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Dramaturgisches.


Das Drama.

Prolog zur Eröffnungsfeier des Residenztheaters zu München am 28. November 1858.

Zum erstenmal nach jahrelanger Stille
Vereint in diesen Hallen, die auf's neu
Aus Schutt und Trümmern prachtvoll aufgestiegen,
In buntem Kreis euch heut' ein frohes Fest;
Und in der Muse Namen, deren Dienst
Ich fromm verwalte, heiß' ich euch willkommen.
Denn Ihr gehört dieß Haus, und unsichtbar
Im Ton, den ihr vernehmt, im leisen Schauer,
Der von des Vorhangs Wallen zu euch fließt,
Im Glanze, drin sich Sitz' und Säulen baden,
Umwittert euch ihr Götterhauch; ihr fühlt
Von festlich hoher Stimmung euch bewegt,
Als hättet ihr ein Heiligthum betreten.

Und ist's nicht so? Ist nicht geweiht die Stätte,
Wo in fortwandelnder Gestaltung euch
Ein Bild des Lebens und der ew'gen Mächte,
Die alles Lebens walten, nahe tritt?
Wo in des Schicksals furchtbar ernstem Schreiten,
Im Spiel des Zufalls, das sich heiter knüpft
Und heiter löst, ihr, schaudernd oder lächelnd,
Zuletzt doch stets ein Göttliches erkennt,
Ein wandellos Gesetz, das, über'm Abgrund
Der Leidenschaften schwebend, Schuld und Leid
Ernst wägend ausgleicht, oder Lüg' und Thorheit
Am Licht der Wahrheit ruhig schmelzen läßt?
Denn nicht die müß'ge Stunde bloß verkürzen
Will euch der Dichter; nein, er will die Welt
Und ihre Ordnung, klar zum Kreis beschlossen,
Euch widerspiegeln, und, indem er euch
Des Schicksals Wurzeln im Gemüth enthüllt,
In's eigne Herz hinabzuschau'n euch mahnen,
Darin auch ihr verborgen Glück und Unheil
Und die Gestirnung eurer Loose tragt;
Aufschließen will er euch die Brust, den Strom
Der stockenden Empfindung fluten machen,
Und durch die Schauer süßen Mitgefühls
Den sturmbedürft'gen, doch vom Lebenszwange
Beklemmten Sinn erleichternd reinigen.
Denn stumm ist oft die Freude, stummer noch,
Wie durch der Gorgo nahen Blick versteinert,
Das selbsterfahrne Leid. Doch wenn die Kunst
Mit priesterlicher Hand nun Lust und Trauer
In ihre reine Sphäre hebt, und, mächtig
An's Herz anklingend mit verwandtem Ton,
In fremder Schickung euch die eigne zeigt:
Da jauchzt befreit empor die trunkne Seele,
Da löst wohlthätig sich der starre Bann
Des Schmerzes, und entladet sich in Thränen,
Und menschlich euch im Menschlichen erkennend,
Erheitert und erhoben kehrt ihr heim.

Das ist das heil'ge Werk der Reinigung,
Das tiefen Sinnes schon die frommen Alten
Der Bühne zugetheilt. Am Götterfest
Schloß sie sich auf, und in des Spieles Mitte
Stand der Altar. Und wenn die Kunst seitdem
Vom riesigen Kothurn herniedersteigend
Gesell'ger oft, vertrauter zu euch tritt,
Kein andres wurde drum ihr hohes Amt;
Denn ewig gleich durch aller Zeiten Wechsel
In seinem Anspruch blieb das Menschenherz,
Und nach Erschütt'rung lechzt es heut wie vormals,
Damit es, von der eignen Füll' erlöst,
In heiterm Gleichgewicht sich wiederfinde.

