Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Das Negerdorf

Rafaels Brauner, von dem Morgenritt überdies nicht angestrengt, hatte tüchtig gefressen und sich ausgeruht, und die beiden Männer ritten jetzt in scharfem Trab wieder die Straße zurück, die nach Lima führte.

Unterwegs sahen sie einen einzelnen Reiter vor sich, der vor ihnen herritt, aber wunderliche Kapriolen auf seinem Pferd machte und dieses bald an die eine, bald an die andere Seite der Straße lenkte.

»Was, zum Teufel, treibt der Bursche nur da vorn?« sagte Bertrand endlich, der ihn schon eine Weile scharf beobachtet hatte; »der reitet genau so, als ob er gegen den Wind auflavierte!«

»Das ist jedenfalls ein Eingeborener und möglicherweise betrunken«, meinte Rafael.

»Das wäre früh am Tage«, lachte Bertrand, »aber er scheint wirklich zuviel Oberfracht zu haben. Wir wollen einmal ein wenig schärfer zureiten und sehen, wer es ist« – und ihren Tieren die Sporen gebend, sprengten die beiden auf der Straße dahin und kamen dem wunderlichen Caballero rasch näher. Ehe sie ihn aber völlig erreichten, machte dessen Pferd ein paar rasche Sätze, warf dann den Kopf zwischen die Vorderbeine und die Hinterbeine hinten aus und schleuderte seinen Reiter wie einen Sack mitten in die Straße hinein, daß eine ordentliche Staubwolle um ihn her aufstieg.

Die zwei Freunde zügelten ihre Pferde neben dem Gestürzten, in dem Bertrand augenblicklich seinen Nachbar, den Cholo, erkannte.

»Holla, Pedro!« rief er diesem zu – »was zum Henker treibst du denn hier auf der Erde? Willst du im Staub schwimmen lernen?«

»Caracho!« fluchte der Bursche, indem er wieder auf die Füße sprang und die beiden Männer wild anstarrte. »Was habt ihr zwei denn wieder hier herumzuspionieren, heh? Verdammnis über euch – über dich und deinen schuftigen Gefährten!« – Und dabei blitzten seine Augen tödlichen Haß auf Don Rafael, und seine Hand suchte so augenscheinlich nach einer vielleicht verborgenen Waffe, daß der junge Peruaner fast unwillkürlich die Hand auf den Kolben seines Revolvers legte.

»Er ist betrunken«, beschwichtigte Bertrand; »laß den Burschen, der Branntwein allein spricht aus ihm; komm, wir wollen uns nicht den schönen Morgen mit dem Tier verderben« – und seinem Pferd den Schenkel gebend, sprengte er an ihm vorüber. Rafael folgte ihm, aber mehr auf seiner Hut, denn der Cholo hatte jetzt in der Tat sein langes Messer aus dem Gürtel gezogen; aber er fühlte sich doch wohl nicht fest genug auf den Füßen, um einen wirklichen Angriff zu wagen und taumelte schwerfällig wieder zu seinem Pferd zurück.

Bald darauf erreichten die beiden Reiter die Stelle, wo Rafael an diesem Morgen den Leichnam entdeckt hatte. Noch war der eifrige Gobernador mit seiner Mannschaft nicht hier gewesen, und eine Unzahl von Aasgeiern saß überall auf den nächsten niedrigen Bäumen, ja selbst auf der Mauer, und schaute gierig nach dem Mahl hinunter, wagten sich aber noch nicht an die Gestalt des Menschen.

Rafael deutete hinüber, wo die Leiche lag. Bertrand winkte aber abwehrend mit der Hand und sagte:

»Vorbei, Compañero; ich weiß, wie derlei aussieht, und bin ihnen oft genug an dieser Straße begegnet. Du hast die Anzeige gemacht, das ist genug; dem armen Teufel da drüben können wir doch nicht mehr helfen, und die paar Aasgeier tun ihm auch keinen Schaden weiter – vorbei.«

Eine halbe Stunde später schon erreichten sie die Posada am Wege. So lebendig der Platz aber am frühen Morgen gewesen war, als Don Rafael dort vorüberritt, so tot lag er jetzt, und das Haus schien wie ausgestorben. Aber keiner der Männer kümmerte sich darum. Nur einen flüchtigen Blick warfen sie hinüber, denn in der Tür vorn kauerte die alte, halb blödsinnige Frau und gestikulierte vor sich hin mit dem braunen, abgemagerten rechten Arm; aber kein Laut drang zu ihnen herüber.

