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Im vorigen Monat überfiel mich irgend eine unangenehme Krankheit. Ich mußte im Bette bleiben, konnte nichts essen, fieberte. Das Reden machte mir Beschwerden, und ich war ganz zufrieden damit, daß sich fast kein Besucher in meinen vierten Stock hinaufverirrte. Früh und abends kam der Arzt. Das genügte. Auf alle anderen offiziellen Besuche pfeife ich. Nichts kommt mir lächerlicher vor, als daß Menschen, die uns in gesundem Zustand auf alle erdenkliche Weise malträtieren, reizen, erbittern, wenn wir krank werden, sofort in Liebe zerfließen ... Nach einigen Tagen erfuhr ich, daß ich an einem gastrischen Fieber litt und noch ein paar Wochen liegen müsse. Auf das war ich nicht gefaßt, besonders meine Börse nicht. Als mir das letzte Geld ausging, schrieb ich zehn Briefe an Freunde und Verwandte. Mein Hausmeister er ist sozusagen mein Kammerdiener in diesen Tagen geworden – trug sie aus. Abends kam er mürrisch, brummend mit acht Antwortbriefen zurück, zwei hatten gar nicht geantwortet ... Ich habe nun beschlossen, diese Antworten zu veröffentlichen, keine andere Rache liegt in meiner Macht.
Mein Bruder schreibt: Lieber Bruder! Also deshalb bist Du vorige Woche nicht zur Tante Anna gekommen. Schade, armer Kerl, es war sehr schön dort. Auch Emma war dort, sie hat nach Dir gefragt. Ich habe sie an Deiner Stelle nach Hause begleitet. Du hast recht, sie ist das anmutigste Geschöpf auf Erden ... Das Verlangte kann ich Dir leider nicht senden. Wenn du eine Stunde früher geschickt hättest! Inzwischen habe ich meine letzten zwei Gulden auf eine Bonbonniere für E. ausgegeben. Du bist doch nicht böse wegen dieses fatalen Zufalls? Vielleicht kann ich Dir nächste Woche das Gewünschte senden ... Herzlichst Dein Rudolf.
Der Herausgeber einer Zeitschrift, für die ich schon viel gearbeitet habe, schreibt: Sehr geehrter Herr! Mit aufrichtigem Bedauern haben wir von Ihrer Erkrankung Kenntnis genommen. Wir wünschen Ihnen baldige Besserung und bitten Sie, dies wahrhaftig nicht als bloße Redewendung anzusehen. Was Ihre Bitte betrifft, so thut es uns wirklich sehr leid, Ihren Wunsch momentan nicht erfüllen zu können. Ein Unternehmen wie das unsere muß in jeder Hinsicht planmäßig vorgehen. Leider ist nun in diesem Jahre der Fonds, welchen wir für diese Zwecke in unseren Etat eingesetzt haben, bereits erschöpft. Wir müssen also mit dem größten Bedauern Ihre Bitte derzeit abschlägig bescheiden. Aber – schicken Sie uns doch bald wieder etwas ein! Hochachtungsvoll Professor I. Edelherz.
Eine Tante schreibt: Lieber Oblomow! Nein!!! Ich bin nicht dazu da, junge Lebemänner zu unterstützen. Wenn Du wirklich krank bist (was ich bezweifle), so ist es wahrscheinlich nur eine Folge Deines leichtsinnigen Lebens. Vorigen Sommer habe ich Dich einmal in »Venedig in Wien« an einem Wochentag gesehen. Jemand, der unter der Woche Zeit und Geld hat, um Vergnügungsetablissements aufzusuchen, der kümmert mich nicht. Ich komme das ganze Jahr nicht aus dem Hause. Wenn damals nicht Onkel Theodor aus Budweis in Wien gewesen wäre, hätte ich bis heute »Venedig in Wien« nicht gesehen. Ich habe Dir meine Meinung bisher nicht gesagt, weil Du mich bis heute mit Deinen Misèren verschont hast. Daß der Krach kommen muß, das hab' ich immer gewußt. Die ganze Familie wird bereit sein, Dich zu unterstützen, wenn Du wieder ordentlich lebst, zu den Verwandten ziehst, jeden Tag um neun Uhr nach Hause kommst und überhaupt wie ein anständiger Mensch lebst! Es grüßt und küßt Dich Deine Tante Eugenie.
