Nikolai Gogol
Furchtbare Rache
Nikolai Gogol

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16

Es war in Gluchow, der Stadt, da umringte einmal das Volk einen alten Pandoraspieler. Wohl eine Stunde lang standen die Leute und lauschten dem lieblichen Sange des Blinden. Noch niemals war ein Pandoraspieler nach Gluchow gekommen, der es also verstand, des Volkes Herz zu berücken mit schönen Weisen und wundersamen Geschichten. Die alten Tage pries er zuerst, da noch Sagaidatschni Hetman gewesen und der tapfere Chmelnitzki. Das waren andere Zeiten als heute: hell glänzte der Ruhm der Kosaken, sie stampften den Feind unter die Hufe der wackeren Gäule; da hätte es keiner gewagt, des Grenzlands zu spotten. – Auch lustige Lieder wußte der Alte. Und seine Augen streiften des Volkes Gesichter, als wären sie sehend. Die Finger ließen die Knochenstäbchen über die Saiten schwirren gleich flinken Fliegen, – man mochte meinen, die Saiten tönten von selber.

Im Kreis stand das Volk. Die Alten hielten die Häupter gesenkt. Die Augen der Jungen hingen heiß an den Lippen des Sängers. Und keiner wagte zu flüstern.

»Hört zu, ihr Leute,« so sprach der Blinde, »was jetzt ich singe, das hat sich zugetragen in alten Zeiten.«

Die Menge drängte sich dichter um ihn; der Pandoraspieler begann:

»Unter der Herrschaft Stephans, des Fürsten von Siebenbürgen, der auch König von Polen war, lebten einst zwei Kosaken. Iwan hieß der eine, Pjetro der andre. Wie zwei Brüder, so lebten die Kosaken zusammen. ›Hör mich, Iwan: was der eine erbeutet, das teilen wir beide zu gleichen Teilen. Des einen Freude soll sein des anderen Freude, des einen Leid sei des anderen Leid. Macht einer Beute, so gibt er dem anderen die Hälfte. Wird einer gefangen, so gibt der andre all seine Habe als Lösung. Und löst er ihn nicht mit all seiner Habe, dann gibt er sich selber gefangen.‹ Wie Pjetro gesprochen, also geschah es. Was die Kosaken erwarben, – sie gaben dem Bruder die Hälfte; führten sie Vieh oder Rosse als Beute, – die Hälfte gehörte dem Bruder.

»Einmal geschah es, daß König Stephan im Krieg lag gegen den Türken. Drei Wochen schon schlug er sich mit dem Türken und wurde seiner nicht Herr. War da im türkischen Heere ein Pascha, der war so tapfer, daß er allein mit zehn Janitscharen ein Regiment in die Pfanne hieb. Darum tat König Stephan den Seinen zu wissen: wenn ein Tapferer sich fände, der diesen Pascha tot oder lebend vor sein Angesicht brächte, dem versprach er für sich allein so viel Sold, wie ihn das ganze Heer zusammen bekam. ›Bruder Pjetro, wir fangen den Pascha!‹ sprach da Iwan. Und die Kosaken machten sich auf, zur Rechten der eine, der andre zur Linken.

*

»Wer mag es wissen, ob nicht auch Pjetro den Pascha gefangen hätte, – der ihn aber, den Hals in der Schlinge, gefesselt zum König brachte, war sein Bruder Iwan. ›Wackerer Held!‹ sprach König Stephan und gab ihm allein so viel Sold, wie ihn das ganze Heer zusammen bekam, und befahl, ihm unzählige Joche fruchtbaren Landes zu geben, da wo er es selber begehrte, und Vieh, so viel er sich wünschte. Und als Iwan den fürstlichen Sold empfangen, gab er die Hälfte von allem dem Bruder Pjetro. Der nahm die Hälfte vom Solde des Königs, aber der Neid fraß in ihm, weil Iwan die Ehre allein gewonnen. Er wälzte heimliche Rache im Busen.

*

»Die Ritter ritten selbander, das Land zu suchen, das ihnen über den Bergen, die man Karpathen heißt, der König verliehen. Hinter Iwan saß auf dem Rosse sein kleiner Sohn, den hatte er an sich gebunden. Es wurde schon Nacht; sie ritten und ritten. Der Knabe schlief; in Schlummer versank auch Iwan. – Schlaf nicht, Kosak: im Gebirg gibt es schwindlige Wege! – Ach was, der Kosak traut dem tüchtigen Gaul, der seinen Weg schon allein weiß, – er strauchelt niemals und macht keinen Fehltritt. Ein Abgrund liegt in den Bergen, des Boden hat noch kein Auge erblickt. So hoch es zum Himmel ist von der Erde, so tief geht's hinunter in diesen Abgrund. Der Pfad läuft dicht am Rande des Abgrunds, – zwei mögen dort nebeneinander reiten, für einen dritten ist es zu eng. Sichernden Fußes trat nun der Gaul mit dem schlafenden Herrn auf den Pfad. Daneben ritt Pjetro, – ihm bebten die Glieder, er konnte kaum atmen vor Freude. Er blickte sich um, ob keiner es sähe, und stieß den Bruder, den selbst erwählten, hinab in den Abgrund. Roß, Reiter und Knabe stürzten hinab in die Tiefe.

