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Die Mitglieder des Kegelklubs im Finkengaßl sind heute, nach den Sommermonaten, zum ersten Male wieder beisammen.
Der berühmte Landschaftsmaler, Professor Anton Buchlehner, macht zuerst seinen Bruder Franz, der gleichfalls Künstler ist, sich aber keiner solchen Berühmtheit erfreut, und dann noch ein paar andere Herren auf den eben aufgestiegenen Mond aufmerksam, der wie ein mächtiger, leuchtender Teller über den Kastanien steht. Alle treten in den Garten hinaus, oder wenigstens unter die Tür und blicken zu dem freundlichen Gestirn empor. Ein leichter, etwas hüpfender Männertritt tönt auf dem kiesbestreuten Hauptweg vom Hause her.
»Ich glaub' gleich, es ist der Degenhardt!«
»Jesses ja, 's is der Uz!«
»Nein, aber sowas, – daß der schon kommt, heut abend!«
»Er is's ja gar nicht!«
»Ja, was net gar, – ja freili is er's!«
Da tritt auch schon hinter einem Boskett Doktor Ernst Degenhardt, genannt Uz, Direktor der Isarbank hervor.
»Guten Abend, Doktor!«
»Donnerwetter! Das heißt antreten, gleich das erste Mal!«
Der so lebhaft von allen Seiten Begrüßte klopft der feschen Resi, die sichtlich erfreut ist, ihn zu sehen, auf die Schultern.
»Also da sind wir wieder beisammen! Das heißt, noch hübsch klein beisammen!« – – –
Er legt seinen eleganten, rehfarbenen Überzieher ab, in dem das seidene Futter schimmert. Auch seine übrige Kleidung ist hochmodern, bis herunter zu den dünnen Schuhen. Er ist schlank und stattlich gebaut, und man kann ihm ansehen, daß er sich auf seine Figur so gut etwas einbildet wie auf seinen Kopf. Sein blondes, gelocktes Haar trägt er ziemlich lang, und der goldig schimmernde, krause Bart wallt bis zu halber Brusthöhe. Ist der Direktor vollkommen ruhig, dann gibt es Leute, die seine Schönheit eine fade nennen; aber es dauert immer nur so lange, bis er aufblickt und seine lebhaften, graugrünen Augen mit den etwas überhängenden Lidern zu spielen anfangen. Geist, Witz, Gutmütigkeit, Frivolität, Leichtsinn, – alles liegt darin. Der letztere so frei und offen wie möglich. Uz macht wirklich keine Mördergrube aus seinem Herzen. Es hätte auch nichts genützt. Er ist viel zu lebhaft und sorglos, viel zu impulsiv, als daß er lange Zeit Schliche hätte machen können. Das edelgeschnittene Gesicht mit der feingebogenen Nase und dem schönen Mund, der fast ganz unter dem Bart verborgen ist, stehen im grellsten Gegensatz zu seiner Clownnatur, die immer wieder hervortritt. ›Leben und leben lassen!‹ ist seine Devise. Mit seiner Arbeitskraft, der umfassenden, allgemeinen Bildung und dem konzentrierten Geschäftssinn ist er jedermann ein Rätsel. Ein Rätsel auch, – selbst der Lebemänner-Welt, – durch seine unersättliche, oft ganz wahllose Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Und dazu Familienvater von acht, – fast neun, – Kindern zu sein! Geld muß er auch haben wie Heu! In der Königin-Straße die Villa mit dem großen, in einen mächtigen Garten gehenden Rückgebäude und im Gebirge noch eine geräumige weitere, im Bauernstil gehaltene, nebst ausgebreiteter Jagd. Mehr wie Einem, – besonders ganz jungen Leuten, – hat er schon freigebigst aus der Klemme geholfen. Das Rechnen muß er wirklich nur in seinem Geschäft verstehen. So viel man sieht, sitzt ihm das Geld lose in der Tasche. Außer den Weibern gilt seine größte Vorliebe der Kunst. Malerei und Plastik, aber auch das Kunstgewerbe sind seine Steckenpferde. Die Literatur liebt er mehr aus der Ferne. Natürlich fehlt er trotzdem in keiner Premiere und überfliegt auch pflichtschuldigst jeden neuen Roman; in dessen Tiefen hinabzusteigen