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»Unser tägliches Brod gieb uns heute!«
Wie einfach und bescheiden ist doch Christi Gebet – und umfaßt es trotzdem nicht Alles, was der Mensch zum Leben braucht? Was aber braucht der Mensch nicht Alles zum Leben!
Unser tägliches Brod gieb uns heute! – Wir beten das auch noch heute gerade so wie vor achtzehnhundert Jahren – aber was verstand der Heiland damals, was verstehen wir heute darunter? Wie elastisch ist seitdem der Begriff geworden, und was für ein Gesicht würde ein gar nicht etwa so sehr verwöhnter Mensch machen, wenn er in wörtlicher Erfüllung einmal wirklich weiter nichts bekäme, als das, wofür er eben gebeten – sein tägliches Brod. – Er würde sich jedenfalls höchst ungerecht behandelt glauben.
Greifen wir uns deshalb einmal den ersten besten aus unserer Bekanntschaft heraus (wir brauchen es uns ja gar nicht selber einzugestehen, daß wir uns eben selbst beim Kopf nehmen und auf's Gewissen fragen könnten), was braucht und verlangt der, was versteht er unter seinem täglichen Brod? Womit beginnt sein Tag, womit endet er? Müssen nicht alle Erdtheile dazu beitragen, ihm die Bedürfnisse zu verschaffen – Genüsse kann man sie gar nicht mehr nennen – die ihm zum täglichen Leben unumgänglich nöthig geworden sind und die er schmerzlich vermissen würde, wenn sie ihm oder nur eins daraus fehlten? –
Nahrungsmittel, Geräth und Kleider, aus allen Zonen sind sie zusammengeholt, und was die heiße Sonne der Tropen reifte, muß das Eis des Nordens kühlen. Fast alle Erdtheile haben zu unseren einfachsten Mahlzeiten beigesteuert; wir finden die Gewürze aus dem Ostindischen Archipel, Sago aus Indien, Zucker aus Brasilien, Kaffee aus Java, Reis aus Südcarolina. Unser Tischgeräih selber besteht aus Porzellan, Silber, Krystall, Stahl und Elfenbein, auf die raffinirteste Weise zusammengestellt, und das Alles gehört zum »täglichen Brod« – ja noch viel, viel mehr. Genuß folgt auf Genuß den ganzen Tag, wir verlangen nicht allein so fort zu leben wie wir's einmal treiben, nein, wir wollen uns auch noch verbessern. Unsere Kleidung, unsere Nahrung, unsere Schlafstätte entspricht nicht mehr den einfachsten Bedürfnissen, nein, wir haben den Luxus selbst dazu gemacht, und wie man vom Rand eines Abgrundes in schwindelnde Tiefe hinabschaut, erfaßt es mich sogar bei dem Gedanken mit Grauen, daß selbst das Alles noch dem »täglichen Brode« nicht genügt und lebenslängliche Anstellungen, Titel, Orden, Pensionen als schweres Geschütz noch in der Ferne lauern, im »täglichen Brod« aber selbstverständlich mit begriffen sind.
Mit solchen Ansprüchen betet dann das wunderliche Menschenvolk zu Gott dem Herrn da droben, und es ist ein Glück für uns, daß der allwissende Vater die Ungenügsamkeit seiner Kinder schon kennt und sie nicht allzu scharf beim Worte nimmt.
Und wie wenig doch braucht der Mensch zum Leben!
Es ist mir immer ein wunderliches Gefühl, wenn ich der alten Zeiten gedenke, in denen ich im amerikanischen Wald zwischen den anderen Jägern hauste. Dort reducirten sich unsere Bedürfnisse, wenn auch nicht gerade auf das tägliche Brod, doch sicherlich auf das tägliche Fleisch, und was brauch' ich jetzt zum Leben, was brauchen meine Nebenmenschen um mich her?
Ueber die Welt gestreut hat Gott seine Völker. Allen ist ein gleiches Maß von Glück, von Zufriedenheit geworden, und doch wie ungleich sind dabei die Gaben zwischen sie vertheilt. Wie viel hat das eine, wie entsetzlich wenig das andere bekommen, und doch beneidet keins den Nachbar, ja jedes glaubt, daß ihm das beste Loos beschieden worden.
Von Anfang an sind nun auch allerdings die verschiedenen Nationen ziemlich gleichmäßig ausgestattet gewesen. Adam, von allem Beginn an, hatte nichts als Kost ohne Logis im Walde und seine erste Kleidung war eine Erfindung von ihm selber. Der Australier lebt bis auf den heutigen Tag noch in einem ganz ähnlichen Naturzustand und fühlt nicht einmal das Bedürfnis, sich auch nur im Geringsten zu verbessern.