So ruft denn hier auch, wo mit seltnem Glanz
Ein würd'ger Schauplatz unserm Spiel sich öffnet,
Das alte Ziel uns in die neue Bahn;
Und wie vorstrebend wir's in's Auge fassen,
Noch fern erscheint's uns, unerreichbar nicht.
Denn viel vermag der Muth, der reine Wille,
Und über manches Hemmniß, das dem Blick
Sich dräuend aufthürmt, trägt in hoher Stunde
Der Flügel der Begeistrung sicher fort.
Nur seid auch ihr uns hülfreich; fordert nicht
Vom Werdenden schon der Vollendung Weihe,
Vom treuen Jünger schon des Meisters Kranz.
Erwägt, wie schwer, wo hundert Kräfte sich
Begegnen müssen, daß ein Ganzes werde,
Dieß Ganze völlig fleckenlos sich zeigt
Vor allem aber wendet euch nicht ab,
Wenn wir nach Hohem greifen, das vielleicht,
Für uns vielleicht, schwer zu erringen scheint.
Es heischt die Kunst ein unverzagtes Herz,
Und wie der Kriegsmann nur, wo ungewiß
Die Schlachtenwage schwankt, zum Helden wird,
So kann die Kraft auch, die ein Gott uns lieh,
Nur dann gedeihn und reifend sich vollenden,
Wenn sie sich kühn, selbst ein Mißlingen wagend,
Am Großen und Gewalt'gen üben darf.
O das vergönnt uns! Gebt den Strebenden
Ermuth'gend Raum, und euer Antheil wird,
So wie ein günst'ger Wind dem jungen Adler
Den Flug erleichtert, uns erhebend tragen,
Bis uns zuletzt ein froh Gelingen krönt.

Heut aber führen wir euch nicht in's Reich
Der wilden Leidenschaft, zu jenen Tiefen,
Darin in furchtbarer Erhabenheit
Die Schicksalsmächte thronen: heute gilt's
Ein heitres Bild mit Anmuth zu gestalten;
Denn heiter ist das Fest, das wir begehn:
Das Wiegenfest des vielgeliebten Herrschers,
Der, wie er jedem geistgebornen Thun
Ein Schirmvogt ist, auch unserm Spiel sich neigt.
Und wie am Tag der Freud' ihm laut und lauter
Des Volkes Herz entgegenschlägt, und wie
Die hohe Wissenschaft, für die er glüht,
Ihn huld'gend feiert, also legt ihm auch
Die Himmlische, der er in diesen Räumen
Zu würd'gem Dienst den würd'gen Tempel schuf,
Die Muse dankbar ihren Kranz zu Füßen.
Heil ihm und seinem Hause für und für!


Epistel.

    Weil dir die Quelle die Liedes gemach bei schwindender Jugend
Spärlicher fließt, und du doch von der süßen Gewöhnung des Dichtens
Nimmer zu lassen vermagst, so sehnst du dich, schreibst du nach anderm
Ziel und möchtest dich gern als dramatischer Dichter versuchen.
Aber wiewohl du die Welt und das Herz und die Wege des Schicksals
Kennst, und ein Meister dich fühlst, das geflügelte Wort zu gestalten,
Lehrt Erfahrung dich doch, den getreuen Besucher des Schauspiels,
Daß du noch anderer Dinge bedarfst, um herab von den Brettern
Auf das versammelte Volk, im Kothurn hinschreitend, zu wirken.
Und so kommst du zu mir, der den Sprung schon über die Lampen
Nicht unglücklich gewagt, und verlangst für das gleiche Beginnen
Freundlichen Rath. Aus welchem Gebiet und mit welcherlei Rücksicht,
Fragst du, wähl' ich den Stoff? Und worauf in Entwurf und Behandlung
Acht ich zumeist, daß der Bühne gerecht mein Werk sich erweise?

   Das heißt freilich in's Große gefragt, und mit wenigen Worten
Vieles begehrt, und wär' ich der Mann, auf jeglichen Punkt dir
Gründlich Rede zu stehn, zum Buch wohl schwölle der Brief an.
Doch nicht reicht mir die Kraft. Und so laß mich vom Faß dir den Becher
Schöpfen, so gut ich vermag. Vielleicht auch g'nügt es zum Anfang.