oder in seinen Höhen sich zu ergehen, hat er weder Zeit noch Lust. Wie jeder Mensch von Bedeutung hat er – freilich keineswegs ohne eigene Schuld – auch Feinde genug. Am meisten wird ihm Charakterlosigkeit vorgeworfen. Heute schwärmt er mit den Altmodischsten, morgen jubiliert er mit den Modernsten. Heute ist er absolut nationalliberal gesinnt, morgen schimpft er auf Regierung, Kaiser und Reich. Aber man bewundert ihn auch, denn er versteht als ewig Unverwüstlicher aus einem Tage drei zu machen. Seine Beweglichkeit leidet durch nichts Einbuße, seine Laune ebensowenig und auch nicht sein Auffassungsvermögen. Das Gedächtnis des Uz ist so berühmt wie seine Nerven. Nach einem anstrengenden Tag, da ihm die Geschäfte kaum Zeit gelassen, eine Kleinigkeit zu essen, kann er noch eine Sitzung leiten, geistreich und brillant reden, darauf ein Souper in einer Gesellschaft mitmachen und dabei Herzen brechen nach allen Richtungen. Zu oft recht später Stunde verschwindet er dann lautlos auf irgend eine Redoute oder eine zweifelhafte Veranstaltung und stürzt dort sowohl selbst Ströme bisweilen auch des miserabelsten Schaumweines unbeschadet hinunter, als er auch freigebig seine Umgebung damit versorgt. Ist das Vergnügen hier zu Ende, beginnt es in irgend einem andern Lokal von neuem und wird möglichst mit Damen fortgesetzt bis zum hellen Morgen. In Gesellschaft eines weiblichen Wesens begiebt sich der Nimmersatte auch endlich in sein Absteigequartier. Was immer er dann erobert hat, eine Kokotte, ein Ladenmädchen oder auch eine Dame der Welt, die sich vielleicht ein ›originelles‹ Vergnügen zu verschaffen sucht, – stets wird seine Partnerin in bester Laune von ihm gehen. Er ist und bleibt liebenswürdig und fidel und vergißt nie die entsprechende und geeignete Revanche. Schlägt aber die Uhr am folgenden Morgen zehn, so steht Direktor Dr. phil. Ernst Degenhardt bei seiner Arbeit, frisch, hell im Kopf, kühl, unerbittlich und energisch. Die kleinen Mädchen, die er in den Bureaus beschäftigt, existieren für ihn nur in ihrer Eigenschaft als Angestellte. Diese heiligen Hallen sind wohl der einzige Ort, in dem der Uz kein Weib zu kennen scheint. Seit siebzehn Jahren ist er vermählt. Seine Thilde, die Tochter eines verstorbenen auswärtigen Architekten, hat er zum allgemeinen Staunen kaum dreiundzwanzig Jahre alt aus wirklicher Liebe geheiratet. Geld war absolut nicht dagewesen; aber das zigeunerhaft schöne und originelle Mädchen hatte es ihm angetan. Es war ein verträumtes, scheinbar merkwürdig ungebildetes Ding gewesen, leichtlebig, gutherzig und lustig wie er selbst und unschuldig, wenigstens in der Praxis. Theoretisch war sie so wissend, daß sie sich durchaus keinen Illusionen über ihren Bräutigam hingegeben hatte. Sie war verliebt in ihn, gerade so, wie er eben war, in seine Schönheit, seinen unverwüstlichen Humor und seine Freigebigkeit. Ob er ihr die Treue halten würde, darüber zerbrach sie sich nie den Kopf. Kaum waren sie verheiratet, so stand auch sie, die Fremde, schon ebenso in dem Münchener Gesellschaftsleben wie ihr Mann, der von jeher darin wurzelte. Lenbach forderte unzählige Sitzungen von ihr, wie er auch Doktor Degenhardt oft gemalt hatte. Eine kurze Zeit bildete die unbekümmerte und seltsam schöne Frau Thilde das Stadtgespräch derjenigen Kreise, die nur irgendwie Fühlung mit den ihrigen hatten. Nach ein paar Monaten war sie eine so echte, rechte Münchnerin, als hätte niemals ihre Wiege in Hildesheim gestanden. Die Gatten lebten vortrefflich miteinander. Eifersucht kannte keines, obwohl er schon damals Grund genug dazu gegeben hätte.
