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Fünftes Kapitel

Die Einführung einer neuen und vornehmen Bekanntschaft. Worauf wir die größte Hoffnung setzten, das schlägt meistens am ersten fehl.

In geringer Entfernung vom Hause hatte mein Vorgänger eine Rasenbank angelegt, von Hagedorn und Geißblatthecken beschattet. Wenn das Wetter schön und unsere Arbeit früh geendet war, saßen wir hier gewöhnlich bei einander und erfreuten uns der weiten Aussicht in der Abendstille. Hier tranken wir zuweilen Thee, der jetzt zu einer Festlichkeit geworden war und uns neue Freuden gewährte, da wir ihn nur selten genossen; auch geschahen die Vorbereitungen dazu mit großer Feierlichkeit und Geschäftigkeit. Bei diesen Gelegenheiten mußten unsere beiden Jüngsten immer etwas vorlesen, und nachdem wir getrunken, bekamen auch sie ihren Antheil. Um unsern Ergötzlichkeiten Mannichfaltigkeit zu geben, sangen die Mädchen zuweilen zur Guitarre, und während sie ein kleines Concert aufführten, ging ich mit meiner Frau am Rande des Feldes dahin, der mit blauen Glockenblumen und Tausendschön geschmückt war, redeten dabei mit Entzücken von unsern Kindern und sogen den erquickenden Hauch ein, der uns Gesundheit und liebliche Töne zuwehte.

Auf diese Weise fingen wir an zu begreifen, daß jede Lebenslage ihre eigenen Freuden zu gewähren vermag. Jeder Morgen weckte uns zu neuer Arbeit, doch belohnte uns der Abend durch heitere Erholung.

Zu Anfang des Herbstes an einem Feiertage, wo wir stets jede Arbeit einstellten, führte ich meine Familie zu unserm gewöhnlichen Vergnügungsplatze hinaus. Unsere jungen Damen begannen ihr Concert. So beschäftigt, sahen wir plötzlich, etwa zwanzig Schritte vor uns, einen Hirsch in großen Sätzen vorüberspringen. Sein Keuchen schien zu verrathen, daß er von Jägern verfolgt sei. Wir hatten nicht lange Zeit, über die Noth des armen Thieres Betrachtungen anzustellen, denn in einiger Entfernung bemerkten wir Hunde und Reiter, die denselben Weg einschlugen, den der Hirsch genommen. Ich wollte sogleich mit meiner Familie nach Hause zurückkehren, doch Neugierde oder Ueberraschung, oder irgend ein anderer mir unbekannter Beweggrund hielten meine Frau und Töchter auf ihren Sitzen festgebannt. Der voranreitende Jäger sprengte pfeilschnell an uns vorüber. Ihm folgten vier oder fünf Andere, die eben so große Eile zu haben schienen. Zuletzt kam ein junger Herr von vornehmerem Ansehen als die Uebrigen. Er betrachtete uns eine Weile, und statt der Jagd zu folgen, hielt er plötzlich still, gab sein Pferd an einen Diener ab, der ihn begleitete, und näherte sich uns mit nachlässig vornehmer Miene. Er schien keiner Einführung zu bedürfen, sondern begrüßte meine Töchter wie Einer, der sich im voraus eines freundlichen Empfanges versichert hält. Doch sie hatten früh die Kunst gelernt, jede Anmaßung durch einen stolzen Blick zurückzuweisen. Hierauf sagte er uns, er heiße Thornhill und sei der Besitzer des Landgutes, welches in geringer Entfernung von uns lag. Er machte einen nochmaligen Versuch, die weiblichen Mitglieder der Familie zu umarmen, und so groß war die Macht des Reichthums und der schönen Kleider, daß er nicht zum zweiten Mal einen Abschlag erhielt. Da sein Benehmen zwar selbstgefällig, aber doch ungezwungen war, so wurden wir bald vertrauter mit einander, und als er musikalische Instrumente bemerkte, bat er, ihn mit einem Liede zu erfreuen. Da ich so ungleiche Bekanntschaften nicht billigte, winkte ich meinen Töchtern zu, nicht ihre Zustimmung zu geben. Doch durch einen Wink ihrer Mutter wurde der meinige aufgehoben, und sie sangen nun mit heiterer Miene ein Lieblingslied von Dryden. Herr Thornhill schien sehr erfreut über die Wahl und Ausführung und nahm dann selber die Guitarre zur Hand. Er spielte nur mittelmäßig, doch meine älteste Tochter gab ihm seinen frühern Beifall mit Interessen zurück, indem sie versicherte, seine Töne wären lauter, als selbst die ihres Musiklehrers. Bei diesem Complimente verbeugte er sich und sie verneigte sich darauf ebenfalls. Er rühmte ihren Geschmack und sie seine Fertigkeit: ein Jahrhundert hätte sie nicht vertrauter machen können. Die zärtliche Mutter, gleichfalls überglücklich, bestand darauf, daß der Gutsherr eintreten und ein Glas von ihrem Stachelbeerwein kosten möge. Die ganze Familie schien es darauf anzulegen, ihm zu gefallen. Meine Töchter waren bemüht, ihn mit Gegenständen zu unterhalten, die sie für modern hielten, während Moses einige Fragen über die alten Classiker an ihn richtete und das Vergnügen hatte, ausgelacht zu werden. Meine beiden jüngsten Knaben waren nicht weniger geschäftig und schmiegten sich dicht an den Fremden. Nur mit vieler Mühe konnte ich sie abhalten, mit ihren schmutzigen Fingern seine Rocktressen zu betasten, oder seine Taschen aufzuknöpfen, um zu sehen, was darin sei. Gegen Abend nahm er Abschied, nachdem er zuvor um die Erlaubniß gebeten, seinen Besuch wiederholen zu dürfen, was ihm als unserm Gutsherrn gern bewilligt wurde.

