Kraft gebrauchen thätest wider einen Bruder im Land.« Ganz langsam hatte Joß gesprochen. Und nun lächelte er wieder. »Aber wär ich ein Herr, der dir einmal zu weh gethan hat ... dir möcht ich zur Nachtzeit und im Holz nicht gern allein begegnen.«
Der Schmiedhannes hob den Kopf und machte die kleinen Augen noch kleiner. Dann sah er sich vorsichtig nach allen Seiten um und fragte mit gedämpfter Stimme: »Du? ... Wer bist?«
»Dein Bruder in der Not.«
»So notig geht's mir nicht! Hab mehr zu schaffen, als mir lieb ist, und hab zu beißen, daß ich nicht hungern muß.«
Joß lachte. »Bist gar ein Herr?«
»Bis zum Herren hab ich noch weit.«
»So weit, wie das Elend zur Freud hat, gelt?«
Der Schmied trat näher und sah dem andern mit zweifelnder Unruh in die Augen. »Wer bist? Oder hast keinen Namen?«
»Ein Nam ist wie das Rauhe an der Nuß. Der Kern muß schmecken.«
»So? ... Und wohin denn heut noch?«
»Könnt sein, wir gehen den gleichen Weg?«
Hannes lachte. »So mußt ein Schmied sein und mußt schauen wollen, wie viel Eisen der Dürrlechner in der Gern droben zu seinem neuen Wagen braucht.«
»Hast recht, will schauen, wie viel Eisen der Bauer braucht im Land, daß ihm der notige Wagen besser zieht.« Die Stimme des Schwaben wurde leiser. »Aber du, Bruder Schmied, bist gescheider als ich ... hast dir den Mantel mit der Gugel mitgenommen, die dein Gesicht auf dem Heimweg bergen soll.«
Mißtrauisch wich der Schmiedhannes einen Schritt zurück. »Ich hab den Mantel, weil's kalt wird in der Nacht.«
Der funkelnde Blick des Schwaben bohrte sich in die Augen des Schmiedes, während er lächelnd sagte: »Freilich, die zum Dürrlechner kommen, die frieren alle.«
Schweigend machte der Schmied eine Bewegung, als möchte er sich der Gewalt dieses Blickes entziehen.
Da wurde der Fremde ernst, und jeder Zug seines Gesichtes schien wie in Stein verwandelt. »Führ mich! Ich trag in meinem Kittel ein Feuer, an dem sich wärmen soll, wer frieren muß.«
»Bauer,« stammelte der Schmiedhannes, »wer bist?«
Doch Joß, ohne Antwort auf diese Frage zu geben, umklammerte den Arm des Schmiedes mit eisernem Griff. »Wieviel kommen zum Dürrlechner?«
Nicht dieser starken Faust, sondern der zwingenden Gewalt dieses funkelnden Blickes gehorchte Hannes und flüsterte: »Über die zwanzig sind verbrüdert.« Aber das Wort schien ihn zu reuen, kaum es gesprochen war, denn er fügte stotternd bei: »Zur heimlichen Klag halt, weißt! Und daß einer den andern trösten mag. Ein schieches Ding, oder was ein Unrecht wär, hat keiner im Sinn.«
»Zwanzig sagst? ... Und wortfeste Leut?«
Der Schmied zögerte eine Weile, bevor er zur Antwort nickte.
