Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Drittes Kapitel.

Auf der Sandbrücke.

Der Mond stand hell über den beiden Domthürmen, als Arthur in's Freie trat. Die Kreuzkirche lag wie ein steinernes Räthsel tief im Schatten – mächtig aber ragte die Kirche des Stiftes St. Mariä, auf deren schlanken, hohen Fenstern das Mondlicht spielte, jenseits des Oderarmes empor. Arthur wollte in die Stadt zurückkehren; doch erst als er vor der Sandbrücke stand und gegenüber die Mauer mit den hohen Defensionsthürmen erblickte, welche sich längs des Stromes bis zur Burg hinzog: da fiel es ihm ein, daß er die Stunde der Thorsperre bereits versäumt habe, und in der That zeigte ihm schon der Mangel an jedem Verkehr auf der Brücke, daß das Sandthor bereits geschlossen sei.

Die Schatten, welche die hohen Thor- und Mauerthürme im Mondschein warfen, fielen in die Fluten 26 der Oder, in denen nur noch einzelne Eisschollen schwammen. Das freigewordene Gewässer, das voll Lebenslust daherrauschte, schien einen frischen Frühlingsodem auszuhauchen. Das ängstliche Knirschen des brechenden Eises, das Reiben und Stoßen der über einander gethürmten Platten, die sich gegenseitig oder an den Ufermauern zerschmetterten, hatte einem lustigen Plätschern Platz gemacht, wenn sich irgend eine Scholle an den Brückenpfeilern emporbäumte und dann wieder in die Fluth zurücksank. Das Wasser ging hoch und war, wie Arthur deutlich sehen konnte, jenseits des Ziegelthores über seine Ufer getreten.

Nichts unterbrach die feierliche Stille des Abends. Die Waffen der Stadtguardia blitzten drüben auf den Thürmen, – in kleinen Schifferhütten diesseits der Oder schimmerten zerstreute Lichter. Da erschien es Arthur, als höbe sich etwas auf der Brücke empor, das einem lebenden Wesen ähnlich sehe. Da es nicht aus dem Strom emporgestiegen sein konnte, so mußte es früher auf der Brücke gekauert haben; denn hier war kein Pfeiler, kein Heiligenbild, das einen Versteck dargeboten hätte. Unheimlich huschte es hin und her, und schien die Hände zu ringen. Gerade brach der Mond durch eine ziehende Wolke hindurch – und Arthur glaubte, weibliche Züge zu erkennen; ja in der Verklärung des Mondlichtes trat ihm in 27 den krampfhaft gen Himmel gewendeten Augen, in den schmerzlich gefalteten Händen das Bild einer mater dolorosa entgegen.

Doch die Wolke flog wieder vor den Mond; aus dem Strom schwand die breite Helle seines Wiederscheines; eine verspätete Riesenscholle, ein kleines Eisfeld, das gerade den Brückenpfeilern zuschwamm, ward zur grauen, todten Masse, während es vorher wie ein silberverziertes, demantfunkelndes Schild im Mondeszauber von den Wellen getragen wurde.

Da sah Arthur, wie die Gestalt sich hoch aufrichtete, sichtlich wuchs, an dem steinernen Geländer emporkletterte! Dann stand sie einen Augenblick oben, wie ein steinernes Madonnenbild, regungslos! Plötzlich, ihr Gesicht in den Händen verbergend, schwang sie sich hinunter in die Fluth.

Rasch stürzte Arthur ans Ufer, band einen Schifferkahn von seinem Uferpflocke los, und es gelang ihm, zwischen zwei Eisfeldern hindurchzurudern und das von den Wellen emporgetragene, gleichsam abgelehnte Opfer am Gewande zu fassen und in den Kahn zu ziehen. Besinnungslos, mit triefenden Locken lag das bleiche Mädchen vor ihm, während er mit einer mächtigen Scholle kämpfte, die den Kahn mit gewaltigem Ruck ans Ufer warf.

28 Dort war es inzwischen lebendig geworden. Die Schiffer hatten den ungewohnten Ruderschlag vernommen und waren mit ihren Frauen herbeigeeilt, welche neugierig, die flackernden Lichter in den Händen, auf das befremdliche Schauspiel blickten. »Eine Ertrunkene« – flüsterte und schrie es durcheinander – »bringt sie zur Mutter Leuschnern – die weiß Rath für Alles.«

Als sich auch zwei verständige alte Schiffer dafür aussprachen und Arthur erfuhr, daß die Wohnung der Frau ganz in der Nähe sei, gab er gern seine Zustimmung.

