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IV

GRAUSAMKEIT, DUMMHEIT UND ERMORDUNG DES COMMODUS · WAHL DES PERTINAX SEINE REFORMVERSUCHE · SEINE ERMORDUNG DURCH DIE PRÄTORIANERGARDE · UNRUHEN

 

NACHSICHT DES KAISERS MARCUS AURELIUS....

Die Nachsicht des Kaisers Marcus Aurelius, die auszumerzen auch die strenge Disziplin der Stoa nicht imstande gewesen war, bildete die liebenswerteste und gleichzeitig verhängnisvollste Seite seines Charakters. Sein glänzender Verstand wurde bisweilen durch eine gewisse Arglosigkeit des Herzens getrübt. Fintenreiche Männer, die die Vorlieben von Fürsten studieren und ihre eigenen verbergen, pirschten sich an ihn im Gewande philosophischer Würde heran und verschafften sich Ehrenstellen und Reichtümer, indem sie vorgaben, genau diese zu verachten. Siehe hierzu die Klagen des Avidius Cassius (Hist. Aug. p. 45). Es sind dies, zugestandenermaßen, die Klagen einer politischen Parteiung. Aber selbst Parteilichkeit übertreibt eher, als dass sie erfindet. Seine grenzenlose Geduld gegenüber seinem Bruder, seiner Frau und seinem Sohn überstieg das im Privatbereich übliche und wurde zur öffentlichen Kalamität dadurch, dass ihre Verbrechen nachgerade beispielgebend wurden und die entsprechenden Folgen hatten.

 

... MIT FAUSTINA ...

Faustina, Tochter des Pius und Frau des Marcus, war für ihr Liebesleben ebenso bekannt wie für ihre Schönheit. Der gesetzte Ernst des Philosophen war untauglich, ihren vorsätzlichen Leichtsinn abzulenken, oder jenes unbegrenzte Verlangen nach Abwechslung zu bändigen, welches oft noch in den gewöhnlichsten Sterblichen persönliches Verdienst wahrnimmt. Der Cupido der Alten war überhaupt eine sehr sinnenfrohe Gottheit; und da man bei Liebschaften einer Kaiserin voraussetzen kann, dass die Initiative einzig von ihr ausgeht, stehen sie selten im Verdacht der Romantik. Marcus Aurelius war der einzige Mensch des Imperiums, der von den Affären der Faustina entweder nichts wusste oder gleichgültig gegen sie war; und welche nach den Maßstäben jedes Zeitalters dem betrogenen Gemahl Schande gebracht hätten. Einige Liebhaber beförderte er auf einträgliche Ehrenstellen; ihr selbst gab er während ihrer dreißigjährigen Verbindung unverdrossen Beweise des zärtlichsten Vertrauens und einer Achtung, welche sogar ihr Leben überdauerte. In seinen Meditationen dankt er den Göttern, die ihm eine so treue, sanfte, in ihren Sitten so schlichte Gattin Meditationes 1,17. Die Welt hat über die Leichtgläubigkeit des Marcus gelacht; aber Madame Dacier versichert uns – und wir dürfen ihr hierin als Dame glauben – dass ein Ehemann immer getäuscht werden kann, wenn die Ehefrau bereit ist, sich nur zu verstellen. geschenkt hätten, und der allzeit gehorsame Senat erklärte sie auf sein Andringen zur Göttin. Sie wurde in ihren Tempeln mit den Attributen von Juno, Venus und Ceres dargestellt; auch ward dekretiert, dass am Tage ihrer Eheschließung die Jugend beiderlei Geschlechtes Opfer darbringen sollten vor dem Altare ihrer keuschen Schutzgöttin. Cassius Dio, 71, p. 1195; Histor. Aug. p. 33. Die Vergöttlichung der Faustina ist der einzige dunkle Fleck, den Julians Kritik an dem allseitig vollendeten Charakter des Marcus Aurelius entdecken kann.

 

... UND MIT SEINEM SOHN COMMODUS DESSEN THRONBESTEIGUNG 180 A.D.

Die ungeheuerlichen Verbrechen seines Sohnes haben auf die Reinheit der väterlichen Tugenden Schatten geworfen. Man hat Marcus vorgeworfen, dass er das Glück von Millionen seinen persönlichen zärtlichen Empfindungen für einen vollkommen unwürdigen Jüngling geopfert habe; und dass er seinen Nachfolger in seiner Familie und nicht in der Republik gesucht habe. Indessen, der besorgte Vater und die von ihm herangezogen Männer von Tugend und Verstand hatten nichts unterlassen, um die kleindenkende Seele des jungen Commodus emporzuheben, die aufkeimende Verbrechernatur zurückzudrängen und ihn würdig zu machen für den Thron, für den er bestimmt war. Indessen, Erziehung ist selten wirkmächtig außer in den wenigen glückhaften Fällen, wo sie eigentlich schon wieder überflüssig ist. Die schwergewichtige Lehre eines ernsten Philosophen wurde im Handumdrehen durch die Einflüsterungen eines nichtswürdigen Favoriten annulliert, und Marcus selbst verdarb die Früchte seines ausgearbeiteten Erziehungsplanes, indem er seinen Sohn mit vierzehn oder fünfzehn Jahren zur vollen Teilnahme an den Regierungsgeschäften zuließ. Er hatte dann nur noch vier Jahre zu leben, aber es war ausreichend, dass er seine unüberlegte Maßnahme noch bereuen konnte, mit welcher er den unbeherrschten Jüngling außerhalb jeder Kontrolle von Vernunft und Disziplin gestellt hatte.

 

THRONBESTEIGUNG DES COMMODUS

Die meisten Verbrechen, welche den inneren Frieden einer Gesellschaft stören, sind Folge derjenigen Hindernisse, welche notwendige, aber eben auch unbillige Eigentumsgesetze der menschlichen Habsucht auferlegen, indem sie den Besitz von den Dingen, nach denen sich viele sehnen, nur wenigen ermöglichen. Von allen Leidenschaften und Begierden ist der Machthunger der stärkste, und zugleich unsozialste, da die Anmaßung eines einzigen die Unterwerfung aller erfordert. Im Tumult der Bürgerkriege gelten die Gesetze des Staates nur wenig, und selten nur nimmt die Humanität den ihr zukommenden Platz ein. Die Hitze des Gefechtes, der Stolz des Siegers, der Zweifel am Erfolg, die Erinnerung an vergangenes Unrecht, dies alles trägt dazu bei, das Gemüt zu erhitzen und die Stimme des Mitleids zum Schweigen zu bringen. Ursachen dieser Art haben fast jede Seite im Buch der Geschichte mit dem Blut des Bürgers besudelt; aber Ursachen dieser Art können für die unkalkulierbaren Grausamkeiten des Kaisers Commodus nicht herangezogen werden, der sich nichts zu wünschen brauchte, aber alles zum genießen hatte. Der geliebte Sohn des Marcus folgte seinem Vater nach, von Senat und Soldaten Commodus war der erste Porphyrogenitus (›purpurgeboren‹, d.h. geboren nach seines Vaters Thronbesteigung). Infolge einer neuen Variante von Schmeichelei werden die ägyptischen Medaillen nach seinen Lebensjahren datiert, als ob sie identisch wären mit denen seiner Regentschaft. Tillemont, Hist. Des Empereurs, Band 3, p. 752. umjauchzt; und als er den Thron bestieg [180A.D.], hatte seine glückliche Jugend weder einen Mitbewerber zu beseitigen noch einen Feind zu bestrafen. In dieser friedlichen und zugleich erhebenden Lage wäre es naheliegend gewesen, wenn er die Liebe der Menschen ihrem Hass und den sanften Ruhm seiner fünf Vorgänger dem erbärmlichen Schicksal eines Nero oder Domitian vorgezogen hätte.

 

CHARAKTERISIERUNG DES COMMODUS

Allerdings war Commodus nicht, wie er gelegentlich wohl auch charakterisiert wurde, ein Tiger mit unstillbarem Durst nach Menschenblut und schon von Kindesbeinen an zu den unmenschlichsten Verbrechen fähig. Hist. Aug. Commodus 1. Die Natur hatte ihn eher schwach als verbrecherisch veranlagt. Seine Einfalt und Feigheit machten ihn zum Spielball seiner Umgebung, welche allmählich sein Gemüt verdarb. Seine Grausamkeit, die zunächst nur den Einflüsterungen anderer gehorchte, wurde im Laufe der Zeit gewohnheitsmäßig und schließlich die alles beherrschende Leidenschaft seiner Seele. Cassius Dio, 72,1.

