Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Der Deserteur.

Schon am frühen Morgen nach der Flucht sollte sich Anastasius an das Sandthor begeben, um gleich nach Oeffnung desselben seinen Freund, den Darsteller des Nominativus, aufzusuchen, welcher auch glücklicherweise im Besitze zweier Anzüge war und so den Deserteur mit einem derselben aus der Noth helfen konnte. Er ließ sich von dem Genossen indeß eine feierliche Bescheinigung aufsetzen, in welcher ihm im Namen des Paters Maurus ein vollständiger Ersatz für den hergegebenen Anzug durch den Orden verheißen wurde. Nachdem der lange »Nominativus« sich in solcher Weise gefällig gezeigt hatte, nahm er den unterbrochenen Morgenschlaf wieder auf und streckte sich, mit dem Bewußtsein ein gutes Geschäft gemacht zu haben, behaglich in seinem Bette.

309 Anastasius kehrte in die unterirdische Kirche zurück, welche die drei Fräulein inzwischen verlassen hatten. In ihre Wohnungen sich zu begeben wagten sie nicht aus Furcht, daß ihnen dort schon preußische Bajonnete entgegenblitzen möchten; tiefverschleiert gingen sie zu Freundinnen in die Stadt hinüber, um sich so rasch wie möglich zur Fahrt in die Provinz zu rüsten, die sie noch an demselben Tage antraten.

Für Peter Pokorny war der große Augenblick gekommen, wo er die Uniform des Königs, die verhaßte Sclavenjacke, ablegen konnte; es war ihm zu Muthe als ob eine Centnerlast von ihm genommen wäre, als er sich in der bequemen Gewandung hinundherbewegen durfte; er hatte ein ungewohntes Gefühl von Freiheit, und die dumpfen Gedanken an Spießruthen und ähnliche Auszeichnungen, welche sich gerade an die stattliche Uniform knüpften, waren auf einmal ganz aus seiner Seele verschwunden; er beseitigte auch den strammen soldatischen Zopf, und fühlte sich durchaus wie neugeboren. Unten in der Krypta befand sich eine zu einer Gruft bestimmte Oeffnung, die aber nur mit allerlei Steinschutt angefüllt war. Hier begrub der Grenadier seine Uniform mit allem Zubehör auf immerdar. Jetzt sorgte Anastasius dafür, daß eine Miethskutsche mit möglichst undurchsichtigen Fenstern an der Nepomuksäule 310 hielt; der Pater und sein Famulus, der Grenadier und der Kreuzherr stiegen hinein und fuhren nach der Burg, wo den Gästen alsbald Pater Nikolaus zwei mit allem nöthigen Comfort ausgestattete Zellen anwies.

Der würdige Pater, aus dessen Zügen, mehr als früher, ein durch Kampf errungener Seelenfrieden sprach, hatte inzwischen mit seinem Gefangenen einen Bund inniger Freundschaft geschlossen, ohne daß es ihm gelungen wäre, durch seinen Einfluß im Orden ihm die Freiheit zu verschaffen. Einzelne kleine Milderungen der Haft zwar hatte er durchzusetzen vermocht; sonst aber erwies sich das eiserne Gesetz, das die Genossenschaft beherrschte, stärker als der Wille des Einzelnen; ja Pater Nikolaus hatte allen Grund, derartige Bitten und Wünsche nicht mehr als einmal vorzutragen, um nicht in den Verdacht einer unzeitigen Theilnahme an dem Geschick eines Ketzers zu gerathen und so von jedem Verkehr mit demselben abgeschlossen zu werden.

Er hatte von Maurus die Abenteuer des letzten Abends und der letzten Nacht erzählen hören; die Mittheilung, daß der Deserteur, dem die Verschworenen ihre Befreiung verdankten, in früherer Zeit von preußischen Werbern nach Potsdam geschleppt worden sei, hatte ihn auf einmal in die höchste Aufregung 311 versetzt; er konnte den Augenblick nicht abwarten, wo seine Ordenspflichten ihm erlaubten, den Soldaten in seiner Zelle aufzusuchen. Mit pochendem Herzen öffnete er die Thüre; Peter war gerade mit einem behaglichen Frühstück beschäftigt. Das Gefährliche seiner Lage machte ihm kein Kopfzerbrechen; er dachte nicht vorwärts, nicht zurück; die Männer aus dem Volk haben mit den so vielfach bedrohten Geschöpfen des Thierreichs die glückliche Gabe gemein, nur für den Augenblick zu leben. Daß es einen König von Preußen, Spießruthen und Galgen gab, das störte den Grenadier nicht in dem seltenen Genuß des vor ihm stehenden Rebentrankes, den er mit Wohlgefallen schlürfte.

