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Patrick O'Kearney war ein wackerer junger Bursch und seinem Geschäft nach ein Schiffszimmermann. Die fleißigste Hand bei der Arbeit, der kräftigste Schillelagh bei einer Schlägerei, und außerdem von gutem, ehrlichem Herzen, gewann er sich besonders die Liebe und Achtung der Nachbarn durch die Zärtlichkeit, mit der er seine alte kranke Mutter pflegte, bis sie in seinen Armen starb. Er hätte auch sicherlich in Inveran ein so ruhiges und stillzufriedenes Leben geführt und sich eine wackere Hausfrau genommen, wie andere junge Burschen, wenn – ja wenn die Sache nicht ein Haken gehabt hätte.
Patrick liebte nämlich – wie sich das von selbst versteht, denn ein Irländer ohne Liebe, Prügel und Whisky ist nicht denkbar – ein junges, hübsches, aber armes Mädchen in Inveran, und da er selber ebenfalls kein Vermögen besaß, schloß er, der Himmel müsse sie Beide sicherlich für einander bestimmt haben. War das nun wirklich der Fall, so hatten die Menschen desto mehr dagegen. Judith Mac Neale mochte den wackern jungen Burschen freilich wohl eben so gern leiden wie er sie, und ein hübscheres, passenderes Paar gab es sicher an der ganzen Galwaybai nicht mehr, aber Judith hatte eine alte Tante. Denen nun, die schon aus Erfahrung wissen, was alte Tanten bei jungen Braut- oder Liebesleuten zu bedeuten haben, brauchte ich eigentlich gar nichts weiter zu sagen. Denen aber, die es noch nicht wissen, bin ich doch eine nähere Erklärung schuldig. Die alte Tante gedachte nämlich Judith einmal – wenn sie starb – ein paar hundert Pfund zu hinterlassen, und glaubte dafür gerechte Ansprüche zu haben, ihr künftiges Lebensglück zu regeln, wie sie es für gut finden würde. In einer Verbindung ihrer in der rechtgläubigen Lehre erzogenen Nichte mit dem Ketzer Patrick O'Kearney konnte sie keinen Segen erblicken oder hoffen, und nur als sich Judith ihren Machtspruch gar so zu Herzen nahm, beschloß sie aus übergroßer Milde, selber einmal den abtrünnigen Patrick in's Gebet zu nehmen und ihm anzuempfehlen, wieder zur alten rechtgläubigen Kirche zurückzukehren! nachher ließ sich vielleicht noch Alles reguliren. Daß seine Eltern und Großeltern schon Protestanten gewesen waren und ihn in diesem Glauben hatten taufen und erziehen lassen, kümmerte sie nicht.
Patrick kam, und Judith erwartete mit Herzklopfen das Resultat der Verhandlung, das aber keineswegs nach ihren Wünschen ausfiel. Die alte Dame, anstatt dem jungen trotzigen Burschen mit Milde und Sanftmuth zuzureden, goß gleich von Anfang an das Kind mit dem Bade aus, nannte ihn einen blinden Heiden und schmählichen, gottvergessenen Ketzer, der von einer ebensolchen Bande von Ketzern abstamme, und verlangte von ihm ohne Weiteres, daß er sich noch an demselben Tage bekehren und dem reinen, einzig wahren Glauben zuwenden solle. Zu ihrer Unterstützung hatte sie dabei noch einen dicken, wohlgenährten Geistlichen – ihren Beichtvater – zugezogen, und dieser ging für den erhofften Bekehrungsversuch gleich so in's Feuer, daß Patrick O'Kearney erst ärgerlich und nachher böse wurde, dem Pater einige bitterböse Sachen, sehr zum Entsetzen der Tante, unter die Nase rieb und zuletzt erklärte, wenn einer von ihnen Beiden zur andern Religion absolut übertreten solle, so könne das auch eben so gut Judith thun wie er. In der Bibel stehe überhaupt geschrieben, die Frau solle dem Manne folgen, nicht der Mann der Frau, und Jemanden zu seiner Religion zu gewinnen, müsse man nicht damit anfangen, die seiner Vorfahren vor die Hunde zu werfen.
Kurz und gut, Patrick O'Kearney arbeitete sich dermaßen in Zorn und Galle hinein, daß er noch alles Mögliche weiter sagte und auf das Lebendigste dabei gesticulirte. Pater Anselm behauptete sogar später, er habe ihn prügeln wollen. Die Tante endlich, ebenfalls keine von den Sanftmüthigsten und jetzt auf's Aeußerste gereizt, schloß damit, zu erklären, daß sie Judith enterben würde, falls diese es wagen sollte, ihrem Glauben abtrünnig zu werden, und Patrick O'Kearney zu bitten, sich aus dem Hause zu scheren und dessen Schwelle nie im Leben wieder, wenigstens nicht als Protestant und Ketzer, zu überschreiten.
Damit war dem Faß der Boden ausgestoßen. Patrick hatte allerdings noch eine heimliche Zusammenkunft mit Judith, in der er sie einfach aufforderte, mit ihm durch und nach Amerika zu gehen; Judith konnte sich aber, so sehr sie den jungen Mann liebte, nicht dazu entschließen, und Patrick, als auch sie ihn endlich aufforderte, den Wunsch ihrer Tante zu erfüllen und Katholik zu werden, faßte in Verzweiflung seinen Hut und lief fort.
Dabei that er etwas, was junge tollköpfige Burschen nur zu leicht und thörichter Weise thun, wenn ihnen etwas der Quere geht und sie ihr bischen Verstand gerade erst recht zusammennehmen sollten, um es zu besiegen; er trank sich an dem Abend auch noch um das Letzte, was ihm an Verstand wie Geld geblieben war, und ließ sich in diesem Zustand von einem englischen Werber in das Garn locken.
Wie das Alles kam, wußte er eigentlich selber nicht recht; als er aber am andern Morgen erwachte, fand er sich, sehr zu seiner Ueberraschung, in einer Hängematte schaukeln, hatte furchtbare Kopfschmerzen und erfuhr von einem Landsmann, der eben das Frühstück für die Leute in den untern Raum brachte, daß er sich an Bord Ihrer Majestät Fregatte, der Thetis befinde, die gerade die Anker gelichtet habe und hinaus in See gehe – wohin wisse natürlich Niemand als der Capitain.