 

RÜCKKEHR NACH ROM

Nach dem Tode seines Vaters hatte Commodus das Kommando über eine große Armee inne und einen schwierigen Krieg gegen die Quaden und die Marcomannen Nach Tertullians (Apolog. 25) Angaben ist Marcus Aurelius in Sirmium gestorben. Aber Vindobona oder Wien, wohin die beiden Victor seinen Tod verlegen, passt geographisch besser zu Kriegsoperationen gegen die Quaden und Marcomannen. zu bestehen. Die kriecherischen und sittenlosen Jünglinge, welche Marcus noch verbannt hatte, konnten alsbald wieder ihre angestammten Stellungen und damit ihren Einfluss auf den neuen Kaiser zurückgewinnen. Sie bauschten die Gefahren und Beschwernisse eines Feldzuges gegen die grässlichen Völker jenseits der Donau auf und redeten dem phlegmatischen Herrscher erfolgreich ein, dass der Schrecken seines Namens im Verein mit den Waffen seiner Unterfeldherren ausreichen würden, den Feldzug gegen die mutlos gewordenen Barbaren erfolgreich zu beenden oder ihnen doch wenigstens günstige Bedingungen abzutrotzen, die besser wären als jede Eroberung. Geschickt nutzten sie seinen Hang zur Sinnenlust und stellten die Ruhe, den Glanz und die subtilen Vergnügungen Roms dem Lärm des pannonischen Lagers gegenüber, welches weder Muße noch Gelegenheit für ein üppiges Leben darböte. Herodian, 1,6. Commodus schenkte diesen einleuchtenden Ratschlägen Gehör; aber während er noch zwischen seinen Neigungen und dem Respekt hin- und herschwankte, welchen er für die Ratgeber seines Vaters immer noch empfand, verging allgemach der Sommer und sein Triumphzug durch die Hauptstadt wurde bis zum Herbst aufgespart. Seine ansprechende Gestalt, Herodian, 1,7. sein einnehmender Umgang und die ihm nachgesagten Tugenden gewannen ihm die Gunst des Publikums; die ehrenvollen Friedensbedingungen, die er kürzlich den Barbaren zugesichert hatte, verbreitete allgemeine Freude; Dieser allgemeine Freudenzustand wird uns von Geschichtsschreibern ebenso überliefert wie von Medaillen.( Wotton, Hist. of Rome, p. 192, 193). seine Ungeduld, Rom wieder zu sehen, wurde billig dem Heimweh zugeschrieben; und die Vergnügungen, denen er sich überließ, wurden – war er doch erst neunzehn Jahre alt – nur halbherzig verurteilt.

Während der ersten drei Jahre seiner Regentschaft wurden die äußeren Formen und sogar der Geist der vorherigen Regierung durch jene getreuen Räte bewahrt, denen Marcus seinen Sohn anempfohlen hatte und für deren Weisheit und Aufrichtigkeit Commodus immer noch widerstrebenden Respekt empfand. Der junge Herrscher und seine sittenlosen Favoriten schwelgten in der Ungebundenheit, die nur königliche Macht verleiht, aber Blut klebte noch nicht an seinen Händen, ja er hatte sogar Proben von Hochherzigkeit abgelegt, welche vielleicht zu einer gegründeten Ernsthaftigkeit Manilius, der Privatsekretär des Avidius Cassius, wurde enttarnt, nachdem er mehrere Jahre unentdeckt Material gesammelt hatte. Der Herrscher zerstreute die allgemeine Besorgnis, indem er sich weigerte, ihn überhaupt zu sehen und die Briefe ungeöffnet verbrannte (Cassius Dio, 72, 4). hätte heranreifen können. Ein schicksalhafter Zwischenfall jedoch wies seinem schwankenden Charakter endgültig seine Richtung.

 

ERFOLGLOSER MORDANSCHLAG 183 A.D.

Als der Kaiser eines Abends durch den dunklen und engen Porticus eines Amphitheaters Maffei degli Amfiteatri p.126. zum Palast zurückkehrte, stürzte sich ein gekaufter Mörder, der in diesem Durchgang auf ihn lauerte, mit gezücktem Schwert auf ihn und schrie dabei: › Dies schickt dir der Senat! ‹ Die Vorankündigung vereitelte die Tat; die Wachen setzten den Mörder fest und entdeckten unverzüglich den Urheber des Anschlags. Er war nicht im Staat, sondern in den Mauern des Palastes ausgeheckt worden. Lucilla, die Schwester des Kaisers und Witwe des Lucius Verus, unzufrieden mit ihren zweiten Rang und eifersüchtig auf die regierende Kaiserin, hatte den Mörder gegen ihres Bruders Leben bewaffnet. Sie hatte nicht gewagt, dieses finstere Komplott ihrem zweiten Manne, Claudius Pompejanus, zu entdecken, einem Senator von unbestrittenem Verdienst und unerschütterter Treue; aber unter ihren ungezählten Liebhabern (sie eiferte in diesem Punkte der Faustina nach) fanden sich Männer mit zerrütteten Vermögen und ausufendem Ehrgeiz, welche sich vorbereitet zeigten, Lucillas Gelüsten dienlich zu sein, ihren wüsten wie ihren zärtlichen. Die Verschwörer erfuhren die harte Hand der Justiz, und die niederträchtige Fürstin wurde erst mit Verbannung, dann mit dem Tode bestraft. Cassius Dio, 72, 4; Herodian, 1, 8; Hist. August. Commodus 4.

 

COMMODUS' HASS AUF DEN SENAT; SEINE GRAUSAMKEIT

Aber die Worte des Mörders waren tief in Commodus' Seele gesunken, und dort hatten sie unauslöschliche Spuren der Furcht und des Hasses gegen die gesamte Körperschaft des Senates hinterlassen. Diejenigen, die er bislang wegen ihres wichtigtuerischen Eifers gescheut hatte, verdächtigte er nunmehr als heimliche Feinde. Die Delatoren, berufsmäßige Denunzianten, eine Unterart des Menschengeschlechtes, die unter den vorigen Herrschern bereits mutlos und dann fast ausgestorben war, begannen wieder fürchterlich zu werden, sobald sie entdeckten, dass der Kaiser Abfall und Verrat im Senat vorzufinden wünschte. In dieser Körperschaft, die Marcus immer als den Großen Rat der Nation angesehen hatte, saßen die verdienstvollsten aller Römer vereint; bald aber war Verdienst jeder Art zum kriminellen Delikt geworden. Der Besitz von Reichtum eiferte die Delatoren zu größerem Fleiße an, strenge Tugend waren ein unausgesprochener Vorwurf gegen die Extravaganzen des Commodus, hervorragende Fähigkeiten eine gefährliche Überlegenheit der Persönlichkeit, und die frühere Freundschaft zum Vater bürgte für die Feindschaft des Sohnes. Verdacht war gleichbedeutend mit Tatbeweis, ein Prozess bedeutete Verurteilung. Die Hinrichtung eines bedeutenden Senators hatte für alle, die sein Schicksal zu beklagen oder zu rächen gedachten, den Tod zur Folge; und nun, da Commodus einmal Menschenblut geleckt hatte, war er zu Mitleid oder Umkehr nicht mehr imstande.

 

DIE BRÜDER QUINTILIANUS PERENNIS

Von allen schuldlosen Opfern des Tyrannen starb niemand tiefer beklagt als die beiden Brüder aus der Familie Quintilianus, Maximus und Condianus, deren brüderliche Liebe ihren Namen vor dem Vergessen bewahrt hat und ihr Andenken der Nachwelt lieb gemacht hat. Ihre Studien und ihre Beschäftigungen, ihre Bestrebungen und ihre Vergnügen waren immer die gleichen. Da sie im Besitze eines beträchtlichen Vermögens waren, verfolgten sie niemals entgegengesetzte Interessen. Wir kennen noch einige Fragmente einer gemeinsam verfassten Schrift; und bei allem, was sie taten, so sagte man wohl, waren ihre beiden Körper von einer Seele bewohnt. Die Antonine, die ihre Fähigkeiten schätzten und sich ihrer Gemeinschaft freuten, ernannten sie im selben Jahre zu Konsuln; Marcus vertraute ihrer gemeinsamen Obsorge die Zivilverwaltung Griechenlands an sowie ein wichtiges Militärkommando, in welchem sie einen bedeutenden Sieg über die Germanen errangen. Commodus gönnte ihnen in leutseliger Unmenschlichkeit einen gemeinsamen Tod. In einer Note zu der Hist. August., p. 96 hat Casaubon eine Anzahl Details zu diesen berühmten Brüdern gesammelt.