Bertrand wandte sich zu Rafael, als ob er ihm etwas sagen wolle, aber die Straße herunter sahen sie einen kleinen Trupp Gendarmen kommen, und beider Gedanken kehrten damit auch zu dem verübten Verbrechen zurück, das sie hier vielleicht besser zur Anzeige bringen konnten als draußen bei dem faulen Gobernador.

Der Zugführer der Gendarmen schien indes nicht übel Lust zu haben, die beiden Freunde nach Anzeige des Mordes gleich bei sich zu behalten. Erst als sie ihre Namen genannt und der Franzose sich als Ansiedler ausgewiesen hatte, mochte er eine bessere Meinung von ihnen bekommen, notierte sich die Namen und ritt dann im scharfen Trab der Stelle zu.

Als die Gendarmen kaum zehn Minuten später, eine Staubwolke aufwirbelnd, an der Posada vorüberritten, saß die Alte noch immer in der glühenden Sonne; aber ihr Blick wurde auf den Lärm gelenkt, den die Patrouille machte, und als sie vorüber war, lachte sie ingrimmig vor sich hin und murmelte:

»Da ziehen sie, die Aasgeier des weißen Stammes – ob sie nicht das Blut auf Leguas wittern? Reitet, reitet! Ihr kommt noch früh genug und doch zu spät! Reitet, reitet, und der Fluch der Verdammnis über euch!« – Und wieder in ihr dumpfes Brüten zurückfallend, fuchtelte sie mit den Armen lebhaft vor sich hin.

Bertrand und Rafael bogen jetzt in die rechts abführende Quergasse ein, die nach dem Negerdorf hinüberführte, und es erforderte, dort angekommen, einige Gewandtheit, um die bezeichnete Adresse zu erfragen, ohne die Nachbarn mißtrauisch zu machen. Mit der Ausrede aber, die sich Rafael ersonnen hatte, ging es doch ziemlich leicht, denn nachdem die beiden Weißen in ein paar kleinen Häusern nachgefragt hatten, ob dort keine Kuh zu verkaufen wäre, gaben sie vor, an diese Adresse gewiesen zu sein, und ein kleiner, sieben- oder achtjähriger Bursche erbot sich, sie hinzuführen.

Sie kamen bald in das eigentliche Herz des Negerviertels. Die meisten der hier Wohnenden schienen sich auf den Milch- und Butterverkauf gelegt zu haben, denn die Viehzucht machte ihnen nicht soviel Mühe wie der Acker- und Gartenbau, und was sie zogen, wurde ihnen in Lima gut bezahlt.

Was für ein wunderliches Treiben das in dem Negerdorf war! Rafael, der diesen Platz zum erstenmal betrat, kam es fast so vor, als ob er in ein ganz anderes Land versetzt worden sei, so fremdartig, so unperuanisch sah hier alles aus! Alles arbeitete oder saß auf der Straße, und es war fast, als ob die Häuser selbst nur zum Schlafen benutzt würden.

Vor vielen Türen standen große Waschfässer, an denen alte, würdige Damen in einer fast paradiesischen Unschuld – was ihre Kleidungsstücke betraf – in der Sonne die schwarze, fettglänzende Haut braten ließen und die Hemden der weißen Caballeros bearbeiteten. Von einem Haus zum andern wurden zugleich sehr lebendige und oft nicht immer friedliche Debatten geführt, denn es gibt nichts Eigenwilligeres unter der Sonne als ein altes Negerweib.

Weiße betraten diesen Ort nie oder doch nur höchst selten, und der schwarze Nachwuchs des Platzes begann schon, sich für die beiden Reiter zu interessieren, als diese vor einem der nächsten Häuser anhielten.

