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Ein Name.


Was liegt an einem Namen? – Ein Mensch kann Schultze oder Meier, oder Pfannkuchen oder Schweinebraten heißen, und doch ein ganz braver, rechtschaffener, angesehener und geachteter Mann sein. Der Name ist nichts, oder eigentlich nur, wie bei der Wallnuß, die Schale, das todte Holz, das die Frucht umschließt; das Kleid, die Hülle, meinetwegen auch der Handgriff zum ganzen selbstständigen Individuum. Auf den Menschen selber kommt es aber an, was er lernt, was er ist, was er treibt, wie er handelt, wie er sich beträgt, was er gelernt hat, und wie er das Gelernte dann verwerthet. Der Name ist »Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsgluth«, wie schon Göthe gesagt hat.

Aber – »das ist Alles recht schön und gut«, wie damals auch Gretchen bemerkte – und doch nicht wahr. – » Auf den Namen kommt es nicht an, sondern auf den Mann«, ist eine von jenen humanen Phrasen, die recht gut und liberal klingt, die eigentlich, wenn man darüber abstimmen wollte, von der ganzen Welt einstimmig angenommen würde und der es im wirklichen Leben doch geht, wie allen den übrigen gleichen Gelichters.

»Auf den Namen kommt es nicht an!« »Alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz!« »Arbeit schändet nicht!« »Der Adel giebt keinen Vorzug!« und wie derartige Redensarten alle heißen. »Sie sind aber nicht wahr,« sage ich noch einmal und brauche es nicht einmal zu beweisen, denn Jeder weiß selber aus seinem eigenen Leben, aus seiner Umgebung Beispiele für meine Behauptung. Einzelne Umstände, einzelne Fälle kommen immer dazwischen, die die ganze Geschichte über den Haufen werfen, und das alte gemüthliche »Keine Regel ohne Ausnahme!« steht als verkehrter Portier hinten am Haus und hält dem unruhigen Menschenvolk mit größter Bereitwilligkeit die Hofthür offen.

»Was liegt an einem Namen!« – Ja, schaut einmal in die wunderbare Welt hinaus und seht, was daran liegt. – »Gieb einem Hund einen bösen Namen und häng ihn lieber gleich!« sagen die Engländer, und sie haben wahrhaftig Recht. Nichtsdestoweniger verträgt das ein Mensch immer noch eher als ein Hund, und in allen Schichten der menschlichen Gesellschaft laufen Individuen mit einem Namen herum, mit dem sie als Hund schon lange gesteinigt wären.

Schon der Vorname ist nicht gleichgültig, und Eltern, die ein Kind taufen lassen, sollten wohl dabei bedenken, daß dasselbe mit einem hochtrabenden Namen, den man sich bei dem Kind noch allenfalls gefallen läßt, als erwachsener Mann oder erwachsene Frau später durch die menschliche Gesellschaft im wahren Sinn des Wortes Spießruthen laufen muß. Wenn die Kinder heranwachsen, ihr volles Maß in den Schuhen stehen und in der Tretmühle unseres menschlichen Lebens ihren gehörigen Platz eingenommen haben, dann ist ihnen ein solcher hochpoetischer und gewiß in einem Roman sehr verführerisch klingender, im wirklichen hausbackenen Leben aber höchst unpassender Name oft von größtem Schaden, und er thut noch mehr, als sie nur um ihren guten Ruf bringen – er macht sie lächerlich.

Welch Vergnügen bringt es den Eltern, wenn sie ein kleines niedliches, oder niedlich geglaubtes Kind bis zum sechsten oder siebenten Jahr ungestraft mit dem süßen Namen Ambrosius, Fridolin, Narciß, Elfried oder Blandine, Euphrosine, Aurora oder Eulalia etc. rufen dürfen? Und was für Fridolins und Euphrosinen laufen nachher zum Scandal im Leben draußen herum!

So kannte ich einen jungen liebenswürdigen Mann, der mit dem Namen Gertrud gegen des Lebens Wellen ankämpfte. Seine Eltern hatten es sich nämlich vorgenommen gehabt, ihr erstgeborenes Kind »Gertrud« zu nennen. Daß das zufällig ein Knabe war, änderte nichts an der Sache, und der arme Teufel wurde dieses absurden Namens wegen, und trotz eines absichtlich stehen gelassenen großen Bartes, permanent ausgelacht.

Andere Menschen haben viele Vornamen und mögen doch nicht damit herausgehen. So wurde der bekannte demokratische Schriftsteller Held, der sich nie anders als eben nur Held unterschrieb, in Leipzig von seinen Collegen geneckt und gequält, er solle seinen Vornamen nennen – aber er wollte nicht. Er sagte nicht weshalb, unterzeichnete jedoch nach wie vor nur seinen Familiennamen. Die Literaten peinigten ihn aber zuletzt so arg – denn wenn die einmal etwas haben, auf das sie hacken dürfen, so »lassen sie nicht locker« – bis er zuletzt nicht mehr ausweichen konnte. Da kam er denn ganz schüchtern damit an die Oeffentlichkeit und gestand, daß er »Friedrich Wilhelm Alexander« heiße.

Und was für curiose Familiennamen giebt es auf der Welt! Man braucht eben nur die Fremden- und Sterbelisten irgend einer Zeitung durchzulesen, um sich zu überzeugen, daß wirklich etwas an einem Namen ist, und daß der Mann nicht immer den Namen, sondern der Name auch oft den Mann, wenigstens in unserer Einbildungskraft, macht. Wir entwerfen uns jedenfalls sehr häufig nur nach dem Namen ein Bild von dem noch unbekannten Menschen und fassen dadurch von vornherein ein Vorurtheil für oder gegen ihn.

