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Als der Morgen graute, kam Maralen zurück, kaum noch eines Schrittes mächtig, bis an die Hüften mit gefrorenem Schnee behangen. Doch ihre Wangen brannten, in ihren Augen war glühendes Leben, das Feuer einer wilden Freude.
»Lenli! Wo bist gewesen?«
»Frag nicht, Vater! Ich hab geschworen. Aber eines sollst wissen: heut hab ich den letzten geworben! Der geht für tausend. Jetzt brauch ich keinen mehr.« Mit einem Lachen, wie das Jauchzen einer Irrsinnigen, hob sie die Fäuste. »Vater, die zahlende Zeit ist da! Die soll herfallen über die Herren, wie eine Lahn, die alles niederreißt.«
»Kindl?« stammelte der Alte mit einem fragenden Blick, als wäre eine Ahnung in ihm erwacht, an die er doch selber nicht glauben konnte.
Aber Maralen sprach kein Wort mehr. In Erschöpfung sank sie auf den Herdrand nieder und hielt die vom Frost erstarrten Hände über die Feuerstatt, als wäre noch Wärme in der grauen Asche. Witting lief, um Holz zu holen. Und als die knisternde Flamme aufzüngelte, fragte Maralen: »Gelt, Vater, hast nicht geschlafen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Und ich muß dich auf einen Weg schicken ... heut tragen mich meine Füß nimmer ...«
»Bleib nur, Lenli! Den Weg mach ich schon. Wohin?«
»In die Gern zu jedem Lehen, und hinunter ins Ort, in jedes Haus ... und jedem Menschen, den du findest, wisper ins Ohr: Komm zum Knappentanz! Und jeder soll's dem andern wieder sagen!«
»Lenli? Was soll's geben beim Knappentanz?«
»Ein Fasnachtspiel!« Sie lachte auf und hielt die Hände gegen das Feuer. –
Als der helle Tag begann, war Witting in der Gern schon von Lehen zu Lehen gegangen. Nun stieg er hinunter nach Berchtesgaden. Auf dem Marktplatz, in allen Gassen, flüsterte er jedem ins Ohr, der seinen Weg kreuzte: »Komm zum Knappentanz! Und sag's jedem andern!«
Das Wort, das er ausgab, lief von Mund zu Mund, von Thür zu Thüre. Und noch ein anderes Gerede war an diesem Morgen unter den Leuten: daß der Schwabe, den die Klosterknechte eingefangen, in der Folter gestorben wäre, ohne zu bekennen, wie er heiße, von wo er käme und wen er suchte im Land. Das hatte der Zawinger unter die Leute gebracht, der immer wußte, was im Kloster geschah. Doch mehr noch, als vom toten Schwaben, redeten die Leute von dem lebendigen Schmiedhannes. Der hatte an diesem Tage großen Zulauf in seiner Werkstätte, und jedem, der es hören wollte, schrie er ins Gesicht: »Sie haben sich nicht angetraut an mich. Sie wissen halt, daß hundert und tausend hinter mir stehen, die mir kein Haar verbrennen und keinen Nagel stutzen lassen.« Wenn er den Hammer auf das glühende Eisen schmetterte, rief er im Takt des Hammerschlages: »So muß man sie dreschen!« Und wenn er das verkühlte Eisen wieder in die Glut stieß, lachte er: »So muß man ihnen einheizen!« Wen er meinte, das verschwieg er.
Aber es lief von Haus zu Haus: »Die Herren haben Angst! Den Schmiedhannes haben sie eingethan und haben ihn wieder freigegeben. Und haben den Mut nicht gehabt, daß sie dem Hannes einen Nagel gestutzt oder ein Haar verbronnen hätten. Sie wissen halt, daß hundert und tausend hinter dem Hannes stehen. Und den Herren wird Angst. Und habet nur acht: beim Knappentanz, da stiftet der Hannes was an!«
Als der Abend anbrach, sah man am großen Kapitelsaal des Stiftes alle Fenster erleuchtet. Erst nach Mitternacht wurden sie dunkel. Es mußte eine wichtige Beratung gewesen sein, welche die Chorherren da gehalten hatten.
