Rudolf Gottschall
Im Banne des Schwarzen Adlers
Rudolf Gottschall

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Viertes Kapitel.

Der Oberamtsassessor.

Am nächsten Morgen wanderte Arthur aus seinem Nachtquartier über die Oderbrücke der Stadt zu, um sich zu seinem Freund, dem Oberamtsassessor Sigismund von Reideburg zu begeben. Sie hatten zusammen die Ritterakademie in Liegnitz besucht, und so vergänglich und wenig nachhaltig solche Schulfreundschaften in der Regel zu sein pflegen, so war hier doch ein dauerndes Verhältniß geblieben, welches durch regelmäßigen Briefwechsel gepflegt wurde.

Der Assessor wohnte auf dem Salzring in der Nähe des Oberamts, und begrüßte Arthur mit dem wärmsten freundschaftlichen Händedruck. Sigismund von Reideburg war indeß in jeder Hinsicht das Gegenbild des frischen, jugendlich blühenden Arthur. Seine Gesichtszüge waren welk und verblüht, seine Figur klein, seine Haltung schlaff. Das Lächeln, das um 41 seine Mundwinkel spielte, hatte nichts Zutrauliches, nichts Freundliches: es war der spöttische Ausdruck geistiger Ueberlegenheit, mochte sie nun vermeintlich oder wirklich sein. Sigismund hatte jüngst größere Reisen gemacht, viele Fürstenhöfe besucht, und sich den glatten Ton und diplomatische Künste angeeignet. Welt und Menschen waren ihm Mittel zum Zweck; er bemitleidete oder verhöhnte sie, wie es ihm gerade genehm war. Seine »Biederkeit« täuschte anfangs alle Welt; doch sie war nur ein angeeignetes Wesen, er gefiel sich darin, ein kernhaftes Gemüth zur Schau zu tragen. Wenn überhaupt die herzliche Brüderlichkeit, die sich jedermann gleich an den Hals wirft, gerechten Verdacht erweckt, so trug gewiß das unsichere Auge des Assessors und sein zweideutiges Lächeln Nichts dazu bei, diesen Verdacht zu verscheuchen. Arthur aber fühlte sich gerade durch die geistige Feinheit und Gewandtheit des weltläufigen Freundes stets von neuem zu ihm hingezogen. Und wie edle und tüchtige Naturen leicht ihrem eigenen Werthe mißtrauen und auf Andere, welche durch den Schein geistiger Bedeutung blenden, ihre eigenen Vorzüge übertragen, und nicht ahnen, daß sie nur das Spiegelbild der eigenen Seele verehren und bewundern: so glaubte auch Arthur in Sigismund ein geistiges Vorbild gefunden zu haben, zu dem er voll Ehrfurcht 42 hinaufsehen müsse, obgleich dieser nur eine geringe Lebenserfahrung vor ihm voraus hatte und an Tiefe des Geistes und Gemüthes weit hinter Arthur zurückstand.

Sigismund saß, aus einer langen türkischen Pfeife rauchend, auf seinem mit den phantasiereichsten Arabesken verzierten Rococostuhl und schob die Acten beiseite, in denen er studirte, nachdem er Arthur begrüßt. »Willkommen, willkommen in Breslau,« rief er aus, »nun beiseite das Oberrecht und das Landrecht, die gravamina und Appellationen – hier – ein Meerschaumkopf und vom besten Tabak der Krone Oesterreich – erzähle, erzähle!«

Sigismund begnügte sich nicht mit dieser allgemein gehaltenen Aufforderung: er bestürmte den Freund alsbald mit zahlreichen Fragen, denn trotz aller diplomatischen Abgeschliffenheit hatte er die von Amtswegen überkommene Untugend, seinen Bekannten gegenüber den Inquirenten zu spielen und ihnen ihre Erlebnisse, Absichten und Ansichten so gründlich abzufragen, als sollte das Alles den Acten angeheftet werden.

»Was führt Dich nach Breslau, jetzt zur Fastenzeit, wo hier Nichts in Bewegung ist als das Eis auf der Oder? Dein goldenes »Vließ« bringst Du doch jetzt auch nicht hergeschleppt – oder bringst Du 43 eine »Probe« einschüriger Wolle, um die Kammerprämie zu erhalten?«

Arthur vermied die Gefahr, in eine land- und staatswirthschaftliche Auseinandersetzung über die Vorzüge der ein- oder zweischürigen Wolle zu gerathen, ein Thema, welches damals die Geister sehr beschäftigte und auch für Arthur keineswegs gleichgiltig war, denn er war ein eifriger »Schafzüchter,« und für ihn, wie für einen großen Theil seiner Standesgenossen bildete der »Wollmarkt« den Glanzpunkt des ganzen Jahres. Doch jetzt eilte er, seine persönlichen Absichten dem Freunde mitzutheilen.