Der Zug setzte sich in Bewegung; das Mädchen wurde von zwei Frauen getragen – es ging die Oder entlang. Bald hielt man vor einem alten, rußigen Häuschen, mit zwei vorgebauten Flügeln. Eine morsche Treppe führte zu einer verräucherten hölzernen Gallerie, zwischen deren Pfeilern gewaschene bunte Kleider zum Trocknen hingen.

Mutter Leuschner kam mit einer Kienfackel in der Hand sehr rasch dem Zuge entgegen. Der plötzliche Einbruch schien ihr ungelegen zu kommen; sie wollte dem Gesindel aus dem Ufergäßchen bereits einen scheltenden Gruß entgegenrufen, als ihr Blick auf das bleiche Gesicht des regungslosen Mädchens und auf den schmucken Junker fiel, der sich eben durch die 29 Männer und Frauen durchdrängte, um das Wort zu ergreifen. Augenblicklich beruhigte sich der Zorn der gefürchteten Frau; denn sie sah, daß dieser Fischzug doch nicht so unergiebig sein werde, wie sie anfangs befürchtete.

»Laßt mich allein mit dem Mädchen – und zwei Frauen zur Hilfe – ich werde Alles versuchen, sie in's Leben zurückzurufen,« rief sie mit gebietender Geberde, als sie erfahren, um was es sich handelte. Die Schiffer gehorchten und griffen zum Abschiedsgruß an ihre Mützen. Arthur bemerkte jetzt erst mit Erstaunen das auffallend bunte Kleid, welches die hohe, aber gebeugte Gestalt der greisen Frau verhüllte und sogar in malerische Falten geworfen war. Ihre scharfe Adlernase, die dicken, buschigen Brauen, unter denen große, durchbohrende Augen hervorblickten, machten sie zu einer unter der Menge hervorragenden Erscheinung. Sie stimmte ihre männlich barsche Stimme zu den sanftesten Tonschwingungen herab, als sie den edlen Junker mit den folgenden schmeichlerischen Worten anredete: »Sie haben ein gutes Werk gethan, gnädiger Herr, ich will Alles aufbieten, daß Ihre That keine fruchtlose sei. Doch Sie können nicht anwesend sein, wenn ich meine Rettungsversuche mache. Treten Sie dort in das Gemach – Sie finden einen edeln Herrn, der sich freuen wird, Gesellschaft zu erhalten.«

30 Frau Leuschner trat in ein Cabinet links von der Gallerie, in welches die beiden Frauen bereits das Mädchen gebracht. Arthur öffnete auf der anderen Seite des Pfeilerganges eine Thüre und blickte in ein von Tabaksqualm ganz verhülltes Zimmer, das sich lang hinzog, dessen Breite aber durch zeltartige Vorhänge an beiden Seiten verdeckt wurde. Dicht an der Thüre auf einem Lehnstuhle vor einem rohen Holztische saß eine riesenhafte Gestalt, von welcher der Tabaksqualm ausging und die mit Händen und Füßen den Takt zu einem, im tiefsten Baß vorgetragenen Liede schlug. Vor ihr standen, wie im magischen Kreise, eine Kaffeemaschine, ein Glas mit Kaffeesatz, eine Krystallglocke, eine Sanduhr, ein Würfelbecher, und einzelne Karten lagen in gleichmäßigen Entfernungen nebeneinander. Als die Thüre aufging, drehte sich der gewaltige Sänger auf dem ächzenden Sessel um, und Arthur blickte in das sanftgeröthete Vollmondsgesicht eines guten Bekannten, des ehrenwerthen Hans Leopold von Schweinichen, der zu jenen Unvermeidlichen gehörte, die ihm überall auf seinen Lebenswegen begegneten, ohne daß eine geheimnißvolle Sympathie der Seelen diese Begegnung hervorgerufen hätte.

