Johann Wolfgang von Goethe
Zur deutschen Literatur. Rezensionen
Johann Wolfgang von Goethe

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Johann Friedrich Reichardt: Vertraute Briefe aus Paris

Hamburg, b. Hoffmann: Vertraute Briefe aus Paris, geschrieben in den Jahren 1802 und 1803 von Johann Friedrich Reichardt. 1804. I Teil 482 S. II Teil 422 S. 8. (gedr. Braunschweig, b. Fr. Vieweg).

Zu einer Zeit, wo das Sehnen und Streben aller nur einigermaßen mobilen Personen nach Paris gerichtet ist, müssen diejenigen, welche einen solchen Weg zu machen verhindert sind, jedem Reisenden Dank wissen, der seine Ansichten von jener merkwürdigen Stadt andern mitteilen mag und kann; besonders wenn er vieles Gutgesehene lebhaft darzustellen fähig ist. Ein Lob, das man dem Vf. gedachter Briefe nicht versagen wird.

Man begleitet ihn gern auf der schnellen Reise zur Hauptstadt, wo denn, wie er selbst bemerkt, Brot und Gaukler, nach dem alten Spruche, der Inbegriff aller Wünsche sind. Gleicher Weise findet man Frühstück und Mittagessen, Oper, Schauspiel und Ballett als Hauptinhalt beider Teile.

Gegen Musik und Oper verhält sich der Reisende als denkender Künstler, gegen das Theater überhaupt als einsichtsvoller Kenner, und übrigens gegen Künste und Wissenschaften als teilnehmender Liebhaber.

Seine Kenntnis vieler Verhältnisse in frühern Epochen gibt ihm zu bedeutenden Vergleichungen Anlaß, und da er Gelegenheit findet, von der Präsentation beim ersten Konsul an, die Zustände des höheren, mittleren und niederen Lebens zu beobachten; da er seine Bemerkungen mit Kühnheit auszusprechen wagt: so haben seine Mitteilungen meistens einen hohen Grad von Interesse. Viele Gestalten und Charaktere namhafter Personen sind gut gezeichnet, und wenn der Vf. auch hie und da die Lineamente mildert: so bleiben die Figuren immer noch kenntlich genug. Besonders wird er sich bei Frauenzimmern, durch genaue und geschmackvolle Beschreibung des mannichfaltigsten Putzes, empfehlen.

Die rasch hinfließende Schreibart entspringt aus einer unmittelbaren, mit einer gewissen Leidenschaft angeschauten Gegenwart. Sie würde noch mehr Vergnügen gewähren, wenn man nicht öfters durch Nachlässigkeiten gestört würde. So wird z. B. das Wort fein so oft wiederholt, daß es seine Bedeutung am Ende selbst aufzehrt. Das Wort letzt ließe sich gleichfalls öfter entbehren, oder durch neulich, letztens, letzthin, ersetzen und variieren. Solche kleine Flecken auszutilgen, sollte jeder Schriftsteller einen kritischen Freund an der Seite haben, besonders wenn das Manuskript nicht lange ruhen kann.

Doch, wie kann man Schriftstellern und ihren Freunden solche Bemühungen zumuten, so lange unsere Offizinen sich eines unverantwortlich vernachlässigten Drucks nicht schämen? In diesen zwei Bändchen sind 130 Druckfehler und sogenannte Verbesserungen angezeigt; wobei man höflich bittet, solche vor dem Lesen des Buchs abzuändern. Welch eine Zumutung! Es wäre zu wünschen, daß künftig die Verfasser ihre Verbesserungen von den Druckfehlern abtrennten, damit man deutlich sähe, was dem Korrektor zu Schulden kommt, und sodann möchte vielleicht doch einiges Ehrgefühl geweckt werden, wenn Rezensenten, wie wir getan, die Offizin bemerkten, und die Anzahl der eingestandenen Druckfehler angeben wollten.

Wf.


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