»Ich bin nur auf der Durchreise hier.«

»So geizest Du mit Deiner Gegenwart? Und wohin geht der Weg?«

»Du wirst erstaunen, wenn ich Dir's mittheile; denn es ist ein ungewöhnliches Ziel einer Weltfahrt. Die Fahrten unserer Freunde gehen nach Wien, Rom, Paris – meine Magnetnadel zeigt nach Norden.«

»Doch nicht zu den Lappen, um die Rennthierzucht und den Stockfischfang zu lernen?«

»Nicht ganz so weit.«

»Oder in das Reich des zwölften Karl, um zu sehen, wie zwischen den Hüten und Mützen die Krone seines schwachen Nachfolgers selbst zur Schlafmütze geworden.«

44 »O nein, ich ziehe nur in's Preußenland.«

»Nimm Dich in Acht, daß sie Dich da nicht kapern! Du hast eine anständige Länge und die Preußen spaßen nicht. Die großen Männer aller deutschen Volksstämme müssen dort »preußisch« lernen. Der König selbst schwingt den Korporalstock! Hüte Dich vor der Potsdamer Garde!«

»Berlin werde ich nur im Fluge berühren! Ich will nach Rheinsberg.«

»Ei sieh da,« rief Sigismund, nicht ohne Verwunderung und mit sehr gesteigerter Theilnahme; denn diese etwas räthselhafte Mittheilung setzte ihn in Stand, seinem Lieblingsvergnügen mit Behagen nachzuhängen und durch eine ganze Reihe von Fragen die Lösung des Räthsels herauszuinquiriren.

»In die Residenz des Kronprinzen! Das soll ja ein kleines Sodom und Gomorrha sein – man erzählt sich Wunderdinge von dem Leben dort! Nach Rheinsberg! Doch das ist kein Hotel, wo Jeder einkehren kann! Da muß man Verbindungen, Empfehlungen haben.«

»Die Oberhofmeisterin der Kronprinzessin ist meine Frau Tante. Es ist meiner Eltern Wunsch, daß ich mich ihr vorstelle, und durch Frau von Katsch bin ich dort am Hofe am besten empfohlen.«

45 »Also ein Besuch bei der Tante! Sieh, sieh, nun, da bist Du ja unter guter Aufsicht und wirst hoffentlich vor dem respectus parentelae stets den nöthigen Respect haben! Wenn solch eine Tante, Muhme oder Base in Kreuzburg oder Krappitz wohnt – da gehört freilich mehr Familiensinn zu einem solchen respectvollen Besuch. Doch in Rheinsberg – das ist ja ein sehr interessantes Zusammentreffen! Ich beneide Dich darum! Kehr' nur nicht als Verschwörer zurück!«

»Als Verschwörer –«

»Nun, der Kronprinz und alle seine Genossen bilden ja nur eine einzige große Verschwörung gegen den Vater, gegen die Regierung, gegen den Christenglauben – was weiß ich, gegen die ganze Welt!«

»Mein Vater hat mich allerdings gewarnt, jenen Kreisen nicht zu nahe zu treten, sondern lieber scharf zu beobachten, was in ihnen vorgeht. Es würden so viele Fabeln über jenes Tusculum verbreitet, daß es ihm selbst von Wichtigkeit wäre, die genaue Wahrheit zu erfahren. Auch sei es für Kaiser und Reich nicht gleichgiltig, was sich da vorbereite. Im Beobachten und Prüfen, meinte er, im klaren Erfassen und Darstellen bilde sich am besten der jugendliche Geist.«

»Rheinsberg als Bildungsschule – immerhin! – Was macht denn Euer Proceß mit den Pogarells?«

46 »Es ist noch immer wenig Aussicht zu rascher Entscheidung.«

»Lieber Freund, ich würde mit diesem Proceß kurzen Proceß machen. Heirathe am Dom die schöne Isabella – und verlache die ganze Juristerei.«

