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Die Blutrache.


I.

Uebers Meer zum hohen Strand von Paros
Strebt das Schiff mit weitgebauschten Segeln;
Reiche Ladung bringt es von Ragusa.
Munter auf Verdeck und Leitern tummelt
Sich die Mannschaft, froh der nahen Landung,
Rings erschallt Gesang und Scherz und Lachen.
Nur Basil, der Jüngling, theilt die Lust nicht;
Auf dem Schiffsbord lehnend, düstern Auges
Schaut er zu den spielenden Delphinen,
Oder starrt zum Ufer, wo vom Hafen
Deutlich schon am Fels die Stadt emporsteigt.
Schwere Sorge wohnt in seiner Seele,
Denn ein Brief der Schwestern rief ihn heimwärts,
Daß er komme, seines Erb's zu walten;
Jähen Todes starb dahin der Vater,
Und noch Schlimm'res sagt sein ahnend Herz ihm.

Als das Schiff den Hafen nun erreicht hat,
Fröhlich durch den duft'gen Sommerabend
Schwärmt am Strand das Schiffsvolk zu den Schenken,
Wo beim rothen Wein die Cither klimpert.
Aber trüb' zur Stadt empor die Treppen
Wallt Basil; den säulenschlanken Dächern
Gönnt er keinen Blick, dem hellen Brunnen,
Der aus altem Bildwerk tönend sprudelt.
Tief in rebendunkler Gasse sucht er
Nach der Pforte mit den Löwenköpfen;
Einen Augenblick dort steht er sinnend;
Dann das Haupt erhebend, sichern Fußes
Tritt er über die verwaiste Schwelle.

Laut aufweinend grüßen ihn die Schwestern:
Lambra, die, seitdem der Bruder fortzog,
Schwarz gelockt in strengem Reiz emporwuchs,
Und die Kleine, die er schier als Säugling
Noch verließ, die blonde Theodula,
Die dem Vater gleicht an Stirn und Augen.
Als Basil die Schwestern weinen siehet,
Da befällt auch ihn der Schmerz gewaltsam
Und die heiße, lang verhalt'ne Thräne
Quillt ihm langsam aus der finstern Wimper.
Aber wie von dunkler Scheu befangen
Fragt er wenig nur, Bericht nur heischt er
Von des Vaters ehrender Bestattung:
Wie sie ihm gefolgt mit hundert Kerzen,
Wie der Priester unter Weihrauchwolken
Fromm die Gruft besprengt, und wie die Freunde
Sie bepflanzt mit Rosmarin und Lorbeer.

Drauf, den Reisemüden zu erquicken,
Frisches Wasser in metallnem Becken,
Saubres Linnen bringen ihm die Schwestern,
Rüsten auch ein Mahl auf niedrer Tafel,
Dunkeln Wein und Thunfisch und Oliven.
Wie er sitzt, bedienen sie den Bruder,
Mühsam von gleichgült'gen Dingen manches
Ihm erzählend, von Verspruch und Tauffest,
Von des Weinbergs Stand, und von den Wölfen,
Die des Nachbars Hürde jüngst verwüstet.
Halben Ohrs nur lauscht Basil, verloren
Scheint sein Geist in bang beklomm'nes Brüten.

Aber als die Nacht hereingedunkelt
Und verglimmend nur des Heerdes Feuer
Das Gemach noch füllt mit rother Dämm'rung,
Heißt Basil die Kleine schlafen gehen;
Doch der ältern Schwester winkt er schweigend,
Ihm genüber an die Glut zu sitzen.
Lange forschend blickt er ihr in's Antlitz,
Bang, als wollt er von den dunkeln Brauen
Ihr ein unheilvoll Geheimniß lesen;
Endlich spricht er tonlos diese Worte:
Sag, wie war es mit dem Tod des Vaters?
Wie geschah's? Mir däucht, ich weiß nicht Alles.