 

PERENNIS

Nachdem die Wut des Tyrannen so lange das edelste Blut des Senates vergossen hatte, nahm sie sich endlich auch des Hauptwerkzeuges seiner Grausamkeit an. Während sich Commodus in Blut und Luxus suhlte, überließ er lästige Details der öffentlichen Verwaltung Perennis, einem gefügigen und ehrgeizigen Minister, der sich seinen Posten durch die Ermordung seines Vorgängers verdient hatte, der aber beachtliche Energie und Begabungen besaß. Er hatte sich ein beträchtliches Vermögen angehäuft, überwiegend durch Erpressung und durch beschlagnahmte Güter von Adligen, die seiner Habgier zum Opfer gefallen waren. Die Prätorianergarden unterstanden seiner unmittelbaren Kommandogewalt; sein Sohn, der gerade sein militärisches Talent entfaltete, stand an der Spitze der illyrischen Legionen. Perennis strebte die oberste Herrschaft an; oder, was in den Augen des Commodus mit diesem Verbrechen gleichbedeutend war, er wäre dazu fähig gewesen, hätte man ihm nicht dabei betroffen und zum Tode verurteilt [A.D. 186]. Im Verlaufe der Geschichte des Imperiums ist der Sturz eines Ministers nur ein Nebenereignis; aber dieser wurde durch eine besondere Episode beschleunigt, welche darlegt, wie sehr die Disziplin bereits gelitten hatte. Den Legionen Britanniens gefiel die Amtsführung des Perennis übel und so bildeten sie eine Abordnung von fünfzehnhundert ausgewählten Kriegern mit dem Auftrag, nach Rom zu gehen und ihre Beanstandungen dem Kaiser vorzutragen. Durch ihr entschiedenes Auftreten, durch Aufhetzung einzelner Abteilungen der Leibwache, durch übertriebene Schilderung der Stärke der britannischen Legionen und indem sie die Feigheit des Commodus in ihr Kalkül mit einbezogen, forderten und setzten sie die Hinrichtung des Ministers durch, als der einzig denkbaren Abhilfe für ihre Beschwerden. Cassius Dio 72, 9; Herodian, 1, 8; und Hist. August. Commodus, 4. Cassius Dio entwirft von Perennis ein wesentlich günstigeres Bild als andere Historiker. Diese Zurückhaltung ist beinahe schon en Beweis für die Richtigkeit seiner Darstellung. Diese Anmaßungen weit entfernter Heere und der Nachweis der Anfälligkeit dieser Regierung waren zuverlässige Vorzeichen für tiefgehende Verwerfungen.

 

REVOLTE DES MATERNUS

Die Vernachlässigung der öffentlichen Verwaltung verriet sich bald darauf durch ein neuerliches Durcheinander, welches aus kleinsten Ursachen seinen Anfang nahm. In den Truppen breitete sich mit Macht der Geist der Desertation aus, und die Deserteure, anstatt dass sie ihr Heil in Flucht und Verborgenheit gesucht hätten, machten die Landstraßen unsicher. Maternus, ein einfacher Soldat, aber mit standesunüblichem Unternehmungsgeist begabt, vereinigte diese Räuberhaufen zu einem kleinen Heer, brach die Gefängnisse auf, forderte Sklaven auf, sich ihre Freiheit zu verdienen und plünderte straflos die reichen und wehrlosen Städte Galliens und Spaniens. Die Provinzstatthalter, die schon seit langem Zuschauer und vermutlich auch stille Teilhaber dieser Plündereien gewesen waren, wurden endlich durch zornige kaiserliche Befehle aus ihrem behaglichen Nichtstun aufgestört. Maternus fand sich von allen Seiten umzingelt und sah seinen Untergang voraus. Eine große Verzweiflungstat war sein letzter Ausweg. Er gab seinen Anhängern Weisung, sich zu zerstreuen, die Alpen in kleinen Gruppen und verschiedenen Verkleidungen zu überqueren und sich in Rom während der ausgelassenen Cybelefeiern Während des zweiten Punischen Krieges führten die Römer aus Asien den Kult der Göttermutter ein. Ihre Feier, die Megalesia, begann am 4. April und dauerte sechs Tage. Die Straßen waren mit verrückten Umzügen, die Theater mit Zuschauern und die öffentlichen Tafeln mit ungebetenen Gästen verstopft. Ordnung und Polizei waren suspendiert und Vergnügen die einzige ernsthafte Beschäftigung in der Stadt. Vgl. Ovid, Fasti 4, 189ff. zu sammeln. Dies war nicht der Ehrgeiz eines durchschnittlichen Räubers: Commodus umzubringen und den vakanten Thron zu besteigen. Seine Maßnahmen waren so geschickt aufeinander abgestimmt, dass sich die Straßen Roms allmählich mit seinen unsichtbaren Truppen anfüllten. Der Neid eines Komplizen entdeckte und verdarb diese einzigartige Unternehmung in dem Moment, in dem sie zur Ausführung reif war [A.D. 187}. Herodian, 1,10.

 

CLEANDER A.D. 189

Argwöhnische Herrscher erheben oftmals die untersten des Menschengeschlechtes in der arroganten Überzeugung, dass die, die allein von ihrer Gnade abhängen, nun ihrerseits ihre ganze Ergebenheit der Person des Wohltäters widmen würden. Cleander, der Nachfolger des Perennis, war gebürtig aus Phrygien, einer Nation mithin, über deren störrische und zugleich knechtische Natur nur Schläge etwas vermögen. Cicero, pro Flacco 27. Er war aus seinem Lande als Sklave nach Rom gekommen. Als Sklave ging er in den Palast ein, machte sich seinem Herren bei dessen Leidenschaften nützlich und stieg rasch zu der höchsten für Unfreie erreichbaren Stellung auf. Sein Einfluss auf das Gemüt des Commodus war bedeutend stärker als der seines Vorgängers, denn Cleander fehlte jede Begabung, die dem Kaiser hätte Neid, und jede Tugend, die ihm hätte Misstrauen einträufeln können. Habsucht war die herrschende Leidenschaft seiner Seele und das oberste Prinzip seiner Verwaltung. Die Stellungen eines Konsuls, Patriziers oder Senators standen öffentlich zum Verkauf; und denjenigen hätte man einen Spielverderber geschoten, der sich diese hohlen und beinahe schon schimpflichen Titel mit einem Großteil seines Vermögens zu erkaufen geweigert hätte. Eine dieser teuer gekauften Beförderungen brachte das bon mot in Umlauf, dass Julius Solon in den Senat verbannt worden sei. Bei einträglichen Provinzämtern teilte der Minister mit den Statthaltern das dem Volk geraubte Gut. Die Rechtsprechung war käuflich und willkürlich. Ein wohlhabender Verbrecher konnte nicht nur die Aufhebung eines rechtmäßig gegen ihn ergangenen Urteils kaufen, sondern jede ihm gefällige Strafe gegen seine Ankläger, die Belastungszeugen und die Richter erwirken.

