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Kaiserin Charlotte und Napoleon III. / Charlottes Geisteskrankheit / Maximilians Niederlage und Tod
Es muß hier wiederholt werden, daß die allgemeine Ansicht, die Kaiserin Charlotte wäre eine tapfere Frau gewesen, die die Zügel zu einer Zeit in die Hand nahm, wo Kaiser Maximilian in Furcht und Zögern verharrte, einer gründlichen Kritik nicht standzuhalten vermag. In erster Linie war sie eine eitle Frau mit durchaus leichtsinnigen Ansichten über die Verantwortlichkeiten eines Kaisers, die ihr geistiges Gleichgewicht verlor, als sie entdeckte, daß die so heiß ersehnte Stellung nicht nur Annehmlichkeiten, sondern auch Pflichten, nicht nur Vorrechte, sondern auch Gefahren mit sich brachte.
Die Legende erzählt, sie wäre nach Europa gekommen, um das Leben ihres Gatten, der sich in den Händen seiner Feinde befand, zu retten, und hätte angesichts der ablehnenden Haltung Napoleons vor Verzweiflung den Verstand verloren. Allein dies ist nicht der Fall. Zur Zeit, als sie ihre Reise antrat, stand es Maximilian vollkommen frei, Mexiko in jedem beliebigen Augenblick zu verlassen. Der Zweck ihres Kommens nach Europa war vielmehr der, Napoleon um mehr Soldaten zu bitten, damit Maximilian dort gegen den Willen der Mehrzahl der mexikanischen Bevölkerung verbleiben könne. Überdies waren die ersten Anzeichen von Wahnsinn schon vor ihrer Einschiffung in Puebla zutage getreten, wo niemand begreifen konnte, weshalb sie ihr ganzes Gefolge mitten in der Nacht weckte und darauf bestand, unter seiner Begleitung den Präfekten zu besuchen. So handelt nur eine Frau, deren Geist durch Schrecken bereits in Verwirrung geraten ist.
Es ging auch das Gerücht, daß ihre mexikanischen Feinde sie zu vergiften trachteten, und daß der Gifttrank sie zwar nicht tötete, aber ihre Geisteskrankheit zur Folge hatte. Für die Wahrheit dieser Geschichte ist kein einziger Beweis vorhanden.
Was Charlotte bei ihrer Landung in St. Nazaire erfuhr und weiterhin in Paris erlebte, mußte ihr als eine Reihe schlimmer Vorbedeutungen erscheinen. In St. Nazaire wurde ihr die Katastrophe von Königgrätz-Sadowa mitgeteilt und am Bahnhof St. Lazare fand sie zu ihrer Begrüßung keinen Vertreter des französischen Hofes vor – eine Unterlassung, die darum nicht weniger peinlich wurde, weil sie einem Mißverständnis entsprang. Denn ein solches Mißverständnis wäre wohl nicht möglich gewesen ohne Napoleons offenbare Gleichgültigkeit. Eine Kaiserin, der Napoleon Interesse entgegenbrachte, hätte nicht ins Grand Hotel zu fahren brauchen, um in dieser großen Allerweltsherberge ein Bett zu verlangen.
Als die Kaiserin Eugenie von ihrer Ankunft hörte, eilte sie zu ihr ins Grand Hotel und die beiden Frauen weinten miteinander, wie uns General Castelnau berichtet, der die Kaiserin begleitet hatte und sie mit roten Augen Charlottes Zimmer verlassen sah. Darauf folgte die Unterredung mit Napoleon selbst. Aber obschon er ihr mit geziemender Galanterie die Hand küßte, wollte er doch nichts für sie tun. Er war »liebenswürdig aber unerbittlich«, wie seine Mutter, die Königin Hortense, ihn immer gekennzeichnet hatte. Als Charlotte ihm schluchzend und flehend zu Füßen fiel, fand er wohl schöne Worte, gab aber kein Versprechen. Die mexikanische Expedition, betonte er, sei in Frankreich unpopulär geworden, und sie hätte ihm schon zuviel Geld und zuviel Menschen gekostet. Er müsse davon ablassen – wie er es wahrscheinlich schon von der Stunde an im Sinn hatte, als er Maximilian und Charlotte in ihre falsche Lage hineinzog.
»Dann werden wir abdanken« sagte Charlotte in dem Glauben, daß ihre Drohung den Kaiser einzuschüchtern vermöchte.