Am folgenden Morgen – am Fastnachtssonntag – als vor dem Hochamt die Straße von Berchtesgaden und der Hof der Pfarrkirche von den tausend Menschen wimmelte, die mit einem seltsam gesteigerten Kircheneifer nicht nur aus dem ganzen Markt, auch aus dem Thal der Ache und von den Einödhöfen zusammenströmten, brachte es der Zawinger unter die Leute, was die Chorherren in der Nacht ›geraitet‹ hätten. Man hatte im Kapitel die Frage aufgeworfen, ob es bei den unruhigen Zeiten nicht ratsam wäre, jede große Ansammlung von Menschen zu vermeiden und deshalb den Knappentanz zu verbieten, der nach einem alten Brauch an jedem Fastnachtsdienstag im Hof des Klosters abgehalten wurde, und den sich die Chorherren und ihre Gäste von einer Tribüne anzusehen pflegten. Aber der Vorschlag, den Herr Schöttingen gemacht hatte, war im Kapitel nicht durchgegangen. Die jüngeren Chorherren und die Domicelli hatten sich gegen die Zumutung gewehrt, daß sie vor den ›Ackertrappen und Mistflegeln‹ Reißaus nehmen sollten. Und seine fürstliche Gnaden, Herr Wolfgang von Liebenberg, waren der Meinung gewesen, daß man dem unruhigen Volk keine Sorge zeigen dürfte.
Das ging in der Menge von Mund zu Mund: »Die Herren kommen zum Tanz.« Auf allen Gesichtern brannte die Erregung, in den Augen all dieser hundert Menschen war ein Glanz, als wären sie am nüchternen Morgen schon betrunken. Und keiner wußte doch, was im Werden war, keiner wußte, was kommen sollte, keiner wußte klar, weshalb die Freude in ihm glühte.
Maralen und Witting, der Meingoz und der Frauenlob mit seinem Buben und ein Dutzend andere, standen überall auf den Straßen und Gassen vertheilt und flüsterten jedem Kirchgänger zu: »Komm zum Knappentanz! Und sag's einem jeden, den du kennst!«
Als das Hochamt vorüber war und die Elfuhrglocke geläutet hatte, begannen nach dem Brauch der Fastnacht die Masken zu schwärmen, mit Lärm und Gelächter, mit Trubel und Geschrei: Männer, die als Weiber verkleidet gingen; Dirnen, welche Hosen trugen; lächerliche und zerlumpte Gestalten mit Larven oder geschwärzten Gesichtern; und Masken in einer Vermummung, die der Spott sich deuten konnte, in Mönchskutten oder mit Federhüten, mit verrosteten Panzerstücken, oder in Schleppröcken, wie die adeligen Damen sie trugen. Sieben Masken, Arm in Arm gehängt, in der Lumpentracht des hungernden Elends, die Gesichter weiß bemalt, und mit schellenbesetzten Narrenkappen auf den Köpfen, zogen überall umher mit dem johlenden Gesang:
»Ihr lieb Gesellen, kommt zur Hand,
Wir fahren ins Schlaraufenland,
Derweil wir stecken tief im Sand ...«
Auf dem Marktplatz lehnten sie vier kahle Stangen aneinander und richteten sich unter diesem tuchlosen Zelte häuslich ein, als gäb es auf der Erde kein schöneres Wohnen, kein besseres Dach. Sie lagen im Schnee wie im blumigen Gras des Maien, trieben ein närrisches Spiel mit der Gründung des tausendjährigen Reiches und vertheilten an die lachenden Leute, an ihre ›Brüder im guten Bund‹, all die hundert reichen Güter, die sie auf der ›Dursthalde im Mond‹ besaßen, all die Aecker und Weinberge, die am ›Bettelrain auf dem Hungerberge‹ lagen.
Die halbe Nacht und den ganzen Montag währte das Schwärmen der Masken, das Singen und Johlen, das Umziehen in den Häusern und Herbergen, das Zechen auf offener Gasse.
Am Dienstag Morgen, als von den Troßleuten des Stiftes im Klosterhof die Tribüne aufgeschlagen, die hölzernen Bänke mit roten Tüchern behangen und mit Polstern belegt wurden, begannen sich schon von überall her die Leute zu sammeln, aus dem Markte, aus dem Thal der Ache und von Unterstein, von Ramsau und von Schellenberg.
Es war ein kalter Tag – dieser achtundzwanzigste Februar – doch mit blauem Himmel und mit klarer Sonne.
Als es Mittag wurde, füllten an die zweitausend drängende und schreiende Menschen den Klosterhof. Ein Trubel, daß keiner das eigene Wort verstand! Doch plötzlich Stille – denn die Chorherren und ihre Gäste kamen, voran Herr Wolfgang von Liebenberg, der Fürstpropst des Stiftes, mit dem hermelinbesetzten Hut und mit dem pelzgefütterten Purpurmantel, dessen Schleppe von zwei Pagen getragen wurde – eine stolze, vornehme Gestalt, der man den Druck der sechzig Jahre nicht anmerkte, und ein Gesicht mit scharfen Zügen, mit grauen Augen von kühler Ruhe.