Auf diese Weise hatte Cleander innerhalb von drei Jahren mehr Vermögen zusammengerafft als jeder andere Freigelassene vor ihm. Cassius Dio (72, p. 12f.) stellt fest, dass kein Freigelassener ähnliche Reichtümer wie Cleander besessen habe. Das Vermögen des Pallas belief sich indessen auf über mehr als fünfundzwanzig mal hunderttausend Pfund.. Commodus war's zufrieden, wenn ihm der fintenreiche Höfling in schlauberechneten Augenblicken üppige Geschenke zu Füßen legte. Um die öffentliche Scheelsucht zu zerstreuen, ließ Cleander im Namen des Kaisers Bäder, Cassius Dio 72, p. 12f. Herodian, 1, p. 29. Hist. August., Commodus 17. Diese Bäder lagen in der Nähe der Porta Capena. Nardini Roma Antica, p. 79 Porticos und Sportstätten zum Gebrauch des Volkes errichten. Er schmeichelte sich, dass die Römer, durch diese sichtliche Freigebigkeit geblendet und abgelenkt, von den täglich aufgeführten Blutszenen weniger aufgewühlt würden; dass sie den Tod des Burrus vergessen würden, eines Senators, dessen hervorragende Verdienste den vorigen Kaiser vermocht hatten, ihm eine seiner Töchter zu versprechen; und dass sie die Hinrichtung des Arrius Antoninus vergeben würden, dem letzten Vertreter des Hauses und der Tugenden der Antonine. Der erstere hatte mit viel Redlichkeit und wenig Klugheit versucht, seinem Schwager über den wahren Charakter des Cleander die Augen zu öffnen. Dem letzteren wurde ein gerechtes Urteil, das er als Prokonsul in Asien über eine der elenden Kreaturen des Günstlings ausgesprochen hatte, zum tödlichen Verhängnis. Hist. Augusta, Commodus 16. Nach dem Sturz des Perennis schien Commodus seinen Terror kurzfristig wieder auf die Bahn der Tugend einzulenken. Er widerrief dessen schlimmste Anordnungen, warf sein Andenken der öffentlichen Meinung zum Fraße vor und nannte als Grund für die Missgriffe seiner unerfahrenen Jugend des verhassten Ministers üblen Ratschläge. Aber diese Umkehr dauerte nur dreißig Tage; und unter der Terrorherrschaft des Cleander wurde die Verwaltung des Perennis nahezu wieder herbeigesehnt.

 

AUFRUHR TOD CLEANDERS A.D. 189

Pest und Hungersnot machten das Maß des Leidens der Römer Herodian 1,12. Cassius Dio 72,14. Letzterer berichtet, dass täglich zweitausend Römer starben, und dies über einen beträchtlichen Zeitraum. voll. Die Seuche konnte ja nur dem berechtigten Unmut der Götter zugeschrieben werden, der Hunger jedoch war, wie jeder sofort erkannte [189 A.D.], eine Folge des Getreidemonopols des Ministers, welches durch dessen Stellung und Reichtum noch verschärft wurde. Die allgemeine Unzufriedenheit, die für lange Zeit nur im Flüsterton umgegangen war, brach schließlich im vollbesetzten Circus aus. Das Volk ließ sogar seinen Lieblingszeitvertreib im Stich, um sich den subtileren Genüssen der Rache hinzugeben, strömte scharenweise zu einem Palast in den Vorstädten, einem der kaiserlichen Erholungssitze, und verlangte unter Zorngetöse den Kopf des Volksfeindes. Cleander, der die Prätorianergarde Tuncque primum tres praefecti praetorio fuere: inter quos libertinus [Damals gab es erstmals drei Prätorianische Präfekten: darunter ein Freigelassener]. Aus Gründen der Bescheidenheit lehnte Cleander den Titel des Präfekten der Prätorianergarde ab, während er zugleich dessen Macht übernahm. So, wie andere Freigelassene ihren Titel von ihrer Tätigkeit ableiteten (a rationibus, ab epistulis), nannte sich Cleander a pugione, beauftragt mit dem Schutz der kaiserlichen Person. Salmasius und Casaubon haben zu diesem Thema viel Müßiges hinzu gegeben. befehligte, gebot einer Kavallerieabteilung auszufallen und die aufrührerische Menge zu zerstreuen. Das Volk floh kopflos und ungeordnet in die Stadt; einige wurden erschlagen, viele zu Tode getrampelt; als aber die Kavallerie in die Gassen eindrang, kam ihr weiteres Vorrücken durch einen Hagel von Steinen und Pfeilen von Dächern und Fenstern ins Stocken. Die Garde zu Fuß, Herodian, 1, p. 31. Es ist unklar, ob Herodian die Infanterie der Prätorianer meint oder die cohortes urbanae, eine Truppe von sechstausend Mann, deren Bedeutung und Disziplin nicht zu ihrer Zahlenstärke passte. Weder Tillemont noch Wotton legen sich hier fest. die der Kavallerie ihre Vorrechte und lose Disziplin schon lange neidete, schlug sich auf die Seite des Volkes. Der Tumult entwickelte sich zu einem regelrechten Gefecht, und es drohte ein allgemeines Gemetzel. Die Prätorianer wichen endlich der schieren Überzahl; die Volkswut flutete mit verdoppelter Heftigkeit gegen die Tore des Palastes zurück, in welchem Commodus lag, in Üppigkeit aufgelöst, und der als einziger von den Unruhen nichts ahnte. Er wäre inmitten dieser Ahnungslosigkeit zugrundegegangen, wenn nicht zwei Frauen, seine älteste Schwester Favilla und Marcia, seine aktuelle Lieblingsbeischläferin, es gewagt hätten, in seine Nähe vorzudringen. Von Tränen blind, mit aufgelösten Haaren stürzten sie zu seinen Füßen nieder und entdeckten dem erschrockenem Kaiser mit einer Beredsamkeit, die nur die Furcht eingibt, die Verbrechen seines Ministers, die Empörung des Volkes und das Verderben, das binnen kurzem über ihn und sein Haus notwendig hereinbrechen müsse. Commodus, aus seinen Lustträumen emporgescheucht, gebot, Cleander dem Volke zum Fraße vorzuwerfen. Dieses erhoffte Spektakel dämpfte alsgleich den Tumult. Und der Sohn des Marcus Aurelius hätte sogar jetzt noch die Zuneigung und das Vertrauen seiner Untertanen zurückgewinnen können. Cassius Dio, 72, p. 1215; Herodian 1, p.32; Hist. August. Commodus 7.

 

EXZESSE DES COMMODUS

Aber jedes Gefühl für Anstand und Menschlichkeit war in Commodus abgetötet. Während er weiterhin die Regierung des Reiches unwürdigen Günstlingen überließ, schätzte er an der Regierungsgewalt lediglich die unbegrenzten Möglichkeiten, die sie seinen sinnlichen Begierden eröffnete. Seine Zeit verbrachte er in einem Serail von dreihundert schönen Frauen und ebenso vielen Knaben jeden Ranges und aus jeder Provinz; und wenn die Kunst der Verführung nicht hinreichte, verfiel der brutale Liebhaber auf die Gewalt. Die Geschichtsschreiber der Alten haben sich ausführlich bei der Schilderung dieser Szenen aufgehalten, Szenen, die jeder Schranke der Natur oder der Scham spotteten; es wäre indessen ein vergebliches Unterfangen, ihre detailfreudigen Darstellungen in den dezenteren Sprachduktus der Gegenwart zu übersetzen. Die Pausen zwischen den Lustanwandlungen waren mit dem niedrigsten Zeitvertreib gefüllt. Der Einfluss eines kultivierteren Zeitalters und die Bemühungen einer sorgfältigen Erziehung waren niemals imstande gewesen, in seine rohe und vertierte Seele auch nur eine Spur von Wissen zu senken; er war der erste aller römischen Kaiser, dem jeder Sinn für geistige Genüsse abging. Selbst Nero glänzte in den schönen Künsten, in der Musik und Poesie, oder gab es doch wenigstens vor. Und keineswegs würden wir seine Versuche gering schätzen, wenn er nicht aus dem Vergnügen einer Mußestunde eine professionelle Beschäftigung und seinen eigentlichen Lebensinhalt hätte machen wollen. Commodus jedoch entwickelte seit seiner frühen Jugend eine Abneigung gegen alles Geistige und eine starke Zuneigung zu rohen Vergnügungen – Zirkusspiele, Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen. Die Meister aus jeden Wissenszweig, welche Marcus für seinen Sohn herangezogen hatte, wurden unaufmerksam und widerwillig angehört, während die Mauretanier und Parther, die ihn lehrten, den Speer zu schleudern und mit dem Bogen zu schießen, in ihm einen Schüler fanden, der sich an seinen eigenen Fortschritten berauschte und seinen tüchtigsten Lehrern bald an Zielsicherheit und Geschicklichkeit gleichkam.

