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Der Riese im Topf

. In alten Zeiten lebte ein Fischer, der konnte mit seiner Hände Arbeit nicht so viel verdienen, daß er seine Frau und seine drei Kinder zu ernähren vermochte. Eines Morgens, als der Mond noch am Himmel stand, warf er seine Netze ins Meer, aber er zog nichts heraus als das Gerippe eines Esels, davon ihm das Netz zerriß. Er flickte es, verdrießlich über den schnöden Fang, und warf es von neuem. Abermals fühlte er einen Widerstand; da er es aber zog, war ein großer Korb voll Sand und Schlamm darin, für den ihm kein Mensch einen Heller bezahlt hätte.

Darüber geriet der Mann in noch größere Betrübnis, säuberte die Maschen von dem Schlamme und versuchte sein Glück mit schwerem Herzen zum dritten Male. Aber er zog nichts als Steine, Muscheln und morsches Holzwerk aus der Flut.

Seine Verzweiflung wuchs in dem Gedanken an sein Weib und seine hungernden Kinder über die Maßen, gleichwohl wusch er das Garn und warf es wieder hinaus.

Als er glaubte, daß endlich ein paar Fische sich hineinverirrt hätten, zog er es von neuem und sah zu seinem Erstaunen: diesmal hatte er einen großen Messingtopf gefangen, der war mit Blei verschlossen und war sehr schwer zu tragen.

»Ei,« dachte der Fischer, »ist es auch nichts zu essen, so will ich den Topf doch an den Gelbgießer verkaufen, und mit dem Gelde, das ich löse, will ich ein Maß Mehl erstehen.«

Ehe er sich auf den Weg machte, öffnete er den Topf mit seinem Messer; denn er wunderte sich, daß der so schwer sei. Aber es war nichts darin. Darüber wuchs sein Erstaunen noch mehr.

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Er setzte das merkwürdige Gefäß vor sich in den Sand und betrachtete es. Auf einmal stieg ein dicker Rauch daraus empor, der ballte sich zu einem Riesen und stand nun drohend vor dem Fischer. Der aber kannte keine Furcht und sagte: »Erzähle mir, wer du bist und warum du in diesem Messingtopfe verschlossen warst.«

Da runzelte der Riese die Stirn und sprach: »Rede höflicher mit mir, bevor ich dich töte!«

»Hu,« versetzte der Fischer, »warum willst du mich töten? Bin es nicht gewesen, der dich aus deinem engen Gefängnis befreit hat?«

»Das weiß ich wohl. Aber es soll mich doch nicht abhalten, dich zu töten. Ich habe dir nur eine einzige Gnade zu gewähren.«

»Du scheinst mir ein sonderbarer Kauz zu sein,« erwiderte der Fischer ... »und was für eine Gnade wäre denn das?«

»Ich lasse dir die Wahl, auf welche Weise ich dich töten soll.«

»So, so,« versetzte der Fischer. »In deinem Reiche scheint man Wohltaten sonderbar zu belohnen. Womit habe ich dich denn eigentlich beleidigt?«

Der Riese zog die Achseln und sagte: »Ein mächtiger König überfiel mein Reich, und weil ich mich seinen Befehlen widersetzte – denn er hatte mich im Schlafe überlistet – und weil ich ihm nicht den Eid der Treue leistete, so ließ er mich in dies Gefäß einschließen und den Deckel verlöten. Als das geschehen war, wurde ich ins Meer versenkt. Ein Jahrhundert lag ich so in der Gefangenschaft, da schwur ich: wenn mich jemand daraus befreite, wollte ich ihn unermeßlich reich machen. Aber es kam niemand, der mich erlöste. Das zweite Jahrhundert kam, und ich gelobte: »Wer mich befreit, dem öffne ich alle Schätze der Erde.« Allein, es hörte mich keiner. Wenn mich im dritten Jahrhundert jemand in Freiheit gesetzt hätte, so hätte ich ihn zu einem mächtigen Könige gemacht ... Vergeblich! Da überkam mich der Zorn, und ich schwur im vierten Jahrhundert meiner jämmerlichen Gefangenschaft: »Wer mich nun befreit, den will ich erbarmungslos töten. Und nun wähle, auf welche Weise du dein Leben verlieren willst!«

»Ich sehe ein, daß ich ein Unglücksvogel bin,« sagte der Fischer; aber weil er dachte, der Riese würde am Ende doch noch mit sich reden lassen, schöpfte er noch einmal Hoffnung und begann: »Siehst du denn nicht, daß du im Begriff bist, eine große Ungerechtigkeit zu begehen? Wenn du mir das Leben schenkst, so wirst du zur Belohnung sicherlich vor allen Nachstellungen geschützt sein, welche dein Leben etwa bedrohen.«

Aber der Riese schüttelte den Kopf: »Nein, das gilt nicht! Dein Tod ist gewiß; also wähle!«

Inzwischen hatte sich der Fischer auf eine List besonnen; denn Not macht erfinderisch, und er sagte: »Ich sehe schon, mein letztes Stündlein hat geschlagen. Aber weil jeder, der zum Tode geht, noch eine Bitte aussprechen darf, so laß auch mich reden.«

»So frage, was du willst; aber eile dich!«

»So schwöre mir, daß du in diesem Gefäße warst; denn bei meiner Treue, ich kann's nicht glauben. Dieser Topf ist ja nicht einmal groß genug für einen deiner Füße. Wie könntest du selber vierhundert Jahre darin gesessen haben?«

»Ich schwöre: es ist dennoch so gewesen,« versetzte der Riese.

