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Diese Sache könnte ich »künstlerisch vollendeter« erzählen, wie der schöne Ausdruck heißt. Ich könnte statt mich selbst, in edler Objektivität einen Dichter in dritter Person auftreten lassen, nicht mich, der ich – Gott sei Dank! – kein Dichter bin!
Nein, ich bin kein Dichter und ich habe es mein Lebtag nicht begreifen können, daß die Dichter sich es stets so ruhig, ja gerne gefallen ließen, daß man sie Dichter nannte. Fühlen denn die armen Narren nicht heraus, daß die schwärmerische Phrase: »Sie sind ein Dichter!« eigentlich nichts anderes heißt als: »Ich brauche Dir also nicht zu glauben!« Erkennen diese armen Narren denn nicht, daß man sie in den Käfig dieses Titels sperrt, um sie unschädlich zu machen. Immer liegt irgend eine niederträchtige Absicht zu Grunde, wenn man einen einen Dichter nennt .. Ich erinnere mich an einen Abend in Traunkirchen. Wir fuhren, eine Gesellschaft von zwölf oder vierzehn Leuten, in Booten über den See. In jedem Boot fanden nur zwei Leute Platz. Ich stand am Ufer und zertrat vor Erregung den knirschenden Kies, während ich wartete, wer in mein Boot stiege. Ob es eine junge Dame sein werde, um derentwillen ich dastand und bebte. Sechs Leute waren bereits in den Booten. Angewurzelt stand ich da. »So,« hörte ich plötzlich die Stimme der jungen Dame sagen, »Sie steigen mit Fräulein Bertha in ein Boot.« Fräulein Bertha war die Gesellschafterin, eine sehr gutmütige, liebenswürdige, weißhaarige Dame in schwarzem Seidenkleid. Ich stand da, ich hörte es vielleicht, aber ich fühlte plötzlich Centnerschwere in den Füßen. Nicht wegrühren konnte ich mich. Als jene junge Dame meine grenzenlose Bestürzung merkte, sagte sie mir im Vorübergehen, lächelnd: »Sie können mit Fräulein Bertha fahren! Sie können ja träumen! Sie! Ein – Dichter!« ...
Nein, weiß Gott, es giebt keinen ärgeren Schimpf als Dichter genannt zu werden. Hier stehst Du, hast einer Sache ins Herz gesehen, gehst her und sagst es den anderen. Die anderen hören es, hören es immer deutlicher, wollen Dir schon zustimmen und auf Deine Seite treten. Plötzlich sagt jemand von den Umstehenden: »Das ist alles übertrieben. Sie sind eben ein Dichter.« Sofort geht ein kühler Wind durch die ganze Gesellschaft. Keiner hat mehr den Mut mitzugehen, alle werden skeptisch, vorsichtig, störrisch ... Aber übertreiben nicht alle erkennenden Menschen? Ist nicht alle Perspektive Übertreibung des Nächstliegenden? Nur wem nichts nahe geht, der hat nichts zu übertreiben!
Niemals ist noch das Wort Dichter in einer günstigen Wendung citiert worden. Aber Hundertmal hört man den Satz superkluger Litteraturhistoriker: »Der Dichter soll sich durchringen müssen. Er soll die tiefen Regionen des Lebens kennen!« Es geht Euch wie den Kindern, die man in der schändlichsten Weise beschnitt, um ihre süßen Knabenstimmen zu erhalten ...