Finstern Augs entgegnet ihm die Jungfrau:
»Nicht betrog dich deines Herzens Argwohn,
Höre denn das ganze Greu'l, o Bruder.
Im Gebirgsforst, auf dem Weg nach Kostja –
Heute sind es dreimal sieben Tage –
Fanden sie den Leichnam unsres Vaters.
Ganz zerschmettert lag er dort im Abgrund,
Blutbeströmt, mit eingeschlag'nem Schädel –
O mir graut, gedenk ich d'ran, es kehrt sich
Mir das Herz um, tausendmal verfluch' ich,
Tausendmal den gottverhaßten Mörder –
Ja den Mörder! – Denn desselben Tages,
Da vom Waidwerk Milo nimmer heimkam,
Jagt im Forst Manolis, unser Blutfeind.«

Lambra ruft's, und hoch emporgerichtet
Steht sie da, das Haupt zurückgeworfen,
Wilden Haß im Blick, die Nüstern zitternd;
Doch das Blut Basils ist Eis geworden,
Und er spricht mit fürchterlicher Ruhe:
»Wenig sagst du, doch genügt das Wen'ge,
Und ich weiß hinfort, was meines Amts ist.
An der Wand dort hängt die Flinte Milo's,
Bete, daß ihr bald ein Ziel bescheert sei!«
Spricht's und steigt hinauf zur obern Kammer,
Wo die Schwestern ihm das Bett bereitet,
Festen Schritts. Und stille wird's im Hause;
Nur im Garten murmelt noch der Brunnen.


II.

Tage kommen, Tage ziehn,vorüber:
Lambra sitzt am Heerd und dreht die Spindel,
Ihren Flachs mit heißen Thränen feuchtend,
Und im Garten, wo die Feigen reifen,
Spielt im Gras die blonde Theodula.
Aber draußen schweift Basil, ihr Bruder,
Mischt sich unter das Gewühl des Marktes,
Mit den Bauern plaudernd, mit den Hirten,
Sitzt am Schenkenthor und fragt am Hafen,
Was man Neues sich erzählt vom Tage;
Heit'res Lächeln trägt er auf der Stirne,
Doch im Herzen nichts, als Durst nach Rache.

Als der Mond sich dreimal schon gefüllt hat,
Da vernimmt er, auf des Vaters Hofe
Hochzeit halten will Manolis Tochter,
Und zum Kloster morgen in's Gebirge
Muß der Alte, daß er selbst zur Feier,
Wie es Brauch ist, sich den Priester lade.
Das bedünkt Basil willkomm'ne Botschaft,
Aber klug sein pochend Herz bezwingt er.
Zu den Schwestern kehrt er heim, den Abend,
Bis sie ruh'n, verplaudert er beim Weine;
Doch in tiefer Nacht, um Mondesaufgang,
Nimmt er von der Wand die Flinte Milos,
Küßt die Mädchen dann im Schlaf und schreitet
Durch den Garten fort auf leisen Sohlen.

Auf dem Fußpfad, der zum Kloster leitet,
Mitten im Gebirg durch's Felsgeklüfte
Braust ein Bach; Platanendickicht wuchert
Um sein tiefes Bett und Oleander,
Und ein schmaler Steg nur führt hinüber,
Roh gezimmert von der Hand der Mönche.
Aber jenseits, zwanzig Schritt vom Brücklein,
Liegt am Uferhang ein ries'ger Felsblock,
Moosbedeckt, von hohem Busch umschattet.
Diese Stätte sucht Basil; er hat dort
Manch geflügelt Wild erlegt als Knabe,
Heute lockt sie ihn zu anderm Waidwerk.
Als der Morgen roth am Himmel aufglüht,
Steigt er in die Schlucht hinab; behutsam
Dort im Schatten des gewalt'gen Felsblocks
Kauert er sich hin und unbeweglich
Harrt er im Gebüsch, zur Hand die Flinte.

Langsam fliehn dem Wartenden die Stunden,
Langsam von des Bergrands höchsten Wipfeln,
Zoll um Zoll den Abhang überflutend,
Sinkt in's Thal herab der Stral der Sonne,
Bis zuletzt er golden flimmt im Bache.
Aber stille bleibt's in weiter Runde,
Nur das Wasser braus't, Lacerten schlüpfen
Raschelnd durch's Geröll, und aus der Höhe
Tönt von Zeit zu Zeit der Schrei des Falken.