Herr Wolfgang von Liebenberg ließ einen forschenden Blick über die stumme, drängende Masse der Menschen gleiten, während er die Tribüne bestieg. Ganz zuvorderst nahm er seinen Platz und forderte mit einer Handbewegung die Chorherren und die Gäste auf, sich niederzulassen. Dabei hörte man schon vom Hof der Pfarrkirche her die Trommeln und Pfeifen des Knappenzuges, der sich mühsam eine Gasse durch das Gedräng der Leute bahnte.
Es war ein seltsames Bild: diese hundert Knappen in ihrer schwarzen Tracht, jeder mit einem kurzen, ungeschliffenen Schwert in der Linken, mit einer qualmenden Pechfackel in der Rechten. Über dem wehenden Rauch die kalte Sonne, und ringsumher die tausend Köpfe der Menschen, die weißen Dächer, die weißen Berge.
Während das Summen der Menge wieder begann und wuchs, sprach einer der Salzmeister in Versen den Fürstengruß. Doch keiner von all den tausend Menschen, die den Platz erfüllten, schien auf diese Stimme zu hören. Und als unter Trommelschlag und Pfeifenklang der Knappentanz seinen Anfang nahm – ein Schrittreigen mit wechselnden Figuren, mit Fackelschwingen und Schwertgeklirr – da achteten nur wenige mit ausdauernder Neugier auf dieses Schauspiel. Viel häufiger blickten die in Erregung funkelnden Augen der Leute erwartungsvoll nach den beiden Thoren des Klosterhofes, als nach dem freien Platz vor der Tribüne, auf dem sich die Huldigung der Knappen vollzog.
Ihr Tanz war vorüber. Paarweise schritten sie auf die Tribüne zu, löschten zu Füßen des Propstes die Fackeln im Schnee und steckten die stumpfen Schwerter in die Scheide. Auf der Tribüne wollten sich die Chorherren und die Gäste mit ihren Frauen erheben. Da ging eine Bewegung durch die Menge, und rufende Stimmen klangen: »Maskerer sind da! Gebet Raum für die Maskerer! Ein Spiel hebt an! Haltet Schweigen für das Fasnachtspiel!«
Vier Masken, die niemand zuvor gesehen, drängten sich durch den Ring des Volkes. Von allen Händen wurden sie geschoben, und nun standen sie auf dem freien Platz, während die Tribüne der Chorherren von hundert Menschen umdrängt wurde und erregte Stimmen durcheinander schrieen: »Bleibet, ihr Herren! So bleibet doch! Ein Fasnachtspiel! Das müsset ihr anhören! Das wird ein lustig Ding!«
Der Propst besann sich einen Augenblick. Dann sagte er zu den Herren: »Wir wollen bleiben.« Er lachte. »Ein Stücklein Grobheit anhören, das ist gesund. Und die Fastnacht will ihr Recht haben!« Und dem Dekan an seiner Seite flüsterte er zu: »Das Volk ist ruhig und freut sich am Spiel. Ich sehe keine Gefahr.«
Lachend und schwatzend ließen sich die Chorherren und ihre Gäste wieder auf die Bänke nieder, lehnten sich mit den Armen über die Brüstung der Tribüne und betrachteten in Neugier die vier Masken.
Die hatten sich in einer Reihe aufgestellt und verneigten sich vor dem Propst. Dann trat von den Spielern einer vor. Der stellte einen jungen Bauern dar, hatte das Gesicht mit einer rot und weiß bemalten Larve bedeckt und trug den Kopf umringelt von gelben, künstlich gelockten Flachssträhnen, unter denen das graue Haar des Spielers hervorguckte; an der Hüfte hatte er ein hölzernes Schwert, auf dem Rücken einen leeren Sack und von einem Handgelenk zum andern eine schwere eiserne Kuhkette. Er schien ein paar lustige Sprünge versuchen zu wollen, doch der leere Sack auf seiner Schulter schien ihn so hart zu drücken, daß der Bauer mit seinem gebeugten Körper sich kaum zu bewegen vermochte. Keuchend blieb er stehen und machte mit dem Arm eine Bewegung, wie um den Schweiß von seinem verlarvten Gesicht zu wischen.
Ein seltsames Lachen erhob sich in der Menge, und weit von rückwärts schrie eine Stimme, als gehöre sie zum Spiel: »Gelt, Stoffel, ist dir die Lust am Springen vergangen?«
Der Darsteller des jungen Bauern wandte sich nach der Richtung, aus der die Stimme geklungen, und begann in Reimen zu sprechen:
»So? So? Habet ihr mich erkannt?