Der Pater blieb wie festgebannt an der Thür stehen, er hatte den Fremden bei dem Eintritt in das Kloster wenig beachtet; jetzt sah er prüfend in seine Züge; alte Erinnerungen belebten sich. Der starre Ausdruck, die Wirkung eines gleichmäßigen, seelenlosen Gehorsams, täuschte ihn nicht darüber, daß es derselbe junge Mann war, dem er einst an der böhmischen Grenze die Hand gedrückt hatte.

Peter ließ sich, nach einem freundlichen Gruß, im Essen und Trinken nicht stören. Den Pater aber befiel ein Gefühl unnennbarer Wehmuth; es war einer jener Augenblicke, in denen sich gleichsam das ganze, 312 durch lange Jahre sich ergießende Menschenleben zu einem zeitlosen Kern verdichtet . . ein Kern, dessen Inhalt der Schmerz ist über die Vergeblichkeit des Daseins, das liebevolle Mitleid mit allem Erschaffenen und segnende Liebe! Es war sein Sohn . . . und jeder seiner Gedanken, jede seiner Empfindungen war ein Segensspruch über das Haupt desselben; wie gern hätte er das eigene Leben geopfert, ihn zu schützen, ihn glücklich zu machen! Welche Verantwortlichkeit für das Herz eines Vaters, das gefährdete Leben eines Sohnes, den er schutzlos in die Welt hinausstoßen mußte! Und was war dies Leben? Unfreiwilliger Dienst im Feindeslager und eine bedrohte Flucht! Und er durfte nicht einmal diesen Sohn mit Thränen der Liebe an das Herz schließen!

Ihm war's, als zöge ein Hauch der ewigen Liebe durch sein Herz! So ruht Gottes Vaterauge auf den Geschicken seiner Menschen; die weite Linie von der Wiege bis zum Grabe rinnt ihm zusammen zu einem Punkt . . . dem Brennpunkt seiner Liebe! Doch das ist nicht der bärtige Gottvater der Kirchenbilder, das ist ein Gott, nur lebendig in dem aus unfaßbaren Tiefen aufsteigenden Gefühl.

Peter klapperte und klirrte indessen mit Gabeln, Messern und Gläsern . . . dies war auch eine Seligkeit. Kein ahnungsvoller Zug kündigte ihm, wie hier 313 ein Herz für ihn schlug . . und zwar das einzige Herz auf Erden. Einer auf der Potsdamer Wachtparade abgehärteten Soldatennatur kommt keine Ahnung an.

Mit einer Thräne im Auge schritt der Pater auf ihn zu und reichte ihm die Hand; jetzt erhob sich Peter wie fragend; so warme Theilnahme berührte ihn allzu fremdartig.

»Ihr kennt mich nicht mehr,« sagte Nikolaus, »ich sprach Euch einmal in Sachsen, ehe Ihr von den preußischen Werbern, wie ich später erfahren, geraubt wurdet; ich brachte Euch damals Grüße aus dem schönen Böhmerland!«

»Ja, ja,« erwiederte Peter, »Eure Züge kommen mir bekannt vor; ich besinne mich auf jenen Tag, es war der letzte schöne Tag meines Lebens!«

»Und habt Ihr viel ausgestanden seitdem?« fragte der Pater.

»Oft verwünscht' ich das ganze Leben! Ich kam mir oft vor wie der Riese in der Meßbude, dort in der Potsdamer Meßbude, wo die große Riesenausstellung vor ganz Europa stattfand. Alles auf Befehl, gehen und stehen, wachen und schlafen, leben und sterben . . .«

»Ihr seid jetzt frei, doch um den Preis der Lebensgefahr! Ihr sollt nach Böhmen zurückkehren.«

314 »Nach Böhmen, dem schönen Lande der Heiligenbilder? Unser Heiligenbild in Potsdam ist das des Königs auf der kupfernen Münze.«

»Ihr werdet Papiere erhalten,« fuhr der Pater fort, »die Euch für einen unserer Schüler ausgeben; ich werde Euch selbst nach Gitschin empfehlen; dort wird sich wohl ein Posten als Aufseher und Pförtner im Collegium für Euch finden. Anastasius wird Euch begleiten; er hat einen Auftrag an den Wärter des Profeßhauses dort; er ist klug und gewandt, folgt nur seinem Rath! Eure Schicksale werdet Ihr den Vätern dort mündlich erzählen . . bis dahin sind sie ein Geheimniß, das Ihr in tiefster Brust bewahren müßt!«

Peter versprach, wieder eifrig mit Kauen und Essen beschäftigt, diesen Weisungen nachzukommen. Je größer die Gemüthsruhe des Soldaten war, desto größer wurde die Angst des Paters.