»Sie sind wirklich tolerant, Gnädige!« hatte einmal ein Tischnachbar zu ihr gesagt. Sie blickte zerstreut auf. »Ich? Ach, Sie meinen, weil – Gott, es ist eben nicht einer wie der andere; Ernst ist nun einmal nicht monogam veranlagt. Ich kannte ja seine Natur, und mir ist er recht, wie er ist!«
Der Herr hatte das Gefühl, als müßte er ein wenig abrücken von seiner Dame. So etwas von Frivolität! Ein solcher Cynismus! Ob sie für sich dieselben Freiheiten beanspruchte? Er schielte begehrlich auf die wunderschöne Frau. In dem maisgelben, losen Kreppgewand und mit den frischen Granaten zwischen dem unordentlichen Kraushaar sah sie berückend aus. In dem nicht sehr regelmäßigen, matt elfenbeinfarbenen Gesicht regte sich nichts. Die langbewimperten, dunklen Augen sahen sinnend vor sich nieder auf ein Stück rosigen Schinkens, das in einer bräunlichen Sauce auf ihrem Teller lag.
»Sie sind wie ein Bild, gnädige Frau! Wie ein herrliches Bild! Aber tausendmal schöner, als Sie Lenbach hingekleckert hat. Welcher Pinsel könnte aber auch die Überstille des Herrlichen wahr wiedergeben?«
Die letzten Worte kamen förmlich zischend hervor. Sachte rückte der Leidenschaftliche näher; sein Knie berührte schon das ihrige, sie mußte des Mannes heißen Atem spüren, aber sie wich nicht aus.
»Wenn ich das Glück hätte, eine solche Frau zu besitzen, ich würde keine andere ansehen. Ich lasse mich auch nicht täuschen. In Ihrem Innern müssen Sie doch einsam – –«
»Glauben Sie, daß in dieser Sauce wirklich Madeira ist? Sie riecht und schmeckt doch tatsächlich wie die reinste Brennsuppe!«
Frau Degenhardt hatte wirklich kein Wort dieser Liebeserklärung gehört. Verblüfft und sprachlos geworden suchte sich der Herr zu sammeln. War künftig von der schönen Frau die Rede, versäumte er nie zu sagen: »Bildhübsch, sehr apart, – aber dumm und außerdem frivol!«
Solange frequentierte Frau Thilde in ihre damals noch gänzlich unüblichen, weiten, malerischen Gewänder gehüllt all diese Gesellschaften, zu denen sie ununterbrochen geladen waren, bis sie sich während eines Künstlerballes plötzlich wie ein wundes Tier in eine Ecke verkroch. Gleich darauf mußte ihr sehr erschrockener Mann die vor Schmerzen Wimmernde in einer Droschke nach Hause bringen. Noch dieselbe Nacht aber kam normal und ohne ärztliche Hilfe ein schwerer, dicker Junge zur Welt.