*

»Aber Iwan erhaschte im Fallen schnell einen Dornstrauch und konnte sich halten, – nur der Gaul allein schlug unten zerschmettert zu Boden. Der Kosak klomm wieder zum Rande empor, den Sohn auf dem Rücken. Fast war er oben, da hob er die Augen und sah, daß Pjetro die Lanze packte, ihn wieder hinunter zu stoßen. ›Gott, du Gewaltiger und Gerechter! Hätte ich meine Augen doch niemals erhoben! Sehen muß ich, wie der erwählte Bruder zur Lanze greift, mich wieder hinunter zu stoßen! – Geliebter Bruder, stoß mich mit der Lanze, wenn mir das einmal bestimmt ist! Aber nimm meinen Sohn! Was tat der schuldlose Knabe, daß er solch furchtbares Ende verdiente?‹ Pjetro lachte und stieß mit der Lanze nach ihm. Iwan und der Knabe stürzten hinab in den Abgrund. Pjetro aber raffte des Bruders Güter an sich und führte ein Leben, als sei er ein Pascha. Zahllos waren die Rosse in seinen Herden, zahllos die Schafe und Hammel auf seinen Weiden. Doch einmal mußte er sterben.

*

»Da nun Pjetro sein Ende gefunden, entbot der Herr, unser Gott, die Seelen der beiden Brüder, die Seele Pjetros und die Seele Iwans, vor seinen Thron zum Gericht. – ›Ein großer Sünder ist dieser Mensch.‹ sprach Gott. ›Ich finde keine Strafe für ihn. Bestimme du selbst ihm die Strafe, Iwan!‹ Iwan sann lange, welche Strafe er sich von Gott für Pjetro erbitten solle, und endlich sprach er: ›Die schwerste Kränkung tat mir dieser Mensch. Wie Judas verriet er den eigenen Bruder. Er stahl mir mein edles Geschlecht und meinen Samen auf Erden. Ein Mensch ohne Kinder und Kindeskinder ist wie ein Saatkorn, das ausgesät wird und unnütz im Boden verfault. Es geht nicht auf und trägt keine Frucht; und keiner weiß, daß das Saatkorn gesät ward.‹

*

»›Gib, Herr, daß Pjetros Same kein Glück kennt auf Erden. Der letzte seines Geschlechtes soll ein Bösewicht sein, so schlecht und verrucht, wie es noch keinen gab in der Welt. Jedes Verbrechen, das er begeht, soll seinen Ahnen und Urahnen die Ruhe des Grabes rauben, soll sie zwingen, in unerhörten Qualen aus ihren Grüften zu steigen! Pjetro aber, der Judas, soll nicht die Kraft haben, aus seinem Grabe zu steigen. Tausendfältig soll er die Qual der andern erdulden! Erde fressen soll er wie rasend und sich winden und krümmen vor Pein!

»›Kommt dann die Stunde, da das Maß der Verbrechen jenes letzten aus seinem Stamme erfüllt ist, Herr, dann erhöhe mich aus dem Abgrund, darein er mich stürzte, mit meinem Roß auf den höchsten der Berge. Zu mir kommen soll dann der letzte Sündensproß, und ich will ihn vom Gipfel des Berges hinunterschleudern zum tiefsten Abgrund. Und alle die Toten, die Ahnen und Urahnen dieses Verbrechers, wo in der Welt sie auch bei Lebzeiten hausten, sollen gewimmelt kommen in Scharen von allen Enden der Erde und sollen sich wütend über ihn stürzen und ihre Zähne in seinen Leichnam schlagen zur Strafe für alle die Qual, die sie durch seine Sünden erlitten. Ewig sollen sie an ihm fressen, und ich will ewig lachen zu seiner Pein. Pjetro aber, der Judas, soll nicht Kraft haben, aus der Erde zu steigen, um an dem Leichnam des Sünders zu fressen. Fressen soll er an seinem eigenen Leichnam, und seine Knochen sollen in Ewigkeit wachsen, wachsen ohn' Ende und Ziel, auf daß sein Schmerz noch gewaltiger werde. Diese Qual wird ihm die furchtbarste sein, denn es ist keine schlimmere Qual auf Erden, als brennen vor Rachsucht und nie die Rache erfüllen.‹«

*

»›Furchtbar, Mensch, ist die Strafe, die du ihm erdachtest,‹ sprach Gott, unser Herr. ›Alles soll so geschehen, wie du gesagt hast. Aber auch du sollst ewig dort sitzen auf deinem Rosse. Nimmer eingehen sollst du zu Mir in Mein himmlisches Reich, dieweil du da sitzest auf deinem Rosse!‹ – Und wie es gesagt ward, so ist es geschehen. Noch heute sitzt auf dem höchsten Berg der Karpathen der gewappnete Recke im Sattel. Er sieht in den Tiefen des schwarzen Abgrundes die Toten am Leichnam des Zauberers fressen. Er spürt es, wie unten im Erdenschoße ein Leichnam wächst, wie er in furchtbarer Qual an den eigenen Knochen frißt, und wie die Erde erbebt, wenn er sich leise nur rührt . . .«

* * *

Zu Ende war des blinden Sängers Lied. Er stimmte die Pandora neu und hob mit lustigen Liedern an, – von Choma und Jeroma sang er und auch von Stekljär Stekosa . . . Die Alten und die Jungen aber standen noch lange gesenkten Blickes wie im Traum. Auf ihren Seelen lag mit schwerem Druck die grauenvolle Tat aus alten Tagen.

 


 


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