Arthur sah ihn groß an; denn er war erstaunt, aus dem Munde seines Freundes plötzlich denselben Rath zu vernehmen, den ihm sein Vater beim Abschied mit auf die Reise gegeben. Wie gern hätte er diesem die Sorgen und Kümmernisse erspart, in welche sein ehrwürdiges Alter durch den Proceß verstrickt wurde, wie gern zwei verwandte und früher befreundete Familien aus dem gehässigen Zwiespalt zur Versöhnung geführt! Die ganze Welt würde diesen Schritt billigen, ja preisen; Bürgschaft dafür war ihm des weltklugen Freundes Meinung. Und doch – noch schien es ihm unmöglich, dieser schönen, kalten Isabella von Liebe zu sprechen. Wohl sah er sich mit Stolz am Arm einer so stattlichen Gattin einherschreiten; doch wie fremd schien ihr jede liebevolle Hingabe! Noch hatte er kein Zeichen freundlicher Zuneigung, denn die grünen Erinnerungsblätter aus den Tagen der Kindheit waren ja längst verwelkt und verdorrt! Konnte sie überhaupt lieben – wie sollte sie gerade ihm ihr Herz schenken? Ihm, den Alles so fremd anmuthete, woran sie das höchste Behagen fand, 47 der kirchliche Kreis des Fühlens und Denkens, der Weihrauch und Kerzenduft! War nicht selbst die Verschiedenheit des Glaubens eine feindliche Schranke?

In dieser inneren Unsicherheit antwortete er dem Freunde ausweichend, indem er Nichts von dem Besuch erwähnte, den er Tags vorher bei den Domtanten gemacht.

»Du thätest wohl daran,« fuhr Sigismund fort, »Dir das Fräulein drüben einmal näher anzusehen. Eine Heirath, die so viel Gelehrsamkeit überflüssig macht, ist sehr verdienstlich! Und abgesehen von den Gütern des seligen Reichenbach, von denen Ihr dann in seliger Gemeinschaft Besitz ergreift: Isabella ist reich, ich weiß es aus den Acten, sie ist reich an Gold, an Schönheit, an Tugend jedenfalls – ob auch an Geist? – das ist bei Bräuten nicht nöthig und bei Frauen gefährlich. ›Was trägt die Gans auf ihren Füßen? die Jungfer Braut!‹ heißt's im alten Volkslied. So folge meinem Rath. Beschäftige Dich zunächst mit Deiner Cousine in Breslau – die ist wichtiger, als die Tante in Rheinsberg! Wie lange gedenkst Du hier zu bleiben?«

»Einige Tage!«

»Laß Wochen daraus werden, bester Freund – verlasse Breslau nicht, bis Du die stolze Isabella erobert hast und Du die Verlobungsanzeige schicken 48 kannst, mit der freundlichen Bitte, aus den Proceßacten ein Freudenfeuer zu machen. Ich selbst bin dabei nicht ohne Eigennutz. Ich wünschte Dich noch mindestens einige Wochen in Breslau, damit Du bei einem kleinen Familienfeste zugegen wärest, das ich zu feiern gedenke: ich will mich verloben.«

»Verloben – und von Deiner Liebe hast Du mir nie geschrieben?«

»Wozu? Ich liebe solche Ergüsse nicht! Lieben ist eine Privatangelegenheit, die vernünftigerweise Niemand anders interessiren kann; Seufzer auf's Papier zu hauchen, dazu bin ich nicht der Mann.«

»Nun, ich wünsche Dir von Herzen Glück!«

Arthur schüttelte dem Freunde innig die Hand, während dieser den Händedruck ziemlich gleichgiltig erwiderte und schnell ein kleines Aquarellbild von seinem Tische holte.

»Ich wünsche doppelt Glück« rief Arthur, »ein allerliebstes Gesichtchen – so fein, so kindlich, so harmlos –«

»Das ist sie, in der That! Es ist auch bei uns von keiner erschrecklichen Leidenschaft die Rede, welche, wie in einem Lohenstein'schen Trauerspiel, mit Dolch und Gift agirt und einige Coulissen mitfortnimmt! Unsere Liebe ist eine ganz verständige Thatsache, bei der wir uns beide wohl fühlen. Sie hat sich anfangs etwas gesträubt, als ihr der kleine Liebesgott das 49 Netz über den Kopf werfen wollte; sie wußte nicht recht, wie ihr geschah; denn sie ist noch blutjung und wie ein scheues Reh! Jetzt aber hat sie sich in ihr Glück gefunden, zumal es der Wille des Onkels ist.«