Auch unsere Vorväter erfreuten sich eben solcher Einfachheit. Das Fleisch der Thiere, die sie erlegten, war ihre Speise, Wasser ihr Trank, ein Thierfell ihre Kleidung, eine Hütte aus Rinde oder Erde aufgebaut ihr Haus – und wie haben wir uns verändert!
Wenn solch ein alter Teutone – anständig gekleidet natürlich – jetzt einmal in eine unserer Städte käme, dort die verschiedenen Läden durchginge und nun sähe, was er eigentlich damals schon »nothwendig gebraucht«, aber leider gar nicht gekannt hatte, wie würde er staunen!
Die Zeit und die geistigen Fähigkeiten der Völker, mit anderen örtlichen, besonders klimatischen Ursachen, sind indeß der Grund gewesen, daß sich ein Theil der Völker aus seiner alten Einfachheit heraus- und in eine Masse von Bedürfnissen hineinarbeitete, während der andere gar nicht an etwas Derartiges dachte. Das Resultat blieb aber bis jetzt immer das nämliche, als da ist: geboren werden, sich glücklich oder unglücklich fühlen und wieder sterben. Nur die Hast zu leben wuchs mit den neuen Bedürfnissen.
Wie rasend schnell übrigens diese anwachsen, dazu brauchen wir, um einen Beweis zu finden, nicht etwa zu den alten Teutonen zurückzugehen, die neueste Zeit bietet da schlagende Beispiele genug. In welcher Art wurde zum Beispiel noch vor kaum dreißig Jahren die Verkehrsverbindung in Deutschland gehalten? – durch Landkutschen, in denen man langsam und mühselig über die entsetzlichsten Straßen rollte, vor jedem Wirthshaus anhielt und Abends, nach sechs- oder achtstündiger Marterfahrt, mit der man ein paar Meilen zurückgelegt, in aller Gemüthsruhe zu Bett ging. Und jetzt? – sind die Leute nicht wirklich in Verzweiflung, wenn sie mit dem Bahnzug, der sie in Sturmeseile durch die Länder führte, nur fünf Minuten zu spät auf der Station anlangen? – Ja, lieber Gott, sie haben jetzt das Bedürfniß zum Fliegen erworben!
Auch die Nachrichten aus den verschiedenen Ländern brachten sonst nur die Schneckenkutschen, oder alte würdige Botenfrauen, die mit dem Korb auf dem Rücken die einzelnen Briefe expedirten. Jetzt dagegen brummen wir und zeigen uns ungeberdig, wenn eine Kunde, Hunderte von Meilen entfernt, nicht am nächsten Morgen spätestens in unseren Händen ist, und ein rastloses Drängen und Treiben und Hetzen und Jagen quält uns und läßt uns nicht Ruh' – doch immer nur dem einen Ziel, dem Grabe zu.
So geht es in allen Dingen. Eine kleine Verbesserung macht den Anfang, dehnt und vervollkommnet sich, und – geht auch ihrerseits wieder unter, anderen Neuerungen Raum zu geben. Wie einfach zum Beispiel unsere Voreltern gekleidet gingen, habe ich schon früher erwähnt und wenn Mutter Eva jetzt noch einmal auferstehen und das Toilettenzimmer einer Dame von Stande sehen könnte, wie würde sie staunen! Das sind jetzt aber alles Bedürfnisse geworden und das Wort Luxus ist in der deutschen Sprache nur noch bei den Leuten geduldet und anwendbar, die ihre Bedürfnisse nicht bezahlen können, wonach sie eben Luxus werden.
Fortschritt ist ebenfalls ein sehr beliebter Aushülfsname für Luxus geworden und beschönigt viel; denn unter seinem Schutz arbeitet sich das Bedürfniß allmählich, aber fest und unaufhaltbar in den Luxus hinein, bis wir zuletzt nicht einmal mehr im Stande sind, die Grenze zwischen beiden zu ziehen.