»Señorita«, redete hier Bertrand ein wahres Ungetüm von einem schwarzen Fettklumpen an, »können Sie mir nicht sagen, wo hier Señorita Morbido wohnt? Man hat uns versichert, daß dort eine Kuh zum Verlauf stände!«

»Eine Kuh bei Morbidos?« fragte die Negerin, durch das Wort Señorita aber augenscheinlich geschmeichelt, indem sie sich Hände und Arme an ihrer Schürze abtrocknete. »Hm, die wollen wohl einen Viehhandel beginnen, haben sich erst das viele schöne Vieh gekauft – gleich da drüben, Caballeros, das kleine weiße Haus gleich neben dem Baume dort, wo der Packsattel liegt!«

»Muy obligado, Señorita!« grüßte Bertrand sehr höflich von seinem Pferd herunter, und gewann sich damit das Herz der schwarzen Venus vollkommen. »Das ist das einzige Mittel«, wandte er sich dann mit einem Seitenblick an seinen Gefährten, als sie langsam nach dem bezeichneten Haus hinüberhielten, »um ungefährdet durch dieses wilde Viertel zu kommen, äußerste Höflichkeit gegen die Hauptstützen der Gesellschaft, die Damen, denn nichts schmeichelt ihnen mehr, als wenn sie ein Caballero freundlich grüßt. Hier also sind wir an Ort und Stelle, und nun vorsichtig, mein Junge, daß wir uns nicht unser Spiel von vornherein verderben!«

»Wenn wir nur den Burschen nicht gleich treffen, der mich bei Deringcourts gesehen hat«, sagte Rafael; »der könnte sonst am Ende doch Verdacht schöpfen!«

»Hm, ja – dann will ich dir 'was sagen«, meinte der umsichtige Franzose, »bleib du ruhig draußen bei den Pferden, als ob dich die Geschichte gar nicht interessierte und du nicht die geringste Absicht hättest, in das Haus zu treten. Um die Kuh mit zu besehen, ruf' ich dich nachher schon herein.«

»Vortrefflich!« rief Rafael, der rasch darauf einging. Eine weitere Unterhaltung war aber nicht mehr möglich, denn sie hielten schon vor dem Hause. Die beiden Männer stiegen ab, und während Rafael die Zügel der Tiere nahm und in den Schatten eines großen Feigenbaumes trat, der über die Umzäunung hinausreichte, ging Bertrand zu der offenen Tür, klopfte dort an und sagte, mit dem Hut in der Hand, sein »Ave Maria!«

»Purisima!« antwortete eine tiefe Baßstimme, und daraufhin betrat Bertrand das Haus, war aber sehr erstaunt, niemand in dem inneren Raum zu entdecken, als eine kleine, zusammengetrocknete Negerin. Es war eine ordentliche Mumiengestalt, aus nichts als Haut und Knochen bestehend, und nur mit einer Art Tunika bekleidet, die für einen Rock zu kurz und für ein Hemd zu lang schien. Wo aber war die Baßstimme hergekommen?

»Wohnt hier Señorita Morbido?« fragte der Franzose endlich, nachdem er einen forschenden Blick durchs Zimmer geworfen hatte.

»Die bin ich selber«, sagte der Baß wieder. »Aber was wollt Ihr? Was habt Ihr hier herumzugucken und zu schnüffeln bei fremden Leuten, heh?«

»Bitte tausendmal um Entschuldigung, Señorita«, sagte der höfliche Franzose, fest entschlossen, sich durch nichts abschrecken zu lassen. »Ich bin in die Ansiedelung gekommen, um eine Kuh zu kaufen, und wurde von einigen Ihrer Nachbarn hierher gewiesen, weil man mir sagte, auf Ihrer Hacienda würde das beste Vieh gehalten.«

»Hm – so?« brummte die Alte, und Bertrand wunderte sich im stillen, wie die Stimme in den Körper kommen konnte. Die Alte war aber durch die schmeichelhafte Anrede jedenfalls milder gestimmt worden und fuhr nach einer kleinen Weile kopfschüttelnd fort: »Habe gar nicht gewußt, daß der Junge, der Scipio, wieder von dem Vieh verkaufen will – nun, er mag selber mit Euch sprechen.« Damit nahm sie ein kleines Horn, das neben der Tür hing, und blies darauf einen langen, schrillen Ton nach dem »Garten« zu. Das Horn dann wieder an seinen Ort hängend, sagte sie, aber viel freundlicher als vorher: »Setzt Euch, Señor, ich selber kann Euch nichts darüber sagen, ich bin nur eine arme alte Frau, die hier mit ihren beiden Enkelkindern allein lebt. Das Mädel ist in die Stadt, um Milch zu verkaufen, aber der Junge ist daheim, wird gleich kommen, und dem gehört das Vieh auch eigentlich. Setzen Sie sich, setzen Sie sich!«

Die Alte wurde, in der Aussicht, daß ihr Enkel einen vorteilhaften Handel mit dem Fremden abschließen könne, ordentlich höflich, und es blieb Bertrand nichts übrig, als der Einladung zu folgen.