Mit gleicher Inbrunst, mit der sie zuerst fast ausschließlich Mondaine gewesen, gab sich Frau Thilde nunmehr ihren Mutterpflichten hin. Ohne das geringste Bedauern saß sie jetzt zu Hause und nährte den kleinen Ingo, mit dem sie lange und oft sehr rätselhafte Zwiegespräche führte. Ihre selbstverständliche, sozusagen instinktive Mutterliebe hatte beinahe etwas Tierisches. Ganz einfach, ohne alle Umstände und Vorbereitungen konnte sie ihrem Kinde die starke Brust reichen und schon nach kaum vierzehn Tagen war es, als hätte nie ein Sturm diesen kräftigen, gesunden Körper geschüttelt. Ernst Degenhardt freute sich des Sohnes, mit dem er allerdings gar nichts anzufangen wußte. Er freute sich auch, daß alles soviel ruhiger und glatter gegangen, als er es in einzelnen Stunden, in denen ihm doch davor gegraut, erwartet hatte. Recht viel darüber nachgedacht hatte er nie; fast nur, wenn er durch andere von dergleichen gehört. Anfangs entbehrte er seine frische Partnerin, wenn er allein in Gesellschaften ging; dann gewöhnte er sich allmählich daran. Wie endlich Frau Thilde den dicken Bengel nicht mehr nährte, begleitete sie den Gatten bisweilen wieder. Aber nur bisweilen. In der Stille ihres Hauses da unten in der Königin-Straße hatte sich eine schlummernde Neigung, ein keimendes Talent in dieser Frau gebildet; wie aus innerem Drange heraus hatte sie zu schreiben angefangen. Keine Romane oder Novellen, nur Märchen waren es. Verblüffend schöne, spannende und poetische, die doch zugleich dem kindlichen Auffassungsvermögen Rechnung trugen und die Phantasie befruchteten, ohne sie durch schreckhafte Bilder zu beunruhigen. Als sie eine Anzahl fertig hatte, ging sie ans Abschreiben und gab das mit Flecken aller Art verunstaltete und in einer unglaublichen Handschrift verfaßte, ja selbst etwas unorthographische Manuskript ihrem Manne. Sie war noch nicht gekämmt und gewaschen und au ihrem defekten Schlafrocke war eben der letzte Knopf im Begriff Lebewohl zu sagen. Leuchtenden Auges stand sie da, mit einem Ausdruck im Gesicht, als wäre sie selbst eines jener Kinder, denen ihre Kunst galt.
»Sowas!! Ja Thilderl, – Schnackl, bist du ein Luderl! Aber, weißt was? Geh, wasch dich jetzt halt a weng und kämm dich auch a bisserl!«
Nach ein paar Tagen brachte er ihr die Nachricht, daß er einen willigen Schriftgelehrten gefunden, der diese Hieroglyphen entziffern und die Arbeiten sauber abschreiben wolle. »In die Händ kriegst's mir nimmer; aber totsicher net, weißt Schnackl!«
Wie die Märchen in sauberem Gewand wiedergekommen waren, zeigte er sie ihr bloß lachend. Vergeblich haschte sie danach.