Patrick schloß die Augen und fiel wieder in seine Hängematte zurück, als ob er todtgeschossen wäre. An Bord wurde ihm aber nicht viel Zeit zum Ueberlegen oder Nachdenken gelassen, sie brauchten ihre Leute nothwendiger. Patrick wollte nun allerdings gegen ein so gewaltsames Verfahren, das Menschen wider ihren Willen hinaus in See schleppe, protestiren; das half ihm aber weiter nichts, als daß man ihm bedeutete, er würde die neungeschwänzte Katze zu kosten bekommen, sobald er den Mund noch einmal aufthue. Was wollte er machen? – Die Seekrankheit bekam er auch; daß die Officiere an Bord die Macht und Gewalt hatten, ihre Drohung vollkommen ungestraft auszuführen, wußte er ebenfalls, und er that, was er doch am Ende hätte thun müssen – er fügte sich sehr vernünftig dem Unabänderlichen.
Die Thetis kreuzte indessen eine ganze Weile im Atlantischen Ocean umher, lief erst New-York, dann Rio de Janeiro an, und Patrick O'Kearney hatte wenigstens die Genugthuung, einen Brief an Land zu schicken, in dem er Judith seine gewaltsame Entführung meldete und zugleich ein paar Zeilen an die Tante beilegte, in denen er seinen ganzen Grimm gegen diese ausließ – die verwünschte Tante war ja an seiner ganzen Seefahrt schuld. In dem Briefe erklärte er ihr nochmals feierlich, seinen Glauben nie abschwören zu wollen, jedenfalls kehre er aber einst nach Irland zurück, und dann heirathe er Judith, ihr und allen Tanten der Welt zum Trotz.
Daß der Brief die Tante nur noch ärger gegen ihn stimmen und seine Hoffnungen eigentlich völlig untergraben müsse, wußte er allerdings, schon als er ihn absandte, aber die ganze Welt fing an ihm gleichgültig zu werden. Aus seiner Arbeit, aus seinem ganzen Leben war er überdies herausgerissen und zwischen den Abschaum der Gesellschaft hier an Bord eines Kriegsschiffes geworfen worden: auf wen brauchte er also Rücksicht zu nehmen? Wie sie Land sichteten, stieg in ihm allerdings eine schwache Hoffnung auf, und der Gedanke kam ihm, zu desertiren. Es wäre ihm auch in New-York wirklich geglückt – wenn er es eben gescheidter angefangen hätte. So aber wurde er auf frischer That ertappt, bekam Fünfundzwanzig mit der Katze und mußte unten im dunkeln Raum in Eisen sitzen, bis das Schiff wieder unterwegs war.
Es kam ihm freilich sonderbar vor, daß er, ein freier Unterthan Ihrer britischen Majestät, gerade so behandelt wurde, als ob er auf Raub und Mord irgendwo eingebrochen und dabei erwischt worden wäre. Jede darüber geäußerte Bemerkung hätte aber ebenfalls wieder Strafe nach sich gezogen, und er trug sein Leiden geduldig – bis zu einer nächsten passenden Gelegenheit. Patrick O'Kearney war nämlich nicht der Mann, aus Mangel an Energie irgend ein Unternehmen aufzugeben, weil es beim ersten Mal mißglückte. Deshalb, als die Thetis Valparaiso anlief, dort vor Anker ging und das Gerücht das Schiff durchlief, sie seien vor der Hand hierher stationirt worden und würden eine Zeit lang im Hafen liegen bleiben, beschloß er fest, was es auch koste, bei der ersten passenden Gelegenheit einen neuen Fluchtversuch zu machen.
Die Gelegenheit sollte sich ihm bald bieten. Außer der Thetis lag noch ein englischer Kriegsdampfer dort vor Anker, den sie, wie es schien, jetzt abzulösen hatten. Er machte sich wenigstens nach den Depeschen, die ihm der Capitain der Thetis übergab, schleunigst zur Abfahrt bereit, und mußte, um diese zu beeilen, so schnell als möglich eine Quantität Kohlen an Bord nehmen. Die Thetis borgte ihm dazu ihre Mannschaft, und die Boote fuhren an Land, das Material, so rasch das gehen wollte, einzuladen.
Wie bald sie damit fertig wurden, hat aber Patrick O'Kearney nie erfahren. Denn noch war das erste Boot nicht halb gefüllt, und er eben wieder die Landung hinaufgeschickt, mit dem Rest seiner Wache die oben schon gefüllten Säcke herunter zu tragen, als er seine Zeit vortrefflich gut abpaßte, den wachthuenden Sergeanten der Marine, der dort hinbeordert war, um ein Desertiren der Matrosen zu verhindern, mit einem kunstgerechten Schlag zu Boden warf, und wie der Blitz in die engen und winkligen Straßen und Schluchten Valparaisos hineinsprang, in denen er gleich darauf spurlos verschwand.
Von Seiten des englischen Consuls wurde allerdings ohne Zögern die vortreffliche chilenische Polizei aufgeboten, um des Flüchtigen wieder habhaft zu werden, doch umsonst. Durch früheren Schaden klug gemacht, brachte er die Stadt und ein gut Stück Land bald zwischen sich und seine Verfolger, und hielt sich in einem kleinen Städtchen am Fuße der Cordilleren tief im Innern des Landes versteckt, um dort so ruhig wie möglich das Segeln seines Schiffes abzuwarten.
Kriegsschiffe aber, die in irgend einem Hafen stationirt sind, verlassen diesen nicht so bald wieder, sondern halten sich dort oft viele Monate auf. So war auch weit über ein halbes Jahr verflossen, ehe Patrick O'Kearney die willkommene Kunde von dem Segeln seines Schiffes erhielt und endlich einmal wieder freier aufathmen durfte.
Patrick O'Kearney hatte sich indessen trotz der halben Gefangenschaft vortrefflich amüsirt und in einer chilenischen Familie, die ihn auf das Freundlichste aufgenommen, so vollkommen gut und häuslich eingerichtet, daß er schon fast wie mit zu ihnen gehörte. Von offenem Kopf und einem großen Theil Mutterwitz, war es ihm auch in der Zeit schon so ziemlich gelungen, der spanischen oder der castilanischen Sprache vielmehr, wie die Chilenen sagen, mächtig zu werden. Er begriff wenigstens genug davon, um Alles zu verstehen, was zu ihm gesprochen wurde, und war im Stande, das, was er den Leuten sagen wollte, so ziemlich deutlich herauszubringen. Die oft drollige Aussprache des Fremden mit seinen eigenen gesunden Einfällen machte ihn dabei noch beliebter. Die guten Menschen lachten ihn wohl auch manchmal aus, halfen ihm jedoch auch jedesmal zurecht, und Patrick, der dabei seinen Wirthen mit eisernem Fleiß zur Hand ging, war bald der allgemeine Liebling im ganzen Städtchen.
Daraus würde er sich nun allerdings nicht so sehr viel gemacht haben, aber – was mehr sagen wollte – er war auch der Liebling der Tochter des Hauses, der reizenden Beatriz, geworden, die ihn vor allen anderen jungen Leuten auszeichnete und dadurch den armen Teufel der Gefahr aussetzte, den Messern von ein paar heißblütigen Nebenbuhlern zum Opfer zu fallen. Den kecken Iren kümmerte das aber entsetzlich wenig.