Ich will das mit einem Beispiel beweisen, ohne ein Wort zur Erklärung hinzuzufügen, und dazu bedarf ich nur eines Stückchens Fremdenliste aus dem ersten besten Blatt:

In der Traube: Karl Bohnert, Fabrikant aus Glauchau. – Graf von Falkenhorst aus Tyrol. – L. Hirsch, Rentier aus Warschau. – I. Hirsch, Rittergutsbesitzer aus Sachsen. – Jean Kappel, commis voyageur aus Rüdesheim.

Ich bin fest überzeugt, daß die wenigen Zeilen meine vorige Behauptung vollständig bewiesen haben.

Sage Niemand: »Was liegt an einem Namen?« – Was hilft einer armen Frau, die mit zerrissenem, blutendem Herzen den Tod ihres geliebten Mannes anzeigt, der eine halbe Spalte lange Ausbruch ihres Schmerzes, wenn sie sich zuletzt – sie mag welchen Eindruck immer auf uns gemacht haben – Louise Mantel, geb. Mütze,« unterschreiben muß? Und welche Aussicht zu einem ordentlichen Fortkommen in der Welt würde zum Beispiel ein junger Arzt, und wäre er der Geschickteste, haben, wenn er Tod hieße?«

Sonderbar ist es dabei mit den Namen überhaupt auf der Welt. Einige scheinen – um hier von einem speciellen Lande zu sprechen – über ganz Deutschland ziemlich gleich vertheilt und wie Flocken bei einem allgemeinen Schneegestöber ausgestreut zu sein – ich meine die Namen Müller und Schmidt. Andere sind wieder gewissen Ländern hauptsächlich eigen, wie den Baiern zum Beispiel Huber, mit seinen endlosen Prädicaten, den Preußen Schultze, den Sachsen Lehmann, dem nördlichen Deutschland Meier. »Gott tröste, wer Meier hett« (heißt), läßt der Volksmund dort die alte Frau vor Gericht sagen, die nur ihres Namens wegen für einen von einer andern Meier begangenen Fehler büßen mußte. Eine Unzahl von Meiers werden dort täglich geboren, sterben, brennen durch, stecken in Zuchthäusern, bekleiden die höchsten Ehrenstellen, werden steckbrieflich verfolgt, und bringen Jeden, der einen Bestimmten darunter herausfinden will oder muß, zur Verzweiflung.

Die Frauen sind noch besser daran als die Männer. Ein junges Mädchen, das einen unangenehmen Namen trägt, darf doch wenigstens hoffen, ihn mit der Zeit gegen einen bessern zu vertauschen. Ein Mann dagegen bleibt rettungslos damit behaftet, und muß noch froh sein, wenn ihn nicht ein Geschäft oder öffentliche Wirksamkeit zwingen, denselben über seiner Hausthür an den Pranger zu stellen, oder ihn in den Zeitungen aus einer Ecke in die andere geworfen zu sehen.

Nur die Resignation eines deutschen Staatsbürgers wäre zum Beispiel im Stande, an einem Sonntagsnachmittag mit Cigarre oder Pfeife über einem Schild aus dem Fenster zu sehen, auf dem die Worte stehen:

 

Materialwaaren-Handlung
von
Adolf Leibweh

 

und das heimliche Gespött der Vorübergehenden, die vergnügt heraufsehenden Gesichter und geflüsterten faden Witze zu ertragen.

Sage um Gottes willen Niemand, dem das Schicksal auf dieser Welt in solcher Hinsicht eine erträgliche Empfehlungskarte mitgegeben hat: »was liegt an einem Namen!« Fragt einmal die Unglücklichen, die Sauerkraut, Schweinigel, Pfannkuchen, Krautwurst etc. etc. heißen, ob sie nicht lieber ihre Namen selber in Meier, Schultze oder Lehmann verwandelt haben möchten. In manchen Lebensverhältnissen würde ein solcher Name sogar die Existenz des Trägers gefährden, und eine gewaltsame Aenderung wird oft – zum Beispiel beim Theater – zur Nothwendigkeit.

Welchen Eindruck würde ebenso ein Gedicht, mit allen Farben glühender Phantasie übergossen, und wenn es der Nachtigall ihren Klang, der Rose ihren Duft abgelauscht hätte mit » Julius Schweinebraten« unterschrieben, auf den Leser machen? Er würde jedenfalls lachen, das Buch bei Seite legen und sagen: »Wie kann ein Mensch um Gottes willen Schweinebraten heißen!« – Aber warum tauft er sich nicht um? –

Ja, das ist leicht gesagt, aber nicht immer auch eben so leicht gethan. Mit der Polizei wäre allenfalls noch fertig zu werden und deren Erlaubniß dazu wohl zu bekommen. Wenn man ihr nur den Handgriff läßt, kommt es ihr auf die Form desselben nicht an. Gewöhnlich treten aber Familienverhältnisse störend dazwischen: Erbschaften, noch lebende alte Anverwandte, die den Namen ihr Lebelang geschleppt haben und nun nicht einsehen, weshalb ihn die jüngere Generation nicht eben so gut tragen könne; oft auch schwer abzuschüttelnde Anhänglichkeit an das einmal Ueberkommene, kurz solch ein Name klebt gewöhnlich wie Pech und ist nicht los zu werden.