Die Allgegenwart dieses landbekannten Junkers war eine unglaubliche – und so gerieth Arthur auch nicht einmal in sonderliche Verwunderung, als er hier 31 in diesem verlorenen Winkel des Schifferviertels auf die stattliche Fleischmasse stieß, deren Eigenthümer zu den lustigsten Wandervögeln des schlesischen Landes gehörte. Die Abenteuer, welche Hans Leopold von Schweinichen in einem bewegten Leben durchgemacht, waren bunter und zahlreicher, als diejenigen, welche sein Ahnherr der Nachwelt überliefert hat: ihm fehlte es nur an Zeit und Lust, eine Feder in die Hand zu nehmen und seine Erlebnisse zu Nutz und Frommen der künftigen Geschlechter aufzuzeichnen. Auch war die Rolle, die er selbst dabei spielte, nicht immer eine so glänzende, daß sie ihn verlockt hätte, seine Unsterblichkeit herbeizuwünschen. Er war stets mit der Gegenwart zufrieden, wenn sie ihm nur erlaubte, sein sterblich Theil nach Gebühr zu pflegen, und wenn des Lebens bitt're Noth nicht zu himmelschreiend aus den Löchern eines abgeschabten Rockes blickte.

»Bist Du's denn wirklich, Seidlitz?« rief er dem eintretenden Junker entgegen, »oder bist Du nur eine Geistererscheinung, welche die alte Hexe herbeigezaubert hat? Auf welchem Hexenbesen bist Du hierhergeflogen? Ich muß mir die Augen reiben, denn hier geht Alles nicht mit rechten Dingen zu! Laß Dich anfühlen, ob Du von Fleisch und Blut bist! Ja, bei meiner seligen Großtante, die mir nichts vererbt hat und die ich deshalb stets im Munde führe, wenn mir die 32 schlimmsten Flüche ausgegangen sind, Du bist der Arthur von Seidlitz, wie er leibt und lebt, ganz das schmucke Muttersöhnchen, glatt und zart wie Sammet und schlank, wie ein Gardist des Königs von Preußen.«

»Das ist Alles Gaukelei. Hans Leopold,« rief Arthur mit feierlicher, tiefer Stimme, »wer sagt Dir denn, daß ich eine leibhaftige Gestalt und nicht eine geisterhafte Erscheinung bin? Das wär' eine schlechte Zauberin, die es der Natur nicht gleich thäte! Und wer sagt mir, ob Du selbst nicht ein aus der Zauberlaterne herausgeflogener Schatten bist, ein Schatten freilich, der einem kolossalen Körper täuschend ähnlich sieht, ein Schatten, der sehr viel Platz braucht und der den andern in der Unterwelt ihre Unsterblichkeit sehr unbequem machen müßte; denn Du sitzest mitten darin im Hexen-Einmaleins – und wie kommst Du überhaupt auf natürlichem Wege hierher?«

»Das will ich Dir sagen, Herzensjunge,« entgegnete Hans Leopold, indem er den Holztisch mit einem tüchtigen Ruck beiseite schob und sich aufrichtend die ganze Höhe und Breite seiner gewaltigen Gliedmaßen zeigte, »ich hab' kein Glück mehr in der Welt! Die verwünschten Karten lassen mich im Stich; von meinen reichen Verwandten stirbt einer nach dem andern; doch alle leiden schon vorher an einer so unglaublichen Gedächtnißschwäche, daß sie mich in ihrem Testament 33 vergessen. Ich wünsche ihnen jetzt allen Methusalems Alter, denn es hilft mir gar nichts, wenn sie so rasch dahin sterben, wie die mit Arsenik gefütterten Ratten – ich gehe doch leer aus. Auch meine beiden besten Onkel, denen ich bisher meine vollste Zufriedenheit zu Theil werden ließ, ziehen jetzt ein süßsaures Gesicht, wenn ich mit klingendem Spiel in ihren Festen einrücke. Früher war ich der gute, der lustige, der köstliche Hans Leopold – jetzt Falten auf der Stirn, die Mütze über's Ohr gerückt, die Hände auf dem Rücken: was, da kommt der Hans schon wieder? Als ob so ein köstlicher lustiger Hans zu oft kommen könnte! Die Welt hat sich gedreht und mein Glück dazu! Da kam ich auf den Gedanken, einmal nachzuforschen, woran's denn liegt, daß mich das Glück verlassen hat, und ob's mir nicht bald wieder einmal lächeln wird; denn diese verwünschten Mucken auszuhalten, dazu gehört mehr Geduld, als ich besitze. So besuchte ich diese würdige Frau hier, eine Wahrsagerin, die ihr Handwerk gründlich studirt, die sehr vielen Freunden ihr Schicksal vorausgesagt hat, um zu erfahren, wie's mit meiner Zukunft aussieht.«