Das wäre nun Alles recht schön und gut und warum sollen wir uns nicht im Leben verbessern, wenn wir es können? Der Luxus wird dann das Mittel, unsere Existenz angenehmer und behaglicher zu machen – aber zum Fluch, wenn Jene sich ihm hingeben, deren Einnahmen auf einen gewissen beschränkten Etat gestellt sind und die sich auf der Stufe, die sie thörichter Weise erklimmen wollen, nicht halten können. Ueberschreiten sie die ihnen gesteckte Grenze, so sind sie auf die Hülfe Anderer angewiesen, das heißt sie machen Schulden, und Schulden sind jedenfalls der schlimmste und gefährlichste Luxus, den der Mensch nur überhaupt treiben kann – Sparen ist der beste. Die einzige Möglichkeit für uns, eine Grenze zwischen Luxus und Bedürfniß zu finden, bleibt nur die, daß wir unter uns, nicht über uns sehen. Das müssen wir im Auge behalten, womit der Mensch auskommen, nicht was er brauchen kann, und sind wir darüber mit uns einig, finden wir auch wohl den Weg, den wir selbst zu gehen haben.
Ein treuer Helfershelfer des Luxus ist der Ehrgeiz und ein ähnliches Element etwa für den Menschen, wie das Feuer. Wohlthätig bis zum Aeußersten, so lange er in gewissen Schranken oder überhaupt gebändigt gehalten wird. Er dient dann dazu, unsere innere Lebensmaschine zu treiben, unserem irdischen, oft sehr nüchternen Leben die nöthige Wärme zu geben; wird aber gefährlich und vernichtend, sobald er diese Schranke durchbricht, und unendlich schwer, ja fast unmöglich ist es oft, ihn wieder zurückzudämmen in sein altes ruhiges Bett.
Ehrgeiz und Bedürfniß sind die Eltern des Luxus, aber nur der Vater hält mit ihm Schritt und ist stolz auf das Kind.
Wir leben übrigens gerade jetzt, was die Abscheidung der Luxusgrenzen betrifft, in einer höchst gefährlichen Zeit Die menschliche Intelligenz hat nämlich manche Kluft ausgefüllt, die in früheren Tagen schon allein für sich eine ganz natürliche Scheidelinie zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft zog. Jedem war darin deutlich der Weg vorgezeichnet, wie er sich zu verhalten, wie zu erhalten habe. Jetzt aber hat sich darin leider viel geändert und mit der Titel- und Rangsucht, die über sie gekommen, ist ein ganz anderer, verzweifelter Geist in die Menschen gefahren.
Besonders der Mittelstand ist es jetzt, der seine Stellung vergißt und in höhere Schichten der Gesellschaft hineinzuragen strebt. Thäte er das nur so weit, als es ihm seine Intelligenz erlaubt, so wäre es nicht mehr wie schön und gut und dürfte gelten. Aber er will es auch mit seinen dem nun einmal nicht gewachsenen Mitteln erzwingen und dadurch richtet er sich zu Grunde. Mit einem Stück fängt dann jenes neue Leben an und wächst und breitet sich aus, bis er das ganze Haus erfaßt und fortreißt.
Der Mann rückt vielleicht einen höhern Grad hinauf, bekommt einen etwas höhern Titel, vielleicht gar einen Orden und fünfundsiebzig oder hundert Thaler Zulage, und die ganze Wirtschaft wird auf den Kopf gestellt. Eichen- und Tannenmöbel genügen dann nicht mehr, denn sein College – der freilich ein bedeutendes Privatvermögen besitzt – hat dergleichen sämmtlich von Mahagoni. Auch der Ueberzug muß damit Schritt halten. Nun passen aber die alten einfachen Gardinen nicht mehr dazu und geben bald gestickten Raum. Auch die kleine, freundliche Wohnung, in der man sonst vollkommen Platz hatte, wird zu eng; man kann sich nicht länger so behelfen. Eine bessere und größere erfordert aber auch wieder mehr und neue Mobilien und »wenn man sich doch einmal etwas anschafft, soll man auch gleich nur Gutes nehmen«, sagt die Frau. – Sie hat in einer Art Recht und doch auch wieder, wie gefährlich ist der Grundsatz!
Die Kleider halten natürlich mit dem Uebrigen Schritt, denn wieder heißt es: »man muß doch anständig erscheinen«, und trotz den vielen guten und tragbaren Sachen, die vielleicht der Schrank noch birgt, werden neue, bessere, wenigstens besser aussehende angeschafft.
»Ich brauche es nothwendig«, lügen sich die Leute vor, und treiben größeren Luxus mit dem einfachen, aber feinen Tuchrock, den sie nicht bezahlen können, als ihr reicher Nachbar, der in die kostbarsten Pelze und Sammet und Seide gekleidet geht.
