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Einsam beim Licht des Lämpchens saß ein frommer Büßer in seiner Höhlenzelle und las im heiligen Brevier. Seit vielen Jahren hauste schon der Alte in dieser Höhle. Er hatte sich den Sarg aus Eichenbrettern längst gezimmert und schlief darin zur Nacht.
Der Büßer schlug das Buch zu und ließ sich auf die Kniee nieder zum Gebet . . .
Da stürzte ein Mann zur Tür herein, der war gar seltsam und entsetzlich anzusehn. Der heilige Büßer sprang auf und wich erschrocken an die Wand. Der Fremde zitterte an Leib und Gliedern wie Espenlaub, wild schielten seine Augen, in denen bleich ein grünes Feuer glomm. So häßlich war sein Gesicht, daß einen das Grauen davor packen konnte.
»Bete für mich, hochwürdiger Vater!« schrie er mit angstverzerrtem Mund. »Bete für meine arme sündige Seele!« Er warf sich auf die Erde.
Der heilige Büßer schlug ein Kreuz. Er faßte sein Brevier; doch kaum, daß er hineingesehen, fuhr er entsetzt zurück und ließ es fallen.
»Verruchter Sünder! Nein, du findest in alle Ewigkeit nicht Gnade! Heb dich von hinnen! So wahr ein Gott lebt, nein, ich kann für dich nicht beten!«
»Du willst nur nicht!« So schrie der Sünder in fürchterlicher Wut.
»Sieh her: die heiligen Lettern in meinem Buche triefen von rotem Blut. Ein schlimmerer Sünder als du hat nie in dieser Welt gelebt!«
»Ich sag' dir, Vater, sieh dich vor! Und laß das dumme Lachen über mich!«
»Heb dich von hinnen, gottverfluchter Sünder! Wie sollte ich denn lachen über dich! Ich habe Furcht vor dir. Denn unter einem Dach mit dir zu sein, tut keinem Christen gut!«
»Was redest du! Ich seh' doch, wie du lachst! Ich seh' dich, wie du die Lefzen verzerrst und deine alten Zähne bleckst!«
Er stürzte sich wütend auf den heiligen Mann und – schlug ihn tot.
Ein schweres Stöhnen heulte durch die Nacht. Weit über Wald und Flur drang dieser Laut. Hinter dem Wald erhoben sich dürre Hände mit langen Krallen und dräuten in der Luft und – schwanden . . .
Der Zauberer fühlt keine Furcht mehr. Jedes Gefühl in ihm ist ausgelöscht, in eine dumpfe Ohnmacht eingelullt. Es saust ihm in den Ohren, in seinem Kopfe brummt es wie beim Erwachen aus einem schweren Rausch; was seine Augen sehen, dünkt ihn mit grauem Spinnweb überklebt. Er steigt auf seinen Gaul und lenkt ihn in den Weg nach Kanew. Von dort soll dann die Reise weitergehn zu den Tataren in der Krim. Was er da will, das weiß er selber nicht. Er reitet einen ganzen Tag, den zweiten, – Kanew erscheint noch immer nicht am Horizont. Es ist der rechte Weg, er reitet mehr als lang genug, – von Kanew zeigt sich keine Spur. Nun tauchen in der Ferne Kirchenkuppeln auf, – dies aber ist nicht Kanew, dies ist Schumsk. Staunend erkennt der Zauberer, daß er falsch geritten ist. Er wendet seinen Gaul und sprengt die Straße zurück, er will nach Kiew heim. Am nächsten Tag erblickt er wieder eine Stadt. Doch ist's nicht Kiew, – es ist Halytsch, ein Ort, der weiter noch von Kiew liegt als Schumsk, dicht an der Grenze schon des Ungarlandes. Der Zauberer weiß nicht, was er tun soll. Er wendet wieder seinen Gaul, und wieder spürt er, daß er abermals in falscher Richtung reitet; er mag sich drehen, wie er will, – sein Weg führt immer geradeaus.