So unbemerkt das geschehen konnte, denn die Alte beobachtete ihn noch immer dann und wann mißtrauisch von der Seite, betrachtete er sich jetzt den inneren Raum, ob er nicht irgend etwas Auffälliges bemerken könne, aber ohne den geringsten Erfolg. Das Zimmer war, wie alle Hütten der Schwarzen, die wahrlich an keine Bequemlichkeiten, noch viel weniger aber an irgendeinen Luxus gewöhnt sind, nur sehr ärmlich, ja, selbst nur notdürftig möbliert. Nur auf einem an der Seite angebrachten Brett lagen einige ganz neue seidene Tücher in grellen Farben; aber die Neger lieben das überhaupt und sind in dem Ankauf solchen Schmuckes oft verschwenderisch.

Die Alte hatte unter der Zeit einige häusliche Beschäftigungen vorgenommen. Ein Eimer mit eben nicht wohlriechendem Spülicht, der im Hause stand, mochte ihr dabei auch wohl so vorkommen, als ob er nicht recht zu dem Besuch passe. Sie nahm ihn auf und trug ihn auf die Straße, wo sie ihn ohne weiteres vor die Tür ausgoß. Dabei bemerkte sie Rafael, und als sie zurück in das Haus kam, fragte sie ihren Besuch, wer der Fremde da draußen sei.

»Ein Freund von mir, der auch eine Hacienda besitzt und die Kuh eigentlich kaufen will. Er versteht aber nichts vom Viehhandel und hat mich deswegen mitgenommen«, erwiderte Bertrand.

»Und weshalb kommt er nicht herein?«

»Danke Ihnen, Señorita, die Tiere möchten Unglück anrichten, denn es laufen so viele kleine Kinder auf der Straße herum, und das eine schlägt.«

Die Alte nickte; die Unterhaltung wurde auch hier durch den Sohn abgebrochen, der dem Hornruf folgte, um sich zu erkundigen, was man von ihm wolle. Es entging Bertrand keineswegs, daß er erschrak, als er einen Weißen in seinem Haus bemerkte, und er blieb wie zögernd in der Tür stehen. Sein augenscheinliches Mißtrauen wurde auch nicht durch die Erklärung gehoben, die ihm die Mutter über die Absicht des Besuches gab.

»Wer hat Euch gesagt, daß ich Kühe zu verkaufen hätte?« fragte er finster, indem er Bertrand von oben bis unten betrachtete.

»Ganz bestimmt habe ich es noch nicht erfahren«, erwiderte der Franzose, aber so unbefangen als möglich; »doch verschiedene Leute hier in der Nachbarschaft, bei denen wir anfragten, wiesen uns hierher und meinten, wenn wir irgendwo im Ort gutes Vieh zum Verkauf finden könnten, so wäre es gerade hier bei Ihnen.«

»Wir? – Wer ist der wir? – Sind Sie nicht allein?«

»Nein; mein Compañero ist draußen bei den Pferden, damit die Tiere keins der Kinder schädigen.«

»Hm«, brummte der Bursche, »zum Verkauf habe ich eigentlich kein Vieh, und billig werdet Ihr keins bekommen, soviel ist sicher.«

»Das Billigste ist nicht immer das Beste«, erwiderte Bertrand gleichgültig, »und wenn man ein gutes Stück haben will, darf es einem auch nicht auf ein paar Dollars ankommen. Können wir es vielleicht einmal sehen? Es kann ja sein, daß wir einen Handel mitsammen machen.«

Der Farbige zögerte noch immer; aber die Aussicht auf Gewinn schien doch bei ihm obzusiegen, und er sagte endlich mürrisch:

»Nun, meinetwegen; kommt mit hinaus in den Hof, dort hab' ich die Tiere.«

»Kann mein Gefährte gleich von draußen hereinkommen?«

»Nein, er muß hier durchs Haus; ruft ihn.«

Rafael hatte indessen ruhig bei seinen Pferden gestanden und sich anscheinend um gar nichts gekümmert; aber er hielt die Augen offen und beobachtete nicht allein, was um ihn her vorging, sondern auch alles, was die Umgebung des Hauses betraf – freilich mit nicht besserem Erfolg, als Bertrand seine Beobachtungen im Innern anstellte. Er gelangte endlich zu der eben nicht angenehmen Überzeugung, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach einen vergeblichen Gang gemacht habe und außerdem auch noch eine Kuh kaufen werde, mit der er nachher gar nicht wußte, was er anfangen sollte.