Ei wohl, Kunrad Stoffel bin ich geheißen,
Und daß ich ein Bauer bin im Land,
Das thut der geriemelte Schuh euch weisen!«
Er hob seinen Fuß, als möchte er vor Aller Augen den Schuh zeigen, den er trug. Und da klang aus der Menge wieder jene Stimme von der gleichen Stelle her: »Sag Bundschuh!«
Die Chorherren wurden unruhig, und ein Zornblick des Propstes flog nach dem Winkel des Hofes hin, aus dem der Ruf gekommen. In der Menge erhob sich Gelächter und wirres Schwatzen. Dann rief eine hallende Stimme: »Ruh für das Fasnachtspiel!« Im Augenblick war Stille. Und die Maske sprach:
»Mein Mütterlein hat Unglück gehabt,
Das könnt ein Klosterknecht erzählen,
So bin ich in's Leben hereingelappt
Und hab meinen Vater hören schmälen.«
Niemand lachte zu diesem üblen Scherz, doch der Ring der Bauern drängte sich näher um die Maske.
Der Darsteller des Kunrad Stoffel sprach seine Verse im Dialekt der Bergbauern, aber manchmal war in seiner Stimme ein Klang, der an die Sprache der Schwaben erinnerte.
»Kunrad, Kunrad thät man mich taufen,
Das Wasser hat einen Gulden gekost',
Hab ein Leben wie bei den Schlaraufen,
Und daß ich sterben kann, ist mein Trost.
Juhu! Juhu!
Allweil ist es mir gut gegangen,
Wisset, ich hab so viel liebe Herrn,
Seh die Zwetschgen am Himmel hangen,
Aber die haben harte Kern.
Hab an der Not mich satt gefressen,
Die rumpelt und pumpelt mir im Bauch,
Nackig bin ich im Schnee gesessen,
Und schauet, ein Armband hab ich auch!«
Wieder jauchzte die Maske und rasselte lustig mit der eisernen Kette an den Händen. Auf der Tribüne erhob sich Herr Pretschlaiffer und flüsterte dem Fürstpropst etwas ins Ohr. Der aber schüttelte den Kopf und lächelte. Immer heller jauchzte die Maske:
»Juhu! Juhu!
Meine Mutter ist auf der Gant verdorben,
Zehn Gulden hat man ihr fürgestreckt,
Mein Vater, der ist im Thurm gestorben,
Dem haben die Mäus halt nicht geschmeckt.«
Eine Stimme schrillte aus der Menge: »Der ist aber heiklig gewesen.« Und wildes Gelächter folgte. Dann nahm die Maske den leeren Sack vom Rücken –
»Und was vom Todfall übrig geblieben,
Das war mein Erbschaft gut und fest,
Hätt's können durch ein Leder sieben,
Schauet, ein Sack voll ist's gewest!«
Jauchzend schleuderte die Maske den leeren Sack in die Luft und haschte ihn wieder. Unter dem lauten Geschrei und Gelächter der Bauern streckte sich vor der Tribüne einer der Waffenknechte gegen den Fürstpropst hinauf und rief: »Gnädigster Herr, das ist übler Unsinn! Das sollt man nicht angehen lassen!« Aber Herr Wolfgang winkte ab und sagte: »Sie sollen ihren Unsinn treiben! So lang der Bauer noch Verse macht, hat er die Nase in der Luft und die Faust in der Tasche. Und heut ist Fastnacht.« Er lachte dazu. Aber es ging ihm doch ein leises Zucken der Unruh um die Augen und um den Mund. Und manchem von den Chorherren, die mit roten oder bleichen Gesichtern saßen, schien der Sammetpolster auf den Bänken nicht mehr sonderlich weich zu dünken. Nur Herr Schöttingen, der greise Stiftsdekan, sah ruhig und mit ernsten, fast traurigen Blicken über die lärmende Menge hin.
Nun war wieder Stille, und die Maske sprach:
»Jetzt bin ich meines Vaters Erb,
Steinbeißen ist mein Broterwerb,
Jetzt hab ich huirasa ein Leben,
's kann auf der Welt nichts schöners geben,
Darf Steuer, Zins und Beden tragen,
Den leeren Sack ums Maul mir schlagen,
Darf fleißig Fron und Scharwerk machen,
Bis mir die dürren Schwarten krachen.
Die Hirschen fressen, was ich bau,
Im Garten wühlt die wilde Sau.
Und weil ich so viel in's Ernten bring,
Daß ich's allein nicht mehr derzwing,
Drum such ich, um mein Glück zu theilen,
Zum Weib mir jetzt ein schönes Fräulen.