»Arrach Honey,« hatte er gesagt, als ihn einer der jungen Chilenen mit der Hand am Dolch zur Rede stellen wollte, »hab' auf Deine eigene Nase Acht,« und dabei gab er dem hitzigen jungen Burschen einen solchen Schlag zwischen die Augen, daß er eine volle Stunde lang bewußtlos liegen blieb und mit kalten Umschlägen und Augenbädern erst wieder zur Besinnung gebracht werden mußte. Das schien den Fremden bei den Uebrigen in Respect gesetzt zu haben, und wenn ihn Beatrizens verschiedene Anbeter deshalb auch nicht mit freundlicheren Augen ansahen, ließen sie ihn doch zufrieden. Der Chilene ist überhaupt lange nicht so blutgieriger Natur wie sein östlicher Nachbar.
Und Judith? – Ja lieber Gott! von Chile nach Irland war ein weiter, weiter Weg. Wäre er aber selbst zurückgekehrt, hätte er denn nach dem der Tante geschriebenen, wirklichen groben Brief deren Haus je wieder betreten dürfen? Und dann Beatriz! – Die dunkelglühenden Augen des schönen Mädchens hatten sich tief in sein Herz gebohrt, und Patrick gehörte leider Gottes zu jenen heißblütigen, flatterhaften Gesellen, die einem schönen Gesicht nun einmal nicht in die Augen schauen können, ohne Feuer zu fangen. Hier, bei der bildhübschen, schwarzhaarigen Tochter des Südens, brannte er schon lichterloh.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf ihn da auch hier eines Abends die Erklärung der alten Dame, Beatrizens Mutter, daß sie – nie einem Protestanten die Hand ihrer Tochter geben dürfe. Die Gesetze litten das überhaupt nicht, und ein solcher Bund würde von gar keinem Geistlichen eingesegnet werden. Und wie herzlich und herzbrechend hatte Beatriz dazu geweint, als sie erfuhr, daß er ein Protestant sei, und wie innig ihn gebeten, das Heil seiner Seele zu bedenken, jetzt da es noch Zeit sei, und in den Armen der alleinseligmachenden Kirche Schutz gegen des Teufels Macht zu suchen.
»Es ist doch eine höchst auffallende Sache,« dachte Patrick bei sich, »daß ich gar nicht im Stande bin, mich in ein protestantisches Mädchen zu verlieben. Immer kommt mir das verzweifelte Glaubensbekenntniß quer über den Weg, und – ich werde wahrhaftig noch am Ende Katholik werden müssen – es ist ordentlich, als – ob's so sein sollte.«
»Als ob's so sein sollte!« – ja wohl, das ist so unser gewöhnliches Sprüchwort, wenn uns das Schicksal, wie wir meinen, aus dem befahrenen Gleis hinaus und auf einen fremden Acker wirft – all' unseren früheren Berechnungen zum Spott und Trotz – »als ob's so sein sollte« – es ist die beste Ausrede, die wir dann meistens bei der Hand haben. Patrick ging übrigens auch noch etwas Anderes im Kopf herum. Beatriz war erstens ein bildhübsches und sogar sehr wohlhabendes Mädchen, denn ihr Vater hatte in und um Santa-Rosa ziemlich bedeutende Besitzungen, und dann, – wie freundlich, wie herzlich hatte ihm die alte Dame zugesprochen, ihrem Glauben sich zuzuwenden. Keine Drohung, kein Zorneswort gegen seinen Glauben, gegen den Glauben seiner Vorfahren war dabei über ihre Lippen gekommen; und selbst der alte würdige Geistliche, der das Haus jetzt öfter als je besuchte, wie gutmüthig, wie zutraulich hatte er mit ihm, dem Ketzer, stets gesprochen, und wie hochfahrend und grimmig war dagegen Pater Anselm zu Hause gewesen, wenn er nur in dessen Nähe kam.
Aber Judith – es ist wahr, die Erinnerung an das wackere, rothbäckige, frische Kind trat ihm, wenn er allein war, wie ein mahnender, zürnender Engel vor die Seele. Sobald er aber wieder die tiefdunkeln Sterne Beatrizens auf sich gerichtet fühlte, und in den magischen Zauberkreis kam, mit dem die Nähe des Mädchens ihn jedesmal umstrickte, so war Judith mit allen seinen Gewissensbissen auf einmal rein vergessen. Nur der alten bösen Tante dachte er dann noch und des Pater Anselm – als ob Judith damals nicht gerade so viel gelitten hätte wie er selbst – und er suchte es sich dabei selber weiszumachen, daß er mit seiner Liebe für die junge Chilenin eigentlich nur die Tante und den Pater ärgern wollte.
So vergingen wieder einige Monate. Ein junger Mann war in der Zeit oft in das Haus gekommen, und Patrick hatte ihn im Anfang mit etwas eifersüchtigen Blicken betrachtet, wie er aber bald fand, von ihm in seiner Liebe nichts zu fürchten. Carlos, wie der junge Mann hieß, schien ein naher Verwandter der alten Dame zu sein und stand mit ihr auf sehr vertrautem Fuße, machte der Tochter auch nicht im Mindesten den Hof, ja hatte kaum von seinen – Patrick's – Absichten auf ihre Hand gehört, als er dem Iren selber auf das Freundlichste zuredete, zu ihrem Glauben überzutreten und dadurch auch das letzte Hinderniß zu entfernen.
Es thut mir leid um Patrick; aber ich kann dem Leser das endliche Resultat nicht verschweigen – er war wirklich schwach genug, das hier in Chile zu thun, was er in Irland mit Entrüstung von sich gewiesen. An einem schönen Nachmittage hielt er, der arme, pfenniglose fremde Ire, förmlich um die Hand der reichen, wunderreizenden Farmerstochter bei der Mutter an und wurde nicht zur Thür hinausgeworfen, sondern die alte Dame erklärte ihm ganz freundlich, daß sie ihn lieb, lieb wie einen Sohn hätte, aber seiner Seele Heil liege ihr mehr am Herzen, als sein leibliches Wohl. Sie wolle auch deshalb jetzt auf seinen Antrag gar nichts erwidern, der bleibe der Zeit anheimgestellt, aber vorher würde es sie und – Beatriz glücklich machen, ihn in die Arme ihrer Kirche aufgenommen zu sehen.
Patrick ging an dem Nachmittag wie in einem Traum umher, aber am nächsten Morgen schloß er sich mit dem Pater Antonius den ganzen Vormittag ein, und Mittags hatte er diesem die feste Erklärung abgegeben, daß er, wie er meinte, ein Katholik, wie der Pater aber sagte, ein Christ werden wolle.
