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Ein Dorfschulze – das ist in unserer Zeit ein Gemeindevorsteher – hatte viel Vieh, ein schönes Weib und zwei Söhne. Weil das Dorf aber in der Nähe der Wüste lag, brach häufig ein Löwe in seine Grenzen und raubte sich ein Tier aus den Herden Abu Sabirs, des Schulzen.
Keinem der Hirten gelang es, den blutigen Räuber zu überwältigen; und so schmolz die Zahl der Kühe und Kälber auf der Weide immer mehr.
Der Schulze, der ein sehr geduldiger Mann war, wußte auch keinen Ausweg; denn die Flinten waren in jener Zeit noch nicht erfunden, und den Fallen ging der listige Löwe aus dem Wege.
Darüber ärgerte sich Frau Abu Sabir sehr, und eines Tages begann sie einen hellen Streit mit ihrem Manne.
»Du wärst mir einer!« sagte sie. »Wenn du Mut hättest, wie es sich für einen ordentlichen Schulzen schickt, so hättest du dich längst in den Sattel gesetzt und wärst ausgeritten, den Löwen zu erlegen! Wie kann ein Mann ruhig zusehen, wenn ihm an jedem Tage ein Stück Vieh geraubt wird!«
Abu Sabir aber zog die Achseln und sagte: »Meine liebe Xantippe, rege dich nicht auf; denn Geduld wird gekrönt. Dieser Löwe ist zwar ein sehr unangenehmer Nachbar, aber Gott wird ihn sicherlich vernichten. Wer Böses tut, auf den fällt es zurück.«
Darüber lachte die Frau laut auf.
Aber während sie ihren Mann noch wegen seiner vermeintlichen Feigheit verhöhnte, erklangen über die Steppe her Jagdtrompeten: der König mit seinem Gefolge war auf den Löwen gestoßen und hatte ihn erlegt.
Als dies Abu Sabir erkannte, sprach er zu seinem Weibe: »O Frau, habe ich dir nicht gesagt, daß auf den Verbrecher alle seine Übeltaten zurückfallen? Hätte ich selber die Bestie zu töten versucht, so wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen. Nun aber ist meine Geduld belohnt.«
Dagegen konnte die Frau nicht viel einwenden, aber sie wartete auf eine andere Gelegenheit, ihrem Manne das Leben schwer zu machen.
Nicht lange, so geschah es, daß in Abu Sabirs Dorf ein Mensch ermordet wurde. Allein, es gelang dem Schulzen nicht, den Mörder ausfindig zu machen.
Darüber wurde der König so zornig, daß er das ganze Dorf ausplündern ließ. Abu Sabirs Herden und ein großer Teil seines Gutes wurden von den Plünderern davongeführt.
Darüber erhob die Frau des Schulzen ein großes Geschrei, schalt ihren Mann und schrie: »Läßt du dich also ungerecht behandeln, Abu Sabir? Und nicht einmal mit einem Schwerthieb setzest du dich zur Wehr? Geh' zum König, trage ihm deine Sache vor und fordere alles von ihm zurück, was sie dir genommen haben!«
Der Schulze aber blieb auf seiner Schwelle sitzen und sprach: »Wer Böses tut, mein liebes Weib, dem widerfährt Böses! Wenn der König den Leuten ihr Gut nimmt, so wird auch ihm das Seinige einst genommen werden.«
Das hörte ein Nachbar. Und weil er sich beim König einen guten Stand sichern wollte, lief er hin und machte den Angeber, indem er sagte: »So und so hat der Schulze Abu Sabir von dir gesprochen!«
Da ergrimmte der König sehr, ließ dem Schulzen auch noch den Rest seiner Habe nehmen und ihn samt seiner Frau und seinen beiden Söhnen aus dem Dorfe jagen.
Das war sehr hart von dem Könige, und die Frau wanderte nun neben ihrem geduldigen Abu durch die Steppe und hörte nicht auf seine Langmut und seine Schwäche zu schelten.