Thät ich eins finden, thät ich lachen,
Ein Weiblein hat viel süße Sachen.«
Das junge Volk bejubelte diesen Scherz, die Waffenknechte schrieen ein paar unsaubere Spässe dazu, sogar die Klosterbrüder klatschten Beifall, und die lächelnden Chorherren schienen aufzuatmen. Das Spiel ging auf eine Brautschau hinaus – es standen ja noch drei weibliche Masken da – und drum meinte von den Herren einer: »Der Weps hat ausgestochen, jetzt hebt die lustige Brautwahl an.« Und richtig, von den drei weiblichen Masken trat eine vor; eine alte Frau in armseligem und übel zerrissenem Gewand, als Gesicht eine kummervolle Larve, unter welcher der blonde Mannsbart des Mimen hervorguckte; den Kopf hatte die Maske dick eingewickelt, als litte ihr Haupt an Wunden und Schwären; den rechten Arm trug sie in einer Schlinge und das linke Bein auf einen Stelzfuß geschnallt, dessen Holzstecken unter dem ausgefransten Weiberrock hervorguckte.
Mit lachendem Geschrei und mit üblen Scherzen wurde diese Jammergestalt von den Zuschauern begrüßt. In diesen Lärm, der den ganzen Klosterhof erfüllte, schrie die Maske des jungen Bauern mit klingender Stimme hinein:
»Herrjeh! Potz Velten! Ist das ein Weib!
Ein Grausen beutelt mir den Leib!
Lieber will ich fronen und steuern.
Als so einen Hexenbraten heuern.
Das wär die schiechste von allen Strafen,
Müßt ich bei solcher Zottin schlafen.
Laß mich in Ruh und fahr davon.
Ich bleib meines Vaters lediger Sohn!
Du wärst die letzte, die ich möcht.
Denn wer dich anschaut, dem wird schlecht.«
Nun waren es die Chorherren selbst, welche »Ruhe, Ruhe,« riefen, denn sie wollten von dem lustig sich wendenden Spiel kein Wörtlein verlieren.
Die Maske des kranken und zerzausten Weibes machte vor dem Fürstpropst einen Knix und begann mit einer müden, zitternden Baßstimme:
»Du Kunrad Unverstand! Bist blind?
Verwechselst die Mutter mit dem Kind?«
Der junge Bauer staunte:
»Die Mutter bist?«
Und das Weiblein nickte ihm freundlich zu:
»Ja, laß dir sagen.
Will dir mein Kind zur Eh antragen.
Ich hab der lieben Töchter zwei,
Schau her, da kommen sie herbei.«
Die beiden anderen weiblichen Masken traten an die Seite der Mutter: die eine mit grauem Rupfen nach Art eines Schleiers ganz bedeckt, die andere eine schlanke jugendliche Gestalt, in weiße Tücher gehüllt, von gelben Hanfsträhnen bis zu den Knieen umflossen, einen Fichtenkranz um die Stirn gewunden, vor dem Gesicht das rosige Lärvchen einer schmucken Maid. Bei ihrem Anblick jauchzte der junge Bauer unter lustigen Sprüngen:
»O Meidlein! O du Anblick süß!
Mir schießt die Freud in Händ und Füß,
Möcht tanzen wie ein Narr und springen.
Mein Not vergessen gleich und singen!
Du, Meidlein, du bist's, die mir gfallt.
Mich hat die Lieb schon ganz in Gwalt.«
Mit einem klingenden Juhschrei wollte die Maske des jungen Bauern das weiße Fräulein umhalsen. Aber scheltend trat die alte Mutter dazwischen:
»Laß ab, du Schelm, die rühr nicht an,
Die kommt noch lang nicht an den Mann!
Die Herren möchten dir's übel wehren,
Thätst du so schönes Weib begehren.
Gieb Ruh, du Gauch, und Hand von der Butten!
Für dich ist die ander da in der Kutten.
Schau, Kunrad, schau, ich will dir's zeigen,
Schau her,
das Meidlein ist dein eigen!«
Flink zog die alte Frau der verkappten Maske den Rupfensack über den Kopf herunter. Ein brausendes Gelächter ging durch den weiten Hof des Klosters – aber das war kein Lachen, wie es aus den Herzen fröhlicher Menschen schüttert – ein Lachen war's, wie ein einziger wilderregter Schrei aus tausend Kehlen.