 

TIERHETZEN AUFTRITT IM AMPHITHEATER

Die unterwürfige Masse, deren Wohlergehen von den Lastern ihres Meisters abhing, schrie diesem würdelosen Treiben Beifall. Die hinterlistige Stimme der Schmeichelei erinnerte ihn, dass durch vergleichbare Heldentaten, durch Erlegen des nemäischen Löwen, Überwältigung des wilden erymantischen Ebers der griechische Heros Herakles sich einen Platz unter den Göttern und unsterblichen Ruhm unter den Menschen erstritten habe. Sie versagten sich allerdings den Hinweis, dass in der Frühzeit menschlicher Gesellschaften, als wilde Tiere und Menschen sich oft in einem Ringen um unbesiedeltes Land befunden hatten, ein Erfolg in diesem Streit gegen die Bestien ein unschuldsvoller und geradezu wohltätiger Akt von Heroismus war. Im Zustande der römischen Zivilisation hatten sich wilde Tiere schon längst aus der Nähe des Menschen und bevölkerter Städte zurückgezogen. Sie jetzt in ihren einsamen Verstecken Der afrikanische (Berber-)Löwe fiel, wenn er hungerte, in offene Dörfer und kultiviertes Land ein, und dies tat er ungestraft. Dieses königliche Wild war dem kaiserlichen und hauptstädtischen Jagdvergnügen vorbehalten, und der unglückselige Bauer, der ein solches Tier – auch in Notwehr – tötete, musste einer schweren Strafe gewärtig sein. Dieses Hohe Jagdgesetz wurde erst von Honorius gemildert und von Justinian endgültig abgeschafft. Codex Theodos. Bd.5, p. 92, Kommentar Gothofred. aufzustören, nach Rom zu bringen, auf dass sie vor pompöser Kulisse von kaiserlicher Hand geschlachtet würden, das war ein Unterfangen, für den Herrscher ebenso lächerlich wie für die Bevölkerung ärgerlich. In völliger Unkenntnis dieser Unterschiede begriff Commodus wenigstens die glorreiche Ähnlichkeit und nannte sich, wie wir heute noch auf Medaillen nachlesen können, Spanheim de Numismat. 12, Bd. 2, p. 493. den Römischen Herkules. Die Keule und das Löwenfell wurden neben dem Thron zwischen den anderen Insignien kaiserlicher Macht aufgebaut; auch wurden Statuen errichtet, in welchen Commodus mit den Attributen jenes Gottes dargestellt wurde, mit dessen Kraft und Gewandtheit in seinen täglichen brutalen Vergnügungen zu wetteifern er sich nunmehr anschickte Cassius Dio, 72, 15; Hist. August, Commodus 8.

Emporgetragen durch diesen Prestigegewinn, welcher in ihm die letzten Reste angeborenen Schamgefühls auslöschte, entschloss sich Commodus, vor den Augen des römischen Volkes diese Kunst aufzuführen, die bis dahin für den bescheidenen Rahmen seines Palastes und ausgesuchter Favoriten aufgespart gewesen war. Am festgesetzten Tage bewirkten unterschiedliche Motive – Schmeichelei, Angst, Neugier – dass eine ungemessene Anzahl von Zuschauern sich im Amphitheater drängte; und einiger Beifall ging verdientermaßen auf diese bei Kaisern unübliche Gewandtheit hernieder. Ob er nun auf den Kopf oder das Herz des Tieres zielte, die Wunde war gleichermaßen sicher und tödlich. Mit Pfeilen, deren Spitze wie ein Halbmond geformt war, hemmte er oft den schnellen Lauf oder zerschnitt den langen, knochenreichen Hals eines Straußes. Ein Straußenhals ist drei Fuß lang und besitzt siebzehn Wirbel. Buffon, Hist. Nature. Ein Panther ward losgelassen, und der Bogenschütze wartete, bis er auf einen zitternden Übeltäter losstürmte. Im selben Augenblick flog der Pfeil, das Tier stürzte zu Tode und der Mann blieb unversehrt. Die Käfige des Amphitheaters spieen in einem Moment hundert Löwen aus; und hundert Pfeile aus Commodus' unfehlbarer Hand streckten sie nieder, während sie in Panik durch die Arena stürmten. Weder der gewaltige Umfang des Elefanten noch die gepanzerte Haut des Rhinozeros schützten sie gegen seine Schüsse. Äthiopien und Indien lieferten ihre seltensten Arten, und viele Tiere wurden im Amphitheater geschlachtet, welche man bis dahin nur aus künstlerischen Darstellungen oder überhaupt nur als Erzeugnisse der Phantasie gekannt hatte. Commodus tötete sogar einen Camelopardis oder Giraffe (Cassius Dio, 72, p. 1211), das größte, sanfteste und nutzloseste aller großen Vierbeiner. Dieses einzigartige Geschöpf aus dem Inneren Afrikas war seitdem bis zum Wiedererwachen der Wissenschaften nicht mehr in Europa zu sehen, und obwohl Herr Buffon es unternommen hat, sie zu beschreiben, wagte er dennoch nicht, die Giraffe auch zu zeichnen. Bei allen diesen Vorführungen waren sorgfältigste Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden, den römischen Herkules vor dem Verzweiflungssprung irgendeiner Bestie zu schützen, falls sie es ungezogenerweise an Respekt vor der Würde des Kaisers und der Heiligkeit des Gottes hätte fehlen lassen. Herodian, 1, p. 37; Hist. Aug., Comm. 11.

 

TRITT ALS GLADIATOR AUF

Doch selbst der verkommenste Pöbel empfand Scham und Entrüstung, als er seinen Kaiser als Gladiatoren in die Schranken treten sah, um Ruhm zu ernten in einem Gewerbe, welches nach Gesetz und Herkommen mit dem wohlerworbenen Makel der Ehrlosigkeit Die besseren und selbst die weisen Herrscher hatten es Rittern und sogar Senatoren bei Strafe der Unehre verboten, diese skandalöse Laufbahn einzuschlagen, oder unter Androhung des Exils, was bei diesen Elenden noch gefürchteter war. Die Tyrannen hingegen veranlassten sie mit Drohungen oder Belohnungen zu dieser Schändlichkeit. Nero hatte einmal vierzig Senatoren und sechzig Ritter in der Arena vorgeführt. Lipsius, Saturnalia, 2,2, hat hier eine Passage aus Sueton (Leben des Nero, 2) richtig gestellt. belegt war. Er wählte Ausrüstung und Waffen eines Secutors, dessen Kämpfe mit dem Retirarius zu den spannendsten Augenblicken der Blutspiele der Arena zählte. Der Secutor war mit Helm, Schwert und Buckelschild bewaffnet; sein nackter Widerpart hatte lediglich ein großes Netz und einen Dreizack; mit dem einen versuchte er seinen Gegner einzuwickeln, mit dem anderen, ihn zu töten. Fehlte er mit seinem ersten Wurf, so musste er vor dem Secutor ausreißen, bis er sein Netz für einen zweiten Versuch Lipsius 2, 7f. Juvenal beschreibt in seiner 18. Satire einen solchen Kampf mit großer Anschaulichkeit. vorbereitet hatte. Der Kaiser focht in dieser Disziplin siebenhundert und fünfunddreißig Mal. Alle diese Ruhmestaten wurden in den Staatsakten mit Genauigkeit aufgezeichnet; und damit er nun auch ja keine Gelegenheit zur tiefsten Schande auslasse, bezog er aus einem Fundus für Gladiatoren derart horrende Gagen, dass sich hieraus eine neue und besonders erbärmliche Steuer für die Römer ergab. Er erhielt für jeden Auftritt etwa 8000 Pfund. (Hist. August. Comm. 11 Cassius Dio, 72, p. 1220). Dass der Herr der Welt in diesen Disziplinen allemal Sieger blieb, ahnen wir schon. Im Amphitheater waren seine Siege zwar meist unblutig; aber wenn er Proben seiner Kunst in den Gladiatorenkasernen oder in seinem Palast ablegte, dann beehrte die Hand des Commodus seine unglücklichen Gegner oft persönlich mit dem Todesstoß, und sie mussten ihre Artigkeit mit ihrem Blute besiegeln. Aurelius Victor (Caesares 4) berichtet uns, dass Commodus seinen Gegnern nur Waffen aus Blei gestattete, höchstwahrscheinlich aus Furcht vor einer Verzweiflungstat. Da er aber des Titels Hercules müde ward, durfte nur noch der Name des Paulus, eines gefeierten Secutors, seinem Ohre schmeicheln. Er wurde auf seinen Kolossalstatuen verewigt und in mehrfachen Akklamationen Sie wurden dazu verurteilt, 666 Mal zu wiederholen: Paulus, Erster der Secutoren. von dem zutiefst verängstigten, indessen auch beifallfreudigen Senat wiederholt. Cassius Dio, 72, p. 1221. Er redet hier von seiner eigen Erniedrigung und Lebensgefahr. Claudius Pompeianus, der tugendreiche Gemahl der Lucilla, war der einzige Senator, welcher die Ehre seines Standes emporhielt. Als Vater erlaubte er seinen Söhnen, das Amphitheater zu besuchen und sich so um ihre Sicherheit zu besorgen. Als Römer, so erklärte er, liege sein Leben in des Kaisers Hand; aber niemals würde er sich dareinfinden, wie der Sohn eines Marcus Aurelius seine Person und seine Würde öffentlich prostituiere. Trotz dieser mannhaften Unbeirrbarkeit entging Pompeianus der kaiserlichen Ungnade und war glücklich, seine Ehre und zugleich sein Leben zu retten. Gleichwohl waren auch bei ihm Mut mit Klugheit gepaart; die meiste Zeit verbrachte er in ländlicher Zurückgezogenheit, wobei er sein fortgeschrittenes Alter und eine Sehschwäche vorschob. ›Ich habe ihn nie im Senat gesehen‹, sagt Cassius Dio, ›außer in der kurzen Regierungszeit des Pertinax.‹ Alles Kränkeln hatte ihn da verlassen, und dann befiel es erneut und ebenso unvermittelt nach der Ermordung dieses hervorragenden Herrschers (Cassius Dio, 72, p. 1227).