Höchst interessant wäre es zu wissen, wie die verschiedenen Namen wohl eigentlich entstanden sind, und der Ursprung von Tausenden läßt sich allerdings leicht vermuthen. In unserer Zeit haben wir übrigens gar nichts Aehnliches mehr aufzuweisen. Es scheint fast, als ob jetzt alle Namen fertig wären, und in der civilisirten Welt sind auch wirklich nur noch die Findelhäuser die Stellen, an denen neue Namen ausgegeben und in der Welt draußen dann als baare, gangbare Münze angenommen werden.

Wäre es früher nicht Sitte gewesen, den Vornamen der Kinder als Familiennamen gelten zu lassen, so müßten wir jetzt auf der ganzen Welt – der Bibel nach, die nur ein einziges Menschenpaar als Stamm annimmt – auch nur die Familie Adam haben. Kain hätte natürlich Kain Adam, und Abel Abel Adam geheißen, und ihre Kinder so fort, was in jetziger Zeit, bei den Millionen Geschlechtern, eine Heidenverwirrung gegeben hätte. Es wäre noch schlimmer als bei Meier und Huber geworden. – Das hat man deshalb vernünftiger Weise anders angefangen, und anstatt bloßer »Adams« und »von Adams« giebt es jetzt so viel Namen auf der Welt wie Sand am Meer. –

Den Sprachforschern würde es allerdings nicht schwer fallen, Meier zum Beispiel von Adam abzuleiten; hierbei haben wir jedoch feste historische Grundlagen, die eine solche künstliche Arbeit unnöthig machen.

Trotz der Vermischung der Racen und Stämme untereinander, ist doch eigenthümlich, wie gewisse Namen rein und unverfälscht bei ihrem Gramm geblieben sind. Besonders deutlich ist dieses zwischen Juden und Christen der Fall.

Obgleich die ersteren außer Esau, Nimrod und Simson – welcher Letztere sich besonders mit dem Fuchsfang beschäftigte – eigentlich keine großen Jäger gewesen sind, und jetzt nur ausnahmsweise mit einem Gewehr betroffen werden, so sind doch die Thiernamen: Wolf, Hirsch, Bär, Kuh, und Katz, wie die Zusammensetzungen: Löwenhaupt, Katzenstein etc. entschieden und fast ausschließlich jüdischer, Schaf, Ochse und Stier dagegen rein christlicher Natur. Adler, Habicht sind ebenfalls jüdisch, ebenso Gans und Nachtigall; Fink, Ente, Storch gehören dagegen dem christlichen Stamm, Sauer ist ein rein christlicher, Süß dagegen ein jüdischer Name. Grob ist christlich; Fein jüdisch. Die meisten Blumennamen sind jüdisch, Rose ausgenommen, alle Zusammensetzungen derselben aber auch wieder, wie Rosenbaum, Rosenzweig etc., jüdisch. Die Farbennamen sind entschieden christlich, die Metallnamen dagegen wieder, mit allen ihren Zusammensetzungen, entschieden jüdisch. Alle Körpertheile, mit Ausnahme des Herzens, sind christlich, ebenso alle Handwerker- und Arbeiternamen, wie: Bäcker, Müller, Schmidt, Schneider, Schuster, Gärtner, Glaser etc. etc. Kaufmann ist dagegen wieder jüdisch. Nur in Meier vereinigen sich die beiden Racen und schmelzen zu einem wilden Chaos zusammen, aus dem sich weder Jude noch Christ mehr herausfindet.

Aber wo gerath' ich hin? – Von den Leiden eines armen, unglückseligen Menschenkindes wollte ich sprechen, das seinen Namen, heimlich wie ein Verbrechen, durch das Leben schleppte, und der hat mit den anderen Namen nichts zu thun.

Die Amerikaner sagen zwar: »Es ist mir einerlei, wie ich gerufen werde, nur nicht zu spät zum Mittagessen!« Die Amerikaner sind aber auch entsetzlich materielle Menschen und würden sich eben so gut glücklich und zufrieden fühlen, wenn sie Bratwurst hießen – doch zur Sache.

In einer eben nicht ganz kleinen, aber von dem Hauptverkehr der Welt ziemlich abgeschnittenen Stadt hatte sich seit einiger Zeit ein junger Schriftsteller und Dichter niedergelassen, der nicht allein sehr zartsinnige, duftige Erzählungen für das dort erscheinende Wochenblatt schrieb, sondern auch die benachbarte ziemlich freundliche Gegend in zierlichen Versen besang und sich dadurch die Herzen der Bewohner von Ystadt im Sturm gewann.

Die Bürger von Ystadt waren bis dahin durch Schmeicheleien noch nicht verwöhnt worden, und zum Vergnügen hatte sich ebenfalls noch nie Jemand dort aufgehalten. Der älteste Mann im Ort – der übrigens nur dann erwähnt wird, wenn er sich auf etwas nicht besinnen kann – konnte sich wenigstens keines Solchen erinnern, und den Ystädtern imponirte auch überhaupt das Wort Schriftsteller, mit dem sich der Fremde schon die erste Nacht hinter den Namen » Wunibald« in das Fremdenbuch eingetragen.

Ihr Wochenblatt schrieb und setzte sonst gewöhnlich nur der Buchdrucker, der außerdem noch jährlich einen Kalender und einige andere für Vieh und Menschen gemeinnützige Schriften verlegte. Was er sonst zur Füllung seines Blattes bedurfte, druckte er einfach, dem gewöhnlichen Brauche folgend, nach; einen wirklichen lebendigen Schriftsteller hatte er noch nie dazu verwandt. Da ließ sich »Herr Wunibald« oder schlechtweg Doctor Wunibald, wie ihn die Leute nannten, in Ystadt nieder, und dem Ystädter Wochenblatt blühte eine neue Aera.