»In der Tat, ich glaube, das wäre das beste!« gab Napoleon höflich zur Antwort. Das war alles, was sie aus ihm herausbringen konnte, und seine Minister waren noch weit mehr zugeknöpft. Von Schrecken gepeitscht flüchtete Charlotte nach ihrem alten Wohnsitz Miramare und von da aus nach Rom.
Welchen Trost sie in Rom zu finden hoffte, ist schwer zu sagen.
Hier kam die Krisis zum Ausbruch. Der Papst empfing sie in der ihrem Rang gebührenden Weise und stattete ihr im Hotel einen Gegenbesuch ab. Sie kam noch ein zweites Mal zu ihm, und da, in einem Vorzimmer des Vatikans, kam es zu einem Anfall von Tobsucht, der keinen Zweifel mehr an ihrem Geisteszustand ließ, obwohl man die Wahrheit zu verschleiern suchte.
»Es ist das Wort ›Geistesstörung‹ gebraucht worden«, schrieb ein Beamter, »die Wahrheit ist, daß sich die Kaiserin in einem Zustand schwerer Nervenerregung befindet, der jedoch ihren Verstand nicht alteriert. Diese Erregung zeigt sich besonders, wenn man Mexiko und die Mexikaner in ihrer Gegenwart erwähnt.« –
– – »Der Zustand erfordert Ruhe, körperliche sowohl als geistige, und der Papst hat aus diesem Grunde der Kaiserin ein Appartement im Vatikan, nahe seinen eigenen Gemächern angewiesen, wo sie bis zur Ankunft des Grafen von Flandern verbleiben wird, welcher kommt, um seine erlauchte Schwester nach Miramare zu geleiten.«
Allein die Ruhe führte keine Besserung herbei. Charlotte war nicht nur im allgemeinen irrsinnig, sondern litt an Monomanie; sie hatte die fixe Idee, daß man sie vergiften wolle, und bestand darauf, daß alle für sie bestimmte Nahrung vor ihren Augen erst einer Katze vorgesetzt wurde, ehe sie davon genoß. Es mußte ein Telegramm an Maximilian abgesandt werden:
»Ihre Majestät die Kaiserin Charlotte ist am 4. Oktober in Rom von einer schweren Gehirnkongestion befallen und nach Miramare zurückgeleitet worden.«
Dies war das Ende von Charlottens tragischer Abenteuerfahrt, und auch Maximilians Kampf sollte nimmer lange währen. Niemand hinderte ihn daran, abzudanken, und man darf kühnlich sagen, daß dem nur der Habsburger Stolz im Wege stand.
Als die Franzosen die Stadt Mexiko verließen, sah er ihrem Abzug hinter verschlossenen Fensterläden zu, so daß er selber unsichtbar blieb. Nachdem der letzte Mann verschwunden war, machte er Fenster und Läden wieder auf und rief mit der Geste eines dramatischen Helden:
»Nun bin ich endlich frei!«
Frei, um was zu tun?
Frei, um Befehl zu erteilen, daß, wenn Benito Juarez und gewisse andere republikanische Führer in Waffen gegen ihn gefangen werden sollten, ein Kriegsgericht sie zum Tode durch Erschießen zu verurteilen hätte; aber nicht frei, um seine Drohung auszuführen.
Dies alles erfolgte beinahe im Handumdrehen. Die letzte französische Abteilung zog am 5. Februar 1867 ab; am folgenden Tage sandte Maximilian jenes Schreiben an Miramon mit der Instruktion, Juarez zum Tode zu verurteilen. Am 13. Februar verließ er die Stadt Mexiko, am 17. zog er in Queretaro ein unter dem jubelnden Zuruf der klerikalen Bevölkerung. Am 26. Februar ordnete er eine Zwangsanleihe an und erhielt auch das Geld, aber am 2. März begannen die Feinde heranzurücken. Ungefähr gerechnet standen 40 000 Republikaner gegen 7000 Imperialisten und nach einer Belagerung von über zwei Monaten mußte sich Maximilian in den ersten Morgenstunden des 15. Mai ergeben.
Die Kunde davon kam nach Europa. Ein Habsburger – der Bruder des Familienoberhauptes – in den Händen von Indianern und Mestizen, die ihm das Gleiche drohten, was er in jenem berüchtigten von seiner eigenen Hand unterzeichneten schwarzen Dekret ihren Führern angedroht hatte! Für Franz Joseph erhob sich daraus die dringliche Frage, welche Schritte, wenn deren überhaupt, zur Rettung seines Bruders unternommen werden sollten.
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