Heiß're Lüfte künden schon den Mittag,
Horch! da rauscht es drüben auf dem Fußpfad,
Und hernieder kommt es durch die Büsche.
Nach der Flinte greift Basil, es zittert
Ihm der Arm vor starken Herzensschlägen;
Doch er faßt sich rasch und zieht den Hahn auf,
Und mit halberhobnem Rohr zum andern
Ufer späht er. Aber aus dem Dickicht
Tritt ein Wolf hervor, ein riesengroßer,
Zottig grau, mit grünen Feueraugen.
Langsam bis an's Brücklein trabt das Unthier,
Schaut dort um und gähnt und fletscht die Zähne;
Grade schußrecht steht es für den Jäger.
Doch Basil verschmäht die sichre Beute,
Für ein ander Ziel die Kugel sparend;
Trägen Schritts mit abermal'gem Gähnen
Wendet sich der Wolf und trabt von dannen.

Kaum verschwunden ist er in der Waldnacht,
Da vernimmt Basil auf's neu ein Rauschen:
Diesmal hört er deutlich Menschentritte.
Jetzt schon kenntlich durch die dunklen Blätter
Scheint das rothe Feß, der weiße Vließrock;
Sieh, und jetzt in's Freie tritt der Wandrer.
Doch Manoli nicht, Manolis Knabe
Ist's, der schlanke, fünfzehnjähr'ge Stauro.
Muntern Schrittes, in der Hand ein Brieflein,
Naht er sich dem Steg; im Stral der Sonne
Glänzt sein reich Gelock und glänzt der zarte
Pfirsichflaum der leicht gebräunten Wange.
Doch nicht schaut Basil des Kindes Anmuth;
Wie Gewittersturm in seinem Busen
Tobt's von grausam jubelnden Gedanken;
Denn ein unerhörtes Werk der Rache
Beut sich dar, er kann den alten Blutfeind
Tief bis in die tiefste Seele treffen.
Und an seines Vaters Mord gedenkend
Schlägt er an und zielt. Doch wie der Knabe
Langsam nun sich bückt nach einer Blume
Und ihm still hält ahnungslos, da sträubt sich
Scheu sein Herz, im Kampf von Wuth und Mitleid
Schwankt ihm auf und ab das Rohr, es flirrt ihm
Vor dem Blick, die Wimper muß er schließen,
Daß er auf sich selber sich besinne.

Horch, da tönt ein geller Schrei und blitzschnell
Fährt er auf; den Sohn Manolis sieht er
Drüben ringend mit dem Wolf, der seitwärts
Aus dem Busch ihn wüthend angesprungen.
Ungleich ist der Kampf; des Feindes Kehle
Preßt in Todesangst zurück der Knabe;
Aber schon versagt die Kraft den Händen,
Taumelnd sinkt er schon – da liegt urplötzlich
Fest und unbewegt der Lauf der Flinte,
Und es kracht der Schuß. In seinem Blute
Wälzt am Grund verendend sich das Unthier.

Bleich vor Schreck, beströmt vom Blut des Wolfes
Springt der Knab' empor, er sieht den Retter
Jenseits stehn am hohen Felsenufer,
Und zum Steg mit aufgehobnen Händen
Vorwärts eilt er, stürmisch ihm zu danken.
Doch gebiet'risch winkt Basil zurück ihm:
»Geh, bestelle deinen Brief im Kloster!
Doch dem Vater sage, wenn du heimkommst:
Diese Kugel, die den Wolf getödtet,
War für ihn bestimmt; er soll sich hüten,
Hüten vor Basil, dem Sohn des Milo!«

Ruft's, und eh' den Sinn der Worte Stauro
Noch gefaßt, ist er im Busch verschwunden.


III.