»Um's Himmelswillen, daß Euch kein Unglück widerfährt! Ihr seid nicht vorsichtig genug, bedenkt, Euer Leben steht auf dem Spiel! Vermeidet die Heerstraßen, auf denen die Preußen marschiren, die Orte, wo sie Quartier nehmen! Seid doppelt vorsichtig, wenn Ihr durch ihre Linien hindurch müßt, um nach den Bergen zu gelangen! O ich flehe alle guten Engel an, daß sie ihre Fittige über Dich breiten, mein Sohn!«

315 Pokorny ließ Messer und Gabel sinken und faltete die Hände; denn die Anrede des Paters hatte jenen priesterlichen Ton, der ihm seit den Zeiten seiner Kindheit Ehrfurcht einflößte.

Pater Nikolaus hatte indeß noch mehrere Tage hindurch Zeit, sich mit seinem Sohne zu beschäftigen; denn die beabsichtigte Sendung nach Gitschin, mit welcher Anastasius beauftragt war, hatte unerwarteten Aufschub gefunden; auch suchte man im Kloster noch genauere Nachrichten über die Stellung der Preußen einzuziehen. Der Pater fand, daß unter der rauhen Schale, welche ein Leben voll Abhärtung und Grausamkeit bei dem Sohne hervorgerufen, als einer Art von Nothwehr der Seele, ein Kern von weicher, fast kindlicher Empfindung vorhanden war, die sich als ein Heimweh nach einigen traumhaft beleuchteten Landschaften seiner Jugenderinnerungen aussprach! Freilich, sonst war es tiefe Nacht in seinem Geiste; er bewegte sich nur auf fremden Antrieb; des eigenen Willens Räderwerk in ihm war gänzlich eingerostet; er dürstete danach, einen Befehl zu empfangen, weil sonst sein Leben stillzustehen drohte und kaum gingen seine Gedanken und Wünsche hinaus über das tägliche Lebensbedürfniß und dessen Befriedigung. Das erfüllte des Vaters Sinn mit tiefem Schmerz! So dumpfes Hinbrüten erschien ihm nicht als würdiges 316 Leben! Der Mensch als Maschine . . . gab das nicht den frevelnden Ketzern Recht? Freilich, wie verwüstend für das Herz die Kämpfe des Gedankens und Glaubens seien, das hatte er selbst schmerzlich genug empfunden; doch lieber hätte er seinen Sohn verstrickt gesehen in den schmerzlichsten Kampf, als umkommen in geistiger Oede und Unbildung.

Ueber alle seine Freuden und Schmerzen sprach er sich mit dem Gefangenen aus, bei dem er auf die wärmste Theilnahme rechnen konnte. Nicht nur hatte Emanuel für jedes menschliche Empfinden ein mitfühlendes Herz; er befand sich ja in ganz gleicher Lage mit dem Pater; denn durch Vermittelung des Letzteren, der hiermit seinen Pförtnerpflichten treulos geworden, war ein Briefchen ohne Namensunterschrift in seine Hände gelangt, mit den verheißungsvollen Worten: »Deine Tochter lebt! Du wirst sie bald wiedersehen!« Agnes von Walmoden hatte ihm diese Zeilen geschickt, auf's Geradewohl und mit geringer Hoffnung, daß sie in seine Hände gerathen würden; aber dies Täubchen mit dem Oelzweig war in seinen Kerker geflattert und hatte ihm auf rauher Lagerstatt sanfte Träume geschenkt.