 

VERSCHWÖRUNG SEINE ERMORDUNG AM 31. DEZEMBER A.D. 192

Commodus hatte damit den Gipfel der Infamie und des Verbrechens erklommen. Inmitten der Ovationen eines kriecherischen Hofstaates konnte er nicht vor sich verbergen, dass er die Verachtung und den Hass eines jeden Menschen von Charakter in seinem Reich verdient habe. Sein wüstes Gemüt wurde immer stärker aufgereizt durch das Bewusstsein dieses Hasses, durch Neid gegen jede Art von wirklichem Verdienst, durch berechtigte Angst vor Verschwörungen und durch sein mittlerweile gewohnheitsmäßiges tägliches Morden. Die Geschichte hat eine lange Liste von Senatoren konsularischen Ranges aufbewahrt, die sämtlich Opfer seines allumfassenden Misstrauens wurden, welches bevorzugt diejenigen ausgewählte, die zu ihrem Unglück mit dem Haus der Antonine, und sei es auch noch so weitläufig verwandt waren, wobei er zum Schluss selbst die Helfershelfer seiner Verbrechen oder Vergnügungen nicht schonte. Die Gardepräfekten wurden beinahe stündlich oder täglich ausgetauscht; und die Unberechenbarkeit des Commodus war oftmals auch für seine vertrautesten Kammerdiener tödlich (Hist. August, Comm. 14, 15). Schließlich wurde ihm seine eigene Grausamkeit zum Verhängnis. Das edelste Blut hatte er ungestraft vergossen: da er aber seinen eigenen Komplizen furchtbar wurde, war dies sein Untergang. Marcia, seine Vorzugskonkubine, sein Kammerdiener Eclectus, und Laetus, der Gardepräfekt, beunruhigt durch das Schicksal ihrer Vorgänger, kamen zu dem Entschluss, ihrer eigenen Vernichtung, etwa durch eine beliebige Laune des Tyrannen oder durch plötzliche Volkswut, die beide stündlich über ihnen hingen, zuvorzukommen. Marcia ergriff die Gelegenheit, ihrem Liebling einen Trunk vergifteten Weins anzubieten, nachdem er sich bei einer Tierhatz verausgabt hatte. Commodus zog sich zur Ruhe zurück; aber während er unter der vereinten Wirkung von Gift und Trunkenheit darniederlag, betrat ein kräftiger Jüngling, seines Gewerbes ein Ringer, seine Kammer und erdrosselte ihn ohne jeden Widerstand. Die Leiche wurde in aller Stille aus dem Palast geräumt, bevor auch nur der leiseste Verdacht in der Stadt, ja sogar im Palast selbst aufkommen konnte. Dies war das Ende des Sohnes von Marcus Aurelius, und so leicht war es gewesen, diesen verhassten Tyrannen zu vernichten, welcher dreizehn Jahre hindurch mit einer raffinierten Regierungsmaschinerie Millionen von Untertanen geknechtet hatte, von denen jeder einzelne seinem Herrscher an körperlichen und individuellen Vorzügen gleichkam. Cassius Dio, 72, 1222; Herodian, 1,17. Hist. August. Comm.17.

 

PERTINAX ZUM IMPERATOR ERNANNT A.D. 196

Die Maßnahmen der Verschwörer waren mit kaltem Blut und präziser Schnelligkeit durchgeführt worden, so wie es die Bedeutung des Unterfangens erforderte. Sie beschlossen augenblicklich, den vakanten Thron mit einer Herrscherpersönlichkeit zu besetzen, dessen Charakter die begangene Tat zu rechtfertigen und gleichsam fortzuführen versprach. Ihre Wahl fiel auf den Stadtpräfekten Pertinax, Pertinax war aus Alba Pompeia gebürtig und Sohn eines Holzhändlers. Die Stufen seiner Karriereleiter, so wie Capitolinus sie uns überliefert, erlauben es uns, sie verallgemeinernd und beispielhaft für die Gepflogenheiten und die Organisation der Regierung jener Zeit hinzustellen: 1 Zenturio. 2. Präfekt einer Kohorte in Syrien während des Partherkrieges. 3. Kommando über eine Ala oder Reiterschwadron im Mösien. 4. Kommissar für Verproviantierung an der Via Aemilia. 5. Kommandant der Rheinflotte. 6. Er war Procurator von Dacien mit einem Jahresgehalt von 1600 Pfund. 7. Kommando über die Veteranen einer Legion. 8. Erhält den Rang eines Senators... 9... eines Prätors. 10....kommandierenden Generals über die 1. Legion in Rhaetia und Noricum. 11. Im Jahre 175 Konsul. 12. Begleiter von Marcus im Osten. 13. Kommando über die Donauarmee. 14. Legat von konsularischem Rang in Moesien... 15...Dacien...16...Syrien...17...Britannien. 18. Aufsicht über die öffentliche Getreideversorgung Roms. 19. Prokonsul in Afrika. 20. Stadtpräfekt von Rom. Herodian (1, p.48) tadelt seine apathische Gemütsverfassung, während Capitolinus, der jedes populäre Gerücht aufzeichnete, ihm vorhält, dass er sein gewaltiges Vermögen durch Bestechung und Unterschleif angesammelt habe. ein älterer Senator von konsularischem Rang, dessen beachtliche Verdienste das Dunkel seiner Geburt überstrahlten und ihm zu tragenden staatlichen Diensträngen empor geholfen hatten. Er hatte nacheinander viele Provinzen des Reichs verwaltet und sich bei allen seinen Unternehmungen, seien sie ziviler oder militärischer Natur, beständig durch Beharrlichkeit, Umsicht und Zuverlässigkeit ausgezeichnet. Er war mittlerweile fast als der einzige von allen Freunden und Ministern des Marc Aurel noch am Leben geblieben; als er nun zu später Nachtstunde geweckt wurde mit der Nachricht, der Kammerdiener und der Präfekt begehrten Einlass, empfing er sie mit tapferer Ergebung und wünschte, sie mögen die Mordbefehle ihres Herren vollziehen. Anstelle der Tötung boten sie ihm den Thron des Römischen Imperiums an. Erst nachdem er sich vom Tode des Commodus überzeugt hatte, nahm er den Purpur mit jenem ungeheucheltem Widerwillen an, welcher die naturgegebene Folge seiner Vertrautheit mit den Pflichten und Gefahren des höchsten Staatsamtes Julian (Caesaren) vermutet in ihm einen Helfershelfer beim Tode des Commodus. war.

 

VON DEN PRÄTORIANERN ANERKANNT

Laetus begleitete den neuen Herren ohne Verzug zu den Prätorianer-Kasernen und streute zugleich in der Stadt die dazu passende Nachricht, dass Commodus einem Schlaganfall jäh erlegen sei; und dass ihm der tugendreiche Pertinax bereits auf den Thron gefolgt sei. Die Truppe war eher überrascht als erfreut von dem nicht unverdächtigen Tode des Herrschers, von dem sie als einzige Nachsicht und Freigebigkeit erfahren hatten. Indessen: die normative Kraft des Augenblicks, das Ansehen des Präfekten, der Jubel des Volkes: alles dieses nötigte sie, ihr geheimes Missvergnügen hintan zu stellen, das verheißene Donativ zu akzeptieren, ihm Gefolgschaft zu schwören und mit fröhlichem Zujauchzen und Lorbeerschmuck in den Händen ihn vor das Haus des Senats zu geleiten, auf dass der Wille des Militärs durch die zivile Instanz vollendet werde.