Unter dem Sack war eine Gestalt zum Vorschein gekommen, ein Schreckbild, das man als Vogelscheuche hätte gleich auf die Felder stellen können – in einem Aufzug, der mit bunten Flicken, mit Vogelbeerschnüren und Hahnenfedern die Tracht einer adeligen Dame zu karrikieren suchte. Statt der Handschuhe trug sie wirkliche Wolfspranten mit Haar und Klauen über die Hände gebunden, und aus der Mundöffnung der scheußlichen Hexenlarve ragten die vier Hauer eines Wildschweingebisses hervor. Und um den Gürtel war die Dame von bedenklichem Umfang.
Während der Lärm der Zuschauer immer noch wuchs, während die Chorherrn und die Waffenleute nicht zu wissen schienen, ob sie lachen sollten oder Übles ahnen, spielte der junge Bauer seine stumme Rolle: er zitterte beim Anblick seiner Braut an allen Gliedern, dann stand er regungslos, als hätte ihn der Schreck versteinert. Da sprach ihn die Maske der Mutter an:
»Kunrad, du armer, geduldiger Mann,
Schau lieb und freundlich dein Bräutlein an!
Uebersieh dem Kind einen kleinen Schaden,
Sie war halt bei Junkern zu Gast geladen.
Und wenn sie ein bißl liederlich wär.
So kennt sie das Handwerk desto mehr.
Ich bin ihr als Mutter gar gewogen.
Hab sie mit Fleiß schön groß gezogen.
Hab allweil ihr mein Bestes geben,
Drum hat sie ein langes, zähes Leben,
Und hat einen tiefen Schluckermagen,
Der alles, alles kann vertragen.
Sie ist ein Weib, man kann's nicht schätzen,
Die wird dich in den Himmel versetzen.
Ihr Hals ist weiß, ihr Brüstlein rund,
Ihr Anblick lieblich, rot ihr Mund –
Die Herren, die sie kennen genau,
Sagen, sie wär die schönste Frau.
Ihr Näslein ist scharf und nicht zu klein,
Ihr Zähnlein weiß wie Elfenbein.
Ihre Augen, scharf wie Falkengesicht,
Sind flink in alle Winkel gericht'.
Und Händlein hat sie, die sollen dich streichen.
Daß dir die Seel aus dem Leib soll weichen.
Die, Kunrad, will ich an's Herz dir legen.
Die Herren geben dazu den Segen,
Ohne Liebzins und Freudensteuer –
So, lieber Kunrad, so, jetzt heuer!
Das rote Fädlein soll euch umwinden.
Der heilige Josef soll euch verbinden,
Kriwus, krawus, mein Segen ist gut,
Armer Kunrad, hab frohen Mut!«
Ein kurzes heiseres Lachen, hier und dort – dann dumpfe Stille im weiten Klosterhof. Niemand sah die Spieler an, all die funkelnden Blicke waren nach den Herren auf der Tribüne gerichtet.
Der Fürstpropst hatte sich erhoben. Auf seinem Gesichte wechselte Glutröte mit fahler Blässe. Viel Not und Elend hatte er bei den Unterthanen und Sassen seines Landes schon gesehen, und manch ein Schrei der Verzweiflung war in seine fürstliche Stube geklungen. Doch jetzt zum erstenmal – wenn auch unter der Maske eines Spieles – hörte er die Flüche der armen Leute ungescheut um seine Ohren schwirren. Er zitterte unter dem Purpur. Doch er versuchte zu lachen. »Mir dauert der Unsinn zu lange,« rief er den Chorherren zu. »Wer bleiben will, mag bleiben. Ich geh.« Da erhoben sich auch die Chorherren, der Landrichter, der Sekretarius und der Rentmeister, der ehrenfeste Dominikus Weitenschwaiger mit seiner zitternden Gesponsin und die anderen vermöglichen Bürger, die man der Ehre gewürdigt hatte, bei den Chorherren auf der Tribüne sitzen zu dürfen. Nur Herr Schöttingen, der alte Dekan, erhob sich nicht von seinem Platz. Aber der Aufbruch machte sich nicht so flink, als die Herren dachten. Wie eine Mauer standen die Bauern, voran ihre Weiber und Töchter um die Tribüne her. Die Waffenknechte versuchten unter Puffen und Schelten eine Gasse zu bahnen, aber die Mauer der Menschen theilte sich nicht, und die in der ersten Reihe standen, schoben die Schuld auf die Rückwärtsstehenden, die nicht weichen wollten. Bei dem Lärm, der sich erhoben hatte, zischelte der Darsteller des jungen Bauern dem Mimen des hinkenden Weibes zu: »S'ischt an der Zeit, wir müsse flink ein End mache! Die Herre laufe!« Und die Arme erhebend, als wollte er zur Ruhe mahnen, rief er mit schrillender Stimme die Verse seiner Rolle in den Lärm hinaus:
»Ischt alles gut, ischt alles gut.