Er ging selber hinüber, um der künftigen Schwiegermutter seinen Entschluß mitzutheilen, und diese sprang, wie sie die frohe Kunde vernahm, von ihrem Stuhl auf, warf ihre Papiercigarre fort und fiel dem etwas überraschten jungen Mann freudevoll um den Hals. Aber noch schönerer Lohn erwartete ihn, denn Beatriz, die mit Carlos gerade das Zimmer betrat, hörte kaum von der Mutter Lippen die frohe Botschaft, als sie mit einem gar so lieben, zauberischen Lächeln auf ihn zuging, ihm die Hand zum Danke bot und es still und erröthend duldete, daß er sie – er glaubte sich diese kleine Vorausbezahlung verdient zu haben – ohne Weiteres umfaßte und herzhaft abküßte. Carlos ging leer aus.
Patrick wäre nun auch mit dem größten Vergnügen diesen ganzen Abend noch Ketzer geblieben, um sich immer mehr und freundlicher für seine guten Vorsätze belohnen zu lassen. Damit war aber die alte Dame nicht einverstanden und drängte und trieb zu dem guten Werk. Auch Pater Antonius kam bald darauf, um sein neues Beichtkind abzuholen, Und Patrick sah sich, allerdings gegen seinen Wunsch, aus dem traulichen Kreis fortgerissen, seinen Geist – Pater Antonius hielt das für unbedingt nöthig – heut Abend auf die morgen stattfindende Zeremonie gehörig vorbereiten zu können.
Die ganze Sache hatte sich Patrick übrigens viel leichter gedacht und in seiner Unschuld geglaubt, daß es nur einer einfachen Erklärung von seiner Seite bedürfe, die alte Religion aus- und die neue anzuziehen, wie man etwa einen unbequemen Rock wechselt. Hierüber belehrte ihn Pater Antonius bald eines Besseren.
Seine Erklärung, zur alleinseligmachenden Kirche überzutreten, war nur eben der Anfang gewesen, das Andere mußte jetzt nachfolgen. Vor allen Dingen wußte er wahrhaft Entsetzen erregend wenig von irgend einer Religion überhaupt, besonders aber von der katholischen. Die einfachsten Glaubenssätze waren ihm vollkommen fremd, und alle die vielen Formeln und Gebete kannte er nicht einmal dem Namen nach. Die jetzt auswendig zu lernen, war die erste ihm gestellte Aufgabe, und Patrick fing schon im Stillen an, seinen Entschluß zu bereuen.
»Hätt' ich das vorher gewußt,« brummte er leise vor sich hin, »würd ich mich doch am Ende noch einmal besonnen haben. Alle Wetter, Pater Anselmus hätte die ganze Geschichte ja gar nicht strenger nehmen können!« – Aber der Kuß von Beatriz – der eine Kuß – und es waren eigentlich doch mehr wie einer gewesen – übte größere Kraft auf das keineswegs dem Himmel erschlossene Herz des jungen, lebenskräftigen und frohen Iren, als alle Ueberzeugungsgründe und Gebetsformeln des es sonst gewiß recht gut und aufrichtig meinenden frommen Paters. Wenn er in seinem Eifer aushielt und sich Allem wacker unterwarf, was von ihm gefordert wurde – der Kuß bildete die Basis seiner Religion, und die Belohnung, die er für seinen Fleiß verlangte, lag ihm näher als die einstige Seligkeit.
Aber der Pater Antonius nahm es doch entsetzlich schwer. – Am nächsten Morgen wollte sich Patrick nämlich einige Erholung gönnen, die aber wurde ihm auf das Entschiedenste und Unnachsichtigste verweigert. Jede Zerstreuung, die ihn jetzt von seinem heiligen Werke abzog, konnte und mußte nach des Paters Meinung die verderblichsten Folgen für ihn haben und seine wirkliche Bekehrung nur verzögern, wenn nicht gänzlich unmöglich machen. Auch strenges Fasten wurde ihm auferlegt. Keine Fleischspeisen, keine geistigen Getränke durfte er zu sich nehmen, und drei volle Tage dauerte allein die Vorbereitung zu dem »Schritt«.
Am vierten Tage endlich, an einem Sonntag und in offener Kirche sollte der Uebertritt des jungen Mannes stattfinden. Die ganze Gemeinde war zu der feierlichen und freudigen Handlung eingeladen worden, und Patrick schlug das Herz, wenn er daran dachte, daß auch Beatriz Zeugin seiner »Bekehrung« sein würde. Sonst hatte das Oeffentliche dieser Ceremonie etwas Unbehagliches für ihn, und er hatte auch schon versucht, den Pater davon abzubringen, ja ihm sogar erklärt, daß er sich einer solchen öffentlichen Ausstellung unter keiner Bedingung unterwerfen würde. Dieser aber beharrte auf der getroffenen Bestimmung, und Patrick war schon zu weit gegangen, um jetzt noch zurück zu können. Er wollte das Alles auch nicht umsonst auswendig gelernt haben.
Sein Auge suchte nach Beatriz und ihrer Mutter in der Kirche. Aber einer sehr löblichen und vernünftigen chilenischen Sitte gemäß, nach der die Frauen in Gottes Haus nur in einfach schwarzen, Gestalt und Antlitz dichtverhüllenden Gewändern erscheinen und ihrer Putzsucht an so heiliger Stätte nicht fröhnen dürfen, konnte er sie nicht aus den übrigen zahlreichen Frauengestalten herauserkennen. Den jungen Carlos entdeckte er allerdings in der Schaar der Beter, aber nur eine schwarzverhüllte Frau mit ihm. Das war jedenfalls die Mutter, und Beatriz hatte es doch nichts über's Herz bringen können, der feierlichen Handlung beizuwohnen. Die Angst um den Geliebten ließ das vielleicht nicht zu.
Angst hatte Patrick übrigens selber genug. Als der Zug in die Kirche ging, kam ihm unwillkürlich der Gedanke, das Ganze sähe gerade so aus, als ob er zum Hochgericht geführt werden sollte – und es war ihm auch ungefähr so zu Muthe. Erst einmal ordentlich im Gange, biß er aber die Zähne fest zusammen, warf einen mehr trotzigen als demüthigen Blick über die ganze Versammlung, gerade als ob er hätte sagen wollen: Wer etwa lacht, hat es mit Patrick O'Kearney zu thun, – und überstand die Ceremonie in aller Form.