»Aber ich werde dir nicht glauben, wenn du mir das Kunststück nicht noch einmal vormachst.«

Auf einmal wandelte sich der Leib des Riesen wieder zu Rauch; der breitete sich gleich einer Wolke am Gestade aus, zog sich in ein faustdickes Wölklein zusammen und kroch in den Topf. Danach kam eine Stimme aus dem Topfe: »Wohlan, Fischer, da bin ich wieder in dem Gefäße! Glaubst du mir nun?«

Der Fischer jedoch besann sich nicht lange, stülpte den Deckel darüber und setzte sich darauf. »Mein undankbarer Riese,« rief er, »jetzt ist die Reihe an dir, um Gnade zu bitten; und nun wähle, welchen Tod ich dich sterben lassen soll. Aber halt – es ist am besten, ich werfe dich gleich wieder ins Meer an derselben Stelle, an der ich dich herausgezogen habe. Dann will ich mir an diesem Strand ein Häuschen bauen und will alle Fischer warnen, die hier ihre Netze auswerfen; denn sie sollen sich hüten, einen so boshaften Riesen ans Licht zu fördern.«

Da legte sich der Riese aufs Bitten und sagte mit sanfter Stimme: »Mein lieber Fischer, was ich getan habe, ist ja nur ein Scherz gewesen, und du hättest die Sache nicht so ernsthaft nehmen sollen.«

»Aha,« antwortete der Fischer; »aber deine listigen Reden helfen dir nichts. Fort mit dir ins Meer!«

Da bat der Riese flehentlich um Erbarmen; aber der Fischer sagte: »Du hast deine große Kraft bloß zum Unheil der Menschen; darum will ich dich in der Haft lassen, in der du deine Kräfte nicht gebrauchen kannst, und ich will sie dir rauben bis zum Ende der Tage.«

»Noch ein Wort, Fischer,« klagte der Riese in seiner Not; »wenn du mich freiläßt, will ich dich zu einem steinreichen Mann machen.«

Da dachte der arme Fischer an den Hunger seiner Kinder und ließ sich erweichen. »So schwöre mir,« sagte er, »daß du Wort hältst; dann will ich den Topf öffnen.«

Der Riese schwur, und der Fischer hob den Deckel; da ging ein Rauch heraus wie zuvor; und aus dem Rauche ward wieder der Riese, der nun nichts Eiligeres zu tun hatte, als den verdächtigen Messingtopf mit dem Fuß ins Meer zu schleudern. Wie der Fischer das sah, erschrak er sehr, aber der Riese beruhigte ihn und sagte: »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Nimm nur dein Netz und folge mir!«

Alsbald schritt der Fischer hinter dem Riesen drein; sie kamen an einer Stadt vorbei und bestiegen einen sehr hohen Berg; auf der andern Seite schritten sie in eine weite Ebene, und in dieser Ebene lag ein Teich, der war von vier Hügeln umgeben. Im Wasser lebten sehr viele Fische von vier verschiedenen Farben, weiße, rote, blaue und gelbe. Und der Riese gebot dem Fischer, er solle nun sein Netz auswerfen. Es geschah, und er fing vier Fische, von jeder Farbe einen. »Trage diese Fische zum Könige,« sagte der Riese, »und er wird dir mehr Geld dafür geben, als du je gesehen hast. Du darfst alle Tage an diesen Teich fischen kommen, aber das Netz darfst du nicht öfter als einmal auswerfen. Wenn du das genau befolgst, wirst du glückselig leben.« Danach stampfte der Riese mit dem Fuß auf die Erde, die öffnete sich, und der unheimliche Gesell versank lautlos in den Spalt.

Der Fischer aber war sehr vergnügt, nahm sich vor, die Weisung genau zu befolgen, und machte sich auf den Weg zum Könige. Dessen Erstaunen war groß; denn er hatte so schöne Fische noch nie gesehen. Er ließ dem Fischer vierhundert große Goldstücke verabreichen, und so oft er Lust nach neuen Fischen bekam, sandte er zu dem glücklichen Fischer und belohnte ihn jedesmal mit der gleichen Summe. Davon ist der ein reicher Mann geworden; und weil er nicht habgierig war, sondern das Gebot des Riese getreulich hielt, lebte er glücklich bis an sein Ende.

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