So sprachen die beiden Männer, die sich einst als erbitterte Feinde gegenüberstanden, in herzlichem Austausch ihre Hoffnungen und Befürchtungen aus. Wohl 317 hatte der Pater einen Sohn gefunden; doch er durfte sich nicht zu ihm bekennen, und überdies schwebte noch die drohendste Gefahr über dem Haupte des Flüchtlings; Emanuel aber hatte zwar die freudige Hoffnung, seine Tochter, die er als Tochter umarmen durfte, wiederzusehen; doch es war noch immer nur eine Hoffnung, und wie viele unerwartete Hindernisse konnten sich der Erfüllung derselben entgegenstellen! Das Fragezeichen, welches das Schicksal hinter jedes Glück setzt, erschien den Freunden in unheimlicher Feuerschrift, wie der warnende Finger an der Wand, der einen Belsazar schreckte!

Endlich war der zur Flucht geeignete Tag erschienen; man benützte dazu einen Spaziergang der Jesuitenzöglinge, denen sich Anastasius und Peter in unverdächtiger Weise anschlossen. So gelangten sie zum Thore hinaus und durch die Vorstädte, ohne von den preußischen Soldaten besonders in's Auge gefaßt zu werden. Dann setzten Beide ihre Reise allein fort. Peter hatte seine eigenen Gedanken; wie rührend war der Abschied von dem Jesuitenpater gewesen! Hatte nicht in seinem Auge eine Thräne geglänzt? Wie war es möglich, daß diese Thräne ihm selbst, einem armen preußischen Grenadier, gegolten haben sollte? Wer kümmert sich um ein Wesen, welches nur in der Welt ist, um eine Uniform auszufüllen, 318 um eine Muskete loszufeuern oder todtgeschossen zu werden? Niemand hatte jemals ihm den geringsten Antheil gezeigt; er war nur an strengen Befehl, an Tadel und Strafe gewöhnt, und jetzt . . . es war zu drollig: man weinte um ihn! Er mußte sich geirrt haben. Oder sollte er wirklich beweinenswerth sein? Es kam auf einmal über ihn wie eine merkwürdige Rührung über sein eigenes Schicksal! Er hatte bisher sich selbst so wenig Antheil geschenkt, wie die andern ihm schenkten; jetzt besann er sich darauf, daß er doch auch ein fühlendes Herz besitze, zu den Menschen gehöre, die man lieben könne, und in dumpf unklarer Weise ging es ihm auf, daß er ein Recht an's Leben habe.

Diese neuen und ungekannten Gefühle bewältigten ihn, und als er am Wege ein Heiligenbild stehen sah, über welches eine hohe Eiche ihre weittragenden Zweige ausbreitete, da sank er in innigem Gebet auf die Knie und zum ersten Male hörte er statt der rauhen Stimmen der Unteroffiziere, die sein ganzes Hirn ausfüllten, eine sanfte Stimme aus den Tagen seiner Kindheit ertönen . . . und es war ihm, als legten sich segnende Hände ihm auf's Haupt.

Ganz anders war die Stimmung seines unternehmungslustigen Begleiters, welcher die Schläge längst verschmerzt hatte, die ihm der kräftige Förster 319 an der Straßenecke ertheilte. Anastasius litt an einer Art von Größenwahn; seine Phantasie war immer mit glänzenden Zukunftsbildern beschäftigt; für diese Zukunft arbeitete und duldete er unerschrocken. Er wurde nicht müde, dem armen Grenadier, der es nie weiter hätte bringen können, als zum Sergeanten, die großartige Laufbahn auseinanderzusetzen, welche die Kirche ihren Angehörigen eröffnet. Arme Bauernsöhne seien Päpste geworden und hätten die dreifache Krone getragen, und Bischof zu werden, das sei eine Kleinigkeit; man brauche nur recht tapfer sich der ecclesia militans, der streitbaren Kirche anzuschließen; er habe dies stets gethan, und ganz besondere Aussichten! Es müsse ein herrliches Gefühl sein, in das schöne bischöfliche Schloß an der Oder als geistlicher Herrscher einzuziehen.

Bei diesen Schilderungen verzerrten sich seine Mienen zu einem süßen Lächeln, und seine Robbenzähne traten widerlich hervor. Pokorny hörte den Reden seines Begleiters mit Andacht zu und blickte oft auf ihn mit ehrfurchtsvoller Scheu, als ob er schon die bischöfliche Mitra oder gar die Tiara auf seinem Kopfe trüge.