Bei dem Ystädter Wochenblatt war nämlich für irgend einen Beitrag, welcher Länge auch immer, Honorar nie zu fürchten, und Doctor Wunibald hatte die höchst lobenswerthe und nicht genug zu empfehlende Angewohnheit, daß er keins beanspruchte. Er war, wie er dem Besitzer des Wochenblatts freimüthig gestand, der Sohn eines bemittelten schlesischen Gutsbesitzers und ritt den Pegasus nicht zur Miethe für so und so viel die Stunde, wie es andere Sterbliche sehr häufig zu thun gezwungen sind, sondern nur »zu seinem Vergnügen.«

Darin schien er übrigens zu bescheiden, denn das Vergnügen war auch mit auf Seiten des Redacteurs zu Ystadt, und das Publikum selber las mit Befriedigung die sinnigen Gedichte allsonnabendlich gleich unter den Marktberichten und erwartete jedesmal mit immer wieder getäuschter Erwartung eines günstigen Resultats die Fortsetzungen haarsträubender Novellen, die ihnen jede Nummer brachte.

Unter solchen Umständen konnte es nicht fehlen, daß Doctor Wunibald nach sehr kurzem Aufenthalt schon in einige der besten Familien der Stadt eingeführt wurde. Der Redacteur oder Buchdrucker, ein gewisser Herr Müller, hatte bald in Umlauf gebracht, Doctor Wunibald sei ein steinreicher Mensch. Wider Erwarten bezahlte er sogar regelmäßig seine Rechnung im Wirthshaus, und zwar allwöchentlich, und bekam demnach schon eine Einladung zum Casino, der besten geschlossenen Gesellschaft der Stadt.

Doctor Wunibald war noch ein junger Mann mit sehr blonden Haaren und sehr blauen Augen, dabei ging er stets äußerst geschmackvoll im blauen Frack und gelber Weste, trug natürlich eine Brille und betrug sich still und bescheiden. Es versteht sich von selbst, daß ihm dies, besonders unter den Frauen, bald Freunde gewann. Ein ästhetischer Thee ohne Doctor Wunibald war in Ystadt schon nicht mehr denkbar. Selbst zu den geheimen Kaffeeunterhaltungen bekam er indirecte Einladungen, las dort seine Gedichte vor, ließ sich anbeten, und erklärte dann in verschiedenen Correspondenzen ebenso verschiedener ausländischer Blätter, daß Ystadt eine der gebildetsten Städte Deutschlands sei.

Eine der wichtigsten Personen in Ystadt war der Steuerrath Wullenweber, ein in seinem Beruf außerordentlich thätiger und tüchtiger Mann. Seine Frau stammte dabei, wie sie keineswegs verheimlichte, aus einer literarischen deutschen Familie, und die Tochter Rosalinde, ein blühendes liebes Kind von kaum neunzehn Jahren, sollte selbst schon ganz niedliche Gedichte gemacht haben. Wenigstens behauptete das die Mutter, Rosalinde selber war viel zu schüchtern, um damit an's Tageslicht zu kommen, schwärmte jedoch desto mehr für alles Poetische und las in schönen Stunden mit Doctor Wunibald den Byron.

Wunibald war bald täglicher Gast im Hause des Steuerraths, der ihn selber auf das Freundlichste protegirte und nur damit alltäglich, oder vielmehr allabendlich ärgerte, daß er beim Vorlesen oft der sinnigsten Gedichte regelmäßig einschlief. Desto aufmerksamer hörten ihm aber die Frauen zu, und als er ihnen eines Abends Shakespeares Othello vorgelesen, fühlte Rosalinde, daß ihr Herz nicht mehr das ihre sei. Wenn auch Wunibald kein Mohr war, hatte er doch in ihr seine Desdemona gefunden, und ein so zartes Verhältniß begann zwischen den Beiden, wie es noch je zwischen Dichter und Dichterin gekeimt und endlich zur schönsten, herrlichsten Blüthe aufgegangen.

Im Anfang schienen sich die jungen Leute übrigens nicht einmal der Stärke dieser Leidenschaft bewußt, und alle Mädchen in ganz Ystadt erfuhren es eigentlich früher als Rosalinde selber. Keinesfalls aber war die Mutter blind dagegen geblieben, und als Wunibald eines Nachmittags zur gewöhnlichen Zeit kam, um mit Rosalinde, wie gewöhnlich, Literaturgeschichte zu treiben, empfing ihn statt ihrer die Frau Steuerräthin Wullenweber, nöthigte den jungen, darüber etwas verdutzten Mann in das Heiligthum ihres eigenen Gemachs, das er bis dahin noch mit keinem Fuß betreten hatte, und bat ihn, ihr eine kleine Unterredung zu gönnen.