 

DAS GEDÄCHTNIS AN COMMODUS WIRD GEÄCHTET

Die wichtige Nacht war weit fortgeschritten; in der Morgendämmerung und während der Neujahrsfeiern sollten sich die Senatoren zu einer schmachvollen Zeremonie versammeln. Trotz aller Proteste, die von denjenigen seiner Kreaturen kamen, in denen sich tatsächlich noch Fragmente von Klugheit und Anstand fanden, hatte Commodus sich entschlossen, die Nacht in der Gladiatorenschule zu verbringen und von dort aus in der Ausrüstung und im Beisein dieser schäbigen Bande das Konsulat zu übernehmen. Plötzlich nun also wurde der Senat in den Concordiatempel zitiert, wo sie die Garden vorfanden, um die Wahl des neuen Kaisers zu bestätigen. Einige Minuten saßen sie in angespanntem Schweigen, mochten ihre plötzliche Erlösung nicht glauben und fürchteten eine der hinterhältigen Grausamkeiten des Commodus; als ihnen aber ausführlich versichert wurde, dass der Tyrann nicht mehr sei, überließen sie sich hass- und freudetrunken allen nur denkbaren Ausbrüchen. Pertinax verleugnete in bescheidener Weise seine niedrige Herkunft nicht und benannte einige edle Senatoren, die mehr als er das Imperium verdient hätte, ward aber durch sie genötigt, den Thron zu besteigen, erhielt alle Insignien kaiserlicher Machtfülle und wurde hierin auch durch die aufrichtigsten Treuegelübde bestätigt. Das Andenken an Commodus aber wurde mit ewiger Schande gebrandmarkt. Die Benennungen Tyrann, Gladiator, Staatsfeind durchhallten jede Ecke des Gemäuers. In stürmischen Abstimmungen wurde beschlossen, ihm seine Ehrungen abzuerkennen, seine Titel von den öffentlichen Inschriften zu tilgen, seine Statuen zu stürzen, seinen Körper an einem Haken in die Umkleidekabine der Gladiatoren zu schleifen und so dem öffentlichen Zorn Genüge zu tun; auch zeigten sie Unmut gegen einige beflissene Staatsdiener, welche gemeint waren, wenigstens seine körperlichen Überreste gegen den Zorn des Senats in Schutz zu nehmen. Aber Pertinax konnte jene letzten Ehrenrituale dem Andenken an Marcus und den Tränen seines ersten Schirmherrn Claudius Pompeianus nicht verweigern, welcher das grausame Schicksal seines Schwagers (Commodus) beweinte und noch mehr darüber lamentierte, dass er es eigentlich verdient habe. Capitolinus schildert uns einige Einzelheiten dieser tumultuösen Abstimmungen, welche von einem Senator vorgetragen und dann von der gesamten Körperschaft wiederholt oder besser nachgesungen wurde (Hist. August. p. 52).

Diese Ausbrüche ohnmächtigen Zornes gegen einen toten Kaiser, den der Senat zu Lebzeiten mit der widerlichsten Speichelleckerei umkrochen hatte, verrieten eine ebenso begreifliche wie würdelose Rachegesinnung. Indessen waren diese Beschlüsse im Sinne der Staatsverfassung völlig legal. Den ersten Magistrat der Republik, der das ihm übertragenen Vertrauen missbraucht hatte, zu rügen, abzusetzen oder zum Tode zu verurteilen: Dies war das unbestrittene Vorrecht des Römischen Senates von alters her Der Senat verurteilte Nero zum Tode more maiorum (Suet., Nero 49). Aber nun musste diese Versammlung sich machtlos damit begnügen, einem toten Tyrannen jene staatlichen Strafen aufzuerlegen, vor denen ihn zu seinen Lebens- und Regierungszeiten der starke Arm einer militärischen Gewaltherrschaft bewahrt hatte.

 

PERTINAX' TUGENDEN

Pertinax fand eine vornehmere Art, das Andenken an seinen Vorgänger zu verfluchen – durch den Gegensatz zwischen seinen Tugenden und den Verbrechen des Commodus. Am Tage seiner Thronbesteigung übertrug er seiner Frau und seinem Sohn sein gesamtes Privatvermögen, auf dass ihnen kein Vorwand bliebe, auf Staatskosten Gefälligkeiten zu erheischen. Er weigerte sich, der Eitelkeit der Ersteren durch die Anrede Augusta zu schmeicheln oder die jugendliche Unerfahrenheit des Letzteren durch den Rang eines Cäsaren zu korrumpieren. Indem er peinlich genau zwischen seinen Pflichten als Vater und denen als Herrscher unterschied, erzog er seinen Sohn in strenger Einfachheit, was ihm zwar kein Anrecht auf den Thron eröffnete, wohl aber die Möglichkeit, seiner würdig zu werden. In der Öffentlichkeit gab sich Pertinax ernst und dennoch leutselig. Er verkehrte mit dem besseren Teil des Senates (und bei einer privaten Gelegenheit hatte er in den wahren Charakter eines jeden genaue Einsicht erhalten) ohne Hochmut oder Eifersucht; betrachtete jeden als Freund und Gefährten, mit denen er die Gefahren der Tyrannei bestanden hatte und mit denen er nun die sichere Gegenwart zu genießen wünschte. Oft lud er sie zu familiärer Geselligkeit, über deren Kargheit sich besonders diejenigen mokierten, welche sich mit Seufzen an die Verschwendungsorgien eines Commodus erinnern mochten. Cassius Dio (73, 1223) berichtet von diesen Treffen wie ein Senator, der sich mit dem Kaiser verbrüdert und Capitolinus (Hist. August. Pertinax 12) wie ein Sklave, der seine Kenntnisse von einer Scheuermagd bezogen hatte.

 

VERSUCHE EINER REFORM DURCH PERTINAX

Nun war es die dankbare, wenn auch melancholische Aufgabe des Pertinax, so weit als möglich die Wunden zu heilen, welche die Tyrannis geschlagen hatte. Die unschuldigen Opfer, welche noch am Leben waren, wurden aus dem Exil zurückberufen, aus den Gefängnissen entlassen und wieder in den vollen Besitz ihrer alten Ehrenstellen und ihrer Vermögen eingesetzt. Die unbegrabenen Leichen ermordeter Senatoren (denn Commodus' Grausamkeit reichte noch über den Tod seiner Opfer hinaus) wurden in die Grabstätten zu ihren Ahnen gelegt; ihr Andenken wurde geehrt; und jeder Trost wurde den bedrängten und verfolgten Familien zuteil. Zu den wirksamsten dieser Tröstungen gehörte die Bestrafung derer, die ihren Herren, der Tugend und dem Lande gleich feindlich waren: der Denunzianten. Aber selbst bei der Verfolgung dieser legalen Mörder bewahrte Pertinax eine Abgeklärtheit, welche alles der Rechtsprechung und nichts der populären Voreingenommenheit oder den Rachegelüsten überließ.