Aber Abu Sabir ließ sich auch jetzt nicht aus seinem Gleichgewicht bringen und sagte: »Gedulde dich nur, liebes Weib, denn Geduld ist eine sehr kostbare Tugend, und es nimmt damit stets einen glücklichen Ausgang.«
Dann zogen sie wieder ein Stück Wegs.
Da wurden sie von Räubern angefallen, die raubten ihnen ihre Sachen und führten ihre beiden Knaben fort.
Darüber geriet die Frau in Wut und Verzweiflung und schrie: »Mache dich auf, hole die Räuber ein und fordere deine Kinder von ihnen zurück!«
Aber Abu Sabir versetzte: »Was könnte mir das nützen? Sie würden mich wahrscheinlich erschlagen; denn meine Kraft ist zu gering gegen so viele. Gedulde dich, liebes Weib – du weiht, alles Übel fällt auf den Übeltäter zurück.«
Sehr traurig zogen sie weiter und gelangten in die Nähe einer Stadt.
Die Frau setzte sich an das Ufer eines Bächleins, Abu Sabir aber ging in die Stadt, eine Wohnung zu suchen.
Plötzlich kam ein Reiter und rief die Frau an: »Stehe auf und setze dich zu mir aufs Pferd; denn du sollst mein Weib sein und sollst es gut bei mir haben.«
»Ach, Herr,« sagte die Frau in ihrer Not, »ich habe ja schon einen Mann!«
Aber der Reiter wollte nicht lange mit sich handeln lassen.
»Gut,« sagte er, »wenn du nicht mit mir gehen willst, so will ich dir wenigstens den Kopf abschlagen.«
Da dachte die Frau an Abu Sabirs Wahlspruch, daß alles Übel auf den Übeltäter zurückfalle, besann sich und sprach: »Ich gehe mit dir!«
Sie schrieb aber zuvor mit den Finger in den Sand: »Siehst du, Abu Sabir, du hast so lange in Geduld gewartet, bis du dein Gut, deine Kinder und deine Frau verloren hast! Nun wirst du dein ganzes Leben in Trauer verbringen, und du kannst sehen, was dir deine Geduld nützt.«
Danach nahm sie der Reiter zu sich in den Sattel und jagte mit ihr davon.
Abu Sabir war natürlich sehr erstaunt, als er zurückkehrte und die Schrift im Sande las. Er setzte sich daneben ans Ufer und sprach zu sich: »Soll meine Geduld nun zu Ende sein? O nein: die beste Tugend ist, sich diese Tugend in allen Lagen des Lebens zu bewahren. Also, halt aus, Abu Sabir!«
Er stand nach einiger Zeit von seinem Platze auf und ging aufs Geratewohl vorwärts.
Da traf er eine Schar Werkleute, die mußten am Königspalaste fronen. Und als der Aufseher den gewesenen Schulzen herannahen sah, rief er ihn an und sprach: »Heran, Abu Sabir! Wenn du nicht mit diesen Leuten arbeitest, so laß ich dich auf Lebenszeit einsperren!«
Da machte sich der geduldige Dorfschulze an die Arbeit und erhielt jeden Tag ein Brot dafür.
Eines Tages fiel einer der Arbeiter von einer Leiter und brach sich den Fuß. Er schrie und schalt, aber Abu Sabir tröstete ihn: »Lieber Freund, fasse dich in Geduld, denn in Geduld findest du Glück.«
Der Arbeiter aber schalt weiter und fragte: »Wie lange soll ich mich denn gedulden?«
Abu Sabir erwiderte: »Gedulde dich; denn Geduld erhebt den Mann aus tiefer Grube auf den Königsthron!«
Um diese Zeit schaute der König zu seinem Fenster heraus, hörte die Worte Abu Sabirs und ließ ihn zur Strafe in eine tiefe Grube vor seinem Palaste werfen. Dann sprach er: »Du Dummkopf, jetzt sieh zu, wie du aus dieser Grube auf den Königsthron steigst!«
Abu Sabir mußte nun darinnen sitzen viele Wochen lang. Damit er nicht verhungere, wurden ihm täglich zwei Brote hinabgereicht. Und er ergab sich mit Geduld in sein Schicksal.