»Gott sei Dank,« murmelte er leise vor sich hin, als er endlich aufstand – und zu seiner Schande muß ich gestehen, daß dies das erste wirklich brünstige Gebet war, was er an diesem feierlichen Tage dem Höchsten brachte – »daß die Sache endlich überstanden ist! Und nun nach Hause.«
Aber auch hierin hatte er geirrt, und die schwerste Zeit sollte jetzt für ihn beginnen. Der Pater erklärte ihm nämlich, daß seine ganze Bekehrung so gut wie null und nichtig sein würde, wenn er sich jetzt nicht die nöthige Zeit und Buße auferlegte, über den gethanen Schritt auch ungestört und reiflich nachzudenken. Es sei keine Kleinigkeit, keine alltägliche Handlung, wie das Wechseln etwa eines Wohnortes, sondern das Wichtigste und Heiligste, was der Mensch in diesem Leben vornehmen könne, sich auf den Himmel vorzubereiten und dazu, von dem Geistlichen geführt, die richtige Straße zu betreten, die allein nach oben führe.
Das war Alles vernünftig genug gesprochen; nach dem Schritte, den er eben wirklich gethan, konnte er nichts dagegen einwenden, und Patrick wurde jetzt zu seiner nicht geringen Bestürzung noch einmal in ein weitläufiges, ziemlich ödes Gebäude geführt, das viele Aehnlichkeit mit einem Kloster hatte, um dort auf fünf Tage bei »Wasser und Brod«, oder vielmehr den einfachsten Lebensbedürfnissen, abgeschlossen zu beten. Nach den fünf Tagen, erklärte ihm dabei der Pater Antonius, der ihn auf das Freundlichste unterstützte und freiwillig seine Fasten theilte, könne er gehen, wohin er wolle; er sei nun in den Bund der katholischen Christen als ein würdiges Mitglied aufgenommen und habe allen Anforderungen, die von den Menschen an ihn gestellt werden könnten, genügt. Mit dem Himmel freilich müsse er sich in seinem eigenen Herzen abfinden.
Die Welt ist einem steten Wechsel unterworfen. Wie Nacht und Tag, so kreisen Freud' und Schmerz, Sorge und Wonne, Lust und Traurigkeit die ewige Bahn. Wenn uns das aber die glückliche Zeit nicht trüben soll, mag es uns doch vorsichtig und aufmerksam auf uns selber machen, uns solchem Taumel nicht so sorglos hinzugeben, während es uns ein Trost im Unglück oder schwerer Zeit wird, aus der wir vertrauend glücklicheren Tagen entgegensehen dürfen.
So auch Patrick O'Kearney. Die fünf Tage, auf die er gar nicht gerechnet hatte, und die ihm deshalb allerdings etwas unerwartet kamen, wurden ihm zwar blutsauer, aber sie vergingen doch auch nach und nach, und Pater Antonius trug mit seinem freundlichen, vernünftigen Gespräch, in der den Gebeten nicht gewidmeten Zwischenzeit, viel dazu bei, seine Ungeduld zu zügeln. Diese, die ihn nach Beatrizens Wohnung zog, war allerdings in etwas zu entschuldigen, und als die letzte Stunde schlug, als sein frommer Beichtvater ihn noch in einem langen, innigen Gebete entlassen hatte – das er aber eigentlich nicht recht verstand, da es nur vom Entsagen und göttlichen Glauben als Ersatz für alles Andere handelte, lief er mehr, als er ging, dem kleinen freundlichen Santa-Rosa wieder zu.
»Entsagung und Beten?« – darin hatte er jetzt, seiner Meinung nach, genug geleistet für ein Lebensalter, und Glück und Freude lag für ihn auf dem »schmalen, dornenvollen Pfad«, den er von nun an nach des Geistlichen Meinung betreten, in vollen, reichen Gaben ausgebreitet. Er nahm sich kaum Zeit, zuerst in seine eigene Wohnung zu eilen, um dort sein Bußgewand abzuwerfen und in seinen besten Sonntagsstaat zu fahren. Dann setzte er seinen Hut auf und wollte eben das Innere verlassen, als sein Blick auf einen bis dahin nicht bemerkten und mitten auf dem Tisch liegenden Brief fiel.
»Eine Gratulation,« murmelte er stillvergnügt vor sich hin, nahm sich aber jetzt natürlich nicht die Zeit, die spanischen Zeilen – was ihm immer noch etwas schwer wurde – durchzustudiren. Er steckte den Brief nur in die Tasche, um ihn bei gelegener Muße zu lesen, war mit drei Sätzen die kurze Treppe hinunter, unten auf der Straße und lief in höchster Eile dem Hause der Geliebten zu.
An der Thür trat ihm der indeß zu Pferd herübergekommene Pater Antonius entgegen und Beatrizens Mutter saß in der Ecke auf einem schmalen Bambus-Sopha und trank ihren Matee – aber die Geliebte sah er nicht.
»Wo ist Beatriz?« rief er, fast ohne die alte Dame zu begrüßen, ungeduldig aus. – »Lieber Gott, wenn sie nur halb die Sehnsucht nach mir hätte, wie ich nach ihr, sie würde mich nicht einmal eine Minute länger auf ihren lieben Anblick warten lassen. Ach, Señora Santilla, Ihr Anblick thut kranken Augen wohl und Pater Antonius hier mag mir gleich bezeugen, was ich Alles gethan habe, um in Ihren und Beatrizens Augen Gnade zu finden.«
»In Gottes Augen, mein Sohn,« sagte der Geistliche mit leiser, halb vorwurfsvoller Stimme. »Nicht der Menschen wegen hast Du doch den Schritt gethan, der Dich zum ewigen Leben führen soll.«
Die alte Dame war indessen etwas verlegen von ihrem Sitz aufgestanden. Seinen Gruß aber freundlich erwidernd, frug sie ihn rasch und etwas ängstlich, ob er den Brief nicht erhalten hätte, der in seinem Zimmer für ihn gelegen.
»Den Brief?« rief Patrick und ein eigenes, unheimliches Gefühl beschlich sein Herz – was hatte er jetzt mit dem Brief zu thun. Er sehnte sich nach Beatriz, und die Frage nach ihr schien alles Andere, was es auch sei, beseitigen zu wollen.
»Mein lieber Sohn,« nahm da der Geistliche das Wort, und die alte Dame zog sich zu gleicher Zeit wie Schutz suchend hinter ihn zurück – »es hat dem Herrn gefallen –«
»Allmächtiger Gott!« rief Patrick, dem ein jäher Schreck das zagende Herz durchzuckte – »sie ist todt?«
»Beatriz, nein – der Himmel sei dafür gepriesen!« erwiderte mit einem dankenden Blick nach oben der Geistliche – und fuhr dann in halb segnender Stellung gegen den jungen Iren fort: »Es hat dem Herrn gefallen, Dich durch unsere Hülfe den Weg des Heils zu führen. Was Dir dort als hohes, göttliches Ziel vorleuchtet, kann nicht dem irdischen Schein und Tand verglichen werden.«
»Aber Beatriz, mein frommer Herr,« rief Patrick in kaum mehr zu zähmender Ungeduld, »wir haben jetzt neun volle Tage nichts auf der Gotteswelt gethan, als gefastet und gebetet; gebt mir jetzt wenigstens nur so viel Stunden einmal für mich selbst. Wo ist Beatriz, Señora?«
»Beatriz –« stotterte die alte Dame in nicht mehr zu verkennender Verlegenheit – »Beatriz ist –«
»Mit ihrem Gatten nach Mendoza gegangen,« erwiderte ruhig und mild der Geistliche.