Den ersten Tag hatten die Wanderer ohne Fährniß bestanden; am zweiten näherten sie sich den Bergen, 320 und obwohl sie sich, möglichst entfernt von den preußischen Stellungen, den Höhenzügen, die allmählich ihre blaue Färbung verloren und ihre grünen Waldgürtel zeigten, zubewegten, so wurden sie doch eines Tages auf dem Heerwege vom Trommelschlag überrascht, der ihnen entgegen kam. Eilends schlugen sie einen Seitenweg ein und suchten durch Gebüsche ein von der Hauptstraße abgelegenes Dorf zu erreichen. Peter fühlte sein Herz schlagen; dieser Trommelschlag erklang ihm wie der Ruf der Pflicht und mahnte ihn unheimlich an die letzten Stunden eines Fahnenflüchtlings.

Es mußten durchmarschirende Bataillone sein, welche zur Verstärkung sich in das Lager des Königs begaben; doch auch auf dem Seitenwege begegneten sie einigen fouragirenden Husaren, und einer derselben knüpfte vom Pferde herab eine längere Unterredung mit den Wanderern an, bei der es dem Grenadier etwas beklommen um das Herz wurde; doch die Keckheit seines Begleiters machte ihm wieder Muth; denn Anastasius ließ sich durch nichts aus der Fassung bringen; er erzählte dem Reitersmann eine höchst wunderbare Legende von den Abenteuern, die sie bei ihrer Wanderschaft erlebt und zeigte dabei einen Groll gegen die Oesterreicher, welcher ihm gänzlich das Herz des Husaren gewann.

321 Auch in dem nächsten Dorfe hielten sie sich indeß nicht für sicher genug; sie schritten immer weiter vor in einer von der Heerstraße abbiegenden Richtung und gelangten zu einem im Walde gelegenen einsamen Meierhof, wo sie die Nacht zu bleiben beschlossen; ein aushängendes Bierzeichen verkündete ihnen, daß sie hier auf ein Nachtquartier rechnen durften.

Ermüdet von dem langen Marsch, ließen sie sich hier Speise und Trank wohlschmecken und setzten sich im Gefühl behaglicher Sicherheit in einen Winkel der Wirthsstube. Doch dies Gefühl sollte nicht von Dauer sein; bald vernahm man draußen vor dem Hause die regelrechten Schritte eines Trupps Soldaten; das Klirren der Gewehre auf dem Pflaster bewies, daß sie die Absicht hatten, hier einzukehren. Anastasius und Pokorny wollten sich rasch auf ihr Bodenzimmer verfügen, aber das Wirthszimmer hatte nur einen Ausgang auf den Hausflur und dort standen bereits die preußischen Soldaten. Es war unverdächtiger, wenn sie in ihrem düstern Winkel ausharrten und sich dann gelegentlich entfernten. Bald füllte sich die Stube mit den lärmenden Grenadieren; doch Pokorny athmete wieder auf; es war ein ganz fremdes Regiment, das aus Ostpreußen kam, stattliche Männer von kräftigem, kernhaftem Wesen, wie es an den 322 baltischen Gestaden und im ganzen Bernsteinlande heimisch ist. Einige ließen sich auch mit Pokorny in ein Gespräch ein, dessen Kosten aber Anastasius trug; denn er traute nicht recht der geistigen Gewandtheit seines Gefährten und fürchtete, er möchte durch eine gelegentliche Aeußerung Verdacht erregen.

Die Unterhaltung war im angenehmsten Verlauf; dennoch hatte der Jesuitenzögling, über Ermüdung klagend, bereits Pokorny einen Wink gegeben, daß es Zeit sei, das Gespräch abzubrechen und sich zurückzuziehen, als das Erscheinen eines riesigen Unteroffiziers, der auch die tapfern Ostpreußen fast um einen halben Kopf überragte, in dem Zimmer eine plötzliche Stille verbreitete. Der Fahnenflüchtling aber erblaßte, als er den Koloß erblickte. Das war einer jener Barbaren der Fuchtel, der Schrecken ihrer Untergebenen, ein Despot, der schon durch das Gefühl körperlicher Ueberlegenheit sich berufen fühlt, gewaltthätig gegen die Menschen aufzutreten. Breite Schultern, ein rothglühendes Gesicht, welches das stets genährte Feuer eines beständigen Zornes verkündigte, ein gewaltiger Schnauzbart machten diese Gestalt für Jeden, der sie einmal sah, zu einer unvergeßlichen, noch mehr aber für alle, die schon einmal mit ihr in unliebsame Berührung gekommen waren.

