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Neues Mißgeschick.
Am nächsten Morgen ging die Sonne für die Jahreszeit mit besonderer Wärme auf, so daß wir überein kamen, auf der mit Geisblatt überwachsenen Rasenbank zu frühstücken. Als wir dort saßen, vereinte meine jüngste Tochter auf meine Bitte ihre Stimme mit dem Concert in den Bäumen um uns her. An dieser Stelle hatte meine arme Olivia ihren Verführer zuerst gesehen, und jeder Gegenstand diente dazu, ihre Traurigkeit zurückzurufen. Die Schwermuth aber, die durch fröhliche Gegenstände erregt oder durch harmonische Töne eingeflößt wird, besänftigt das Herz, anstatt es zu verletzen. Auch ihre Mutter fühlte bei dieser Gelegenheit eine angenehme Schwermuth, weinte und liebte ihre Tochter wie früher. »Thu' es, meine gute Olivia,« rief sie; »singe uns die kleine schwermüthige Arie, die Dein Vater so gern hört. Deine Schwester Sophie hat uns bereits etwas vorgetragen. Thu' es, mein Kind, es wird Deinem alten Vater angenehm sein.« – Sie willigte auf so leidende Weise ein, daß ich dadurch bewegt wurde.
Wenn sich ein holdes Kind zur Thorheit wendet
Und findet allzu spät, daß Männer trügen,
Gibt's keinen Zauber, der die Schmerzen endet.
Und keine Kunst, sich selber zu belügen?
Das einz'ge Mittel, ihre Schuld zu decken,
Reinheit sich vor den Menschen zu erwerben,
Und Reu in dem Verführer zu erwecken,
Sein Herz tief zu verwunden, ist – zu sterben.
Als sie die letzte Stanze schloß, welche dadurch einen besondern Ausdruck erhielt, daß wegen ihres Schmerzes ihre Stimmte unterbrochen wurde, beunruhigte uns Alle das Erscheinen der Equipage des Herrn Thornhill in einiger Entfernung. Besonders aufgeregt wurde meine älteste Tochter, die ihren Verführer zu vermeiden wünschte und mit ihrer Schwester in's Haus zurückkehrte. In wenigen Minuten war er aus dem Wagen gestiegen, kam zu der Stelle, wo ich noch saß, und fragte mit seiner gewöhnlichen Vertraulichkeit nach meinem Befinden. »Mein Herr,« versetzte ich, »Ihre gegenwärtige Zuversichtlichkeit dient nur dazu, die Niederträchtigkeit Ihres Charakters in ein helleres Licht zu stellen. Es gab eine Zeit, wo ich Ihre Frechheit, sich so mir zu zeigen, nachdrücklich würde gerügt haben. Doch jetzt sind Sie sicher, denn das Alter hat meine Leidenschaften abgekühlt, und mein Beruf legt mir Zwang auf.«
»Wahrhaftig, lieber Herr,« versetzte er, »ich bin über alles dieses sehr erstaunt, und verstehe nicht, was es bedeuten soll. Hoffentlich werden Sie doch nicht glauben, daß die kleine Reise, die ich kürzlich mit Ihrer Tochter angestellt, etwas Verbrecherisches an sich hat?«
»Geh,« rief ich, »Du bist ein Elender, ein armer jämmerlicher Wicht, und ein Lügner in jeder Bedeutung des Wortes; doch Deine Niederträchtigkeit sichert Dich vor meinem Zorn! Ja, Herr, ich stamme aus einer Familie, die dies nicht würde erduldet haben! Um eine augenblickliche Leidenschaft zu befriedigen, hast Du, niederträchtige Kreatur, ein armes Wesen auf Lebenszeit unglücklich gemacht und einer Familie ein Brandmal aufgedrückt, deren ganze Besitztum – Ehre war.«
»Wenn Ihre Tochter oder Sie entschlossen sind, unglücklich zu sein, so kann ich nicht helfen,« erwiederte er« »Doch Sie können noch glücklich sein, und welche Meinung Sie auch von mir hegen mögen, so sollen Sie mich doch stets bereit finden, dazu beizutragen. Wir können sie in kurzer Zeit an einen Andern verheirathen; und was noch mehr ist, sie kann ihren Geliebten beibehalten; denn ich versichere, ich werde nie aufhören, wahre Achtung vor ihr zu haben.«