»So komm! Denen will ich ein Wörtl sagen, das dem notigen Kunrad in seinem Elend zu Nutz und zum Guten sein soll.« Joß gab den Arm des Schmieds frei und machte ein paar Schritte. Doch Hannes blieb wie angewurzelt stehen, als wäre ihm die Sache nicht ganz geheuer – seit der Fremde den Blick von ihm gewendet hatte, schien er wieder seinen eigenen Willen zu haben. Joß lächelte und kam zurück. »Traust mir nicht?«
»Ich trau schon, aber ...«
»Aber wissen möchtest, wer ich bin?«
»Sag's, und ich trau.«
»Ich steh in Klosterdienst, bin Schlepper im Salzwerk am Goldenbach, heiß Häfeler-Basti, und der Salzmeister Humbser hat mich eingedinget. Und schau, ich hab für den Heimweg einen Mantel so gut wie du.« Joß griff in die Tasche seines Kittels und nahm eine Handvoll Kohlstaub heraus. »Schau her ... der deckt mein Gesicht noch besser wie dich die Gugel.« Er ließ den schwarzen Staub wieder in die Tasche gleiten und säuberte die Hand am Moos des Bodens. Als er sich wieder aufrichtete, fragte er leis: »Hast nie noch gehört vom neuen Wesen?«
Der Schmied nickte. »Wir müssen von Herren und Pfaffen bald genesen!« Und Seite an Seite stiegen die beiden durch den Wald hinauf. Der letzte Glanz des Abends begann schon zu erlöschen und blaue Dämmerung wollte kommen, als sie die offene Rodung auf der Gern erreichten. Zwischen den Kronen der halbentblätterten Birnbäume und versunken hinter hohen Flechtzäunen sah man sieben niedere Schindeldächer mit rauchenden Schornsteinen, jedes Lehen vom andern durch Wiesen und Stoppelfelder getrennt.
Hinter einem Flechtzaun, an dem die beiden vorübergingen, schlug ein Hund an und rannte kläffend am Zaun entlang; man hörte das Geklapper des Holzscheites, das ihm an den Hals geknebelt war.
Joß blickte über den Karrenweg hinauf. »Welches ist das Dürrlehen?«
»Ganz droben das letzte.« Der Schmied blieb stehen und flüsterte: »Ich muß dich was fragen, du! ... Vom Salzmeister geht die heimliche Red, daß er Martinisch ist ... bist du's auch?«
Joß zögerte mit der Antwort. »Ich bin bäurisch.«
»Ist das auch ein Glauben?«
»Für den Bauren der best. Mein Glauben ist, daß der arme Schaffer das besser Recht ans Leben hat wie der faule Herr. Und kommt's einmal, daß einer wie der ander ist, daß jeder sein Haus in Freiheit als Eigen hat und in Frieden schaffen kann für Weib und Kind, so ist der Himmel auf der Welt und Gott ist nimmer weit. Da braucht der Bauer gar viel nimmer glauben.«
Hannes kniff die Augen ein und lachte. »So hört man in jetziger Zeit gar oft einen reden, der's anders meint. Aber sei Martinisch oder Päpstisch, mir ist's gleich. Mein Kirchthor ist das Maul und mein Tabernakel ist der Magen.«
»Bist ein lieber Christ, du!« sagte der Fremde trocken. »Aber wenn's dir gleich ist, warum fragst mich denn?«
»Weil ich dir einen guten Rat vermein'. Bist der erst nicht, der das Feuer unter dem Kittel tragt und von auswärts kommt und ein Loswort umbietet unter den Leuten. Aber willst beim Dürrlechner ein Wort zum Guten reden, so laß die evangelischen Sprüch unterwegs! Unsre Bauren im Land, die hängen am alten Kreuz, wie die Kletten am Strumpf. Schimpf auf die Herren, und sie schimpfen mit. Sag: ein Wunder muß kommen und ihr Elend wenden ... und jeden hast in der Hand. Aber lutherisch reden ... da kampelst einen jeden wider den Strich. Drum sei gescheid und red ihnen ums Maul, wie's ihnen taugt! So hilfst der guten Sach und machst dir selber den trockenen Wecken schmalzig.«
Mit funkelndem Blick sah Joß seinen Weggesellen von der Seite an. Und sagte kein Wort. Erst nach einer Weile, als sie am zweiten Gehöft schon vorüber waren, fragte er: »Welches Lehen ist dem alten Witting seins?«
»Gleich das ander da.«
Joß musterte den Flechtzaun, der ein sauber gezimmertes Thor hatte und besser gehalten war, als die Zäune der anderen Lehen. »Kommt der Witting auch?«
»Diemal kommt er, diemal bleibt er aus. Thät er heut fehlen, so wär mir's lieber! Der ist von den Fürsichtigen einer. Und ist ein Vogel nicht schon gerupft, so meint er, den soll ein anderer fangen. Und sagt: die Zeitläuft könnten besser sein, aber träglich sind sie allweil noch. Und von den Herren redet er wie von geweihter Sach. Ich hab schon hundertmal gesagt: den soll man davon lassen. Aber ein paar sind da, wie der Stiedler und der Etzmüller ... bei denen ist's allweil die erste Frag: wo bleibt der Witting?«
»Wie der Alt ist, weiß ich nicht. Aber seinen Buben hab ich gesehen ... wenn der heut käm, der wär mir recht!«
»Geh, der! So ein träumiger Lapp!«
»Der Tag ist auch träumig, ehvor die Sonn aufgeht. Man sieht's dem Buben an: das ist einer, der ein Heiligs in seinem Herzen gar heilig tragen thät.« Ganz leis, als wär' es nicht für den andern gesagt, sprach Joß vor sich hin: »Einen solchen müßt man haben! Lichte Jugend und rechter Glauben, das ist wie ein Fähnlein.«
Hinter dem Flechtzaun des Wittinglehens lärmte ein Hund, und man hörte die Stimme Julianders: »Geh, Narro, was hast denn?« Das Gebell des Hundes verstummte und am Zaunthor klapperte der hölzerne Riegel.