323 Pokorny wäre am liebsten in die Erde versunken, er kannte den Tyrannen nur zu gut; Jahre hindurch war es sein eigener gewesen in dem Potsdamer Leibregiment der Riesen! Nach Auflösung desselben waren diese soldatischen Goliaths in die verschiedensten Regimenter vertheilt worden; es war ein Unstern, daß er gerade hier dem Flüchtling entgegentrat! Er war offenbar als Fourier so lange draußen mit allerlei Anordnungen in Betreff des Nachtquartiers beschäftigt gewesen, denn er trug noch die Brieftasche mit mehreren Papieren in der Hand.

Anastasius sah mit Befremden, daß Pokorny plötzlich kreideweiß wurde und zusammenknickte, und sich in den Winkel krampfhaft hineinschob, als wollte er sich in die Wand einbohren. Mit raschem Blick erkannte er die drohende Gefahr, die sich in Gestalt des schnauzbärtigen Unteroffiziers näherte; er stand auf und trat zwischen den Gewaltigen und sein Opfer, indem er sich stehend mit einem am Tische sitzenden Soldaten unterhielt. Nach einigen Fragen im Tone des Parolebefehls und einigen jähzornigen Bemerkungen über diese oder jene Unordnung, die er bemerkt haben wollte, ließ der Riese alle Soldaten in dem Zimmer mit seinen Augen Spießruthen laufen; mindestens hatten sie, als er sie ansah, alle ein ähnliches Gefühl, das sie kalt überrieselte; dann setzte er sich, 324 ohne auf die Fremden sonderlich zu achten, an einen Holztisch, um sein Herz an einem Glas Schweidnitzer Schöpses zu erquicken. Glücklicherweise kehrte er den beiden Jesuitenschülern, dem ächten und dem falschen, den Rücken zu; Pokorny athmete wieder auf und auch Anastasius hegte die Hoffnung, daß sie jetzt unbemerkt die Thür erreichen würden. Er winkte seinem Begleiter; Pokorny erhob sich, und beide schritten mit festem Tritt der Thüre zu, während die etwas mürben Decken des Zimmers unter der rauhen Berührung mit den Unverbrennlichen des Jesuitenschülers in ein krampfhaftes Aechzen ausbrachen.

Ein feindlicher Zufall wollte, daß der Unteroffizier gerade an einem unbezwinglichen Durst litt; er hatte die erste Kanne rasch heruntergestürzt, stand auf und drehte sich nach dem Wirth um, indem er dabei das leere Gefäß mit bedeutungsvollen Winken in der Hand schwenkte. Gerade in diesem Augenblicke kamen die Flüchtlinge vorüber.

»Pokorny . . . Donnerwetter . . . Halt da!« rief er mit einer majestätischen Stimme, welche die ganze Wirthsstube beherrschte. Tiefe Stille trat plötzlich ein; alle Köpfe wandten sich dem erzürnten Gewalthaber zu.

325 Pokorny stotterte die Worte, mit denen die Stummen der soldatischen Disciplin ihr Schweigen zu unterbrechen pflegen: »Herr Unteroffizier!«

»Wohin des Wegs? Wo ist die Uniform geblieben?«

»Er hat sie an den Nagel gehängt,« fiel Anastasius mit freundlichem Zähnefletschen ein; »er ist leidend und hat den Abschied bekommen und sucht jetzt eine Stelle als Pförtner oder Hausverwalter in Böhmen. Ja, ja! das Unglück trifft die Menschen oft schwer! Gerade wo es die schönsten Lorbern zu ernten gilt, macht ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung; er hat geweint, als er des Königs Uniform ausziehen mußte!«

»Wer ist Er denn?« frug der Unteroffizier barsch. »Die Sache ist mir verdächtig . . die Papiere!«

Trotz seines Sträubens mußte Peter die Empfehlungsbriefe an die Jesuiten in Gitschin herausgeben; sie verriethen natürlich nichts von seiner Vergangenheit. Die nöthigen Ergänzungen sollte Anastasius ja mündlich hinzufügen.

»Doch die Dienstentlassung,« wetterte der Unteroffizier.

»Ich habe sie verloren,« seufzte Peter.

»Sie wird noch in Breslau sein, blos verlegt,« sagte Anastasius, der ihm rasch zu Hilfe kam.

326 »Wo stand Er zuletzt?« frug der Unteroffizier.

»Bei den Kleistgrenadieren,« erwiederte Peter, der in der Angst zu lügen vergaß.