Früh am andern Tag, um Sonnenaufgang,
Hört Basil an seinem Haus ein Pochen;
Hastig springt er auf und eilt hinunter.
Aber Lambra hat die Thür geöffnet
Und bestürzt erwartet sie den Bruder;
Denn im hellen Glanz der Morgensonne
Vor der Schwelle steht ihr Feind Manoli.
Doch nicht feindlich heute blickt sein Antlitz;
Waffenlos, in weißen Kleidern kommt er,
In der Hand ein grünes Blatt vom Palmbaum.

Fremden Blickes mißt Basil den Alten;
Aber der, sein dunkles Auge langsam
Auf den Jüngling heftend, spricht: »Du weißt es
Was mich hertreibt; dir zu danken komm' ich,
Dir zu danken, daß aus Todesnöthen
Du des Hauses Liebling mir gerettet.
Nein, dein Antlitz wende nicht, der Lippe
Wehre nicht, des Retters Hand zu küssen,
Nicht zu scheuen brauchst du die Berührung.
Denn noch eines hab' ich zu verkünden,
Was nur Gott und mir bekannt, und was ich
Stolz verschwieg, der Feigheit Schein zu meiden.
Aber heut bezwingt mich deine Wohlthat
Und mein Hochmuth wird vor dir zu Schanden.

Wisse denn, wohl hab' ich lange Jahre
Drauf gesonnen, Milo, deinen Vater,
Weil er mir den Ohm, erschlug, zu tödten;
Aber Gott im Himmel hat's verhütet
Und sein Blut ist nicht an meinen Händen.
Doch an jenem Abend, da bei Kostja
Sein Geschick ihn traf – du kennst die Stelle,
Wo der schmale Felspfad über'm Abgrund
Um den Klippenvorsprung scharf sich windet –
Dort urplötzlich stand er mir genüber.
Wehrlos stand er, denn das Schloß der Flinte
Hatt' er sorgsam schon, dem Thau zur Abwehr,
Mit dem gelben seidnen Tuch umwickelt.
Da erkannt' er mich und schnell sich fassend
Eh' ich noch vermocht das Rohr zu heben,
Mich zu unterlaufen, stürmt' er vorwärts.
Doch das Steingeröll, vom Sprung erschüttert,
Wich mit Krachen unter seinen Füßen,
Und zerschmettert stürzt' er in den Abgrund.
Also hat er dort den Tod gefunden
Durch die Hand des Ew'gen, nicht durch meine.

Langsam spricht's der Greis und athmet tief auf,
Wie von langem, schwerem Druck entlastet;
Unaufhaltsam strömen Lambras Thränen.
Aber wortlos steht Basil, noch weiß er
Kaum das Unerwartete zu fassen,
Das mit freud'gem Schrecken auf ihn eindringt.
Endlich tritt er dicht heran zum Alten,
Blickt ihm lang und forschend tief in's Auge,
Tief hinab, bis auf den Grund der Seele,
Und dann ruft er: »Ja, du sprichst die Wahrheit,
Und dem Herrn im Himmel darf ich danken,
Daß er gnädig uns vom Fluch erlöst hat.
Ewig ab und todt ist unser Hader;
Sei willkommen denn in meinem Hause!«

Ruft's und sanft Manolis Hand ergreifend
Führt er selbst ihn über seine Schwelle.
Lambra sieht's und fliegt zum Schrein am Heerde;
Brod und Salz auf irdner Schüssel bringt sie.
Und sie theilen Brod und Salz, und trinken
Aus demselben Krug vom selben Weine,
Wie's der Gastfreund thut mit seinem Gastfreund.
Schweigend wird das Friedensmahl vollendet,
Und dann scheiden sie mit Händeschütteln.

Aber Lambra weckt die jüngre Schwester,
Daß mit ihr ein frommes Werk sie rüste:
Blumen pflücken sie, die schönsten Blumen,
Die der Garten trägt, Jasmin und Rosen
Und die weißen Blüten der Orange.
Und des Vaters Grab zu schmücken gehn sie,
Und zu beten an der heil'gen Stätte,
Ohne Haß, in Thränen stiller Trauer.



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