Die Vorübergehenden und Nachbarn widmeten ihm indessen ihre besondere Aufmerksamkeit und wurden nicht müde, ihn anzustarren – denn was wollte der Weiße zwischen ihnen? – bis endlich eine Frau die Straße heraufkam, die schon unten gehört hatte, daß die beiden Fremden hierhergekommen wären, um Vieh zu kaufen. Dadurch verlor er an Interesse und man beachtete ihn nicht weiter.

Jetzt kam die Alte aus der Haustür und schwappte ihren Eimer mit solcher Gewalt schräg über den Fußweg aus, daß die schmutzigen Tropfen bis dicht vor seine Füße spritzten und sein Brauner erschreckt den Kopf emporwarf. Der warme Duft, den die ausgegossene Brühe verbreitete, war ebenfalls nicht angenehm, und Rafael verließ seinen Platz, um lieber ein wenig vor dem Hause auf und ab zu gehen.

Als er über die nasse Stelle hinüberschritt, wurde sein Auge unwillkürlich von einem brennend roten Punkte angezogen, der durch das darübergegossene Wasser vom Staub gereinigt worden war; es war allem Anschein nach das Siegel eines Briefes, und während Rafael weiterschritt, fiel ihm auf, wie das hierher in die Hütte kommen konnte.

Er ging ein paar Schritte und kehrte wieder um – es war richtig ein Siegel, wenigstens ein Teil eines solchen. Jetzt blieb er daneben stehen, und indem er sich mit der einen Hand den Staub von seinen Beinkleidern schlug, bückte er sich mehr und mehr, bis ihn ein rascher und geschickter Griff in den Besitz des ersehnten Kleinods brachte. Er klopfte noch ein wenig an seinen Knien und wollte dann wieder zu den Pferden zurück, als Bertrand in die Tür der Hütte trat und ihn hineinrief.

Im Hause folgte er den beiden Vorangegangenen in den Hof, wo ihm aber nicht entgehen konnte, daß ihn der Bursche, als er seiner zuerst ansichtig wurde, aufmerksam, ja sogar forschend betrachtete.

Rafael hatte ihn auf den ersten Blick wiedererkannt, wenn er auch jetzt ein langes und, wie es schien, frisches Pflaster über der linken Backe trug. Es war derselbe Bursche, den er damals in Lydias Gartenzimmer getroffen hatte, und so ungeschickt und täppisch er sich dort zeigte, so viel kluge Wachsamkeit und selbst Mißtrauen lag jetzt in den dunklen Augen. Rafael tat aber nicht, als ob er ihn kenne oder ihn je im Leben gesehen habe. Er grüßte ihn nur flüchtig, aber artig, und beachtete ihn von da an gar nicht mehr, ja schien nur einzig und allein Augen für das Vieh zu haben, das er von allen Seiten betrachtete und Bertrand sein Urteil darüber sagte.

Der Mulatte schien endlich seinen Verdacht fallen zu lassen und wurde jetzt auch lebendiger, indem er sein Vieh herausstrich und einen ganz unverschämten Preis dafür forderte.

Während sie noch an der kleinen Umzäunung standen, kam auch des Burschen Schwester aus der Stadt zurück. Es war ein knochiges, baumstarkes Frauenzimmer mit einem frechen, herausfordernden Blick. Sie trug nur Rock und Hemd, aber noch ein grellfarbiges, augenscheinlich neues seidenes Tuch wie eine Art Turban um den Kopf gebunden, und eine unechte Kette von bunten Steinen, ebenfalls neu. Sie schien eifrigen Teil an dem Handel zu nehmen und unterstützte ihren Bruder lebhaft.

Der Preis war wirklich unverschämt, und der Mulatte hatte sich bis jetzt erst eine Kleinigkeit abhandeln lassen.

»Ich denke, wir sind keine Esel«, sagte Bertrand auf französisch zu seinem jungen Begleiter, »und brechen den Handel ab; wir haben jetzt gesehen, was wir sehen wollten, oder vielmehr nicht gesehen, und können ihm die Kuh lassen.«

»Nein«, widersprach Rafael, »ich muß eine Ausrede haben, hierher zurückzukommen; was liegt an den paar Dollars – kaufen Sie die Kuh.«

»Meinetwegen«, brummte Bertrand. »Du mußt aber viel Geld übrig haben, wenn du zu solchen Preisen Vieh kaufen willst. So laß mich wenigstens erst noch einmal sehen, was ich ihm herunterhandeln kann. Wenn wir tun, als ob wir fortgehen wollten, gibt er gewiß nach.«

Bertrand gelang es wirklich, noch zehn Dollars abzupressen. Damit wurde der Handel abgeschlossen.