Aber heuern ist Ding, das man langsam thut!
Und eh ich mir hol den theuren Segen,
Eh muß ich das Ding mir überlegen ...«
Das Stimmengewirr auf dem Platze dämpfte sich plötzlich, so daß man jedes Wort des Spielers vernehmen konnte:
»Eh möcht ich wissen, ob's mir frommt.
Und was für ein Haus an's meine kommt.
Wer bist denn, Mutter, und wo kommst her?
Steht auch dein Nam in guter Ehr?«
Die Maske des alten Weibes erwiderte mit dröhnender Baßstimme:
»Ich bin ein armes, elendes Weib,
Schier fallen die Knochen mir aus dem Leib.
Doch bin ich aus gutem, starkem Geschlecht,
Und wär ich gesund, so wär mir's recht.
Hab einen spanischen Mann geheuert.
Der in Welschland haust und die Zeiten theuert.
Mich halten tausend Herren in Hut,
Die fressen mein Fleisch und saugen mein Blut,
Und weil ich krank bin im tiefsten Leben,
Hat Bruder Martin ein Tränklein mir geben,
Das gäret in meinem Bauch, o weh,
Daß ich vor Schmerzen schier vergeh.
Will hoffen, der Doktor hat guten Rat,
Denn wenn ich sterben müßt, wär schad,
Der Herrgott thät weinen bei meiner Leich –
Ich bin das arme deutsche Reich!«
Aus dem dumpfen Stimmenlärm, der wieder zu wachsen begann, erhob sich mit hellem Klang ein Ruf: »Sollst genesen, Weib! Das Tränklein, das der Doktor dir gegeben hat, ist gut! Das putzt dich aus! Schluck nur, Weiblein!« Und tausend Stimmen riefen es nach: »Schluck! Schluck! Schluck!« Dann Gelächter und steigender Lärm, so daß der Darsteller des jungen Bauern schreien mußte, um verständlich zu werden. Er hatte sich zu seinem üblen Bräutlein gewendet:
»Und du, schönes Fräulen, wer bischt denn du?
Ich frag's und druck die Augen zu!«
Die grauenvolle Schöne hob die Wolfspranten und klapperte mit dem Ebergebiß:
»Ich mein', du kennst mich lange Zeit,
Ich bin die Herrengrechtigkeit!«
Während tobender Beifall den weiten Klosterhof erfüllte, machte der Bauer einen entsetzten Sprung nach rückwärts und klammerte sich an das Kleid der jungen, weiß gewandeten Maske.
»Gott soll mich bewahren vor solcher Näh,
Da nimm ich lieber die ander zur Eh!
Sag, Meidlein, lieb und weiß und gut.
Deine Äuglein machen so leicht mein Blut,
Wo kommst denn her, sag an, wer bist?
Mein' schier, daß ein Engel mir kommen ist.«
Mit heller, ein wenig zitternder Knabenstimme erwiederte die weiße Maid:
»Ja, Kunrad, ich komm aus Gottes Hand,
Der hat mich geschickt in's deutsche Land,
Ich bin die Freiheit gut und schön.
Will über Berg und Wasser gehn.
Die Leut, die trauern, die sollen lachen,
Will überall frohe Zeiten machen.
Ein neues Wesen soll heben an.
Gute Stund für den armen Mann.
Und weil sich die Herren nicht besinnen,
So soll der Kunrad das Werk beginnen.
Ich will den graden Weg ihm weisen
Und mach sein hölzern Schwert zu Eisen.«
Da warf der arme Kunrad mit einem Jauchzer die Kette von seinen Händen, riß die hölzerne Latte vom Gürtel und schwang sie mit dem klingenden Ruf:
»Juchei, guts Eisen in meiner Hand,
Ich will dich schwingen mit Verstand,
Und will dem Wolf die Pranten stutzen,
Das soll dem Bauer helfen und nutzen.
Und will mich wehren und schlagen und stechen,
Und will dem Eber die Zähn ausbrechen,
Und laß ihm das Schmeer am Bäuchlein aus,
Da bluten ihm Steuer und Zins heraus.«
Bei diesen Worten, die er mit gellender Stimme geschrieen, schlug er der grauenvollen Maske die Eberzähne von der Larve und stach mit dem gespitzten Holze zu – das gab einen Knall, als wäre eine aufgeblähte Schweinsblase geborsten – und aus einem Kleiderschlitz der Maske kollerte ein Haufen kleiner runder Blechscheiben heraus, wie rollende Silbermünzen.
