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XI. Kapitel

Jagdanekdoten / Beginnende Entfremdung / Elisabeths Reisepassion / Ihre Lebensweise


Es schien uns besser, die Chronologie außer acht zu lassen und über Frau Schratt fortlaufend und im Zusammenhange zu sprechen, damit sie nicht beständig über den Schauplatz huschen und ernsthafte historische Erörterungen unterbrechen könnte. Wir wollen deshalb diese Dinge beiseite lassen und einen raschen Blick auf des Kaisers offenkundige Vorliebe für den Jagdsport werfen, ein Umstand, der nicht wenig dazu beigetragen hat, ihn bei seinem Volke so beliebt zu machen. Von derartigen Neigungen nimmt man in der Regel an, daß sie den Menschen der Natur, die alle Wesen zu Brüdern macht, näher bringen, und der Gedanke, ein guter Schütze müsse auch ein guter Mensch sein, wurzelt tief in den Gemütern – besonders wenn der Schütze das Eigentumsrecht der anderen achtet und dem Landmann gegenüber für alle durch die Jagd entstandenen Schäden aufkommt. Daß ein Kaiser außerdem nicht mit der Krone auf dem Haupt und königlichen Prunkgewändern zur Jagd reitet, sondern in einer einfachen Tracht, die der ihrigen sehr ähnelt, das allein ruft bei den Bauern schon einen großen Eindruck von Leutseligkeit und Herablassung hervor. Auch läßt sich das Landvolk gern als Treiber anstellen und hört und erzählt mit Vorliebe Jagdabenteuer, wo der Kaiser sich verirrt und die Leute, die ihn für ganz jemand anders hielten, in ihrer falschen Meinung noch bestärkt hatte, um dann schließlich herzhaft über das Mißverständnis zu lachen.

Erlebnisse dieser Art finden wir viel in Franz Josephs Leben, und seine volkstümlichsten Bilder sind jene, welche ihn, sei es als Greis, Mann oder Jüngling in Kniehosen, genagelten Schuhen und Lodenhut darstellen. Solche Bilder vermitteln eine Art unbewußten, nicht zu gering einzuschätzenden seelischen Zusammenhang zwischen einem jagdliebenden Volk und seinem jagdliebenden Herrscher. In dieser Volkstracht hat Franz Joseph oftmals in den Bergen und sogar in seinen eigenen Waldgärten die Rolle des Harun-al-Raschid gespielt, und es laufen viele Anekdoten um, die sich auf derlei Abenteuer beziehen.

Natürlich beruhen nicht alle auf Wahrheit und wir wollen hoffen, daß die boshaften davon erlogen sind. So ist zum Beispiel eine ganz gewiß die Erfindung eines politisch Mißvergnügten, die uns berichtet, wie der Kaiser mitten in den Kriegswirren von 1866 gelegentlich einer Treibjagd einen alten Bauern um Feuer für seine Pfeife bat, worauf ihm dieser tüchtig die Meinung sagte, was von einem Kaiser zu halten sei, der sich auf der Jagd vergnüge, während seine Untertanen auf den Schlachtfeldern ihr Blut und Leben für ihn dahingäben. Eine lustigere Geschichte – eine, über die der Kaiser selber vergnügt lachen mag – ist jene, die uns seinen Zusammenstoß mit einem Bauern erzählt, der ihn für einen gewöhnlichen Landstreicher hielt und ihm drohte, wenn er nicht sofort seinen Grund und Boden verlasse, so werde er ihm als Denkzettel eine Ladung Schrot ins Hinterteil geben und die Polizei auf die Socken schicken. Und ohne Zweifel freut er sich ebenso wie sein Volk in der Erinnerung daran, wie er einstmals höchst eigenhändig in seinen Gehegen zwei Wilddiebe festnahm, und nachdem er sich von der Wahrheit ihrer Beteuerungen, daß sie ehrliche Soldaten seien, die ohne eigene Schuld in große Not gerieten, überzeugt hatte, sie wieder losließ und ihnen eine Anstellung als Wildhüter verschaffte. Ein Herrscher, von dem Geschichten dieser letzten Art erzählt werden, wird sich immer einer ziemlichen Beliebtheit in weiten Kreisen der Bevölkerung erfreuen, und die Parade von Wildhütern aus allen Teilen seines Reiches, die einen der malerischsten Züge von Franz Josephs Jubiläumsfeier bildete, rief auch einen außerordentlichen Eindruck in diesem Sinne hervor. Obwohl diese Geschichten zur Kennzeichnung des Ganzen nötig sind, ist ihre Bedeutung doch nur nebensächlich und es genügt, sie oberflächlich zu streifen.