»Mit ihrem –« schrie Patrick mit stieren Augen und getrennten Lippen, und vermochte das Wort gar nicht zu wiederholen – »mit ihrem –«
»– Gatten Don Carlos San Juan nach Mendoza gegangen, wo er ansässig und Polizeidirector ist –« sagte der Geistliche ruhig. »Die herzlichsten Grüße und Glückwünsche hat sie mir noch –«
»Heiland der Welt!« schrie aber der Ire plötzlich, mit der Faust dabei auf den Tisch schlagend, daß die Mateekanne hoch emporfuhr und in Scherben auf den Boden rollte. – »Betrug! schändlicher, nichtswürdiger Betrug! Ich bin verrathen und verkauft – heimtückisch, bübisch hintergangen und die Gerichte selber sollen mir jetzt gegen Eure Ränke und Schliche Gerechtigkeit und Recht verschaffen!«
Wie ein Besessener rannte und tobte er in der Stube herum und schien nur einen würdigen Gegenstand zu suchen, an dem er seine Wuth, seinen Grimm auslassen konnte. An der Frau und dem Priester durfte er sich natürlich nicht vergreifen. Endlich aber war er nicht mehr im Stande, es im Zimmer auszuhalten; seiner Sinne kaum mehr mächtig, trat er mit einem kräftigen Stoß die Thür auf und stürmte, mit gotteslästerlichen Verwünschungen auf den Lippen, hinaus in's Freie – hinauf in die Berge.
Wo er dort gewesen, welche Klippen und Abhänge er erklommen, wie oft er in dem bröcklichen, unsichern Gestein gestürzt, er wußte es selber nicht. Müde und zum Tod erschöpft, an Gesicht und Händen blutend, in Schweiß gebadet, aber immer noch mit keinem klaren Bewußtsein, was jetzt zu thun, wie zu handeln sei, kehrte er spät Abends in seine eigene Wohnung zurück, wo er zu seinem Erstaunen den Pater Antonius seiner harrend fand. Patrick war aber noch keineswegs in der Stimmung, ihm ruhig Gehör zu geben und in der ersten Aufregung, als das Bild des frommen Mannes wieder all' die Scenen der vergangenen Tage in sein Gedächtniß zurückrief, überhäufte er ihn mit bitteren Vorwürfen.
Pater Antonius war aber nicht der Mann, böse oder ärgerlich darüber zu werden. Er nahm den Fremden wie er war, aufbrausend im Anfang, aber dann doch auch seinen Verstand, seine Ueberlegung gebrauchend. So, als Patrick endlich, mehr aus Mangel an Luft als Argumenten, einen Augenblick schwieg, um wieder Athem zu schöpfen, begann er mit ruhiger Stimme seine Vertheidigung.
Was hatte er mit den weltlichen Absichten seines Beichtkindes zu thun oder zu schaffen, wo seine Aufgabe nur gewesen war, ihn auf den Himmel und die einstige Seligkeit vorzubereiten. Ja, war er je von dem Bekehrten selber zum Vertrauten seiner Herzensangelegenheit gemacht worden? Nie, Patrick mußte ihm das selber zugestehen, und weshalb ihn also mit Vorwürfen überschütten, die er nicht verdient?
Der ehrliche Patrick, der dem gewandten Pater überdies nicht in seiner Anwendung von Argumenten gewachsen und wohl mit den Fäusten, nie aber mit Worten und Spitzfindigkeiten zu kämpfen gewohnt war, fühlte bald, wie ihm hier der Boden unter den Füßen schwand. Sein Zorn kehrte sich aber desto heftiger gegen die betrügerische Alte, gegen die falsche Geliebte, die ihr schändliches, sündhaftes Spiel mit ihm getrieben und Rache und Genugtuung schwor er an Beiden zu nehmen, und sollte er darüber zu Grunde gehen.
Auch hierbei ließ ihn der Geistliche erst vollkommen austoben und zeigte ihm dann mit einfachen, klaren Worten nicht allein das Thörichte und Wahnsinnige, nein auch das vollkommen Nutzlose solcher Vorsätze.
Sie lebten hier in einem streng katholischen Lande, wo schon der Protestant bei einem ganz gewöhnlichen Streit oder einer Rechtsfrage im Nachtheil gegen den Katholiken war. Hier aber handelte es sich gerade um einen Glaubenspunkt. Ihm, dem Fremden, war ein Heil widerfahren, daß er Freunde gefunden hatte, die sich seiner und seiner Seele annahmen, und die vermeintliche Bosheit der Señora Santilla weiter nichts gewesen, als wahre und wirkliche Zuneigung, mit der sie sich zu dem Fremden hingezogen fühlte und dem sie, selbst wider seinen Willen vielleicht, eine bleibende Wohlthat zu erzeigen wünschte. Der Geistliche verwies ihn dabei auf den Brief, den Patrick noch immer uneröffnet in der Tasche trug, und der Inhalt sollte bald vollkommen Zeugniß für seine eigene aufgestellte Meinung ablegen.
Señora Santilla setzte ihn darin mit klaren, dürren Worten von der Vermählung ihrer Tochter Beatriz mit Don Carlos San Juan, zweitem Polizeidirector der Argentinischen Republik zu Mendoza, in Kenntniß und bat ihn, sich die Sache, wenn er wirklich ihre Tochter geliebt habe, nicht zu Herzen zu nehmen, denn die jungen Leute seien schon seit zwei Jahren mit einander verlobt. Dabei entschuldigte sie sich der List wegen, die sie wie Beatriz gebraucht, um den fremden Ketzer dem allein wahren Glauben zuzuwenden. Sie hätten ihn aber Beide seines ehrlichen, wackern Wesens wegen in der Zeit seines Aufenthaltes zu Santa-Rosa liebgewonnen und mit der Furcht für sein einstiges Seelenheil bald eingesehen, daß er auf keine andere Weise ihrem Glauben zu gewinnen wäre. Seine unsterbliche Seele sei jetzt gerettet und Señora Santilla fest überzeugt, er werde ihr wohl die »kleine unschuldige List« verzeihen und in seinem Herzen ihr ewig die wohlthätige Verwandlung danken.