Kein Mensch auf dieser Welt vermag zu ahnen, wie es dabei im Innern des Zauberers aussieht; und könnte einer in sein Inneres blicken, – er würde vor Entsetzen nicht eine Nacht mehr schlafen und niemals wieder lachen. Es ist nicht Wut, nicht Angst, nicht grimmiger Verdruß, was ihn erfüllt. Die Menschensprache hat kein Wort dafür. Es brennt und kocht in ihm; am liebsten zerstampfte er die ganze Erde unter den Hufen seines Gauls, am liebsten ersäufte er das Land von Kiew bis nach Halytsch hin im Schwarzen Meer. Doch ist's nicht Zorn und Rache, was ihn treibt, – er selber weiß nicht, was es ist.
Ein Schlottern schüttelt seine Glieder, da er dicht vor sich den Bergwall der Karpathen sieht. Der höchste von den Bergen, der Krivan, trägt auf dem Scheitel eine Wolkenmütze. Das Pferd greift schneller aus und galloppiert bergan. Mit einem Ruck zerreißt die Nebelwand, und oben auf dem Gipfel steht groß, stolz und streng der Reiter . . . Der Zauberer will halten, er reißt mit aller Kraft am Zügel; doch höhnisch wiehert der Gaul, er schüttelt die Mähne und sprengt gestreckten Laufes auf den Ritter zu. Dem Zauberer gefriert das Herz: das Steinbild rührt sich, schlägt die Augen auf, es sieht den Zauberer nahen, es – lacht. Gleich einem Donnerrollen kracht dies wilde Hohngelächter hart von Fels zu Fels und dringt dem Zauberer durch Herz und Eingeweide. Ihm ist, als sei ein ungeheurer Riese in ihn hineingekrochen und schlüge mit gewaltigem Hammer wilde Wirbel auf seinem Herzen und auf seinen Adern, – so fürchterlich hallt das Gelächter in ihm wider.
Der Ritter packt den Zauberer mit seiner steinharten Faust und hält ihn weit in die Luft hinaus. Der Zauberer stirbt vor Schrecken und reißt im Sterben weit die Augen auf. Doch er ist tot und hat den Blick der Toten. So fürchterlich stiert keiner, der da lebt, keiner, der auferstehen wird. Und seine toten Augen stieren weit ins Land und sehen andere Tote aus den Grüften steigen, – in Kiew, in Galizien und den Tälern der Karpathen. Und diese Toten alle gleichen dem Zauberer, wie ein Wassertropfen dem anderen gleicht.
Fahl weiß, der eine größer als der andere, der eine dürrer als der andere, umringen sie den Ritter, der seine schauerliche Beute hoch in der Rechten hält. Und wieder lacht der Ritter donnernd und schleudert den Zauberer in den Abgrund. Die Toten alle springen ihm nach, sie fallen in der schwarzen Tiefe über ihn her und schlagen ihre Zähne gierig in den Leichnam. Und noch ein Toter, der größte, fürchterlichste der ganzen Schar, will aus der Erde steigen. Doch stemmt er sich umsonst, ihm fehlt die Kraft, – er ist zu groß geworden unten im Erdenschoß. Vermöchte er es, aufzustehen, – zu Schutt zerfiele der Karpathenwall und Siebenbürgen und das Türkenland. Wenn er sich nur ein wenig rührt, dann wankt die Erde, viele Häuser stürzen ein, und Menschen ohne Zahl verderben in den Trümmern.
So manches Mal vernimmt der Wanderer im Gebirge ein schrilles Sausen, wie wenn die Räder von tausend Mühlen durch das Wasser lärmten. Der Laut kommt aus dem bodenlosen Abgrund, des Tiefe noch kein Menschenauge maß, an dessen Rand sich niemals eines Menschen Fuß gewagt. Das sind die Toten, die dort unten am Leichnam des verruchten Zauberers fressen.
So manches Mal geschieht es in dieser Welt, daß unvermutet unsere Erde von einem Ende bis zum andern bebt. Gelehrte Männer wollen uns erzählen, es stünde unten irgendwo am Meer ein Berg, aus dessen Gipfel Flammen schlügen und Feuerströme flössen; und von dem Berge käme es. Die alten Leute aber im Ungarland und in Galizien wissen besser Bescheid: der Tote, der da unten in der Erde zu so gewaltiger Größe wuchs, will aus dem Grabe steigen, und das macht die Erde beben.