Die Sage spann ihre Fäden um die Abreise der Kaiserin nach Madeira: Man hat sie eine »Flucht« genannt und dem Zusammenwirken von drei verschiedenen häuslichen Störungen zugeschrieben. In erster Linie – so heißt es – weil die herrschsüchtige Erzherzogin Sophie der Kaiserin nicht gestatten wollte, den kleinen Kronprinzen nach ihrem Sinne zu erziehen – ein Kümmernis, das damals vielleicht sehr bitter war, wenn auch Gräfin Larisch versichert, daß der Kaiserin diese Sache späterhin völlig gleichgültig wurde. Ferner soll ein ehelicher Streit hineingespielt haben, der dadurch verursacht wurde, daß Franz Joseph zu wenig Hehl aus seiner Neigung zu einer Wiener Schauspielerin machte; und endlich, wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, soll der Zwist seinen Höhepunkt darin erreicht haben, daß der Kaiser sich auf der Jagd von einer bäuerlichen Schönheit in Liebesbande schlagen ließ.

Elisabeth, der dies zu Ohren kam, handelte im Impuls des Augenblickes. Sie entließ ihre Hofdamen und gebot ihrer Kammerfrau, schleunigst das Nötige für eine weite Reise zu rüsten, die sie heimlich zu unternehmen gedenke. Die Frau gehorchte ihrem Willen und sie gelangte bis nach Triest, wo ein nachgesandter Beamter sie erreichte und zur Rückkehr bestimmte. Sie gab aber nur unter der Bedingung nach, daß sie mit des Kaisers ausdrücklicher Bewilligung ihre Reise aufs neue antreten dürfe, wenn der äußere Schein wieder hergestellt sei.

Ob sich die Dinge wirklich genau so zutrugen, ob es wahr ist, daß die Flucht nur durch die Klugheit des Kapitäns verhindert wurde, welcher gerade im geeigneten Augenblick entdeckte, daß die Maschine seiner Yacht reparaturbedürftig sei; desgleichen ob es wahr ist, daß sich Franz Joseph um Verzeihung flehend Elisabeth zu Füßen warf, indem er seinen Fehler eingestand, die Schuld daran jedoch seiner Mutter in die Schuhe schob – all das sind Punkte, vor denen ein gewissenhafter Forscher zögernd Halt macht. Die in Weindels François-Joseph Intime erzählte Geschichte ist mehr als 50 Jahre alt und kein authentisches Dokument ist darüber veröffentlicht. Sicher ist nur das Eine, daß die Ärzte bei Elisabeth eine Lungenschwäche feststellten, die ihren Aufenthalt in einem wärmeren Klima erforderlich machte. So reiste sie nach Madeira und der Kaiser begleitete sie ein gut Stück Weges. Wie sie dann Madeira plötzlich verließ infolge von Berichten, die über ihre dortige Lebensweise nach Wien gelangten, ist schon bei früherer Gelegenheit in Anlehnung an Gräfin Larisch erwähnt worden.

Dies war der Beginn ihrer Wanderjahre und sie sollten bis zu ihrem Tode kein Ende nehmen. Elisabeth hatte gelernt, wie wichtig es war, den äußeren Schein zu wahren und sie blieb dessen stets eingedenk.