Wunibald zitterte am ganzen Leibe, denn eine Art von Instinct ließ ihn ahnen, welch' wichtigen Einfluß diese Stunde auf sein Leben ausüben würde. Er war sich allerdings der edelsten Absicht bewußt und hatte auch nicht leichtsinnig das Herz des holden Mädchens zu gewinnen gesucht – seine Gefühle ruhten auf dem festen und soliden Boden eines stattlichen Rittergutes, dessen glücklicher Besitzer er als der einzige Sohn seines Vaters einst werden mußte, aber – er zitterte doch. Die Frau Steuerräthin ließ ihm jedoch keine lange Zeit zum Nachdenken. »Mein lieber Herr Doctor,« begann sie, und wäre Wunibald unbefangener gewesen, so hätte es ihm nicht entgehen können, wie die wackere Frau selber in peinlicher Verlegenheit bei der Anrede war – »Sie – Sie haben uns – besonders in der letzten Zeit – so oft mit Ihrem schätzbaren Besuch erfreut –«

»Beste Frau Steuerräthin –!«

»Bitte, mißverstehen Sie mich nicht,« unterbrach ihn rasch die würdige Dame; »Sie – Sie müssen gefühlt haben, wie angenehm uns Allen, meinem Mann, mir und – meiner Tochter Rosalinde Ihre Besuche waren und sind – aber – die böse Welt – Sie glauben nicht, Herr Doctor –«

»Aber, beste Frau Steuerräthin, ich will doch nicht hoffen, daß –«

»Nein!« rief die Steuerräthin rasch, ohne ihn ausreden zu lassen, »Gott bewahre! Aber Sie werden auch einsehen –«

Wunibald hatte indessen seine ganze Fassung wieder erhalten. Er stand auf, ergriff die Hand der besorgten Mutter und sagte feierlich: »Hochgeehrte Frau, – ich verstehe, was Sie sagen wollen. Ja mehr noch als das, ich fühle, daß ich Ihnen eine Erklärung meines Betragens schuldig bin, und ich kann das mit um so freierem Herzen, da ich in meinen Absichten rein und ehrenhaft vor Ihnen stehe.«

»Bester Herr Doctor –!«

»Ich liebe Ihre Tochter,« fuhr Wunibald, von der Wucht des Augenblicks hingerissen, fort, »liebe sie wie das Licht meiner Augen, wie den göttlichen Funken Poesie, den Gott in meine Seele gelegt – liebe sie mehr als mich selbst! Sie ist mir, was der Sonnenschein der Pflanze, was der Thau der Blüthe, was das Licht der Rose – sie ist mir Luft und Leben, und ohne sie versänke mein Dasein in des Chaos Nacht.«

»Ich habe dies nicht anders von Ihnen erwartet,« sagte die Steuerräthin – »und ich – fürchte, daß auch Rosalinde –«

»Oh, fürchten Sie das nicht!« unterbrach sie aber mit bittendem Ton der junge Mann, »lassen Sie mich hoffen, daß Rosalinde nur den kleinsten Theil dieser Gefühle für mich hegt, und seien Sie versichert, daß mich schon der Gedanke zum Glücklichsten der Sterblichen machen würde.«

»Und Ihre Absicht ist in der That –?«

»Mein Geschick in Ihre Hände zu legen!« rief der junge Mann begeistert. »Ich bin nicht arm. Meine Eltern haben nur den einzigen Sohn und verfügen über ein bedeutendes Vermögen, und ich weiß, daß es ihr sehnlichster Wunsch ist, mich an ein Wesen gefesselt zu sehen, das – ich darf nicht sagen meiner würdig wäre – dessen ich selber hoffen darf mich einst würdig zu zeigen. Mein – mein Name ist freilich noch unbekannt, aber – was liegt an einem Namen, wenn das Herz –«

»Oh, Ihr Name ist nicht mehr unbekannt!« unterbrach ihn aber die würdige Frau, der das Herz in der Beruhigung über das Gehörte bis zum Zerspringen voll war, und der die aufquellende Rührung fast die Stimme erstickte. »Ihr Name hat einen guten Klang, und ich selber lege meines Kindes Schicksal in Ihre Hände.«

»Hochverehrte Frau –!« sagte Wunibald gerührt.

»Auch mein Mann wird, wie ich sicher hoffe, nichts gegen eine für uns so ehrenvolle Verbindung haben – und – Rosalindens Herz sind Sie, wie ich fürchte, schon zu gewiß.«

»Theuerste Mutter –!«

»Aber da kommt mein Mann gerade nach Haus,« unterbrach sie sich selber rasch. »Sprechen Sie gleich mit ihm, sein Herz ist gut und offen, und ich – will indessen zu Rosalinde hinüber gehen. Das arme Kind wird nicht wissen, was wir hier so lange allein zusammen gehabt. – Heut Abend erwarten wir Sie zum Thee.« Und ehe der wie in einer Verzückung dastehende Wunibald etwas darauf erwidern konnte, verließ sie rasch das Zimmer.

Wunibald blieb, wie sie ihn verlassen, auch noch eine ganze Weile stehen und dachte gar nicht daran, sich zu bewegen. Endlich hörte er die Schritte des nahenden Steuerraths, dem die Frau Steuerräthin indessen schon, ehe sie zu Rosalinden ging, alles Wissenswerthe in der Geschwindigkeit mitgetheilt, und sah sich im nächsten Augenblick dem Vater der Geliebten gegenüber.

Der Steuerrath war, wie schon vorerwähnt, ein ganz einfacher Mann mit einer sehr geringen Hinneigung zum Aesthetischen. Er ließ das Letztere aber nie die Oberhand bei sich gewinnen, selbst nicht in den unvermeidlichen Thees, und faßte deßhalb auch jetzt die Sache gleich beim rechten Zipfel an. Gegen den Doctor Wunibald hatte er, selbst als Schwiegersohn, allerdings nicht das Geringste einzuwenden. So lange er ihn kannte – und das begriff doch immer schon einen längeren Zeitraum – war Wunibald in seinem Betragen stets musterhaft gewesen; gegen seine Fähigkeiten ließ sich auch nicht gut etwas einwenden – das Ystädter Wochenblatt hatte ihm gewissermaßen ein Monument gestiftet – nur über seine Vermögensumstände, über seine Familie mußte er noch Näheres erfahren, ehe er ihm sein Kind, seine einzige Tochter anvertrauen konnte. Das war er überhaupt seinem Kinde schuldig, in dieser Hinsicht für sie zu sorgen, denn junge liebende Herzen fragen einmal den Henker nach allen den Nothwendigkeiten des Lebens, die sie später nun doch einmal zum Leben nothwendig brauchen und deren Besitz mit dazu dienen muß, nicht allein ihren Pfad zu ebnen, sondern auch eben ihre Liebe dauernd und haltbar zu machen.