»Da schau,« lachte der Schmiedhannes und deutete auf das Thor, das sich öffnete, »wenn man eins nennt, so kommt's gerennt.«
»Guten Abend, Leut!« grüßte Juliander.
Joß besann sich einen Augenblick. Dann ging er, obwohl ihn der Schmiedhannes zurückhalten wollte, auf den jungen Burschen zu und flüsterte: »Kommet zum Dürrlechner, du und dein Vater! Es soll ein Wörtl geredet werden, das zum Guten ist.«
Juliander erkannte den Schwaben wieder, musterte verwundert die geänderte Tracht des Fremden und lächelte. »Schau nur, der Apfel ist eine Birn geworden.«
»Hast recht, Bub,« sagte Joß mit ruhigem Ernst, »von denselbigen Birnen eine, die man auf dem Walserfeld vom alten Birnbaum schüttelt.« Einen Gruß nickend ging er davon.
Betroffen, mit träumenden Augen, sah ihm Juliander nach. Das wußte er seit den Kinderjahren, wie es alle wußten im Thal, als eine schlummernde Hoffnung ihres mühsamen Lebens: daß auf dem Walserfeld bei Salzburg ein dreihundertjähriger Birnbaum steht, dessen Same dem Kaiser Rotbart aus dem Mantel gefallen ist; und wenn einmal die Raben schweigen auf dem Untersberg, so kommt der gute Kaiser mit seinen tausend Helden aus dem Berg geritten, hängt seinen goldenen Schild in das Gezweig des Birnbaums und richtet in der Welt den ewigen Frieden auf und das gleiche Recht, allen Leidenden zum Trost, allen Bedrückten zum fröhlichen Heil.
Die leuchtenden Bilder dieser Sage schwammen vor Julianders Augen. Doch sein Herz, das an diesem Tag noch anderes zu sinnen hatte, konnte sich nicht festklammern an diesen Schimmer. Mit zerstreutem Lächeln schüttelte er den Kopf und murmelte: »Was die Leut doch alles reden!«
Er schloß das Thor und blickte so seltsam verloren umher, als sähe er Haus und Garten zum erstenmal.
Es war ein geräumiger Hof, und sauber gehalten. Ein Brunnen plätscherte, und aus dem Stall tönte das leise Kettengeklirr der Rinder. In dem kleinen Gemüsegarten blühten am Saum der Beete noch ein paar Blumen des Herbstes, gesprenkelte Nelken und bunte Astern. Ein Wiesgarten mit Obstbäumen – darunter ein mächtiger Nußbaum, an dessen Stamm ein Leiterchen hinaufführte zu einer in die Zweige eingebauten Kanzel – umzog die Scheuer und das Haus. Etwas besseres als eine Hütte, die vor Sturm und Regen schützte, war dies Haus wohl auch nicht. Aber der lückenlose Schindelbelag des Daches, das reine und frische Weiß des von braunen Balken durchschränkten Gemäuers und die kindlichen Malereien an Thür und Fensterstöcken verrieten die sorgende Liebe, mit der drei Menschen an dieser Wohnstätte hingen, die nicht einmal ihr eigen war. Das Gelüst eines klösterlichen Waffenknechtes, der sich zur Ruhe setzen will, eine Laune des Propstes – und dieses Haus gehörte einem andern. Und dunkel, wie die Zukunft dieser Wohnstatt, schleierte sich der sinkende Abend um das niedere Dach.