Ein tobender Jubelschrei im weiten Hof, und die Blicke all dieser heiß erregten Menschen funkelten wie die Augen von Berauschten. Jauchzend und lachend stürzten die Zunächststehenden auf die Spieler zu und balgten sich, um eines der rollenden Blechstücklein zu erhaschen. Das machte bei der Tribüne eine Gasse, und der Fürstpropst, das Gesicht entfärbt bis in die Lippen, ging mit raschen Schritten zum Thor des Stiftes. Auf der Schwelle rief er einem der Waffenknechte zu: »Man soll die Spieler festnehmen! Rasch!« Ein Trupp von Waffenknechten war flink beisammen. Sie zogen vom Leder. Und einer rannte in den Laienhof und zum Thor, um noch andere zu holen. Aber da schrillte eine warnende Stimme: »Spielleut, gebet acht!« Und als die Knechte sich durch das Gedräng einen Weg bahnen wollten, flog ihnen, von ein paar Dutzend Händen geworfen, feiner Sand in's Gesicht, daß sie geblendet standen und die Augen rieben. Wüster Lärm – ein wirres Geschrei, in dem sich das einzelne Wort nicht mehr verstehen ließ – und plötzlich ein dumpfes Dröhnen und Klingen. Auf dem Thurm des Münsters tönte die große Glocke.
Die Chorherren, die noch bei dem Thor des Stiftes standen, blickten erschrocken zu den Luken des Thurmes hinauf – sie wußten, daß keine Hand des Klosters den Strang gezogen hatte.
Kreischende Stimmen erhoben sich in der Menge: »Die große Glock ist laut!« – »Dem Kloster steht Unglück zu!« – »Der Propst muß sterben!«
Die Waffenknechte waren ratlos. Die einen rieben den Sand aus ihren Augen, die anderen standen von abergläubischem Schreck befallen. Und als sie wieder zu Gesicht und zu Besinnung kamen, um den Befehl ihres Herren auszuführen, da waren die Spieler verschwunden, untergetaucht in der Menge, die mit Lärm und Geschrei zu den beiden Thoren des Klosterhofes hinausdrängte.
Die Tribüne stand geleert, nur ein einziger saß noch auf seinem Platz, Herr Schöttingen, der Stiftsdekan. Mit dem weißen Kopfe nickend, sah er den drängenden Menschen nach und murmelte mit schwermütigem Lächeln vor sich hin: »Wie wird das enden!«
Er sah, wie die Waffenknechte sich vergebens mühten, einen Weg durch die mit Menschen verstopften Thore zu gewinnen, wie sie sich mit den Dirnen balgten, die Kinder bei Seite stießen, bald hier ein scheltendes Weib, bald dort einen fluchenden Bauern festnahmen.
Herr Schöttingen erhob sich und wollte gehen. Da hörte er beim Brunnen, der unter dem Säulengang des Bruderhauses sein Wasser in einen Fischtrog plätscherte, zwei Waffenknechte fluchen und schreien. Er trat hinzu. Auf den Steinstufen des Brunnens saß die rote Maralen. Obwohl die Knechte sie beim Arm gefaßt hielten und auf sie losschimpften, schien sie nicht zu wissen, was mit ihr vorging. Rote Flecken brannten in ihrem bleichen Gesicht, und mit den großen glimmernden Augen blickte sie in's Leere, als sähe sie geisterhafte Dinge in der Luft. Und das mußten Bilder sein, die ihr Freude machten, denn sie lächelte ein wenig.
»Lasset das arme Weib in Ruh!« sagte Herr Schöttingen zu den Knechten. »Seit dem Salzburger Unglück ist sie wirr im Kopf.«
Die Waffenknechte rannten zu einem Thor, bei dem sie einen Kameraden schreien hörten.
Herr Schöttingen legte der roten Maralen die Hand auf das zerwirrte Haar.
Maralen schien zu erwachen. Sie wollte den Kopf zurückziehen und sah mit einem Blick voll glühenden Hasses an dem Chorherren hinauf. Aber da erkannte sie den Mann, der in der Pflegerstube für sie gesprochen hatte, erkannte die Güte und das Erbarmen in diesen stillen Greisenaugen und fühlte auf ihrem Haar den linden, zärtlichen Druck dieser welken Hand.
»Vergeltsgott!« sagte sie leis, erhob sich zitternd, schüttelte den zerfransten, fadenscheinigen Rock, als hätte sie Staub an sich, und ging davon.
Bei dem Thor, das zum Kirchplatz führte, wartete sie stumm und ruhig, bis der Lärm sich legte und ein Weg für sie offen wurde.