»Ernst, bitte gib! Ja, was willst du denn damit tun?«
»Ich geb's dem Bauernfeld!«
»Du, Schnackl, weißt, wenn die dir der Anatol Benz illustrieren wollt? Fein! Weißt, ich hab sie gelesen. Schon wirklich! neulich in dem faden Vortrag; 's hat wieder einmal so ein Kerl in der geographischen Gesellschaft über die Frauen des Orients vorgetragen. Mein Gott, der Mensch, der da g'sprochen hat, hat lauter alten Käs' g'redet. Gar nix weiß er im Grund von den orientalischen Frauen. I glaub', er hat überhaupt von den Frauen Dreck g'wußt. No, also schau, – nein weißt, wirklich gut sind's, deine G'schichterln, wirklich schön, – komm, gib mir a Busserl, Schnackl!«
Der Verleger Bauernfeld nahm die Märchen, und Anatol Benz illustrierte sie. Sie fanden Anklang. Frau Thilde ging immer weniger aus. Sie schrieb und – kochte! Das war ihre zweite Leidenschaft. Außerdem bekam sie Kinder, immerzu, – in kürzeren oder etwas längeren Pausen. Nach Ingo einen Otto; der Reihe nach folgten Hela, Karlo, Max, Isolde, Emmy und Ludwig. Nun wartet sie auf das neunte. Das Haus in der Königin-Straße ist groß genug, sie alle zu fassen und bequem zu beherbergen. Das Vordergebäude, sehr elegant eingerichtet, enthält ausschließlich die Zimmer der Eltern und diejenigen, welche der Repräsentation gelten. Sie müssen tadellos instand gehalten werden. Die kurze Zeit, die Ernst Degenhardt zu Hause verbringt, wendet er größtenteils an, dies zu überwachen. Findet er nicht alles, wie er es wünscht und befohlen hat, dann können Weib, Kinder und Dienstboten blaue Zornesadern auf seiner Stirne sehen und seine völlig gewandelte Natur kennen lernen. Tippt einer nur an eines der Kunstwerke, – vom Zerbrechen nichts zu sagen, darüber wird er einfach rasend, – oder hängt eines seiner geliebten Bilder schief, so wettert er, daß die Wände zittern und sich alles Lebende am liebsten verkriechen möchte. Aber es kommt nicht leicht vor. Als Schutzengel, der über diese schwierige und recht merkwürdige Haushaltung wacht, figuriert Fräulein Finchen von Hartmann, ein von jeher vertrocknetes, kleines Persönchen, Tochter eines Subalternbeamten, der seine Kinder mittellos zurückgelassen hatte und ein Freund von Degenhardts Vater gewesen war. Fräulein Finchen kam nach des Vaters Tode ins Degenhardtsche Haus und blieb dort, bald wohl gelitten und geschätzt. Sehr bald hing sie unendlich an der Familie, vor allem an den Kindern. Ohne ein Wort zu sagen, nahm sie die schwere Last eines Haushaltes auf sich, dessen eigentliches weibliches Oberhaupt, abgesehen von seiner auch oft recht ziel- und sinnlosen Kochleidenschaft, nur eine dunkle Ahnung von der Führung eines solchen besaß und dabei von geradezu verblüffender Schlamperei war. Allein die Herzensgüte der schönen Frau bettete zugleich das arme Geschöpf lind und warm. Im Scheine jener naiven Poesie, den die Dichterin um sich breitete, erholte sich das verschüchterte, ältliche Mädchen, ganz hingenommen von den Werken, die ihm Frau Thilde vorlas, immer wieder völlig von allem Ärger und jeglicher Mühsal, die es auch hier zu tragen hatte. Wenn es alle Einmachgläser offen und plötzlich halb geleert fand, oder feine Damast-Servietten aus dem Wickel- oder Bettzeug des jüngsten Sprößlings zog, so blieb dennoch seine Miene nicht lange umdüstert. Auf ›ihre‹ Degenhardts schwor Fräulein Finchen, – mochte passieren, was wollte.
Im Hinterhaus, das auf den großen Garten geht, bei den Kindern, sieht's bunt aus; hier gibt's keinen Luxus. Alles einfach, ohne Zierde und praktisch. Dennoch meint man, daß Wilde da Hausen müßten. Selbst Fräulein von Hartmann hatte es völlig aufgegeben, den Versuch zu machen, hier eine ihr sympathische Ordnung zu schaffen.