Alle meine Leidenschaften werden bei diesem neuen entehrenden Vorschlage aufgeregt; denn wenn der Geist auch oft bei großen Beleidigungen ruhig bleiben kann, so macht doch kleinliche Niederträchtigkeit jederzeit einen tiefen Eindruck und regt zur Wuth auf. – »Geh aus meinen Augen, Du jämmerlicher Wurm!« rief ich, »verletze mich nicht mehr durch Deine Gegenwart! Wäre mein, wackerer Sohn zu Hause, der würde dies nicht, zugeben; doch ich bin alt, nicht im Stande, meine Glieder zu gebrauchen, und in jeder Hinsicht elend.«
»Ich sehe. Sie wollen mich nöthigen, in härterem Tone mit Ihnen zu reden, als es meine Absicht war,« rief er. »Doch da ich Ihnen gezeigt habe, was Sie von meiner Freundschaft zu hoffen haben, so mag es nicht unpassend sein. Sie aufmerksam zu machen, welches die Folge meiner Rache sein dürfte. Mein Sachwalt, dem ich Ihre Schuldverschreibung übergeben habe, droht mit strengen Maßregeln, und ich weiß nicht, wie ich den Gang der Gerechtigkeit verhindern soll, wenn ich nicht das Geld selber bezahle, was nicht so ganz leicht geschehen kann, da ich wegen meiner beabsichtigten Verheirathung seit Kurzem beträchtliche Ausgaben gehabt habe. Ueberdies droht mein Haushofmeister mit Auspfändung wegen des schuldigen Pachtzinses, und er muß wissen, was er zu thun hat, denn ich kümmere mich um dergleichen Angelegenheiten nicht. Bei alle dem wünschte ich Ihnen zu dienen, und würde es auch gern sehen, wenn Sie und Ihre Tochter bei meiner Hochzeit mit Fräulein Wilmot zugegen wären. Dies ist auch die Bitte meiner reizenden Arabella selber, der Sie es hoffentlich nicht abschlagen werden.«
»Herr Thornhill,« versetzte ich, »hören Sie mich ein für allemal. In Ihre Verheirathung mit irgend einer Andern, außer meiner Tochter, werde ich nimmer einwilligen, und könnte Ihre Freundschaft mich auf einen Thron erheben, oder Ihre Rache mich in's Grab senken, so verachte ich doch beide. Du hast mich einmal auf schändliche und unersetzliche Weise betrogen. Ich verließ mich auf Dein Ehrgefühl und habe Deine Niederträchtigkeit erkannt. Erwarte daher keine Freundschaft mehr von mir. Geh also und besitze, was das Glück Dir gegeben hat – Schönheit, Reichthum, Gesundheit und Freude. Geh und überlaß mich dem Mangel, der Schande, der Unruhe und der Sorge. So sehr ich auch gedemüthigt bin, wird mein Herz doch stets seine Würde behaupten; und wenn ich Dir auch verzeihe, so werde ich Dich doch stets verachten.«
»In diesem Falle,« erwiederte er, »können Sie sich darauf verlassen, daß Sie die Folgen dieser Unverschämtheit empfinden werden, und bald wird es sich zeigen, wer der passendste Gegenstand zur Verachtung ist. Sie oder ich.« – Mit diesen Worten entfernte er sich rasch.
Meine Frau und mein Sohn, die bei dieser Unterredung zugegen waren, schienen von Furcht ergriffen. Als meine Töchter bemerkten, daß er fort war, kamen sie heraus, um den Erfolg zu hören, und dann wurden sie eben so unruhig, wie die Uebrigen. Ich meines Theils trotzte seiner äußersten Bosheit. Er hatte bereits den Schlag ausgeführt, und ich stand gerüstet da, jedem neuen Ausfalle zu begegnen, gleich einem Instrumente, welches bei der Kriegskunst angewendet wird, und wenn es auch abgeschossen ist, doch noch eine Spitze hat, um dem Feinde zu trotzen.