   Wenn dir das epische Lied unsterbliche Thaten und Leiden
Singt aus vergangener Zeit, und im ruhigen Licht der Erinn'rung
Klar das Gewordene zeigt, so sagt des Dramatikers Name,
Daß er als Handlung dir das Geschick des erkorenen Helden
Vorzuführen gedenkt; als ein Werdendes sollst du es anschau'n,
Wie's aus den Tiefen der Brust im Streit sich entfaltend emporwächst.
Denn die Handlung beruht auf der Wahl, und die Wahl auf dem Zwiespalt.
Drum, was immer noch sorgt sich vereinigen muß, dem Gedichte
Körper und Fülle zu leihn, die belebende Seele des Drama's
Bleibt das Menschengemüth im Kampf mit sich selbst und dem Weltlauf,
Wenn zur Rechten sich ihm, zur Linken die Pfade verwirren,
Während der Stunde Gebot mit Gewalt fortdrängt zur Entscheidung.
Aus dem Entschluß dann sproßt, wie die That mit der That sich verwickelt,
Durch die bestimmende Macht nachwachsender Folgen das Schicksal.
Frei nur ist der entscheidende Schritt, nothwendig das andre.

   Dessen gedenk nun wähle den Stoff, und wähl' ihn dir also,
Daß sich der innere Kampf, durch den du den Helden hindurchführst,
Tief in der Menschennatur, jedwedem verständlich, begründe.
Denn das fesselt uns nur, was die eigene Brust als natürlich
Nachzuempfinden vermag. Fremdartiges läßt und Gesuchtes
Kalt, wie verschwenderisch auch der Poet mit Schmuck es umkleide.
Aber begreifen wir 'ganz in der Seele des Helden den Zwiespalt,
Fühlen wir nach, was zur That ihn bewegt, und bleibt er im Innern
Unserm Verständniß vertraut; so bedünkt's von wenig Gewicht mir,
Ob er im Kreuzzugspanzer erscheint, im spanischen Hofrock,
Oder ob er sich hüllt in die Falten der römischen Toga.
Denn stets bleibt sich das Menschliche gleich, und die Wetter im Busen
Sind dieselben noch heut, die vor Jahrtausenden grollten.
Kleid und Gesittung verwandelt die Zeit, und es werde der Dichter
Ihnen gerecht, doch, klug mit gelinderem Stift sie umreißend,
Zeig' er inmitten des Bilds was allen Zeiten gemein ist.
Selbst der begehrteste Stoff, der vaterländische, wirkt nur,
Wenn er getragen erscheint vom Menschlichen, das er uns freilich
Oftmals dann zu erhöhen vermag, doch nie zu ersetzen.

   Aber bewegt dich ein Stoff, der so der Vernehmenden Antheil,
Dir nachhaltig zu fesseln verheißt, dann prüfe vor allem,
Ob er als Fabel sich dir darstellt in geschlossener Einheit,
Voll und sich selber genug, und ohne zerstreuendes Beiwerk
Auf dasselbige Ziel hinstrebend mit sämmtlichen Fäden;
Denn wie verwickelt und reich dir die Handlung zu weben erlaubt ist,
Nur Ein großes Geschick hat Raum im Rahmen des Dramas.

   Dann erst geh' an den Bau, der, wie sich die Handlung in Anlaß,
Schürzung und Lösung zerlegt, dreitheilige Gliederung fordert.
Aber der mittlere Theil, wo der Held, bald innerlich uneins,
Bald von außen bedrängt, durch gesteigerte Hemmungen vordringt,
Heischt den bedeutendsten Raum und erwächst selbst wieder zur Dreiheit,
Wie die Verwickelung steigt, und den Gipfel erreicht und im Umschwung
Schon auf das Ziel hinlenkt, so daß fünf Akte sich runden,
Jeder geschlossen und jeder ein Ring in der Kette des Ganzen.

   Demnach bilde den Plan und erwäge die Folge der Scenen
Reiflich, dem Bauherrn gleich, der klug auf dem Blatte den Riß macht,
Eh' er zu mauern beginnt. Denn was als Dichter dich sonst zeigt,
Bildkraft, Redegewalt und der flutende Strom der Empfindung,
Reicht auf der Bühne zum Sieg nicht aus. In der Strenge des Aufbau's
Ruht des Erfolgs Bürgschaft und das große Geheimniß der Wirkung.
Selber ein mäßig Gedicht, dafern mit Verstand es gefügt ward,
Mag von den Brettern erfreun. Doch die geistvoll blühendste Schöpfung
Langweilt, wenn der Poet sie in schlotternder Gliederung hinwarf.