»Und darf man erfahren –«

»Meine Braut ist Hedwig von Gutzmar, die Nichte und Pflegetochter des Obersyndikus der Stadt, doch wozu die Bilder und Beschreibungen? Komm nur mit, Du sollst sie selbst kennen lernen, ich will Dich in das Haus einführen. Herr von Gutzmar ist die Seele des Rathes und der eigentliche Regent der Stadt; Du wirst die Bekanntschaft eines feinen Mannes machen.«

Arthur erklärte sich gern dazu bereit. Reideburg legte seine Türkenpfeife beiseite, klingelte dem Bedienten und zog sich in sein Toilettenzimmer zurück, um sich für den Besuch zu rüsten. Dann erschien er nach allen Regeln der Pariser Mode gekleidet, als wollte er dem Boudoir der Chateauroux einen Besuch machen und legte sein Gesicht in die vornehmsten Falten. Denn die Herren vom Oberamt sahen auf die Breslauer Patrizier, auf die Lenker und Leiter der Stadt mit großer Ueberhebung herab, da sie sich als Träger der kaiserlich-königlichen Machtfülle fühlten.

Im Hause des Obersyndikus war eine so lebendige Bewegung treppauf treppab, daß Arthur nicht zweifeln 50 durfte, sich hier in einem städtischen Mittelpunkte zu befinden. Offiziere der Stadtgarnison, Secretaire mit Actenbündeln, Rathsherren und andere dem Anschein nach gewichtige Männer bewegten sich auf den Treppen und in den Corridoren. Reideburg fand hinreichend Gelegenheit, die Bedeutung der Stellung, die er von Kaisers und Königs Gnaden einnahm, in herablassenden Grüßen den kleinen und großen Würdenträgern der Stadt klar zu machen. Doch fühlten sich nicht Alle durch diese Herablassung sonderlich geehrt. Denn die Privilegien der Stadt Breslau waren noch zu groß, als daß kaiserliche Gnade, selbst wo sie aus der huldvollen Verneigung eines Oberamtsassessors sprach, gleich alle Nacken gebeugt hätte. Selbst ein Rathsbeisitzer aus der Tuchmacherzunft, der dem Freundespaar auf der Treppe begegnete, hatte die Keckheit, durch ein vertrauliches Kopfnicken dem Herrn von Reideburg anzudeuten, daß er sich mit ihm auf dem Standpunkte gesellschaftlicher Gleichheit befinde.

Desto respectvoller war der Empfang, welcher Herrn von Reideburg von Frau von Gutzmar zu Theil wurde. Die kleine, runde Frau schien ihre eigene Patrizierwürde ganz zu vergessen und sich in einen einzigen Knix zu verwandeln. Ihre Seele war so ganz Reverenz gegen den überlegenen Geist des Gatten, daß sie sich nur damit beschäftigte, seinen 51 Wünschen und Absichten eine recht überschwängliche Ausführung zu geben. Wo der Obersyndikus höflich und freundlich war, da wußte sich seine Frau vor Freundlichkeit gar nicht zu lassen. So knixte und kugelte sie mit großer Beweglichkeit hin und her, um den beiden Freunden die Honneurs zu machen. Die bevorstehende Verlobung gab ihr reichlichen Stoff, ihr Herz auszuschütten. Da gab es neue wirthschaftliche Einrichtungen; selbst in der Küche wurde eine wichtige Veränderung vorgenommen, und dem alten Koch, der nie eine ordentliche Gänseleberpastete zustande bringen konnte und auch mit dem Rehbraten auf einem gespannten Fuße lebte, mußte gekündigt werden; ja die Sibylle, die sie schon lange Jahre hatte, und mit der sie sonst sehr zufrieden war und der sie daher auch drei Thaler Lohn außer den fünf Ellen Leinwand, den zwei Paar Schuhen und einem Schleier jährlich gegeben, habe leider zu wenig Manieren für eine anständige Schleußerin, um bei einem solchen Feste mitwirken zu können. Was aber Anzug und Schmuck von Hedwig betreffe, so sei es recht schlimm, daß ein kaiserliches Edict die französischen Manufacturen verboten habe; das sei doch immer am schönsten in Paris zu haben, diese feinfranzösisch geblümelten Modezeuge, der Gold- und Silberbrokat, die kostbaren parfümirten und gemalten Wedel, garnirten Beutel 52 und Handschuhe, die schönen Bänder und Spitzen; es sei doch zu traurig, daß man sich mit dem inländischen Modekram behelfen müsse. Dann aber frug sie den Herrn Assessor, welche Herren vom Oberamt er zur Verlobungsfeier geladen wünsche; es sei zwar noch Zeit, doch man müsse wie ein guter Feldherr rechtzeitig den Schlachtplan entwerfen, und vom Rathe würden sie alle eingeladen, der Rathspräses, die Tischherren und die Schöffen. Und was die Beisitzer aus den Zünften beträfe, so wäre das noch eine offene Frage, denn selbst der Kretschmer und der Reichskrämer würden saure Gesichter machen, wenn sie beim Rathssyndicus nicht eingeladen würden. Und sie liebe es nicht, im Mund der Leute zu sein.