Sobald er fort war, berief meine Frau eine Rathsversammlung, um über die Erlebnisse des Tages zu verhandeln. Sie war der Meinung, dies sei ein höchst glückliches Ereigniß, denn sie habe schon viel seltsamere Dinge erlebt, die endlich eingetroffen wären. Sie hoffte noch den Tag zu erleben, wo wir wieder den Kopf hoch tragen würden, gleich den vornehmsten Leuten, und betheuerte zum Schluß: sie sehe doch wahrlich nicht ein, warum die beiden Fräulein Wrinklers so reiche Partien machen sollten und ihre Kinder nicht. Da der letzte Ausspruch gegen mich gerichtet war, so erklärte ich, daß ich eben so wenig den Grund einsähe, warum Frau Sipkins zehntausend Pfund in der Lotterie gewonnen habe, während uns eine Niete zugefallen. »Wahrhaftig, Karl,« rief meine Frau, »das ist Deine alte Art, mich und die Mädchen zu kränken, wenn wir einmal guter Laune sind. Sag' mir, liebe Sophie, was denkst Du von unserm neuen Gast? Hältst Du ihn nicht für sehr gutmüthig?« – »O gewiß, liebe Mutter,« erwiederte sie. »Mich dünkt auch, er weiß über Alles zu sprechen und ist nie in Verlegenheit. Je unbedeutender der Gegenstand, desto mehr weiß er darüber zu sagen.« – »Ja,« rief Olivia, »für einen Mann mag er gut genug sein, wenn er mir auch nicht gerade besonders gefällt. Er ist zu unverschämt und zudringlich, und die Guitarre spielt er ganz abscheulich.« Die beiden letzten Aussprüche deutete ich umgekehrt. Ich sah, daß Sophie ihn innerlich eben so verachtete, wie Olivia ihn im Stillen bewunderte. »Was für eine Meinung Ihr auch von ihm haben mögt, meine Kinder,« rief ich, »so muß ich Euch doch aufrichtig gestehen, daß er mich nicht sehr für sich eingenommen hat. Ungleiche Freundschaft endet immer mit Abneigung; auch schien er bei all seiner Höflichkeit sich des Abstandes zwischen ihm und uns deutlich bewußt zu sein. Laßt uns lieber Gesellschaft wählen, die unserm Stande angemessen ist. Es giebt keinen verächtlichern Mann, als einen Glücksjäger, und ich sehe nicht ein, warum Mädchen, die nach einer reichen Heirath streben, nicht eben so verächtlich sein sollten. Auch wenn es nach Wunsch geht, müssen wir Alle verächtlich werden, mögen nun seine Absichten ehrenvoll sein oder nicht. Mich schaudert bei dem Gedanken an das Letztere. Freilich habe ich wegen der Aufführung meiner Kinder nichts zu besorgen; doch glaube ich seines Charakters wegen Furcht hegen zu müssen.« Ich würde noch weiter geredet haben, doch wurde ich durch einen Diener des Gutsherrn unterbrochen, der uns nebst seiner Empfehlung ein Stück Wildpret schickte und uns sagen ließ, daß er an einem der nächsten Tage mit uns zu speisen wünsche. Dieses willkommene Geschenk sprach mächtiger zu seinen Gunsten, als irgend Etwas, was ich gegen ihn hätte sagen können. Ich schwieg daher und begnügte mich damit, sie auf die Gefahr aufmerksam gemacht zu haben, indem ich es ihrer eigenen Klugheit überließ, sie zu vermeiden. Die Tugend, die stets bewacht sein muß, ist der Schildwache kaum werth.


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