Die Thüre, die vom Hof in die große Herdstube führte, stand offen. Den dämmrigen Raum, halb Zimmer und halb Küche, erfüllte das rote Geflacker des Feuers. Josef saß auf dem Herdrand, und Maralen spülte das Geschirr, das man zur abendlichen Mahlzeit gebraucht hatte. Sie sprachen flüsternd miteinander, von ihrem Glück, von ihrer Sorge – sie sprachen langsam und beklommen, mit zögernden Pausen, als läge auf ihnen ein Druck, der die rechte Freude nicht aufkommen ließ. Als sie wieder einmal ein Weilchen geschwiegen hatten, fragte Josef: »Was meinst denn, daß er hat, der Vater, weil er gar so ungut ist zu mir?«
»Da bildest dir was ein, was gar nicht ist,« sagte Maralen, und die Stimme zitterte ihr ein wenig. »Was soll er denn haben gegen dich? Schau, mußt halt denken ...« Sie verstummte, denn Juliander war eingetreten.
»Wo ist der Vater?« fragte er.
»In der Kammer.«
Juliander trat in einen kleinen niederen Raum, den zwei Kotzenbetten mit plump gezimmerten Gestellen fast ganz erfüllten. Es blieb gerade noch Platz für zwei Stühle und einen Kasten. Als Tisch diente das Gesimsbrett der tiefen Fensternische.
An diesem Fenster saß der alte Witting, beim letzten Dämmerlicht des Abends über ein mit großen Schriftzeichen bedrucktes Blatt gebeugt, welches aus einem Buche herausgerissen schien. Bei Julianders Eintritt verbarg der Alte das Blatt unter seinem Kittel.
»Vater, da ist der Schmiedhannes mit einem vorbeigegangen, den ich am Morgen schon auf dem Kirchplatz gesehen hab. Und der hat gesagt, wir sollten zum Dürrlechner kommen, es thät ein Wörtl geredet werden, das zum Guten wär.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Geredet ist schon viel worden, und ist allzeit ohne Nutz gewesen. Und das ewige Schimpfen auf die Herren, das mag ich nimmer hören ... schon gar, wenn der Schmiedhannes dabei ist. Wir bleiben daheim.«
»Ist mir auch lieber! Setz ich mich noch ein Stündl auf den Nußbaum und schau zum See hinaus.« Juliander wollte schon die Stube verlassen. Da sagte er noch: »Und vom Kaiserbaum auf dem Walserfeld hat er geredet ... als ob er der Mann wär, der die guten Birnen schütteln könnt.«
»Da wird wohl ein anderer kommen müssen! Im Untersberg hat sich noch allweil nichts gerührt, und die Rappenvögel sterben so bald nicht aus. Laß gut sein, Bub! ... Und schick mir den Josef herein!«
Juliander ging. Nach einer Weile trat der junge Knappe in die Kammer und sah den Alten an, als hätt' er Sorge, daß es zu harten Worten kommen würde. »Vater, was willst?«
Witting sah nach der Thüre, ob sie geschlossen wäre. Dann zog er das zerknitterte Blatt aus dem Kittel und strich es auf dem Fenstergesimse glatt. »Josef ... lies einmal, was da auf dem Blattl steht! Es muß an dem Blattl was nicht richtig sein. Von den sächsischen Häuern im Salzwerk einer, der hat mir's gegeben und hat gesagt, ich soll's keinem anderen zeigen, dem ich nicht trau.«
Josef lächelte, als hätte ihm der Alte ein herzliches Wort gesagt. »Und mir, Vater ... mir traust?«
Ganz erstaunt sah der Bauer ihn an. »Aber Bub! Wie soll ich dem nicht trauen, dem ich mein Kind geb? Vertrau dir ja doch mein Bestes an.«
»Hab schon gemeint, du hast was gegen mich, weil den ganzen Tag heut soviel zwidrig gegen mich gewesen bist.«