»Werde Erkundigungen einziehen! Diese Empfehlungen der Malefizkerle, der Jesuiten, brechen ihm den Hals, Monsieur! Ich habe oft genug gehört, daß sie Desertionen begünstigen. Er war überhaupt immer ein Duckmäuser und raisonnirte innerlich, ich hab's Ihm oft angesehen. Und was fehlt Ihm denn? Nichts. Er hat sich erst jetzt ein Halsleiden zugezogen.« Dabei machte der Riese eine sehr bezeichnende Handbewegung. »Vorläufig ist er Arrestant mit dem Subject da, welches verbrecherischer Hilfsleistung verdächtig ist, wenn es auch nie eine Uniform getragen hat; denn Gott soll bewahren, daß man solche Kerle in des Königs Rock steckt.«

»Da habt Ihr Recht!« sagte Anastasius mit kecker Stirn.

»Führt sie in's Bodenzimmer, das noch frei ist . . eine Wache mit geladenem Gewehr vor die Thüre! Die Wache vor dem Hause soll ihre Achtsamkeit verdoppeln . . vorwärts, Marsch!«

Während zwei Soldaten die Gefangenen fortschleppten, stürzte der Unteroffizier eine neue Kanne des edlen »Schöpses« herunter, und sagte dann mit 327 Schmunzeln: »Ich zweifle nicht daran, wir haben hier einen guten Fang gemacht!«

Während Pokorny in tiefer Niedergeschlagenheit sich auf den Holzstuhl des Bodenzimmers setzte, spähten die Blicke des unerschrockenen Jesuitenzöglings nach Rettung umher. Das Fenster des Bodenzimmers ging hinaus auf ein anderes Dach, das Dach einer Scheune, dessen First einem kühnen Sprunge nicht unerreichbar schien. Wie die benachbarten Gebäude bewiesen, war das ganze Grundstück mit wilden Reben umzogen, die sich an Spalieren in die Höhe rankten, und die Außenwände tapezirten; gelang es auf dem First des Daches bis zum Giebel der Scheune vorzudringen, der nach der andern Seite hinauslag, so konnte man dort an den Spalieren herunterklettern und in den Wald entkommen. Anastasius theilte dem Genossen den Plan zur Flucht mit.

Das Wagniß war gering, denn das Schlimmste stand ihnen ohnedies bevor; es gab nur diese einzige Möglichkeit der Rettung. Dennoch war es nicht leicht für den Jesuitenzögling, seinen Gefährten zur Flucht zu bestimmen, da dieser in eine dumpfe Gleichgültigkeit versunken war. Sein Leben zog vor seiner Seele vorüber, eine lange Reihe freudloser Tage . . nur die Glocken von den Kirchthürmen des Böhmerlandes läuteten hell in seiner Seele und er sah 328 die Wallfahrten zu den frommen Marienbildern, und sein Herz wurde weich, wenn es die Träume der Kindheit bewegten.

»Wir dringen schon durch in's Böhmerland,« sagte Anastasius, der von einer gefühlvollen Frömmigkeit himmelweit entfernt war, »Weihrauchdampf, Klingeln der Chorknaben, Processionen – Ihr werdet Alles haben, was Ihr wünscht! Hier aber ist Euch nur die Kugel gewiß! Man wird Euch hinführen, wo Ihr die Engel im Himmel musiciren hört, eine Musik, die gewiß wunderschön ist, doch man kann's abwarten und hat's nicht eilig, sich zu ihr zu drängen.«

Pokorny gab endlich nach . . sein Heimweh nach dem Böhmerlande siegte.

Der Mond stand hell am Himmel. Die Schatten, welche die Ranken des wilden Weines in seinem Lichte warfen, bewegten sich unheimlich drunten am Boden. Draußen rasselten Säbel und Gewehr des Soldaten, der vor der Kammerthür stand; doch die Wache vor dem Wirthshause selbst dehnte ihre Spaziergänge nicht mehr bis an die Scheuer aus, sie begnügte sich vor der Hausthür auf einem engen Raume auf- und niederzugehen. Anastasius hatte dies genau beobachtet; er öffnete das Fenster so leise, als die rostigen Angeln es irgend erlaubten, warf noch einen spähenden Blick umher, und, an das Umherklettern in 329 den nassen polnischen Wäldern gewöhnt, geübt in raschem Blick und Sprung, gewann er den First des nicht allzuspitz zulaufenden Daches mit einem kühnen Satz aus dem Fenster. Der Grenadier hatte zwar eine geringere Gewandtheit, doch kam ihm seine größere Körperlänge zu Hilfe, und so schwang auch er sich aus dem Fenster mit Erfolg auf den Dachfirst.