Bei großen, feierlichen Gelegenheiten ließ Elisabeth sich herbei, in Gala zu erscheinen und erfüllte ihre kaiserlichen Pflichten mit glänzender, wenn auch vielleicht ein wenig geistesabwesender Würde. Sie war von nicht geringerer Schönheit als Kaiserin Eugenie, hatte aber mehr Großzügiges, Majestätisches in ihrem Wesen und war sich voll bewußt, daß der Rahmen, in welchen ihre Schönheit und Erhabenheit durch Schönbrunn und die Hofburg gestellt war, ihr Haupt mit einem Glorienschein umwob, sehr verschieden von demjenigen, der die Königin der Lustbarkeiten in den Tuilerien, in Fontainebleau, Saint-Cloud und Compiègne schmückte. Aber sie war nichtsdestoweniger immer froh, wenn sie sich der Pflichten entledigt hatte und den »Harnisch«, wie sie es nannte, ablegen konnte.

Sie wanderte so viel sie nur konnte und kehrte nach Wien zurück, wenn sie fühlte, daß es um der anderen willen notwendig sei. Ein eingehender Bericht über ihre Reisen würde ein ganzes Buch füllen. Sie sah die Inseln Griechenlands und die Fjorde Norwegens; sie badete an der Küste von Norfolk und jagte in Irland; sie verweilte mehrmals auf der Insel Wight und in London; sie ging nach Karlsbad zur Kur und nach Amsterdam zur Massage und nahm Aufenthalt in Kap Martin, um daselbst Sonnenbäder zu nehmen; sie besuchte ihre Heimat in Bayern und ihre Schwestern in Paris und so weiter und so weiter. Bisweilen war man versucht zu glauben, daß sie durch ihre kühnen Reiterstückchen den Tod suchte. Ihr Wesen kennzeichnete mehr und mehr einen Menschen, dem das Leben nichts weiter gelassen hat, als was im Umgang mit der Natur an Freuden zu finden ist. So sprach sie auch von der Natur als dem einzigen »Mittler« zwischen Gott und ihr; und die uns überlieferten Fragmente aus ihren Tischgesprächen sind erfüllt von einer Art poetischem Pessimismus.

»Wir müssen versuchen, Eilande aus uns selbst zu machen.«

»Wenn wir nicht in der von uns ersehnten Weise glücklich sein können, so bleibt nichts übrig, als uns in unser Leid zu verlieben.«

»Im Leben eines jeden Menschen kommt eine Zeit, wo sein Innenleben erlischt.«

»Ich weiß, daß, wer sich auflehnt, hundertmal mehr leidet, als wer verzichtet. Aber Resignation ist eine Sache, deren ich nicht fähig bin.«

»Ich möchte an der See begraben sein, so daß die Wogen sich an meinem Sarge brechen. Dann würden alle Sterne des Himmels auf mich herabscheinen und Zypressen viel länger als die Menschen um mich trauern.«

Um vollständig zu sein, muß sich dem Bild auch die Gestalt Franz Josephs zugesellen, Franz Josephs, der sein volles Teil an der Aufrechterhaltung des Scheines beiträgt: der lange Reisen unternimmt, um die Kaiserin zu besuchen, trotzdem sie es so deutlich für alle, die es sehen wollen, merken läßt, daß sie sich am wohlsten fern von zu Hause fühlt, und der auf seinem Antlitz stets jenen Ausdruck milder, unzerstörbarer Freundlichkeit zur Schau trägt, wie er uns durch zahllose Bilder so wohlvertraut geworden ist. Es ist ein Bild voll Licht und Schatten und seltsamer Kontraste. Aber wir dürfen nicht länger dabei verweilen. Unsere Aufmerksamkeit muß sich auf das Schauspiel lenken, wie der Kaiser im Kampf mit dem Schicksal jenen Schwierigkeiten die Stirn bietet, die sein Reich in Fetzen zu zerreißen drohen, und wie er allmählich dieses Reich in einen gewissen Zustand von Ruhe und Ordnung bringt.

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