Der Alte lächelte wehmütig und legte dem Knappen die Hand auf die Schulter. »Schau, Bub, je lieber das Mädl hast, umso mehr mußt wissen, was ich verlier. Und daß ich ein bißl brummlig bin gegen den, der mir so viel nimmt, das darfst mir doch nicht für übel halten.«
Jetzt lachte Josef. »Wenn's nichts andres ist, so brumm halt, soviel wie du magst. Jede ungute Red zu mir soll mir ein Wörtl sein, das die Maralen lobt.«
Auch der Alte schmunzelte. »Gieb acht, die lob ich noch oft! Aber wie's auch herauskommt aus mir ... schau, mach dir nichts draus und freu dich an deinem Glück! Ich weiß, du bist ein rechtschaffener Bursch, und muß ich mein Kindl schon hergeben, so geb ich's keinem andern lieber als dir.« Sie schüttelten sich die Hände. »So, und jetzt schau dir das Blattl an! Mit dem Buben, der soviel jung und träumig ist, mit dem mag ich nicht reden drüber, weil der Häuer so gethan hat, als wär was Heimliches an dem Blattl. Jetzt lies einmal und sag mir, warum man so ein Blattl verstecken muß?«
Josef bückte sich beim grauen Licht des Abends über das Blatt, und langsam buchstabierend begann er zu lesen: »In Gott sei ruhig, meine Seele, denn von ihm kommt meine Hoffnung. Nur er ist mein Fels und meine Hilfe, die nicht wanket.«
Immer nickte Witting mit dem grauen Kopf, als wollte er sagen: »So hab ich's auch gelesen.«
»Bei Gott ist meine Hilf und meine Ehr, der Fels meiner Kraft, und Gott ist all mein Schutz. Vertrau auf ihn zu jeder Zeit, o Volk! Schüttet aus vor ihm euer Herz, Gott ist unser Schutz ...« Josef richtete sich auf, obwohl er das Blatt noch nicht zu Ende gelesen hatte.
»Gelt,« sagte Witting, »jedes Wort ist gut und heilig! Warum denn soll man das Blatt verstecken müssen?«
»Das Blattl kenn ich, Vater,« flüsterte Josef. »Die sächsischen Häuer in Schellenberg, die haben das Buch gehabt und haben's zerschnitten und jedem Knappen drei Blätter ausgetheilt. Das gleiche Blattl, wie das da, hat der Bramberger gekriegt, mein Stollengesell, und hat mir's fürgelesen.«
»Und du? Wo hast denn die deinigen?«
»Die hab ich verbronnen ... weißt, weil mir 's Lenli allweil sagt: Gelt, thu nichts Heimlichs!«
»Verbronnen?« Witting nahm das Blatt vom Gesims und sah es an. »Warum muß man denn verbrennen, was gut und heilig ist?«
»Das Buch, aus dem die Blätter genommen sind, ist ein luthrisches Evangelibuch.«
»Jesus Maria!« Erschrocken warf Witting das Blatt auf das Gesims zurück. Und eine Weile war's still in der Stube, bis der Alte stotternd sagte: »Aber Bub, du hast doch selber gelesen. Das sind doch wahrhaftig gute und heilige Reden ... und in der Kirch, da predigen sie doch allweil: was der Luther schreibt, wär alles Teufelei und Gottesschimpf.«
»Sie sagen halt so.«
Wieder war Schweigen in dem kleinen dunkelnden Raum.
Da sagte Witting langsam: »Die geistlichen Herren, die so viel gelernt haben, die müssen wissen, warum sie's verbieten. Unsereins hat halt nicht den Verstand dazu. Komm, Bub, ich will das Blattl verbrennen!« Er nahm das Blatt, und sie traten hinaus in die Herdstube.
»Lenli?« rief Josef, als er das Mädchen nicht fand. Da sah er sie draußen beim Brunnen und ging zu ihr.
Witting trat zum Herd und legte das Blatt auf die verglimmenden Kohlen. Ein gelblicher Rauch ging auf, ein Flämmlein züngelte.
»In Gott sei ruhig, meine Seele, denn bei Gott ist alle Hoffnung ...« flüsterte der Alte und streckte die Hand, als möchte er das Blatt noch aus dem Feuer reißen – doch in Glut sich krümmend zerfiel es schon zu Asche.