Er selber besaß allerdings einiges Vermögen, aber doch nicht so viel, um jetzt schon einen großen Theil davon hergeben zu können. Es kam deshalb ganz darauf an, was Wunibald's Vater für ihn thun konnte oder wollte, denn wenn seine Poesie auch einen blumigen Boden haben mochte, einen goldenen hatte sie nicht. In etwas beunruhigte es ihn dabei, daß er, trotz der eifrigsten Erkundigungen, eine Familie Wunibald bis jetzt in Schlesien noch nicht hatte erfragen können, und daß ihm der junge Mann darüber eine Unwahrheit erzählte, glaubte er nicht. Dafür gab es nun ein ganz einfaches Mittel – er brauchte ihn nur darum zu fragen, und beschloß auch ganz ehrlich, Mann gegen Mann, mit ihm zu handeln.

In welcher Aufregung sich der junge Dichter befand, sah er, so wie er nur in's Zimmer trat. Um ihn deshalb nicht länger als nöthig auf die Folter zu spannen, ging er auf ihn zu, drückte ihm herzlich die Hand und sagte:

»Lieber Wunibald, ich will Ihnen alle weiteren Erklärungen ersparen. Meine Frau hat mir Ihr Gespräch schon mitgetheilt; und das mag Ihnen zur Beruhigung dienen, daß ich Ihnen offen sagen kann: ich freue mich, daß Rosalinde die Aussicht hat, einen so wackeren Mann zu bekommen.

»Bester Herr Steuerrath!« rief Wunibald, die ihm gebotene Hand herzlich schüttelnd. Beide bemerkten dabei nicht, daß die Frau Steuerräthin wieder durch eine Seitenthür, vor der eine spanische Wand stand, in's Zimmer getreten war und mit einem glücklichen Gesicht und zwei großen hellen Freudenthränen im Auge dem Gespräch der Beiden lauschte. Galt es doch das Glück ihrer einzigen Tochter, die in der Nebenstube mit bebenden Gliedern und schamgerötheten Wangen den Geliebten erwartete.

»Schon gut – schon gut,« sagte der Steuerrath, selber gerührt. »Nun aber, mein lieber junger Freund, den ich bald Sohn zu nennen hoffe, müssen Sie mir auch eine Frage gestatten, die Sie dem Vater des Mädchens, das Sie lieben und zur Frau begehren, zu Gute halten mögen, und es betrifft dieselbe Ihre eigenen Eltern, deren Einwilligung zu der Verbindung vor allen Dingen nöthig ist. Ich will Ihnen dabei nicht verhehlen,« fuhr der Steuerrath fort, als Wunibald schwieg, »daß ich Ihre Werbung um meine Tochter schon vorausgesehen habe. Ich wußte, wie gut Ihnen das Mädchen sei, und glaubte Sie nicht zu den leichtsinnigen und gefährlichen Menschen zählen zu dürfen, die solchen jungen Dingern nur mit schönen Redensarten den Kopf verrücken, und weiter keine Absicht dabei haben, als sich zu amüsiren. Ich habe mich auch deshalb durch mehrere wackere Freunde, die mir in Schlesien leben, nach Ihrer Familie erkundigen lassen, muß Ihnen aber gestehen, daß das bis jetzt noch zu keinem Resultat geführt hat. Eine Familie Wunibald war ihnen weder bekannt, noch unter den Rittergutsbesitzern zu erfragen, und ich ersuche Sie jetzt selber offen und ehrlich darum, mir Auskunft darüber zu geben.«

»Ich fühle, daß das meine Pflicht ist,« entgegnete Doctor Wunibald, aber weit ernster, als es die so einfache Sache zu erfordern schien, ja dem Steuerrath kam es fast so vor, als ob dabei das Blut seine Wangen verlassen hätte. Er sah wenigstens plötzlich ungewöhnlich bleich aus. Er schwieg auch einen Augenblick, wie um sich zu sammeln und sagte dann mit fester, entschlossener Stimme: »Daß Sie den Namen Wunibald nicht in Schlesien erfragen konnten, verehrter Herr, ist leicht erklärt, denn es ist nicht mein Familien-, sondern mein Vor- und Dichtername.«

»Also Sie heißen nicht Wunibald?« rief der Steuerrath erstaunt.

»Nein,« erwiderte Wunibald gefaßt. »Mein Vater gehört einem ziemlich alten, wenn auch bürgerlichen Geschlecht an, und besitzt eins der besten und einträglichsten Rittergüter in der Nähe von Oels bei Breslau.«

»Wir brauchen nicht adelig zu sein, lieber Freund,« lächelte der Steuerrath. »Ich selber stamme aus einem alten bürgerlichen Geschlecht und bin stolz darauf. Der Name Wullenweber hat einen guten Klang im Norden, und vor alten Zeiten war mein Ahn, von dem ich in directer Linie abstamme, im nordischen Reich sogar berühmt, wie ich Ihnen nicht weiter zu erklären brauche. Ich halte dafür auch etwas auf einen wackern bürgerlichen Namen und werde stolz darauf sein, in meinen Enkeln ein altes würdiges Geschlecht fortgepflanzt zu sehen. Wie heißen Ihre Eltern?«

»Geben Sie etwas auf einen Namen?« lächelte Wunibald, der Frage ausweichend, und dem Steuerrath konnte es nicht entgehen, daß der junge Mann todtenbleich dabei geworden war.