Der Brief erging sich dann noch eines Breiteren über den Fall; der ganze Sinn war aber doch nur einfach der oben angedeutete: daß sie nämlich kein anderes Mittel gewußt hätten, um ihn für ihren Glauben zu gewinnen und sich im Gebrauche desselben nicht allein vollkommen gerechtfertigt hielten, nein auch sogar noch Dank erwarteten.
Patrick war in einer höchst fatalen Lage, und so bös und ärgerlich er im Anfang gewesen, so schmerzlich ihn der Verlust des schönen Mädchens später berührt hatte, so deutlich fühlte er doch auch, als er am andern Morgen die Sache ruhig überlegte, daß ihm hier nicht das Geringste zu thun übrig bliebe, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Dem betrügerischen Bräutigam, der sich natürlich noch über seine Leichtgläubigkeit in's Fäustchen gelacht, zu folgen und ihn windelweich zu schlagen, war allerdings sein erster Gedanke. Dann überlegte er aber, daß die Sache zwei nicht unbedeutende Schwierigkeiten habe. Erstlich wohnte der Mann jetzt an der entgegengesetzten Seite der Cordilleren und dann war er Polizeidirector in der Argentinischen Republik. Vor der Polizei hatte er allen möglichen Respect, und mit Rosas' Regierung war es doppelt gefährlich anzubinden.
Ueberhaupt wollte es ihn beinahe bedünken, als ob er doch eigentlich hier recht ordentlich zum Narren gehabt und angeführt sei und wie auch das Resultat ausfalle, die andere Partei würde jedenfalls, sobald er die Sache noch weiter aufrühre, die Lacher auf ihrer Seite haben. Ganz Chile brannte ihm bald unter den Füßen – und wenn seine Landsleute erst erfuhren, was hier geschehen sei – er durfte nicht daran denken.
Jetzt war er nun Katholik, und was hatte es ihm geholfen? Ja, wenn er – ein Lichtstrahl schoß durch seine Seele.
»Ich hab's!« rief er und sprang von dem Felsblock, auf dem er draußen am Fuß der Berge gesessen, um ungestört seine Pläne fassen und überdenken zu können, empor – »ich hab's, und die – Bande hier soll nicht länger über Patrick lachen dürfen.«
Am nächsten Morgen war Patrick aus Santa-Rosa mit Sack und Pack verschwunden. Boten wurden allerdings gleich nach Mendoza hinübergeschickt, um die jungen Eheleute zu warnen, denn man fürchtete von dem tollen Iren, der keine Vernunft schien annehmen zu wollen, das Schlimmste. Nirgends aber konnte man eine Spur von ihm entdecken, und dies fatale Gefühl der Unsicherheit, das Don Carlos San Juan besonders in der nächsten Zeit empfand, mochte ihn wenigstens in etwas für die an dem Fremden geübte List bestrafen.
Patrick dachte aber gar nicht daran, sich erst von den Chilenen auslachen zu lassen und dann auch noch sein Leben den Messern der Argentiner preiszugeben. An der Sache selber ließ sich doch nichts mehr ändern, Beatriz war verheirathet und er Katholik, und jetzt den möglichst größten Nutzen für sich selber daraus zu ziehen, war sein einziges Ziel. Und das lag in Irland.
Im Hafen von Valparaiso ankerte ein nach Liverpool bestimmtes deutsches Schiff. Der Capitain brauchte glücklicher Weise Matrosen, da ihm einige entsprungen waren, um ihr Glück in den kalifornischen Minen zu suchen, und wenige Tage später segelte Patrick O'Kearney unter einem angenommenen Namen der alten Heimath wieder zu.
Und was wollte er dort? – Wunderbare Frage: seine Judith natürlich heirathen! – War er nicht ihrethalben Katholik geworden? – hatte er die Trennung von ihr denn ertragen können? Die alte Tante war dann auch schon zu versöhnen, wenn sie ihm des Briefes wegen im Anfang auch noch ein wenig gezürnt hätte. Das Haupthinderniß – die Religionsverschiedenheit, hatte er überwunden, alles Andere sollte ihm jetzt keine Sorge machen.
Das Schiff lief nach einer raschen und glücklichen Fahrt im Liverpooler Hafen ein. Patrick, der sich nur für die Reise verpflichtet hatte, wurde ausbezahlt, ging dort gleich wieder an Bord eines kleinen Schooners, der, für die Galwaybai bestimmt, vor Anker lag, und landete vier Monate nach seiner Abfahrt von Valparaiso glücklich und das Herz voll froher Hoffnungen in Inveran.
Es war ihm aber doch ein eigenes Gefühl, mit dem er an dem Abend nach Dunkelwerden – er wollte sich vorher vor keinem Bekannten auf der Straße sehen lassen – das Haus von Judith's Tante wieder betrat. Ein fremdes Mädchen öffnete ihm hier auf sein Klopfen die Thür.
»Ist Mrs. O'Flannagan daheim?«
»Mrs. O'Flannagan? – Gott segne Euch!« schrie das Mädchen, entsetzt einen Schritt zurückprallend – »davor bewahre uns die Jungfrau Maria! Mrs. O'Flannagan liegt schon seit neun Monaten im Grabe.«
»Im Grabe?« rief Patrick bestürzt – »und Judith Mac Neale?«
Ein Freudenschrei antwortete ihm von der andern Seite des Hausflur, eine Thür flog auf, und Judith, das brave, treue, redliche Herz, lag weinend und jauchzend an der Brust des Geliebten.
Und verdiente Patrick solch ein Glück? – Das Herz schlug ihm allerdings vor Scham und Reue in der Brust, und es war gut für ihn, daß der düstere Vorsaal sein Rothwerden wie das Verlegene seiner Züge mit wohlthätigem Schatten deckte. Judith dachte aber an kein Arges: der Freund war ihr zurückgekehrt, jedes Hinderniß, das ihrer Liebe entgegenstehen konnte, entfernt, und sie jetzt glücklich – selig in dem Gedanken, ihm in sich selber die Mittel bringen zu können, mit Fleiß und Arbeit zwar, aber doch sonst ein sorgenfreies Leben zu beginnen.
In jubelnder Hast zog sie jetzt den seinem Glück noch immer nicht trauenden Patrick in das vordere Zimmer, wo er Judith's älteste verheirathete Schwester mit ihrem Gatten traf. Herzlich begrüßten ihn diese, und so unbehaglich und fremd sich der arme Teufel im Anfang gefühlt, so wohl und heimisch wurde ihm bald unter den guten Menschen. Und was hatte er gethan, all' diese Liebe zu verdienen? – sein eigenes Herz gab ihm die Antwort darauf: »verwünscht wenig« – und das eigene böse Gewissen trieb ihn endlich an, um sich wenigstens in etwas vor der Geliebten zu rechtfertigen, dieser seinen Uebertritt zur katholischen Kirche mitzutheilen. Weshalb das geschehen war, brauchte er ja nicht dazu zu setzen, und Judith konnte und mußte den Schritt als nur ihr zu Liebe geschehen betrachten.