Wir fanden indeß bald, daß er nicht vergebens gedroht hatte, denn schon am nächsten Morgen kam sein Haushofmeister, um das jährliche Pachtgeld zu fordern, welches ich in Folge der eben erzählten Ereignisse nicht zu bezahlen im Stande war. Die Folge meiner Zahlungsunfähigkeit war, daß mein Vieh an dem Abend weggetrieben und am nächsten Tage taxirt und unter der Hälfte des Werthes verkauft wurde. Meine Frau und meine Kinder baten mich jetzt, lieber alle Bedingungen einzugehen, als mich dem gewissen Untergange auszusetzen. Sie baten mich sogar, noch einmal seinen Besuch zu gestatten, und wendeten all ihre Beredsamkeit an, mir das Ungemach zu schildern, welches ich würde zu erdulden haben: die Schrecken eines Gefängnisses in der jetzigen rauhen Jahreszeit, nebst der Gefahr, die meiner Gesundheit drohte, wegen der beim Feuer erlittenen Beschädigung. Doch ich blieb unbeugsam.
»Warum, meine Lieblinge,« rief ich, »warum wollt Ihr mich zu dem zu überreden suchen, was nicht recht ist? Meine Pflicht hat mich gelehrt, ihm zu vergeben; doch mein Gewissen erlaubt mir nicht, seine Handlungsweise zu billigen. Sollte ich vor der Welt dem Beifall geben, was mein Herz innerlich verdammt? Sollte ich mich zur Ruhe geben und dem schändlichen Verführer schmeicheln, und um das Gefängniß zu vermeiden, die noch ärgeren Qualen meines Gewissens erdulden? Nein, nimmermehr. Sollte man uns auch aus dieser Wohnung führen, so laßt uns doch am Rechten festhalten; denn wohin wir auch, mögen gebracht werden, so können wir uns dann doch immer in ein liebliches Gemach zurückziehen, wenn wir unerschrocken und freudig in unsere eigenen Herzen blicken können.«
Auf diese Weise brachten wir den Abend zu. Da in der Nacht viel Schnee gefallen war, beschäftigte sich mein Sohn früh am Morgen damit, ihn hinwegzuräumen und einen Gang vor der Thür zu öffnen. Er war noch nicht lange auf diese Weise beschäftigt gewesen, als er ganz blaß hereinstürzte und uns sagte, daß zwei Fremde, von denen er wisse, daß es Gerichtsdiener wären, auf das Haus zukämen.
Als er noch redete, kamen sie herein, näherten sich dem Bette, worin ich lag, sagten mir, wer sie wären, nahmen mich gefangen und befahlen mir, ihnen in das Gefängniß der Grafschaft zu folgen, welches elf Meilen entfernt war.
»Meine Freunde,« sagte ich, »Ihr kommt bei schlechtem Wetter, um mich ins Gefängniß zubringen, und es trifft sich besonders unglücklich, da mein Arm vor Kurzem beim Feuer schrecklich verbrannt ist. Ich liege gerade im Fieber, und es fehlt mir an Kleidern, um mich gehörig gegen die Kälte schützen zu können. Auch bin ich jetzt zu schwach und zu alt, um in so tiefem Schnee weit gehen zu können; doch wenn es sein muß –«
Dann wendete ich mich zu meiner Frau und meinen Kindern und befahl ihnen, die wenigen Sachen, die uns noch übrig geblieben wären, zusammenzubringen und sich sogleich bereit zu machen, diesen Ort zu verlassen. Meinen Sohn bat ich, seiner ältesten Schwester beizustehen, die in dem Bewußtsein, daß sie die Veranlassung all dieses Ungemaches sei, in Ohnmacht gefallen war und das Bewußtsein ihres Leidens verloren hatte. Ich suchte meine Frau zu beruhigen, die blaß und zitternd unsere beiden erschreckten Kleinen in die Arme drückte, und die sich fest an sie anschmiegten und sich fürchteten, die Fremden anzusehen. Inzwischen traf meine jüngste Tochter Vorbereitungen zu meiner Abreise, und da ihr wiederholt gesagt wurde, daß sie eilig zu Werke gehen möge, so waren wir etwa in einer Stunde zu gehen bereit.