»Ich? – allerdings!« versetzte der Steuerrath erstaunt. »Soll ihn doch meine Tochter – sollen ihn meine Enkel einst führen. Aber – Sie haben mir den Ihrigen noch nicht genannt.«

»Er gehört einem der loyalsten Männer Schlesiens,« sprach Wunibald, »einem Ehrenmanne, der nicht nur durch seinen Reichthum, nein, der auch durch sein biederes, wackeres Herz geachtet und geehrt bei seinen Nachbarn steht.«

»Das freut mich herzlich zu hören,« sagte der Steuerrath, »und wie heißt der wackere Mann?«

Wunibald zögerte noch einen Augenblick, dann fuhr er langsam fort:

»Das Herz des Mannes, sein Wirken und Handeln muß auch seinen Werth bestimmen – nicht wahr, so denken Sie doch auch? – Den Namen gab uns oft ein blindes Ungefähr, ein Zufall, irgend eine tolle, übermüthige Laune vielleicht des Ahnen, vielleicht der Neid der Nachbarn, vor uralten Zeiten, denn schlechte, klein denkende Menschen können nichts weniger ertragen, als den Erfolg des Nächsten, der sich durch die eigene Kraft aus ihrer Sphäre aufgeschwungen hat.«

»Aber Sie spannen mich wirklich auf die Folter,« meinte der Steuerrath. »Und welchen Namen trägt Ihre Familie, daß Sie einer solchen Vorbereitung dazu bedürfen?«

Doctor Wunibald sah dem Steuerrath fest in's Auge, bog sich dann zu ihm über und flüsterte ihm etwas in's Ohr. – Der Steuerrath fuhr zurück, schaute den jungen Mann einen Moment von der Seite an und sagte dann lächelnd: »Oh – Sie scherzen!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!« versicherte Wunibald ernst.

Die Frau Steuerräthin, für welche diese Wendung des Gesprächs etwas außerordentlich Ueberraschendes hatte, gab sich die äußerste Mühe, das geflüsterte Wort zu verstehen, war es aber nicht im Stande.

»Aber Sie wollen doch nicht behaupten – ich muß Sie mißverstanden haben!« rief jetzt der Steuerrath erschreckt, »Sie wollen doch nicht behaupten, daß Ihr Vater –«

» Das ist unser Familienname,« erwiderte Wunibald resignirt.

»Derselbe Name, den einmal Ihre Frau führen soll?« rief der Steuerrath. –

»Ich habe keinen andern,« stöhnte Wunibald.

Der Steuerrath hatte die Hände auf den Rücken gelegt und ging mit hastigen Schritten im Zimmer auf und ab. Die Frau Steuerräthin stand wie auf Kohlen, wagte aber doch nicht, ihr Versteck zu verlassen und sah nur durch eine Ritze in der spanischen Wand, daß Doctor Wunibald – und wie hieß nur der Unglückliche? – die Hand auf das Fensterbrett gestützt hatte und still und stumm vor sich hin starrte.

»Das geht nicht,« sagte da der Steuerrath plötzlich und blieb vor dem jungen Mann stehen, »das geht wahrhaftig nicht. – Hier in Ystadt – nein, es ist unmöglich!« unterbrach er sich selber. »Lieber Herr – lieber Herr Wunibald, ich will Ihnen gern glauben, daß Ihre Vermögensumstände – daß Ihre Stellung im bürgerlichen Leben Sie vollständig berechtigen, um die Hand der wackersten Bürgerstochter zu werben. Ich versichere Sie, daß ich unter anderen Umständen stolz darauf gewesen sein würde, Sie meinen Schwiegersohn zu nennen, aber – es geht wahrhaftig nicht. Den Namen darf und soll mein Kind nicht führen, und wenn Sie Ihren Vater nicht vermögen können, ihn zu ändern –«

»Mein Vater würde mich enterben – würde mir fluchen,« sprach Wunibald düster, »wenn ich nur die Andeutung eines solchen Wunsches bei ihm laut werden ließe. Er wie seine Vorfahren haben ihn mit Ehren geführt, und mit ordentlich krankhafter Hartnäckigkeit hängt er daran.«

»Sie thun mir leid, junger Mann,« sagte der Steuerrath gerührt. »Sie erliegen einem Verhängniß, das Sie, wie ich recht gut fühle, unverschuldet trifft, aber unter diesen Umständen ist Rosalinde für Sie verloren.«

»Und wollen Sie zwei Herzen brechen eines Namens wegen?« rief der Unglückliche.

»Ich thue, was ich für meine Pflicht halte,« entgegnete der Steuerrath ernst, »und Rosalinde ist eine zu gute Tochter, gegen den Willen ihres Vaters eine Verbindung einzugehen – selbst wenn sie dabei das Bild eines geliebten Mannes aus dem Herzen reißen müßte. Sie selber werden aber einsehen, daß Sie unter solchen Umständen unser Haus nicht wieder betreten können, und so leid mir –«

»Genug – genug!« unterbrach ihn Wunibald in nicht mehr zu bezwingendem Schmerz. »Ich fühle, daß Sie Recht haben; ich fühle den Fluch, der auf mir liegt, und darf mich nicht einmal beklagen. Leben Sie wohl, und mag Rosalinde einen Unglücklichen vergessen, der fortan nur noch die eine Seligkeit kennen wird, an sie zurückzudenken.«

»Vater – um Gottes willen, was geht hier vor?« rief da die Frau, die es nicht länger hinter dem Schirm ertragen konnte. Aber Wunibald hörte sie schon nicht mehr. Er hatte seinen Hut aufgegriffen und in wildem Schmerz das Zimmer verlassen, und als ihm die Mutter in ihrer Todesangst folgen wollte, ergriff ihr Gatte sie am Arm und führte sie langsam in das Zimmer zurück.