 

STAATSFINANZEN

Die Finanzen des Staates verlangten dem Herrscher die aufmerksamste Fürsorge ab. Obwohl Commodus Erpressung und Raub nach allen herkömmlichen Regeln betrieben hatte, um das Gold der Untertanen in seine Schatzkammern zu leiten, so stand seine Raubgier doch beträchtlich hinter seiner Verschwendungssucht zurück, so dass nach seinem Tode nur noch ganze achttausend Pfund im Staatsschatz Das untadelige Finanzgebaren des Pius hinterließ seinen Nachfolgern einen Schatz von zweiundzwanzig Millionen Sterling. (Cassius Dio, 73, p. 1231). vorgefunden wurden, aus denen die laufenden Ausgaben bestritten und die dringend benötigten Gelder für das großzügige Donativ aufgebracht werden mussten, das der neue Herrscher den Prätorianergarden zu versprechen genötigt gewesen war. Und dennoch besaß unter diesen verzweifelten Umständen Pertinax die selbstlose Standhaftigkeit, um alle von Commodus ausgeheckten Raubsteuern abzuschaffen und alle unberechtigten Ansprüche des Fiskus fallen zu lassen. In einer Regierungserklärung vor dem Senat legte er dar, dass ›er lieber eine arme Republik in Schuldlosigkeit regiere, als Reichtümer mit den kriminellen Mitteln der Tyrannei anzuhäufen.‹ Wirtschaft und Gewerbe betrachtete er als die lauteren und wahren Quellen des Wohlstandes. Und alsbald erhielten von dieser Seite die öffentlichen Belange großzügige Unterstützung. Die Haushaltsausgaben wurden binnen Kurzem halbiert. Alle Utensilien des Luxus kamen zur öffentlichen Versteigerung: Neben der Absicht, dieses nutzlose Schmuckwerk zu Geld zu machen (Cassius Dio, 73, 1229), nennt Dio noch zwei weitere Motive des Pertinax: Er wünschte, die Verbrechen des Commodus öffentlich zu machen und unter den Käufern diejenigen festzustellen, die ihm am meisten ähnelten.: Gold- und Silberteller, Kutschen von einzigartiger Bauweise, ein überbordender Bekleidungsfundus aus Seide und Stickwerk und eine Unzahl von schöngestaltigen Sklaven beiderlei Geschlechtes. Hiervon nahm eine mitfühlende Menschlichkeit nur die aus, die als Freie geboren den Armen ihrer weinenden Eltern mit Gewalt entrissen worden waren. Indem er die elenden Kreaturen des Tyrannen zwang, einen Teil ihres übelerworbenen Reichtums wieder herauszugeben, konnte er die eigentlichen Gläubiger des Staates zufrieden stellen und darüber hinaus noch ganz unerwartet den rückständigen Lohn für ehrliche Dienste begleichen. Er hob die einengenden Bestimmungen auf, die den Handel behindert hatten und stellte in Italien und den Provinzen unkultiviertes Land für diejenigen zur Verfügung, welche es zu bestellen versprachen; bei zehnjähriger Steuerfreiheit. Obwohl Capitolinus (Hist. August., Pertinax 13) viele unerfreuliche Anekdoten aus dem Privatleben des Pertinax gesammelt hat, empfindet er doch wie Cassius Dio und Herodian Bewunderung für seine öffentlichen Auftritte.

 

PERTINAX' POPULARITÄT

Diese regelgemäße Amtsführung hatte Pertinax bereits die höchste Belohnung eines Herrschers eingebracht: die Liebe und Wertschätzung seines Volkes. Die, welche sich noch an die Vorzüge des Marcus Aurelius erinnerten, entdeckten in ihrem neuen Herrscher mit Genugtuung Züge des Originals und beglückwünschten sich, dass sie sich nun für einige Zeit der segensreichen Einflüsse seiner Verwaltung erfreuen würden. Indessen: Der hastige Eifer zur Reform des heruntergekommenen Staates, welche Maßnahmen mit weniger Bedachtsamkeit durchgeführt wurden, als es Erfahrung und Alter des Pertinax hätten erwarten lassen, erwiesen sich für ihn und sein Land als tödlich. Seine ehrbare Offenheit brachte alle die Sklavenseelen gegen ihn auf, welche sonst in öffentlicher Unordnung ihr privates Auskommen fanden und die die Gunstbezeigungen eines Tyrannen der unerbittlichen Gleichheit vor dem Gesetz vorzogen. Leges, rem surdam, inexorabilem esse [Gesetze seien taub und unerbittlich]. Livius, 2, 3.

 

UNZUFRIEDENHEIT DER PRÄTORIANER ERMORDUNG DES PERTINAX A.D. 193

Inmitten dieser allgemeinen Hochstimmung verrieten nur die mürrischen und verärgerten Mienen der Prätorianer ihre innerliche Ablehnung. Nur widerwillig hatten sie sich Pertinax angeschlossen; ihnen ward vor der Strenge der althergebrachten Disziplin bänglich, die wiederherzustellen er im Begriffe stand; und sie trauerten der Generosität der alten Regierung nach. Ihr Präfekt Laetius heizte diese Unzufriedenheit noch heimlich an, als er herausfand, als es bereits zu spät war, dass sein neuer Herrscher zwar einen Sklaven belohnen, aber nicht die Regierung einem Günstling überlassen würde. Am dritten Tage seiner Regierung griffen sich die Soldaten einen Senator von Adel mit der Absicht, ihn in die Kasernen zu schleppen und ihm dort den Purpur anzulegen. Das erschrockene Opfer ließ sich durch diese heikle Ehre durchaus nicht blenden, entkam vielmehr ihrem Zugriff und suchte Schutz zu Füßen des Pertinax. Einige Zeit später vernahm einer der Jahreskonsuln, Sosius Falco, von unbesonnener Jugendlichkeit Wenn wir Capitolinus glauben dürfen (was nicht leicht fällt), verhielt sich Falco Pertinax gegenüber am Tage von dessen Thronbesteigung äußerst ungehobelt. Der weise Herrscher beließ es bei einer Rüge, seiner Jugend und Einfalt halber (Hist.August. Pertinax 5). zwar, aber doch aus alter, wohlhabender Familie, in sich den Ruf des Ehrgeizes. Während einer kurzen Abwesenheit des Pertinax verschwor man sich, indessen wurde die Machenschaft infolge seiner schnellen Rückkehr nach Rom und seines entschiedenen Durchgreifens rasch gedämpft. Falco stand es unmittelbar bevor, als Staatsfeind zum Tode verurteilt zu werden, hätten ihn nicht die nachdrücklichen und aufrichtigen Bitten des betroffenen Herrschers gerettet; dieser beschwor den Senat, die Reinheit seiner Herrschaft nicht mit dem Blute selbst eines schuldigen Senators zu beflecken.

 

ERMORDUNG DES PERTINAX DURCH DIE PRÄTORIANER 28. MÄRZ 193

Diese Fehlschläge indessen trugen nur dazu bei, den Verdruss der Prätorianer weiter anzuregen. Am achtundzwanzigsten März, nur sechsundachtzig Tage nach seiner Thronbesteigung, brach in den Kasernen eine allgemeine Empörung los, welcher entgegen zu treten den Offiziere sowohl die Handhabe als auch die Neigung abging. Zwei- oder dreihundert der entschlossensten Soldaten marschierten mittags zum Kaiserpalast, die Waffen in den Händen und Aufruhr im Blick. Die Tore wurden ihnen von den wachhabenden Kameraden aufgetan wie auch von den Hausdienern des alten Regimes, die gegen den gar zu tugendhaften Herrscher ebenfalls eine Verschwörung gebildet hatten. Auf die Nachricht von ihrem Erscheinen ging Pertinax, dem Flucht oder Verstecken gleich verächtlich waren, seinen Mördern entgegen. Er rief ihnen lediglich seine Schuldlosigkeit und die Heiligkeit ihres jüngst geleisteten Eides ins Gedächtnis. Einen Augenblick verharrten sie, schweigend, beschämt über ihr gewalttätiges Vorhaben und von dem erhabenen Anblick und der festen Unerschütterlichkeit ihres Herrschers denn doch mit Respekt erfüllt. Als jedoch die fehlende Aussicht auf Gnade ihren Zorn neuerlich wiederbelebte, tat ein Barbar aus Tongres Aus der heutigen Diözese von Lüttich. Dieser Soldat gehörte vermutlich zu der batavischen berittenen Garde, die zum größten Teil aus dem Herzogtum von Geldern und Umgebung rekrutiert wurden. Sie zeichneten sich aus durch ihre Körperkraft und den Mut, mit dem sie auf ihren Pferden auch die breitesten und wildesten Flüsse durchquerten. Tacit. Hist. 4. 12. Dion 55, p. 797. Lipsius de magnitudine Romana, 1,4. den ersten Hieb gegen Pertinax, welcher alsbald aus zahlreichen Wunden blutete. Sein Haupt, vom Rumpfe abgetrennt, wurde auf eine Lanze gespießt und im Triumph zur Kaserne zurückgeführt, vor den Augen einer trauernden und empörten Menge, welche um das unverdiente Schicksal dieses ausgezeichneten Herrschers und die Segnungen seiner verflossenen Regierung trauerte. Die Erinnerung an ihn sollte eines unfernen Tages dazu dienen, die herannahenden Schicksalsschläge noch härter zu empfinden. Cassius Dio, 73, p. 1232. Herodian, 2, p. 60; Hist. August. Pertinax 11. Aurelius Victor, Epitome und Caesares; Eutropius, 8, 16.


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