Der Assessor fand keine Zeit, auf die an ihn gerichtete Frage zu antworten, die bereits durch den weiteren Redefluß verschlungen war. Dann aber trat Hedwig herein und knixte, verlegen vor dem fremden Herrn, an der Thüre. Das Bräutchen hatte ein niedliches Dosengesichtchen und ein zierliches, wie aus Elfenbein geschnitztes Figürchen. Doch machte sie durchaus keinen bräutlichen Eindruck. Ihre Schüchternheit war mehr die eines Kindes, als die Verschämtheit einer Braut. Sie schien selbst verwundert, daß sie heirathen sollte. Selbst der Kuß, mit welchem sie Sigismund empfing, erweckte kein bräutliches Feuer 53 in ihr. Hatte dies Kind einen eigenen Willen? Arthur zweifelte daran, sie kam ihm mit ihren rothgemalten Wangen wie ein Püppchen vor, das die Arme nur ausstreckt, wenn man sie ihm in die Höhe hebt, das sich ruhig küssen, umarmen und in die Wiege legen läßt.

Arthur machte vergebliche Versuche, Hedwig in das Gespräch zu ziehen. Sie flüsterte nur mit der Mutter, wie es schien, über wichtige häusliche Angelegenheiten und blickte dann zu ihrem Bräutigam mit einer gläubigen Andacht empor, welche Sigismund nicht wenig zu schmeicheln schien. Arthur kam auf den ketzerischen Gedanken, daß das kleine Wesen pupillarischsichere Vorzüge besitzen müsse, durch welche sie das Herz seines Freundes erobert habe.

Endlich trat auch der Rathssyndicus ein, in Amtstracht und das Haupt mit der ehrwürdigen Allongenperücke geschmückt, bereit, auf das Rathhaus zu gehen. Er begrüßte Arthur höflich und mit weltmännischer Haltung. Sein ganzes Wesen verrieth Energie des Denkens, die in der breiten, gewölbten Stirn und der kräftigen Adlernase ausgeprägt lag, aber auch jene diplomatische Vorsicht im Handeln, auf welche das zurückfliehende Kinn, das Kinn Macchiavelli's, hindeutete. Als Arthur von seinem Plan sprach, nach Rheinsberg zu gehen, lächelte Gutzmar mit feiner 54 Ironie: »Ich wünsche Ihnen viel Glück! Es soll ein geistreicher Herr sein, der Kronprinz! Der König von Preußen ist kränklich und steht dem Grabe nah; es ist klug von Ihnen, daß Sie der nächsten Zukunft dieses Staates Ihre Aufmerksamkeit zuwenden, denn dieser Staat ist ein weiches Wachs in der Hand seiner Herrscher, welche ihr Bildniß ihm aufprägen, und es giebt nur einen Ort in Europa, wo man jetzt seine Zukunft studiren kann. Dieser Ort ist das kleine Rheinsberg. Für uns Schlesier aber ist es von hoher Wichtigkeit, unseren künftigen nordischen Grenznachbar kennen zu lernen.«

Da den Syndicus sein Beruf fortrief, konnte die Unterhaltung nur von kurzer Dauer sein. Von allen Seiten aufgefordert, dem Verlobungsfest beizuwohnen, entschloß sich Arthur, seinen Aufenthalt in Breslau um einige Zeit zu verlängern und der Einladung Folge zu leisten. Als er mit Sigismund aus dem Hause trat, frug ihn dieser, wie ihm seine Braut gefalle? »Allerliebst,« entgegnete Arthur lächelnd, »auch hat sie einen großen Vorzug, sie wird nie das Regiment im Hause führen.«

»Da sei Gott vor! Doch stille Wasser sind tief. Wer weiß, wer weiß!« rief Sigismund, indem er dem Freunde die Hand zum Abschiede reichte. 55

 


 


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