Der Alte setzte sich auf den Herd und sah den glimmenden Papierstäubchen nach, die wie kleine Leuchtkäferchen aus der Asche flogen und die Höhe suchten, als möchten sie Sterne werden – – –
Draußen am Brunnen standen Josef und Maralen, von der stillen Dämmerung umflossen. Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und flüsterte: »Jetzt hat der Vater grad so gut mit mir geredet und hat gesagt: er thät dich keinem andern lieber geben als mir.«
Da umklammerte sie seinen Hals und schmiegte sich an ihn, als wäre sie ihm jetzt erst ganz gegeben. Er fühlte das Zittern ihres Körpers, fühlte ihre Thränen an seiner Wange.
»Weil mir so weh ist um den Vater ... und weil ich so freudig bin in meinem Glück.«
Er schwieg und drückte sie fester an sich.
Langsam schritten sie in den Wiesgarten hinaus, manchmal ein Wörtlein flüsternd, dann wieder still.
In der Ecke des Gartens, unter einem Holunderbusch, dessen gelbes Laub auch in der Dämmerung noch leuchtete, war eine Bank. Hier blieben sie. Und sprachen kein Wort und küßten sich nicht. Wange an Wange gelehnt, schauten sie in ihr kommendes Glück.
Da klang die summende Weise eines Liedes, halb wie Schwermut und halb wie spielender Frohsinn. Und aus der Höhe kam's, als wäre die Stimme in den Lüften.
Zwischen den Ästen des Nußbaumes saß Juliander in der kleinen Kanzel, hielt die Hände um das Knie geschlungen und sang mit leiser Stimme in die Dämmerung hinaus:
»Mir ist ein schwarzbrauns Meidelein
Gefallen in den Sinn,
Wollt Gott, ich könnt heut bei ihr sein,
Mein Trauern wär dahin,
Kein Tag und Nacht hab ich kein Ruh,
Das macht ihr schön Gestalt;
Schier weiß ich nimmer, was ich thu,
Mich hat die Lieb in Gwalt.
Dem Meidlein dienen, wär mein Ziel,
Wenn sich das fügen könnt,
Da hätt ich wohl der Neider viel,
Weil's keiner mir vergönnt!
Vielleicht sie merkt's von ungefähr,
Wie treulich als ich's mein',
Thät auf der Welt nichts wünschen mehr,
Als allzeit bei ihr sein.
Damit will ich dem Meidelein
Gesungen haben frei,
Zur guten Nacht ein Liedelein,
All guten Wunsch dabei:
Sei, Meidlein, einem Englein gleich,
Das mich begnaden will,
Nimm auf mich in dein Himmelreich,
Ade ... nun schweig ich still.«
Und während er sang und summte, sah er hinaus übers Thal, sah in der Ferne die grauen Berge mit dunkel zerflossenen Wäldern und mit den steilen, schon vom ersten Schnee bedeckten Zinnen des Watzmann und der Watzmannkinder, sah in ferner Tiefe ein Stücklein vom Königssee, der einen letzten Schimmer des vergangenen Tages spiegelte, sah aus den Wiesengründen die Nebel dampfen, sah am dunklen Himmel das Geflimmer der ersten Sterne und schaute träumend hinaus in die blauende Nacht.
Als das Lied schon lange zu Ende war, saß er noch immer regungslos, mit halb geöffneten Lippen, als wär' auf ihnen noch ein Hauch der verklungenen Weise. Er schien nicht zu wissen, wie ihm die Zeit verging, und hörte nur plötzlich die Stimme der Schwester: »Julei! Der Josef geht.« Wie ein Erwachender fuhr er auf. Dann aber lachte er und glitt so hurtig über die steile Leiter hinunter, daß Maralen erschrocken aufschrie, weil sie meinte, er wäre von der Kanzel heruntergefallen.
Der Alte, der aus der Thür getreten war, sagte schmunzelnd: »Der Bub ist wie eine Katz. Die kannst von einem Kirchthurm werfen, und allweil kommt sie wieder auf die Füß.«
Die anderen lachten dazu, und das gab einen heiteren Abschied.