Ein Kollege schreibt: Lieber Freund! Was fällt Dir ein?! Ich???! Ich gehe seit vorgestern mit elf, respektive fünf Kreuzern in der Tasche herum. Diese sende ich anbei. Dein Alfred.
Ein Bekannter, ein Schriftsteller von Ansehen, schreibt: Lieber O.! Ich kann Ihre Bitte nicht willfahren!!! Selber bin ich seit einiger Zeit vollkommen niedergeschlagen, aus, fertig! Meine Seele ist quasi niedergeprackt!?! In unerhörten Leiden schleppe ich mich notgedrungen dahin ... Wenn mein armer Bruder nicht wäre, hätte ich längst alles hingeschmissen. Als ein Hinsiechender kann ich nun nicht auch noch diese gräßlichen ökonomischen Sorgen auf mich nehmen. Mein Nervensystem verlangt Ruhe, Erholung, Besänftigung ... Diese ökonomischen Fragen würden jedoch mein Nervensystem auf das unerhörteste martern. Ich grüße Sie!
A. K.
Ein Tarokpartner, Sekretär der Gewerbebank, schreibt: Lieber Freund! So leid es mir thut, kann ich Ihrer Bitte nicht willfahren. Nicht etwa wegen der Summe, die ich ja im Notfall mir leisten könnte. Aber hier handelt es sich um prinzipielle Bedenken. Sie erinnern sich vielleicht, daß wir im Herbst 1898 einmal gemeinsam im Stehparterre der Hofoper waren. Nach der Vorstellung liehen Sie sich vierzig Kreuzer von mir; ich weiß nicht wozu. Ich war delikat genug, keinen Rückzahlungstermin zu bestimmen. Sie haben aber bis zum heutigen Tage diesen Betrag nicht retourniert. Es liegt ja nichts an dem Betrage. Ich habe mir aber zum Grundsatz gemacht, Leute, die das erste Mal nicht ordentlich zurückzahlen, in diesem Punkt als erledigt zu betrachten. Sie natürlich werden sich als »Übermensch« fühlen und sagen, daß sie an diese Lächerlichkeit bereits längst vergessen haben. Entschuldigen Sie, wenn ich in diesen Fragen noch nicht so modern bin ... Nichts für ungut. Hoffentlich sind Sie Sonntag wieder bei der gewohnten Partie im Café Förster. Bestens grüßt Eduard Rotziegel.
Einem Advokaten, für den ich Übersetzungen aus dem Italienischen zu besorgen pflegte und von dem ich wußte, daß ihn nur im Kaffeehaus ein Brief sicher antrifft, hatte ich dorthin mein Schreiben geschickt. Er antwortete mir auf einem Zettel: »Geschäftliche Fragen erledige ich in meinem Bureau. Im Kaffeehaus wünsche ich ungestört zu sein.
Dr. Lilien.«
Eine Zeitung, für die ich zuweilen schreibe, antwortet lakonisch: »Unmöglich! Die Administration.«
Als ich diese Briefe las, bemerkte mein Hausmeister, wie ich von Minute zu Minute bleicher, erregter, wütender wurde. Wortlos legte ich mich in die Polster zurück und sagte: »Es ist gut. Ich danke Ihnen. Bis ich gesund bin, werde ich Ihnen ...« Ärgerlich brummte der Hausmeister: »Sehen S', die Arbeit hätten Sie mir auch ersparen können! Das hatt' ich Ihnen im voraus g'sagt.« – »Gut, schon gut, ich will Ruhe,« erwiderte ich. Der Hausmeister sah mein offenbar wutverzerrtes Gesicht und ging. Aber er schlug die Thür so krachend ins Schloß, daß große Mauerstücke vom Plafond abbröckelten. Seit dem Tage sehe ich auch meinen Hausmeister nicht mehr ...