»Es ist gefährlich, ihren Schleier zu lüften! Eine strafbare Neugierde! Doch was hat sie Dir prophezeit?«

»Meine nächste Zukunft ist leider! sehr dunkel. Die Frau konnte nicht recht klar darüber sehen; doch 34 ich erscheine sehr geduckt, krieche aus einem Schlupfwinkel in den andern, und selbst mein Costüm zeigt lauter geplatzte Näthe!«

»Das hat sie gesehn?«

»Ja, ungefähr – es ist nicht viel Wesens davon zu machen. Sie sah mich da im Krystallglas – ich hab' das alles ohne Glas gesehn, indem ich den Blick auf mein armes Selbst richtete. Dabei ist nichts Wunderbares, das geht mit natürlichen Dingen zu.«

»Und das Wunder kommt nach?«

»Ja, denn die Nebel im Glase zertheilten sich, mein Stern leuchtete wieder – denke Dir, Herzensjunge, mein Stern, bisher der schönste Irrwisch, der je in eine Pfütze heruntergegaukelt. Sie sah mich in einer stattlichen Uniform; doch es war nicht die unsrige – blau, meer- oder himmelblau – was weiß ich – über meinem Haupt schwebte ein Adler. Sie wollte eben näher nachsehn, was dieser Vogel über meinem Haupte wolle, denn aus meinem Wappen war er nicht herausgeflogen; unser ehrliches Schwein hat keine Flügel – da kam der Lärm im Hause, die Störung, und ich werde fortgehn, ohne zu erfahren, wie ich gerade zu einem Adler komme, während meine ganze Familie sich mit einem Vierfüßler begnügen muß. Doch nun erzähle mir, was Dich herführt? Wenn nur die Alte ein Glas ›Schöps‹ im Keller 35 hätte – wir würden unser Wiedersehen würdig feiern können.«

Arthur erzählte seine letzten Begegnisse, während der breitschultrige Junker ein leckeres Schmunzeln nicht verbergen konnte, bei dem Gedanken, ein so anmuthiges weibliches Wesen aus dem Wasser zu ziehn und in seinen Armen zu halten. Ja seine Phantasie folgte der Wahrsagerin in das Nebengemach und war eifrig damit beschäftigt, alle Versuche anzustellen, durch welche der Funken des Lebens in dem halbentseelten Körper wieder erweckt werden konnte.

Eben trat indeß Frau Leuschner herein mit der frohen Kunde, daß ihre Tränke und warmen Tücher Wunder gethan und daß das Mädchen eben die Augen aufgeschlagen. Arthur folgte ihr, während er mit vieler Mühe den dicken Freund zurückhielt, der an diesem freudigen Ereigniß auch seinen Theil haben wollte.

Ein spärliches Lampenlicht erhellte das düstere Gemach, in welchem das Mädchen auf ärmlichem Lager ausgestreckt lag. Als sie die Annäherung eines Fremden merkte, richtete sie sich zum ersten Male empor, indem sie ängstlich die Decken um ihren schlanken Körper zog. Arthur sah in ein bleiches, feines Gesicht, lange Augenwimpern legten sich schwärmerisch über tiefblaue Augen und hoben sich schwer und 36 mühsam empor, als wenn es gälte, einer neuen Gefahr entgegen zu sehn, während sie vergeblich allen Gefahren der Erde zu entrinnen gehofft. Dann aber senkten sie sich wieder, wie voll Ergebung in das Unvermeidliche. Frau Leuschner unterließ es nicht, mit pomphaften Worten dem Mädchen seinen Lebensretter vorzustellen.

»Ich kann Ihnen nicht danken,« flüsterte diese, indem sie regungslos mit geschlossenen Augen dalag.