»Und wann wollt Ihr sie holen lassen?« fragte der Mulatte.

»Ich weiß nicht«, sagte Rafael, »ob ich heute noch Leute dazu in Lima auftreiben kann; wir bezahlen sie gleich, aber Sie werden das Tier noch bis morgen füttern müssen.«

»Oh«, meinte der Bursche, über den guten Handel erfreut, »das macht nichts! Wenn sie jetzt bezahlt wird, kann sie meinetwegen noch zwei Tage da stehen bleiben; von da an aber rechne ich Futterkosten; denn umsonst kann ich sie nicht füttern.«

»So lange soll es nicht dauern«, sagte Rafael, indem er das schon bereitgehaltene Geld aus seinem Beutel nahm und in blanken Goldstücken in die Hand des Mulatten zählte. Bald darauf trabten Bertrand und Rafael wieder der Hauptstraße zu.

»Das war ein wirklicher ›Metzgergang‹ im wahren Sinne des Worts«, lachte Bertrand still vor sich hin. »Ich selber habe da drinnen auch nicht das geringste Auffällige erkennen können, und verdächtig ist mir gar nichts vorgekommen.«

»Dann hab' ich wenigstens einen Fund gemacht«, sagte Rafael, indem er sich vorsichtig umsah, ob sie nicht mehr beobachtet werden konnten; aber die Straße lag völlig menschenleer, nur ein Trupp Eseltreiber zog schon in ziemlicher Entfernung der Stadt zu, und dabei zeigte er dem Freund das halbe Siegel, das er im Schmutze vor dem Hause gefunden hatte.

»Ist das alles?« lachte Bertrand trocken.

»Wie kommt das Siegel dahin?« fragte aber Rafael. »Hier in Peru wie in allen heißen Ländern der Erde wird nie Siegellack verwandt, um Briefe zu schließen. Der Brief, auf dem dieses Siegel war, muß also von irgendeinem anderen Land hierher gekommen sein, und der Abdruck des Petschaftes, der freilich ziemlich undeutlich geworden ist, läßt sich vielleicht doch noch mit einem Vergrößerungsglas erkennen.«

»Hm«, sagte Bertrand nachdenklich, »das ließe sich allenfalls hören. Und was willst du jetzt tun?«

»Augenblicklich wieder nach Lima hineinreiten und Fräulein Valière sprechen. Bin ich mit dem Siegel wirklich auf der rechten Spur, dann setze ich die Polizei in Bewegung, und wenn ich bis zum Präsidenten gehen sollte!«

»Dann reitest du jetzt also nicht wieder mit mir hinaus! Juanita wird mit dem Mittagessen auf uns warten.«

»Ich kann jetzt nicht«, rief Rafael; »die Sache hier geht allem vor, denn wir haben schon zuviel Zeit damit versäumt!«

»Meine Landsmännin scheint dich fest angeworben zu haben«, sagte Bertrand ziemlich ernst; »du betreibst ihre Angelegenheiten mit einem ganz außergewöhnlichen Eifer.«

»Ist es nicht Ehrensache für jeden Peruaner geworden«, rief Rafael warm, »eine solche Schande von uns abzuwälzen, gerade an einem derartigen Nationalfest ein Verbrechen geduldet und nicht bestraft zu haben?«

»Ach so«, sagte Bertrand trocken, »du tust es nur aus Nationalgefühl! Nun gut, ich kann's nicht ändern«, setzte er fast mit einem halben Seufzer hinzu, »tu, was du willst und nicht mehr lassen kannst. Und wie wird's mit der Kuh; um die brauch' ich mich doch da auch nicht mehr zu kümmern?«

»Nein, das besorge ich selber, und sobald die Sache geordnet ist, komme ich wieder heraus und bringe Ihnen Nachricht.«

»Also, gehab' dich wohl, mein Junge«, sagte der Alte, indem er ihm die Hand hinüberreichte, »dann will ich nach Hause reiten und allein mit Juanita essen!« Und sein Pferd abwendend, trabte er langsam die Straße wieder hinauf, den Hacienden zu.

 


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