So mehren sich die Bedürfnisse und mit ihnen die Ausgaben von Tag zu Tag; theure Zeiten kommen dazu und dennoch bleibt der Gehalt klein und dürftig wie immer, wenigstens keineswegs den Ausgaben entsprechend. Wie soll das enden? – Die Frage ist leicht zu beantworten: erst mit Versetzen im Leihhaus, augenblickliche Noth abzuwenden, und zuletzt, wenn Niemand mehr borgen will, mit völligem Ruin.
Irgendwo muß aber dabei gespart werden, um die Katastrophe wenigstens so lange hinauszuschieben wie möglich – die nöthigsten Ausgaben sind schon nicht mehr zu erschwingen und das Sparen beginnt jetzt bei den Sachen, die eine Einschränkung am allerwenigsten vertragen können: beim Essen und der Wäsche; – freilich bemerken das die Nachbarn am allerwenigsten.
Anstatt wie sonst die tägliche Nahrung einfach und kräftig zu kochen, wird sie jetzt dünn und lang gezogen, um etwas weiter zu reichen und man sucht hauptsächlich solche Speisen vor, die nur rasch sättigen, wenn sie auch weit weniger nahrhaft sind. Auch mit der Reinlichkeit der eigenen Person wie der Kinder wird hausgehalten. Wäsche ist so entsetzlich theuer, und man sieht es ja nicht. Das und das Stück läßt sich schon noch eine Weile tragen.
Das ist denn das vergoldete Elend, das eine Zeit lang währt und endlich in sich selbst zusammenbricht.
Es fällt mir gar nicht ein, den Luxus selber als etwas Unrechtes hinzustellen. Tausende von armen Menschen existiren davon, ihn für die Reichen zu beschaffen, und was sollte aus unseren armen Spitzenklöpplern, aus den Stickern und Posamentirern im Gebirge werden, wenn diesen Luxusartikeln plötzlich entsagt würde? Nein, wer die Mittel dazu hat, würde Sünde thun, das Geld zurück- und in seinem Kasten zu halten, nur wissen muß er, ob er Luxus treiben kann oder nicht.
Was »die Leute« über uns reden, darf uns nicht kümmern, viel herzloser urtheilen sie ja auch außerdem über uns, wenn wir die Bahn, in die wir nun einmal gehören, verlassen haben und nicht hinein zurückkehren können. Oben müssen wir uns und die Zügel in der Hand halten, daß wir unsern Laus übersehen und selber lenken und dirigiren können. Die Pferde dürfen nicht mit uns durchgehen.
Ein guter Hausvater, eine tüchtige Hausfrau müssen dabei im Stande sein, die Grenze zwischen Luxus und Bedürfniß selbst zu ziehen, den ersteren soviel als möglich zu meiden, dem letzteren seine richtige Schranke anzuweisen – sie werden trotzdem noch immer vieles Ueberflüssige beibehalten. Je einfacher der Mensch in seinen Bedürfnissen ist, desto unabhängiger kann er sich von Anderen halten, desto selbstständiger steht er da und das ist immer achtungswerth und trägt den eigenen Lohn schon in sich selbst.
Die Welt freilich rollt unaufhaltsam vorwärts und je mehr wir sämmtliche Elemente und Naturerzeugnisse uns dienst- und nutzbar zu machen wissen, desto mehr wachsen mit diesen auch unsere Bedürfnisse. Wie das nun freilich einmal in späteren Zeiten werden soll, wenn wir in unseren Bedürfnissen so fortfahren und Alles in diese hineinziehen, was unseren Vorfahren, ja unseren Eltern noch als Luxus erschien, ist freilich eine andere Sache. Damit mögen aber unsere Kinder und Enkel sehen, wie sie fertig werden – wir haben mehr zu thun, als uns auch noch um deren Zustände den Kopf zu zerbrechen.
Da nun bei uns Eins aus dem Andern folgt, so haben wir, sehr vernünftiger Weise, unseren Zuständen auch schon theilweise unsere Sprache angepaßt. Das also, was früher nur einen einzelnen Begriff hatte, wird in neuerer Zeit, eben nur unseren Bedürfnissen entsprechend, zum Sammelwort gemacht. Wenn wir deshalb sagen, »der Mann hat sein Brod«, so verstehen wir eben Alles darunter, was zum Leben gehört: Frühstück, Mittag- und Abend brod, wo möglich freie Wohnung mit Holz und Anstellung mit Pension. Deshalb dürfen wir denn auch jetzt, ohne gerade fürchten zu müssen, zu bescheiden zu sein, mit recht gutem Gewissen beten:
»Unser tägliches Brod gieb uns heute!«