   Laß dich darum bei des Stoffs Anordnung der Zeit und der Mühe
Nimmer gereun! Und so sorge zuerst daß du klar und natürlich
Uns in die Ding einführst, wie sie stehn beim Beginne der Handlung,
Sei's im bewegteren Bild, das gedrängt die Verhältnisse spiegelt,
Sei es im bloßen Bericht. Denn anfangs, wo sich der Hörer
Ruhig und frisch noch fühlt, der Erzählung lauscht er nicht ungern.
Doch aufsteigend sodann, wie der Ring aus dem Ring an der Palme,
Wachse die Scen' aus der Scene hervor, den Vorübergegang'nen
Jegliche kräftig entsproßt und zugleich uns aus der Begegnung
Widersprechender Kräft' und Naturen ein Neues bereitend.
Denn als erstes Gesetz für die Bretter erweist sich der Handlung
Rastlos strebender Gang. Durch ihn nur zwingst du den Hörer
Bis an das Ziel dem Gedicht theilnehmenden Sinnes zu folgen.
Buntaneinandergereihtes zerstreut, Fortschreitendes fesselt.
Meide darum im Verlauf der Entwickelung jeglichen Stillstand,
Halt' Abschweifendes fern, sei knapp im Schildern und ruhe
Auf der Empfindung nicht aus, die leicht zu üppig ins Laub schießt.
Was dem Lyriker frommt, dem Dramatiker bringt es Verderben.
Aber vermeid' auch jeglichen Sprung; denn das Plötzliche wird uns,
Das kein Zeichen vorher andeutete, frostig bestürzen.
Nur das Werdende spannt, und des unausbleiblichen Schicksals
Nahenden Schritt schon von fern mit ahnendem Ohr zu vernehmen.

   Aber zugleich hab' Acht, daß, wie von Stufe zu Stufe
Schreitend das Stück fortwächst, sich gemach die Bewegung beflügle,
Und auf den schwächeren Schlag der gewaltiger treffende folge.
Denn wo die Steigerung fehlt, da erlischt allmählich der Antheil.
Wohl am sichersten triffst du das Maß, wenn leise beginnend
Schritt vor Schritt du die Spannung verstärkst bei jeglicher Scene,
Bis in erschütternder Macht des Geschicks Umschwung sich enthüllt hat.
Auf gleichmäßiger Höh' mag dann fortschreiten die Handlung,
Wenn sie nur nicht absinkt. Doch zuletzt, wo der Knoten sich auflöst,
Steige sie nochmals an, auf erhabenstem Gipfel zu enden.
Darum spare die Kraft und vertheile mit Kunst die gebot'nen
Mittel, damit sie dir nicht an der Nachdruck heischenden Stelle,
Weil du zu früh sie verschwendet, erschöpft sein, oder zu dicht auch
Uebereinandergehäuft das Gefühl abstumpfen des Hörers.
Denn wie die Armuth lähmt, so erdrückt das Zuviel in der Wirkung.
Stets auch bleibe der Eindruck schön; er erhebe das Herz uns,
Ob er mit Schauern es füllt. Doch wenn du auf weichliche Rührung
Ausgehst, oder, der Kunst urewige Schranke verachtend,
Nach dem Empörenden greifst und mit leiblichem Grausen uns anpackst,
Jauchzt der Pöbel vielleicht; doch Melpomene wendet das Haupt ab.

   Soviel send' ich dir heut. Zwar manches hätt' ich mit Fug auch
Von den Gestalten gesagt, und wie sie der Dichter am besten
Wählt und bestimmt ausprägt zu natürlichen Trägern der Fabel,
Fertig von Anfang die und jene sich innerlich wandelnd;
Aber ich schieb' es hinaus auf andere Zeiten; des Lehrtons
Müde verlangt mir das Herz in bewegterem Klang sich zu lösen.
Denn schon hört' ich der Schwalbe Gesang, und über den Garten
Säuselt es her vom Gebirg wie verheißender Odem des Frühlings.
Nimm denn freundlich das Wenige hin. Und lass' es ein Gott dir
Fruchtbar werden im Geist, daß ein stattliches Werk dir gelinge
Allen zur Lust. Denn Wissen ist gut, doch Können ist besser.



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