»Lassen Sie's halt sein, Fräulein Finerl, – schauen Sie, die Bamsen müssen sich doch irgend wo austoben können. Zum Ruinieren ist ja net viel da, dafür ist schon gesorgt. Wenn s' nur gesund sind und lustig!«
Und Papa Degenhardt, – den seine Größeren unverfroren und öffentlich und zu seinem größten Gaudium eine fidele Nummer nennen, – hat seine Herzensfreude, wenn aus dem großen Spielzimmer bald ein Zigeunerlager, ein Wigwam, ein Jahrmarkt oder ein Theater geworden ist. Je größer das Gelärme und Getöse darin, desto mehr ist er von der Gesundheit seiner Sprößlinge überzeugt. In ihrer langjährigen Ehe ist Frau Thilde sehr auseinander gegangen. Sie versteht es aber ausgezeichnet, durch die von ihr so geliebten losen Kleider die deformierten Linien zu verstecken. Ihre früher so feinen Züge sind nun fast breiig verschwommen. Die Pflichten eines fruchtbaren, deutschen Weibes erfüllt Frau Degenhardt immer noch getreulich. Im Kochen ist sie nicht minder Künstlerin wie in ihren geistigen Werken. Der Erlös daraus bildet für sie trotz eines mangelhaften Vertrags mit Herrn Bauernfeld, den dieser mit größter Schläue zu seinem Vorteile aufgesetzt, ein hübsches Nadelgeld. Aber daran liegt Frau Thilde nicht viel. Im allgemeinen hat sie mehr als sie braucht. Braucht sie aber auch einmal mehr als sie hat, so wendet sie sich einfach an ihren Mann. Ohne viel Worte zu machen, gibt er ihr, was sie verlangt. Glücklicherweise ist die Wirtschaftskasse längst ganz in die Hände Fräulein Finchens übergegangen. Nach und nach ringt diese auch nicht mehr heimlich in stiller Verzweiflung die Hände über all das, was unnütz verplempert und zum Fenster hinausgeworfen wird. – – – –
– – – – – In der Kegelbahn des Finkengaßls geht's lustig her. Besonders seit Uz angelangt, ist die Stimmung eine äußerst animierte. Resi muß eine Maß nach der anderen bringen, und man hat sich so viel zu sagen, daß drei der Herren endlich erklären, keine geschlossene Partie mehr spielen zu wollen.
»So is 's einfach a Schweinerei!«
»Nein, nein, – 's ist schon wahr, – auf die Art ist's wirklich nichts Rechtes!«
»Laßt sie halt gehen! – Es ist immer so, wenn der Degenhardt kommt!«
Die anderen kümmern sich nicht viel darum, überlassen die Rebellen ihrem ›wilden Spiel‹, das diese als gute Übung betrachten, und konferieren weiter.
Der Professor, der ›traurige‹ Buchlehner genannt, weil seine Landschaften zum Unterschiede gegen diejenigen seines Bruders meist einen trüben, gewaltigen, zum mindesten ernsten, aber stets ergreifenden Eindruck machen, ärgert sich weidlich über Degenhardt. Der Künstler-Bruder, der ›lustige‹, der gutmütig und neidlos Antons größeres Können anerkennt, wird sogar ganz böse. Uz macht sich geradezu einen Spaß daraus, die beiden in Harnisch zu bringen, indem er unaufhörlich über des Professors letztes großes Gemälde, das im Glaspalast war, schimpft.
»Und außerdem, so ein Riesenviech von einem Bild, ja, wer kauft's denn? Weiß Gott, wann sich irgend eine von den faden Galerieen dazu herablaßt!«
Er erzählt ganze Romane abfälliger Kritiken, die er darüber gehört, und lügt, daß die Wände krachen. Der Professor fühlt, daß Degenhardt zum Greifen schwindelt, ärgert sich aber doch. Er weiß auch, daß sein Bild zum Ankauf für eine bekannte Privat-Galerie vorgeschlagen ist, und harrt sehnsüchtig und gespannt des Endergebnisses.
»Geh'n S' Buchlehner, ich bitt Ihnen, – das glauben S' ja doch selber net, daß da was draus wird! Das war ja nur so ein Gerücht, – Sie fallen aber auch auf alles herein!«
Der Bruder Franz wirft auf Degenhardt einen wütenden Blick.
»Wahr ist's – ich weiß's ganz gewiß,« schnauzt er den Doktor an; »Sie wissen ja garnix!«
Uz lächelt verschmitzt. Dann nimmt er eine betrübte Miene an.