Der Lärm in der Wirthsstube war längst verstummt; kein lebendes Wesen außer den beiden Posten regte sich mehr; nur auf dem Dache der gegenüberliegenden Scheuer ging ein großer Kater mit einer beneidenswerthen Sicherheit und Behaglichkeit spazieren, putzte sich seine Pfoten und bewies eine Gemüthsruhe, welche den beiden Flüchtlingen gänzlich fern war. Sie mußten dabei befürchten, daß die Serenaden, mit denen er den Mond und irgend eine unter dem Dach versteckte Geliebte verherrlichte, den Hofhund ganz munter machten, der unten im Strohverschlag noch im Halbtraum befangen dalag; denn die Stimme des Erbfeindes ist auch im Halbschlummer vernehmbar und vermag die herandringenden Traumbilder zu zerstreuen und das Gefühl des Hasses und der Rache wachzurufen. Ein Anschlagen des Hundes aber hätte die Aufmerksamkeit der gelangweilten Wache unfehlbar erregt.

330 Leise begannen die Nachtwandler den gefährlichen Weg; ihre Silhouetten zeichneten sich auf dem Rasen des an die Scheuer grenzenden Obstgartens ab. Sie waren kaum auf der Mitte des Daches angekommen, als der Soldat von einem Anfall von Schwindel befallen wurde und vor Schreck dabei in einen lauteren Ausruf ausbrach, als sich sonst in dieser bedrohlichen Lage rechtfertigen ließ. Der Jesuitenschüler kam ihm rasch zu Hilfe, ohne sein Gleichgewicht auch unter diesen erschwerenden Umständen zu verlieren; er reichte ihm die Hand, um ihn weiter zu führen, indem er ihn mit krampfhaften Verzerrungen seines Gesichts zur Stille mahnte.

Doch der Ausruf Pokorny's war nicht unbemerkt geblieben. Etwas wie das Knacken eines Hahnes ließ sich vernehmen, ein Flintenlauf blitzte im Mondschein . . . ein Schuß . . . und wie ein zu Tode getroffener Bewohner der Lüfte stürzte Anastasius mit einem lauten Schrei vom Dachfirst herunter, während es Pokorny gelang, den Giebel zu erreichen und dort herabzuklettern. Doch der Schuß hatte alle Gäste des Hauses geweckt; der gewaltige Unteroffizier war wie mit Siebenmeilenstiefeln über den Hof herangewettert . . und mehrere menschenfreundliche Arme umfingen den Grenadier, als er durch die knirschenden, zerbrochenen Rebenspaliere hindurch, rascher als 331 er wollte, in die unwillkommene Umarmung sank. Er wurde mit Stricken gebunden und in das Haus zurückgeschleppt.

Der Unteroffizier begab sich mit anderen Soldaten in den Obstgarten; dort lag Anastasius todt, mit den Raupen eines Kirschbaumes bedeckt, die er in dem unfreiwilligen Flug zugleich mit einigen zerknickten Aesten herabgestreift hatte.

»Giftiges Gewürm!« brummt der Riese, »er sieht selbst aus, als wäre er eine herabgeschüttelte Raupe, die man mit den Füßen zertritt!« Und in der That machte das durch den Tod verzerrte Gesicht, das dieser böswilligen Nachhilfe gar nicht bedurft hätte, einen unheimlichen Eindruck. Der Mund stand offen; die Robbenhauer starrten daraus hervor; die flachsenen Haare fielen in wüster Unordnung über das Gesicht. Da er mit dem Oberleib in eine Grube gefallen war, streckte er die Füße in die Höhe . . und einige Strahlen des Mondes bemühten sich vergebens, die Riesennägel zu versilbern, mit denen die Unverbrennlichen beschlagen waren, welche jetzt nie mehr das freudige Echo des Straßenpflasters wecken sollten.

Ein Häuflein Staub! Leb' wohl, du Bischofsmitra, du päpstliche Tiara, all ihr stolzen Träume! 332 O aus wie vielen Raupen des menschlichen Hirns werden niemals Schmetterlinge! Da fliegt von einer Kohlpflanze des Obstgartens der große Todtenkopf herbei und mit müdem Flug umkreist der riesige Nachtfalter die Leiche! 333

 


 


 << zurück weiter >>