Juliander und der Vater gingen in die Herdstube, Maralen begleitete ihren Liebsten bis zum Thor, und da gab sie ihm zu ihren Küssen noch ein Päcklein Sorgen mit auf den Weg. »Geh langsam, gelt! Der Weg ist steil, und im Wald ist's finster. Und lauft dir auf der Straß ein Rauschiger überzwerch, so laß ihn halt schreien! Giebst ihm kein Wörtl nicht an, so laßt er dich auch in Ruh. Und stellt dich ein Wächter, so thu nicht grob ... mit einem guten Wörtl kommst allweil durch. Und mehr als die halbe Freischicht darfst an unserm Häusl nicht schaffen, gelt! Schlafen und rasten mußt auch ... dein Gesichtl ist eh so blaß und müd!« Zärtlich streichelte sie ihm die Wange. »Und eines versprich mir, Bub!«
»Alles, Lenli!«
»Geh den sächsischen Knappen aus dem Weg! Die haben allweil ein Feuer unter der Pfann. Laß dich auf so heimliche Sachen nicht ein! Thu deine Arbeit, wie's recht ist, und mach dir keinen Herren zum Feind! Gelt, versprichst mir's!«
»Ja, Lenli!«
»Soll dich der liebe Gott halt hüten auf allem Weg! Gut Nacht, du mein Herzensbub mein guter!«
»Gut Nacht, Lenli!«
Noch lange standen sie, Brust an Brust. Und als sie schieden, erstickte ihr letzter Gruß in einem Seufzer der Sehnsucht, die schon begann, da ihre Hände sich noch berührten.
Immer wieder, den langen Karrenweg hinunter, blieb er stehen und schaute sich um – immer weiter trat sie auf den Weg hinaus, um ihn nochmal und noch einmal zu sehen. Und lange noch stand sie, als er schon im Dunkel der Nacht verschwunden war.
Nun schloß sie das Thor und kehrte in das Haus zurück.
In der Herdstube war ein brennender Kienspan in einen Leuchtring gesteckt, und Witting saß mit Juliander am Tisch. Maralen hatte am Herd zu thun, und weil der Abend kühl wurde, legte sie noch ein paar Scheite über die Kohlen.
Da wurde draußen ans Thor geschlagen.
»Der Josef!« stammelte Maralen. »Er wird was vergessen haben!«
Doch Witting erhob sich und sagte: »Bleib, Kindl! Das ist der Josef nicht. Da muß ich selber zum Thor.« Draußen wies der Alte den kläffenden Hund zur Ruhe und ging an das Zaunthor. »Wer pocht?«
Keine Antwort, nur ein leiser Schlag an die Bretter.
»Der Etzmüller,« murmelte Witting und wollte öffnen. Doch er besann sich noch und fragte: »Was willst?«
Draußen eine flüsternde Stimme: »Das kann so laut nicht geredet sein, daß es durch Bretter geht. Mach auf!«
Der Alte öffnete das Thor nur wenig, und eine dunkle Mannsgestalt in langem Bauernmantel schlüpfte durch den Spalt. Kaum hatte Witting den Riegel wieder vorgeschoben, als ihn der andere bei der Hand nahm und mit sich fort zog in die Tiefe des Gartens. Im schwarzen Schatten der Bäume blieben sie stehen. »Hol den Mantel, Witting, du mußt mit hinüber!«
»Ich geh nicht. Und ich hab's euch das letztemal gesagt: die ewige Schimpferei, die mag ich nimmer.«
»Heut ist's ein ander Ding. Gekommen ist einer. Den mußt dir anhören.«
»Wer ist's?«
»Ich weiß nicht. Und keiner kennt ihn. Von auswärts muß er sein ... ist gewandet und redet wie unsereins, aber diemal rutscht ihm ein Wörtl in die Red, das fremden Klang hat. Es ist einer, der ein Loswort umtragt im Land.«
»Laß ihn tragen! Ich geh nicht.«
»Du mußt, Witting! Den mußt dir anhörn! Eisen hat er in der Faust und Feuer auf der Zung. Und ein Aug, daß jeder thut, was er will. Hörst ihn reden, so glaubst: du darfst bloß die Hand in die seinig legen, und alle Not hat ein End.«