»Ja, – ja, – nein, ich weiß nix!«
Alle sehen ihn an und wittern vergnüglich Neues. Nicht wenig neugierig sind sie alle. ›Der Weltherrlichkeit Ende‹ hatte sogar Buchlehners Feinde und Neider zur Bewunderung hinzureißen vermocht. ›Veraltete Technik, aber immerhin, –‹ ›Geschleckt, zu zahm, aber es ist was!‹... In Wahrheit ist's ein packendes Werk. Der Todeskampf der verwüsteten Natur drückt sich darin ergreifend aus. Grauenhafte Vernichtung alles Herrlichen, Bestehenden. Man meint erstarrte Schreie der Verzweiflung in der Luft schweben zu sehen, die zu vibrieren scheint unter dem schweren Veratmen der wild erregten Gottheit. Halb verweste Tierleiber, einzelne gigantische Skelette und gespensterhaft in die Weite ragende Reste mächtiger Bäume, die grüngrauer Schlamm bedeckt. Aber im Westen schon wieder ein lichter, schmaler Spalt zwischen noch dräuenden Wolken und auf einem morschen Stamm ein frisch sprießendes Reis. Das Ahnen des Kommenden, Neuen, das Unzerstörbare der nimmer rastenden Natur in ihrem unaufhaltsamen Werdegang.
»Geh, Uz, – sei net so fad, – laß doch den Buchlehner geh'n, – der zappelt scho g'nug!«
»Du, Uz, – ich glaub', du weißt was, –« raunt wieder ein anderer Degenhardt ins Ohr. – Der Professor hat sich inzwischen zu den drei eifrigen Spielern gesellt. Er schleudert die mächtige Lignum-sanctum-Kugel mit so großer, ungebändigter Kraft auf die lange Bahn hinaus, daß nach allen Seiten die Kegel stürzen und die Kugel einen so hohen, wilden Sprung macht, daß der winzige Kegelbub sich erschreckt flüchtet.
»Bravo,« rufen die spielenden Herren.
Degenhardt steckt die Hände in die Hosentaschen und wendet sich dann scheinbar lässig um. »Übrigens,« – wirft er Buchlehner hin, – »Ihr Bild ist angekauft!«
Der Professor, der eine zweite Kugel gefaßt hatte, läßt diese wirklich fast fallen und wechselt die Farbe. Dann wendet er dem vermeintlich taktlosen Spötter brüsk den Rücken zu, und Bruder Franzens breites, rotes Gesicht nimmt eine bläuliche Zornesfärbung an. Uz sitzt in irgend einer Clownsstellung auf dem Tisch und schlenkert mit den Beinen. Alles schaut mehr oder minder gespannt auf den Professor; dessen feine, blasse Züge sind wie überschattet. Plötzlich springt der Doktor herunter. Seine Miene ist total verändert. Er reicht dem Künstler treuherzig die Hand hin. »Verzeihen S', wenn ich z'erst ein G'spaßl g'macht hab'. – Ich kann Ihnen im vollen Ernst gratulieren, lieber Freund und Professor. Ihr Bild ist von Herrn von Brückenau angekauft. Der Brief, – jesses, ich werd'n doch noch haben,« – er zieht ihn aus der Tasche, – »da ist er schon!«
Man umringt den Glücklichen, der noch ganz betäubt scheint. Das ist wirklich einmal ein ganz außerordentlicher Erfolg. Das Gemälde in seiner kolossalen Größe hatte jeder trotz seines künstlerischen Wertes für sehr schwer verkäuflich gehalten. Herr von Brückenau ist ein Freund Degenhardts; letzterer hatte also seine Hand dabei im Spiel, – das ist sicher.