»Liebe, beste Judith,« begann er endlich, etwas verlegen, eine passende Einleitung zu finden – »wie ich draußen in fernen Landen an Dich und unsere Liebe dachte und wie das Bild da vor mir aufstieg, daß nur der verschiedene Glaube an Gott uns trennen sollte, der doch uns Allen Vater ist, da –«
»Du hast Recht, Patrick,« unterbrach ihn rasch das Mädchen, »hattest schon Recht, als Du mit meiner guten seligen Tante darüber sprachst. Und als Du fort warst und keine Botschaft mehr zu uns herüberkam, ja als ich in Schmerz und Weh nicht wußte, was angeben, um Dich zurückzubringen: da mag auch wohl die gute Tante eingesehen haben, wie hart sie gegen uns gehandelt. Sie sprach mit Liebe von Dir und in dem Testament, in dem sie mich zu ihrer Universalerbin einsetzte, war keine Clausel des Glaubens wegen mehr enthalten.«
»Und mein Brief?« fragte Patrick zögernd.
»Kam an demselben Tag, an dem wir sie begruben,« erwiderte Judith – »er liegt noch uneröffnet in meinem Schrein.«
Patrick fiel eine Centnerlast vom Herzen.
»Die gute Tante,« sagte er seufzend – »doppelt freut es mich dann, ihrem hier auf Erden gehegten Lieblingswunsch begegnet zu sein. Die Religion soll uns kein Hinderniß mehr in den Weg legen, Judith –«
»So weißt Du schon?« rief diese rasch und barg, verschämt erröthend, ihre Stirn dabei an Patricks Schulter.
»Weiß ich? was?« rief Patrick erschreckt und eine eigene Ahnung zuckte ihm durch's Herz.
»Patrick,« nahm hier Judith's Schwester das Wort, indem sie freundlich des jungen Mannes Arm ergriff, – »Patrick, Judith hat Euch ein großes Opfer gebracht. Unsere Priester trauen keine gemischten Ehen, selbst die protestantischen Geistlichen machen darin große Schwierigkeiten. Pater Anselm war sehr böse darüber und hat seit der Zeit ihr Haus nicht mehr betreten.«
»Und Judith ist –« rief Patrick in Schreck und Entsetzen.
»Zur protestantischen Kirche feierlich übergetreten,« erwiderte freundlich die Schwester, während Judith, in dem Bekenntniß ihrer Liebe, ihr Antlitz nur tiefer an des theuern Mannes Schulter barg. – »So nehmt sie denn hin,« fuhr die Frau gerührt fort, des jungen Mannes Hand in die der Schwester legend – »nehmt sie hin und seid gut mit ihr. Denkt dabei stets ihrer Liebe und Ihr werdet in jedem Glauben glücklich mit einander sein.«
Patrick stand da wie in einem halben Traum. Das Geständniß seines eigenen Uebertritts schwebte ihm auf den Lippen und wieder schrak er vor der Kluft zurück, die sich dadurch ihrer Verbindung aufs Neue entgegenstellte. Sein Schwager ließ ihn aber gar nicht zu Worte kommen und die Sache gleich beim praktischen Ende fassend, fing er ohne Weiteres an mit Patrick zu überlegen, wie ihr Hausstand am besten zu ordnen sei und auf welche Art Patrick sein Geschäft als Schiffszimmermann, jetzt mit den nöthigen Mitteln ausgestattet, am vorteilhaftesten beginnen könne. – Patrick saß, Judith's Hand in der seinen, dabei und hörte ihm zu, aber die Worte schwammen ihm unbegriffen vor den Ohren.
Als er an dem Abend das Haus verließ, um für die Nacht sein eigenes Absteigequartier aufzusuchen, kam es ihm fast so vor, als ob ihn ein böser Zauber umfangen hätte und irgend ein neckischer Geist ihn verlocke, herüber und hinüber über einen tiefen Graben zu springen, in vergeblicher Verfolgung seines Ziels.
»Und jetzt – soll ich auf dieser Seite bleiben und warten, bis sie wieder zu mir herüberkommt? Bah!« rief er plötzlich entschlossen aus. »Patrick, sei kein Esel und wirf die Gelegenheit, die sich Dir hier ja bietet, nicht mit beiden Händen zum Fenster hinaus. Katholik geworden? – wer weiß hier etwas davon? wer wird je von Chile herüberkommen und mich verrathen? – So viel für Pater Antonius!« und er schnalzte dabei mit den Fingern.
»Und ist die Sache denn überhaupt geschehen?« setzte er nach einer Weile ruhig überlegend und halblaut mit sich selber dabei redend hinzu – » bist Du denn überhaupt in Chile gewesen, Patrick, um Dich dort von einer Bande nichtsnutzigen Gesindels zum Besten haben zu lassen? Und hast Du das nicht Alles bei irgend einem häßlichen und unnatürlichen Alpdrücken geträumt? – Es ist merkwürdig, wie lebendig wir das manchmal zu Stande bringen – man bildet sich am Ende nicht selten ein, es wäre wirklich geschehen. Nur den Leuten darf man's nicht sagen, sie lachen Einen sonst am Ende gar noch aus, und man hat nur Schande und Spott davon.«
Patrick war viel zu praktisch, von solchem Einfall nicht den möglichst größten Nutzen zu ziehen. Er beschloß und führte es durch, Judith von seinem chilenischen Abenteuer nicht ein einziges Wort zu sagen. Von seinem Glaubenswechsel konnte überhaupt in Irland Niemand die geringste Ahnung haben. Vierzehn Tage später legte denn auch ein protestantischer Geistlicher die Hände der beiden Liebenden in einander; Patrick O'Kearney übernahm zu gleicher Zeit ein Schiffswerft und bekam bald vollauf gute und einträgliche Arbeit, bei der er sich an der Seite seines liebenswürdigen Weibchens wohl und glücklich fühlte.
Mrs. Judith O'Kearney weiß auch wirklich bis auf diese Stunde noch nicht, was für transatlantische Abenteuer ihr Gatte im fernen Süden erlebt. Deshalb wird auch der deutsche Leser, falls er einmal zufällig nach Inveran an der Galwaybai kommen sollte, hoffentlich discret genug sein, dort kein Wort von der Geschichte zu erwähnen, wäre es auch nur des fatalen Paters Anselmus wegen, der seine ganz besondere Freude daran haben würde.