Dichter genannt, das heißt vor allem: Unschädlich gemacht werden! Niemals werde ich jenen betrügerischen Philanthropen vergessen, der allabendlich neben wir im Gasthaus zum roten Hahn saß. An seinem Tisch saß gewöhnlich noch ein Begleiter, jedesmal fast ein anderer. Der Philanthrop begann über etwas zu reden. Der andere wollte etwas dazu sagen. Aber der Philanthrop war schon im Fluß der Rede. Er ließ nicht mehr los, er schwätzte, lachte, schrie, war wütend, schlug auf den Tisch, besänftigte sich wieder, kam wieder ins Toben. Kurz: Der andere konnte nicht zwei Sätze vorbringen. In einer frech despotischen Weise beherrschte der Philanthrop das Gespräch ... Ich kann nicht sagen, wie sehr mich dieser Philanthrop erbitterte. Trotzdem ich ihn nicht kannte und trotzdem ich sonst ein höflicher Mensch bin, hätte ich ihn am liebsten zugeschrien: »Halt das ...« Damals sagte ich zu einem Freund: »Siehst Du, der gilt für einen Philanthropen. Als ob nicht vor allem jeder Menschenfreund eines können mußte: Zuhören! Zuhören, das ist eigentlich die einzige Beschäftigung des Menschenfreundes. Mehr braucht er nicht zu können! Es ist alles ... Und dieser Kerl, der im Gespräch den andern niederwirft, auf ihm herumtrampelt, ihm das Knie auf die Brust setzt und zu dem Wehrlosen redet, redet, redet, das soll ein Philanthrop sein?« Erst viel später wurde dieser Philanthrop wegen einer Reihe kleiner, ganz gemeiner Schwindeleien, an armen Teufeln verübt, verhaftet. Meine Diagnose stand schon ein Jahr früher fest, als ich die Verbrechen sah, die er im Gespräch verübte. Wer hätte mir und meiner psychologischen Diagnose geglaubt? Niemand. Im besten Fall hätte man es für dichterische Übertreibung gehalten. Ich bin aber, zum Teufel, kein Dichter. Ich pfeife für alle Ewigkeit auf dieses verdammte Wort. Mir gelingt vielleicht dann und wann eine richtige Diagnose dort, wo mancher andere vielleicht nicht einmal recht die Krankheitssymptome sieht! Das ist alles.
Es versteht sich also, daß mir auch alle litterarischen Rezensionen herzlich gleichgültig sind! Ich will auf Menschen wirken, nicht auf Schreiber! Nur einmal im Leben hab' ich eine Rezension erfahren, die mir Freude machte und das war eigentlich gar keine Rezension, sondern es waren nur ein paar Worte von jemandem, der gar nicht wußte, daß ich sie hörte. Es war in einer Arbeiterversammlung, in die ich von einem sozialistischen Blatt als Berichterstatter geschickt wurde. Der Saal war gesteckt voll. Mitten durch den eng gefüllten Saal wanderten die Kolporteure und legten Bücher, Zeitungen, Revuen zur Ansicht auf die Tische. Der Zufall wollte es, daß auf einem Tisch, an dem ich gerade vorüberging, eine Zeitschrift lag, in welche ich einen übrigens recht schlechten Aufsatz veröffentlicht hatte. Ich sah, wie ein Arbeiter, dem Aussehen nach ein Maurer, das Heft in die Hand nahm, das Inhaltsverzeichnis durchlas und ich hörte, wie er seinen Nachbar, auch einen Maurer, fragte, indem er auf das Heft wies:
»Du! Der Stefan Großmann, ist das unser Großmann?«
Das war ganz einfach gefragt. Es hieß nicht »unser« Großmann, so wie man sagt »unser« Schiller, »unser« Waldersee etc. etc., sondern das war ein ganz selbstverständliches »Unser«, etwa so wie Kinder ihre Mutter fragen: »Du? Ist das unsere Bäckerei?«
Aber ich kann gar nicht sagen, wie warm mir diese selbstverständliche Frage machte. Es ist die unerwarteteste, aber die wertvollste Rezension, die ich je erfuhr. Sie galt gewiß nicht meinen »künstlerischen« Affektiertheiten. Sie war ganz unverdient günstig. War ich denn je so sehr der redende Mund, das Organ der anderen, um diese einfache Frage zu verdienen? Hatte ich mich nicht selbst hundertmal künstlich isoliert? ... Immerhin, die Frage war gefragt. Ich werde Dir, nachsichtiger Frager, an jedem Tage meines künftigen Lebens Antwort geben.