»Es ist gut so,« sagte er ernst und fast schmerzlich dabei, » er und ich konnten nicht anders handeln.«

»Aber wie heißt der Unglückliche?« rief die Frau unter vorquellenden Thränen.

»Tröste Rosalinde,« sprach der Vater weich, drückte einen Kuß auf ihre Stirn und verließ rasch das Zimmer und das Haus.

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Am nächsten Tag lief ein dumpfes Gerücht durch alle Kaffeegesellschaften von Ystadt, daß bei Steuerraths irgend etwas vorgefallen sei. Was es wäre, darüber war man noch im Zweifel, wenigstens tauchten so viel einander widersprechende Auslegungen auf, daß die guten Frauen von Ystadt wirklich in Verlegenheit kamen, welche Nachricht wohl die schrecklichste und außergewöhnlichste sei, um diese dann kräftig mit verbreiten zu helfen. Darüber schien man einig, daß sich der Doctor Wunibald unter einem falschen Namen in die Familie geschlichen und jetzt polizeilich und steckbrieflich verfolgt werde – denn seit gestern Abend war er aus Ystadt verschwunden. Was er aber kürzlich verbrochen hatte, war bis jetzt unmöglich gewesen zu ermitteln.

Die Frau Steuerräthin wie Rosalinde hatten übrigens an dem Nachmittag für drei verschiedene Kaffee-Einladungen danken lassen, und zwar unter dem Vorwand von Unwohlsein, und der weibliche Theil von Ystadt war in Verzweiflung.

Darin hatte denselben aber der in solchen Sachen wirklich fabelhafte Instinct, vielleicht auch eine Andeutung von Steuerraths Dienstmädchen, doch richtig geleitet, daß sie vor allen Dingen den wirklichen Namen des Flüchtlings herausbekommen wollten; das Uebrige mußte dann von selber an's Tageslicht. Das aber glaubte man am besten durch die Polizei erfahren zu können. Die Frau Polizeiräthin bot ihre Vermittlung an – leider jedoch ohne wesentlichen Erfolg. –

In Ystadt herrschte noch ein gegen anständige Fremde ziemlich liberales System, nach dem man sich besonders bei solchen, die sich nicht bleibend dort niederließen, mit einfacher Namens- und Standesangabe begnügte. Es war Niemand bis jetzt eingefallen, daß Doctor Wunibald eben anders heißen könne als Wunibald, und da von nirgend her Klage gegen ihn einlief, ja im Gegentheil Jeder, der mit ihm in Berührung kam, sein bescheidenes, anspruchloses und loyales Wesen rühmte, so hatte man ihn unter dem Namen gelten lassen. Jetzt aber, da man wirklich nachfragen wollte, war er verschwunden.

Mit der Post hatte er jedenfalls schon lange die Eisenbahn erreicht, und wohin er sich dort gewendet, blieb ungewiß. Eine Ursache zu steckbrieflicher Verfolgung, wie die Frau Polizeiräthin vorschlug, lag aber nicht vor. Er hinterließ in Ystadt nicht einen Pfennig Schulden; Niemand beklagte sich über ihn, als nur die Damen von Ystadt, daß er ihnen eben ein solches Geheimniß zurückgelassen, und deren einzige Hoffnung blieb jetzt noch die Frau Steuerräthin.

Daß diese gerade in solcher Zeit, und zwar schon am nächsten Tag, mit ihrer Tochter Rosalinde eine Reise in ein nordisches Bad unternahm, war daher wahrhaft boshaft und hätte nur durch ein aufrichtiges Geständniß bei ihrer Rückkehr gesühnt werden können – denn aus dem Steuerrath war indessen kein Wort heraus zu bekommen. Aber auch dann verharrte sie still und stumm, und die Frauen von Ystadt nannten sie »eine wahre Sphinx«. Wenn sie das übrigens war, so war sie es wider ihren Willen, denn vergebens hatte sie sich ebenfalls oft und hartnäckig genug bemüht, von ihrem darin eisernen Mann den verhängnißvollen Namen zu erfahren. Der Steuerrath ließ sich nicht erweichen, und ich bin fest überzeugt, daß ihm nicht einmal Daumschrauben das Wort über die Lippen gepreßt hätten.

Doctor Wunibald blieb deshalb auch in der Erinnerung in Ystadt Doctor Wunibald nach wie vor. Keine Zeitung brachte einen Bericht über einen verfolgten oder entdeckten Verbrecher, der sich unter diesem Namen in die Häuser und Familien – man wollte nicht Herzen sagen – Leichtgläubiger eingeschlichen, und die Alles mildernde Zeit trocknete endlich selbst die Thränen Rosalindens und brachte die Farbe auf ihre gramgebleichten Wangen zurück.

Und Doctor Wunibald? – Frage mich nicht, Leser. Der Unglückliche sitzt daheim auf dem Erbe seiner Väter und trägt eine Atlaslast an seinem Namen.


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