Nicht lange, so verbreitete sich das Gerücht von der Grausamkeit des Königs über das ganze Land. Und eines Tages geschah es, daß der Herrscher ermordet in seinem Palaste aufgefunden wurde. Zuvor aber hatte der König seinen Bruder in die gleiche Grube werfen lassen, in der Abu Sabir lag; dieser Bruder jedoch war entflohen und außer Landes gegangen, ohne daß jemand davon wußte.
Als man nun den König ermordet fand, sagten die Leute: »Auf, und laßt uns den Bruder aus der Grube holen, damit wir ihn zum Könige machen!«
Sie gingen also hin und riefen – in der Meinung, sie ständen vor dem Bruder des Königs: »Heil dir, du Glücklicher, du sollst von jetzt ab an deines Bruders Statt regieren!«
Abu Sabir dachte zwar, es müßte wohl da eine Verwechslung vorliegen, aber – geduldig, wie er war, schickte er sich in das Los, das ihm bestimmt war, und legte den Königsschmuck an. Und weil er ein gerechter und milder Herrscher war, so gewann er sich die Herzen seiner Untertanen im Fluge.
Nach einem Jahre geschah es, daß der König, der Abu Sabir in seinem Dorfe einst ausgeplündert und von seinem Hause vertrieben hatte, von einem feindlichen Heere geschlagen wurde. Da kam dieser König auf der Flucht zu Abu Sabirs Stadt und bat ihn, daß er ihm beistünde.
Abu Sabir aber erkannte ihn, ließ sein Heer gefangennehmen und warf den König ins Gefängnis.
Das ganze Land wunderte sich sehr über diese Tat und man sprach: »Warum ist Abu Sabir so übel mit jenem verfahren? Das ist nicht königlich!«
Sie wagten jedoch nicht, weiter darüber zu sprechen.
Nach einiger Zeit streiften Räuber durch das Land. Abu Sabir ließ sie festnehmen, und siehe, da waren es die gleichen, die ihn einst geplündert und seine beiden Knaben geraubt hatten.
Er befahl, sie vorzuführen, und fragte: »Wo sind die beiden Knaben, die ihr einst geraubt habt?«
Da versetzten die Räuber: »Sie sind bei uns und wir wollen sie dir schenken; denn wir bereuen unsern sündhaften Wandel sehr und möchten gerne für dich streiten.«
Abu Sabir aber kehrte sich nicht an ihre Worte, sondern nahm ihnen all ihr Gut und die beiden Knaben, und befahl, sie samt und sonders hinzurichten.
Die Menschen aber, die das hörten, sagten: »Fürwahr, dieser Abu Sabir ist ein noch größerer Tyrann als sein Bruder!«
Nach diesem kam der Reitersmann, der dem Abu Sabir die Frau geraubt hatte.
»Was willst du?« fragte ihn König Abu, der zugleich oberster Richter war.
»Klage will ich führen über mein Weib; denn es macht mir das Leben schwer.«
Der König befahl nun auch, daß das Weib vorgeführt werde, und als er es erkannte, ließ er den Reiter gefangensetzen und rief die Frau als seine eigene aus.
Darüber entstand eine große Unzufriedenheit im Lande.
Der König aber wandte sich lächelnd zu seinen Wesiren und erklärte ihnen alles, was in den letzten Tagen geschehen war.
Als die Leute dies vernahmen, verwunderten sie sich über seine Klugheit und Gerechtigkeit, und ihre Liebe und Verehrung wuchs nur noch mehr. Im ganzen Lande erzählte man sich die Geschichte, wie Abu Sabir durch seine Standhaftigkeit und Geduld zu einem Königreiche gekommen war. – Ich weiß aber nicht, ob es jedem so gelänge wie Abu Sabir dem Schulzen.