»Doch wie kann ich Ihnen weiter helfen?« frug Arthur. »Wo ist Ihre Heimath?«

»Ich habe keine!«

»Ihre Verwandten, Ihre Freunde –«

»Nichts von meinen Freunden! Sie erlauben mir, zu schweigen. Ich bin müde, sehr müde!«

»Es wäre in der That grausam,« rief Arthur, »heute Ihre Ruhe zu stören. Ich frage nicht aus Neugierde, sondern um Ihnen helfen zu können. Doch zunächst bedürfen Sie der sorgsamen Pflege! Vielleicht erfahr' ich ein anderes Mal, was ich für Sie thun kann.«

»Nichts – nichts, mein Herr! In den Fluten der Oder war mir's wohl.«

Arthur machte eine stumme Verneigung. Dann gab er der Wahrsagerin eine volle Geldbörse: »Pflegen Sie mir das arme Kind gut – bezahlen Sie eine 37 Frau, welche nicht von seinem Lager weicht! Vielleicht bringen die nächsten Tage uns eine Aufklärung über sein Geschick!«

Frau Leuschner wog die volle Geldbörse und zeigte sich zufriedengestellt durch den Erfolg und sehr bereitwillig, die Wünsche des Junkers zu erfüllen. Inzwischen hatte sich Hans Leopold im Zaubergemache einer tollen Lustigkeit hingegeben. – Tische und Stühle schienen hin und her zu fliegen und die Dielen dröhnten. Die schwerwuchtige Masse wälzte sich in einem Tanze umher, der den ganzen Apparat der Wahrsagerin und das baufällige Haus selbst bedrohte. Voll Angst um ihre Krystallgläser und Kaffeemaschinen fuhr Frau Leuschner mit gerechter Entrüstung in ihr entweihtes Boudoir, in dessen Zauberkreise der, wie ein barbarischer Waldmensch einhertrottende Gast eine verderbliche Verwirrung zu bringen drohte. Doch das ausnehmend gutmüthige Lächeln, welches um die Lippen Hans Leopolds spielte, und das Behagen, das kein Mißgeschick in diesen vollen und fetten Zügen auslöschen konnte, entwaffnete den Zorn der Wirthin.

»Ihr Geschirr ist in Sicherheit, beste Frau,« rief ihr der Tänzer athemlos entgegen, indem er sich in etwas langsameren Cirkeln drehte und auf den bei Seite geschobenen Tisch und auf das Fensterbrett zeigte, wo die verschiedenen Zaubergeräthschaften in 38 bunter Reihe aufgestellt waren; »ich mußte mir etwas Bewegung machen; mir war heute so schwer zu Muthe, das Leben ruhte wie ein Alp auf mir. Das kennt Ihr nicht, Kinder! Um diese Art von Melancholie zu begreifen, muß man mehr als zweihundert Pfund wiegen. Ach! Die Erde ist eine große Seufzerbrücke, und wer weiß, ob sie unsereins nicht unter die ewigen Bleidächer führt.« Bei diesen Worten trocknete sich Hans Leopold den Schweiß von der Stirne. »Lassen wir für heute die Zauberei, Alte! Ich habe Glück genug, ich habe einen guten Freund gefunden! Wohin denn nun, Seidlitz, um unser Wiedersehen zu feiern?«

»In meine Wohnung kann ich nicht zurück,« entgegnete Arthur, »die Thorsperre –«

»So bleib' bei mir hier draußen als Schlafkamerad! Ich hab' ein Zimmerchen hier draußen auf dem Elbing! Es ist dies eine besondere Vergünstigung, die man meiner Liebenswürdigkeit zu Theil werden läßt; denn ich mache niemals Miethscontracte, das ist gegen meine Grundsätze! Du findest zwar keine geschmackvolle Ausstattung, nur nackte Wände, einen Stiefelknecht und die Denkwürdigkeiten meines Ahnherrn, die ich mir jeden Abend unter das Kopfkissen lege. Doch heute sollst Du auf diesem geistreichen Kopfkissen schlafen; ich werde schon Platz finden. Komm, komm, bester Freund! Auch ein Glas 39 Jesuiterbier soll Dich erquicken – und Geschichten – Du glaubst gar nicht, was ich wieder erlebt, seit wir uns nicht gesehen, was ich zu erzählen weiß! Wenn Du Dich einen Augenblick bei mir langweilst, so will ich, wie das biblische Kameel, durch ein Nadelöhr kriechen.«

Schweinichen faßte Arthurs Arm, dem diese Gastfreundschaft heute durchaus nicht unwillkommen war, und der, nachdem er noch einmal der Wahrsagerin die aufmerksamste Sorge für das arme, ihr anvertraute Geschöpf an's Herz gelegt, mit dem lustigen Gefährten fortwanderte, nicht ohne daß dieser sich mit seinem kolossalen Schatten im Mondschein neckte und mit ihm das sonderbarste Zwiegespräch führte, welches die Kirche Unserer lieben Frauen auf dem Sande je belauscht hat. 40

 


 


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