Witting schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Gut, ich geh! Mir soll er den Kopf nicht anbrennen mit seinem Feuer, der! Und wenn ich geh, so geschieht's, weil ich dir und den andern ein Wörtl zum guten Besinnen sagen will! Wart ein Weil, ich hol den Mantel.«
»Nach deinem Buben hat er gefragt. Nimmst ihn mit?«
»Gott soll mich behüten! Lasset mir den jungen Buben aus dem Spiel!«
Mit raschen Schritten ging Witting zum Haus zurück. Als er in die Herdstube trat, fragte Juliander: »Vater, was ist's?«
»Geh schlafen, Bub! Morgen mußt zeitlich auf zur Arbeit.« Der Alte griff nach dem Mantel, der neben der Thür an einem Haken hing. »Du, Lenli, kannst aufbleiben, bis ich wieder komm. Thätst eh nicht schlafen in der heutigen Nacht. Ich muß noch zum Nachbar hinüber und einen Handel ausreden. Mach hinter mir das Thor zu und thu nicht auf, eh du nicht meinen Pocher hörst.«
Juliander schien zu wissen, wohin der Weg des Vaters ging. Dunkel war ihm das Blut in die Stirn gestiegen, es blitzte in seinen Augen, und auf den Alten zutretend bat er mit erregter Stimme: »Laß mich mit, Vater!«
»Nein, Bub, du bleibst! ... Komm, Lenli!«
Draußen, als der Verhüllte unter dem Nußbaum hervortrat, griff Maralen nach dem Arm des Vaters.
»Thu dich nicht sorgen, Kindl!«
Aus Scheu vor dem andern wagte sie kein Wort zu sagen und schloß hinter den beiden Männern das Thor. Als sie zurückkehrte ins Haus, stand Juliander unter der Thür der Herdstube und murrte verdrossen: »Das ist unrecht vom Vater, daß er mich allweil so auf die Seit schiebt, wenn die Mannsleut raiten. Ich bin doch kein Kind mehr!«
»Was der Vater thut, ist recht. Komm, Julei!«
Während sie die Thüre zuzog, lauschte sie noch hinaus auf die Straße. Aber sie hörte keinen Laut und keinen Schritt.
Die beiden Männer waren, um den Hall ihrer Schritte zu dämpfen, vom Wege hinaus auf den Rasen getreten. Schweigend gingen sie durch die finstere Nacht, an drei Gehöften vorüber. Der Weg begann zu steigen, gegen einen Wald zu, und vor der schwarzen Mauer der Bäume sah man die dunkle Wand eines hohen Flechtzaunes. Hinter dem Zaun kein Laut, kein Schimmer von Licht.
Als die beiden sich dem Thor näherten, begann der Etzmüller leise zu pfeifen, wie eine Meise zwitschert. Lautlos öffnete sich vor ihnen das Zaunthor, sie traten ein, es schloß sich wieder – und ein Mensch in schwarzem Mantel stieg über eine kleine, neben dem Thor an das Flechtwerk gelehnte Leiter hinauf und setzte sich auf die oberste Sprosse, daß er über den Rand des Zaunes blicken konnte.
Witting und der Etzmüller schritten durch den tiefen, dicht mit Obstbäumen besetzten Garten. Man hörte in der stillen Nacht das Fallen der reifen Äpfel. Schwarz erhob sich eine große Scheune, aus der gedämpft, doch in Hast und Erregung, eine Stimme klang. Zottige Grasbüschel hingen vom Thor der Scheuer nieder – man hatte alle Ritzen zwischen den Brettern zugestopft. In der Luft war Rauch zu spüren, doch keine Spur von Helle quoll aus der Scheune heraus.
Kaum hörbar pochte der Etzmüller an das Thor, erst zweimal und langsam, dann dreimal in rascher Folge. Ein kleines Thürchen öffnete sich im Thor, und die beiden schlüpften in die Scheuer.
Erst sahen sie nichts, als die schwarzen Rücken von einem Dutzend Männer, die um eine rote Helle standen. Sie alle lauschten dieser gedämpften Stimme – nur zögernd gaben sie Raum, um die beiden in den Ring treten zu lassen. Dabei erkannten die Zunächststehenden den alten Witting und drückten ihm die Hand – einer deutete auf den Mann, der sprach – ein anderer flüsterte dem Alten in Erregung zu: »Witting, es taget! Einer ist kommen, der hat das Licht!«