»Doktor, – ich dank' Ihnen von Herzen! Sie haben mir –«
»Nix hab' ich, – lassen S' mich gleich aus! Aber Resi, – her da! Was fällt dir denn ein? Etwa'n jetz' a Bier? Schampus, nix wie Schampus kaltgestellt. Weißt scho', Rest, meine ›flotte Witwe‹!«
Kaum hatte man ein paar Mal angestoßen, führt die Kellnerin einen alten Mann, der eine schmierige Livree-Weste und eine Dienermütze trägt, herein.
»Der Wastl! Ja Kerl, – wie schaust' denn aus?!« fährt Doktor Degenhardt sein Faktotum für alles an. »Was willst denn du da?«
Dem Wastl verschlägt der Atem, so ist er gerannt. Stoßweise bringt er's dann heraus.
»Gnädig' Herr, gnädig' Herr, – 's Kindl wär halt da, – ein Mäderl is's dösmal!«
»Schaf! Daß i nöt lach! Bin ja vor kaum zwei Stunden noch daheim g'wesen!«
»Hurra! Alle Neune,« ruft einer der Herren aus dem Hintergrund.
»Alle Neune, – alle Neune!« schreien lachend alle durcheinander.
»Das kann heut was geben. Der Buchlehner und der Degenhardt müssen schwer rausrücken!«
Der alte Wastl besieht den Taler in seiner Hand, den ihm sein Herr gegeben.
»Dank' vüllmals, gnädig' Herr!«
»Geh' nur, – nix wie z'Haus! Ich komm nachher scho!« – – –
Nachher!!
Um vier Uhr morgens endlich überquert der glückliche Vater der ›Neun‹ mit den beiden Buchlehners, die seine Nachbarn sind, die Ludwig-Straße. Alle frösteln in der kalten Oktobernacht. Zu Beginn dieser ausgedehnten Festkneiperei hat der Professor mit einem vorwurfsvollen Blick gemeint, Degenhardt müsse nun doch heim, um nach seiner Frau und der Kleinen zu sehen!
»Nachher! – Nachher!!« –
»Der Uz ist nicht zum Umbringen,« meinen die Freunde immer.
Heute aber hat's ihn doch etwas; wenn auch nicht so sehr wie den lustigen Buchlehner. Etwas schwankend benutzt der seines Bruders Arm als Stütze und hält die aufrührerischsten Reden. Nüchtern ist er das reinste Lamm. Der Professor allein hat einen völlig freien Kopf. Er hat sich auch heute im Trinken zurückgehalten. – – – – –
Ernst Degenhardt ist sich erst wieder völlig klar über alles Geschehene, als er dann im ehelichen Schlafzimmer steht. Sehr verblüfft sieht er auf das einzelne Bett. Man hat ihn bereits ausquartiert. Ein zweites steht an der Wand. Eine fremde Person in einem bunten Nachtkittel, eine getollte weiße Haube noch auf dem Kopf, schläft fest darin. Frau Thilde schlummert auch. Sie sieht im Schein des kleinen Nachtlämpchens nicht verändert aus. In einem verhangenen, lackierten Bettchen, in dem schon acht so gelegen, ist das Kleine gebettet. Nur wenig lüpft der Heimgekehrte, dem es schwer fällt, sich leise zu bewegen, die Vorhänge. Er weiß so wie so schon, wie es aussieht. Wie sie halt alle ausgeschaut haben! Winzig, faltig, rot und immer ein käsiger Geruch darum herum. »Ein Mäderl!« meint er ganz zufrieden. Dunkel erinnert er sich, daß er bei diesen Gelegenheiten stets im geräumigen Toilettezimmer seiner Frau das Lager gefunden. Er öffnet die Tür, die etwas hart in den Angeln kreischt; bald darauf schläft er wie ein Murmeltier.
Über dem Bettchen der Kleinen hängt an der Wand ein ziemlich großes Pastellbild: ›München von der Großhesseloher Brücke aus im Abendschein gesehen.‹ Schwarz ragen die unschönen Zwillingstürme, henkellosen Maßkrügen gleich, in die leuchtende Weite. Gerade unter diesen Türmen ist das Köpfchen der Neugeborenen gebettet.